Читать книгу Einmal und Zurück - Ulrich Paul Wenzel - Страница 8

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Dass Isabelle und mich Welten trennten wurde mir noch einmal bewusst, als ich zwei Stunden später über die Entwicklung noch einmal nachdachte, während ich mich in der Toilette ihres Hotels etwas frisch machte. Isabelle war zum Duschen auf ihr Zimmer und wollte sich für den Abend herausputzen. Ich fragte mich, ob die Richtung noch stimmte. Wie es weitergehen sollte. Jetzt wäre die letzte Gelegenheit, der Geschichte ein Ende zu setzten, ein schmerzliches Ende. Oder hätte es doch etwas Gutes – insbesondere in Anbetracht der Beziehung mit Sybille?

Schon drei Wochen nachdem ich mich häuslich bei Sybille eingerichtet hatte, stellten sich die ersten Zweifel ein und ich begann mit zunehmender Intensität darüber nachzudenken, ob ich die Geschichte nicht vorzeitig beenden sollte. Irritiert stellte ich fest, dass ich bei einer unter Drehstrom stehenden Workaholic-Frau wohnte, die wochentags um sechs Uhr aufstand, hektisch die Wohnung durchpflügte, eine dreiviertel Stunde das Bad blockierte, beim Frühstück mit Müsli und schwarzem Kaffee im Stehen in Exposès und Makler-Verbandszeitschriften herumblätterte und dann mit einem Riesenstapel Akten in der Hand ins Büro hastete, aus dem sie nie vor acht Uhr abends zurückkam. Anschließend hingen wir in ihrer Pizzeria bei Guiseppe am Adenauerplatz herum, wo ich abwechselnd Pizza Stagnione und Penne Al Forno vertilgte, so dass ich von Pizza Stagnione und Penne Al Forno schon schlechte träumte. Zu Hause angekommen, fiel Sybille wie Sandsack ins Bett, nicht eine einzige Nummer war unter der Woche drin. Ich hatte mir das nach unserem glanzvollen Auftakt ganz anders vorgestellt. Allerdings auch an den Wochenenden, an denen sie regelmäßig explodierte wie eine Handgranate. Wir zogen dann durch alle angesagten Kneipen links und rechts vom Kudamm, feuerten uns alles rein, was irgendwie brannte und vögelten anschließend bis zum Sonnenaufgang. Je häufiger ich über unser eigenartiges Verhältnis und insbesondere über Sybille nachdachte, desto mehr glaubte ich Anzeichen dafür zu entdecken, dass sie ordentlich einen an der Waffel hatte.

Auch wenn ich sie erst ein paar Stunden kannte, hatte ich bei Isabelle ein ganz anderes Gefühl und wollte die Bestätigung.


Wir hatten den letzten Tisch ganz am Ende der Terrasse bekommen. Etwas zu abseits für meinen Geschmack, ich saß gerne mittendrin, aber erstens konnten wir uns den Platz nicht aussuchen, die griechische Taverne mit dem nicht gerade einfallsreichen Namen Zorbas direkt an der Hauptstraße nach Rethimnon, war brechend voll und zweitens war es mir diesmal ganz recht, nicht mittendrin zu sitzen. Isabelle hatte sich herausgeputzt, als wenn sie zum Bundespresseball wollte. In ihrem schwarzen, ärmellosen und eng anliegenden Baumwollkleid mit einem schon unverschämten Dekolleté sah sie aus wie eine Filmdiva, während ich neben ihr in meinem roten T-Shirt mit dem Aufdruck Kangoroo, der fleckigen, weit geschnittenen, hellen Leinenhose und meinem zusammengerollten Schlafsack in der Hand etwas drollig daher kam. Greta Garbo und Huckleberry Fin.

»Wusstest du eigentlich, dass schon 7000 vor Christi Menschen auf Kreta wohnten?«, fragte mich Isabelle, während sie vorsichtig das zarte Fleisch ihres gegrillten Red Snapper von den Greten löste. Ich bewunderte ihre feingliedrigen Hände, an denen sie nur einen kleinen, unauffälligen Ring trug.

»Nein«, sagte ich erstaunt, »das wusste ich nicht.« Das musste man auch nicht wissen. Mein gegrillter Octopus war so zäh die Gummidichtung zwischen WC-Becken und Abflussrohr. Wie auch immer ich in diesem Moment darauf kam, aber so wie die Konsistenz meines Octopus' stellte ich mir die neuen Brustimplantate aus Silikon vor, die gerade in den USA im Trend lagen und auch in Europa immer beliebter wurden. Ich riskierte einen knappen Blick auf Isabelles Dekolleté.

»In der Bronzezeit gab es hier schon eine Hochkultur der Minoer unter dem König Minos. Ganz in der Nähe von Heraklion stehen noch die Überreste der alten Palastanlagen von Knossos«, dozierte Isabelle und ich bemerkte den Glanz in ihren Augen, während sie genüsslich ihre roséfarbenen Lippen bewegte. Wir hatten uns eine Flasche Demestica zum Fisch bestellt und ich schenkte ihr nach. Retzina wäre heute Abend definitiv nicht angemessen gewesen.

»Wirklich erstaunlich«, antwortete ich mit hochinteressiertem Blick, wobei ich mir eingestehen musste, dass ich nicht annähernd einen Schimmer hatte, welche Jahreszahlen ich der Bronzezeit zuordnen konnte. Immerhin schloss sich für mich der Kreis - King Minos hieß unsere Fähre nach Chania.

»Irgendwann haben die Römer bestimmt Kreta erobert«, schob ich nach, obwohl ich mir auch da nicht sicher war. Andererseits, folgerte ich, konnte man mit den Römern nicht viel falsch machen, die waren fast überall am Mittelmeer.

»Genau, kurz vor Christi und später kamen dann die Araber, Türken, Venezianer und andere.«

Isabelle schien heute am Strand Zeit gefunden zu haben, den geschichtlichen Teil ihres Reiseführers durchzuarbeiten. Diese Ambitionen kamen bei mir nicht hoch. Wir redeten natürlich noch über verschiedene andere Sehenswürdigkeiten und kulturelle Besonderheiten Kretas. Das heißt, Isabelle referierte und ich hörte zu und schenkte von Zeit zu Zeit Wein nach. Mein Redeanteil erhöhte sich erst wieder, als wir über mehr oder weniger belanglose Dinge plauderten, wie über das Wetter am Mittelmeer.

Der Octopus lag mir im Magen wie ein Autoreifen, als wir die Taverne verließen.

»Wollen wir noch ein bisschen zum Strand runtergehen?«, fragte mich Isabelle. Da ich schon einige Zeit darüber nachgedacht hatte, wie es nach dem Essen wohl weitergehen könnte und ich auch den Strand als eine mögliche Option sah, gefiel mir ihr Vorschlag ausgesprochen gut. »Meinetwegen«, stimmte ich zu und wollte nicht so klingen, als wenn ich die ganze Zeit nichts anderes im Sinn gehabt hätte. Wir verließen die Taverne und schlugen einen der nächsten Wege mit dem schiefen Hinweisschild To the Beach ein. Es war stockdunkel und bullenwarm.

Das Meer war schon fast beängstigend still. Fast zaghaft rollten die seichten Wellen gegen den Strand und versickerten, weiße Bläschen zurücklassend. In der Ferne sah ich die Lichter von zwei Fischerbooten und im Westen entlang der Küstenlinie die erleuchteten Hotels und den Hafen von Rethimnon. Eigentlich war alles wie geschaffen, jetzt musste nur etwas passieren.

Isabelle hatte ihre Schuhe ausgezogen und war direkt zum Wasser gegangen. Ich trabte ihren blonden Haaren, die wie der Feuerschweif einer Fackel in den Nachthimmel leuchteten, hinterher. Als ich sie erreichte, bückte sie sich gerade nach einer Muschel. Es war keine aufregende Muschel, eher so ein uniformes Allerweltsteil, wie sie millionenfach an der Nordsee herum liegen. »Hier, für dich.«

Ich wollte schon jauchzen ‚Oh, eine Muschel, die ist ja wunderschön’, wandelte dann aber etwas ab: »Oh danke, das ist ja eine tolle Muschel.« Hätte ich die Muschel nicht von Isabelle geschenkt bekommen, ich hätte sie postwendend in die Ägäis geschleudert. Stattdessen nutzte ich den Moment, nicht nur die Muschel, sondern ihre ganze Hand zu greifen. mit Gleichzeitig umfasste ich mit der anderen Hand Isabelles Hüfte und zog sie an mich heran. Genau so hatte ich es in irgendeinem Film gesehen und war fasziniert gewesen. Es war die einzige Szene einer fürchterlichen Schmonzette, die mir noch in Erinnerung blieb. Dass es diesmal kein Film war, spürte ich schon an meiner inneren Spannung und der aufsteigenden Hitze. Trotzdem fand ich mich ziemlich professionell. Isabelle jedenfalls kam bereitwillig näher und schmiegte sich an mich. Ich spürte ihre Brustwarzen und ihren weichen Atem. Und kurz darauf die Zeltstande, die sich in meiner Hose aufrichtete. Wie im Film – auch das gehörte zu der besagten Szene – wollte ich Isabelle zaghaft auf den Mund küssen und dann ganz behutsam voranschreiten, zum Ohr, am Hals herunter und so weiter. Sie schien von solch einem Firlefanz nicht viel halten, drückte ihren Mund auf meine Lippen und schob mir ihre Zunge in die Mundhöhle. Ihre linke Hand spürte ich in meinem Nacken. Nachdem ich mich von ihrem Angriff erholt hatte, fuhr ich mit meiner Zungenspitze ihre makellose obere Schneidezahnreihe ab. Plötzlich musste ich anfallartig husten.

»Ist dir nicht gut?«, fragte Isabelle und sah mich sorgenvoll an.

»Nein, es geht schon wieder. Ich weiß auch nicht, was das war.«

Isabelle legte ihren Kopf an meine Schulter und ich schaute auf den endlosen Strand, während ich mit der einen Hand gefühlvoll über ihren Hintern streichelte und mit der anderen an ihrem Nackenhaaren Ohrläppchen.

»Lass und irgendwo ein bisschen auf den Strand legen, Lukas«, sagte Isabelle plötzlich und löste sich aus meiner Umklammerung »du hast doch extra deinen Schlafsack mitgebracht.«

Ihr zweiter Satz irritierte mich. Unterstellte sie mir etwa, ich hätte schon morgens gewusst, dass ich abends mit ihr in meinem Schlafsack am Strand landen würde? Trotz der Dunkelheit muss sie meinen nachdenklichen Blick auf ihr Kleid mitbekommen haben. »Kein Problem, das kann ich ausziehen.«

»Ist ja auch noch ganz schön warm«, sagte ich verlegen. Was sollte ich auch sagen. Wir stapften ein Stück weit vom Wasser weg. Noch während am Auszuloten war, in welche Richtung ich den Schlafsack ausrichten sollte, hatte sie mir das blaue Bündel aus der Hand genommen und selbst ausgerollt. Dann streifte sie ihr Kleid ab, legte es sorgfältig zusammen, packte es in ihre Umhängetasche und verschwand im Schlafsack. Ich war in diesem Moment heilfroh darüber, das ich ihn heute Morgen eine halbe Stunde auslüften ließ.

»Worauf wartest du?«, fragte sie. Ich sah nur ihre blonden Haare.

»Ich komme schon«, antwortete ich, zog meine Turnschuhe, die Hose und anschließend mein T-Shirt aus, schnüffelte unter meinen Achselhöhlen und kroch zu ihr in den Schlafsack. Ich weiß nicht warum, aber mein erster Gedanke war die Frage, ob sie genauso quietscht, wie Jeanette, die Kölnerin. Dabei konnte mir das eigentlich sowas von egal sein, hier waren weit und breit keine Engländer.

»Ich mache das zum ersten Mal«, sagte Isabelle und schnüffelte an meinem Hals.

»Das soll ich dir glauben?« Ich grunzte durch die Nase, während ich mit der Hand die Kontur ihres Rückens nachzeichnete und mich dabei im Schritttempo vom untersten Lendenwirbel bis zum Nacken hocharbeitete. Sie biss mir ins Ohrläppchen. »Ja, ich schlafe zum ersten mit jemandem unter freiem Himmel und im Schlafsack.«

Ich antwortete nicht und versuchte noch einmal mit meiner Zunge in ihren Mund zu gelangen, das hatte mir sehr gut gefallen. So ganz nebenbei überprüfte ich ihre Körbchengröße. Ich glaubte immer noch, mit meiner ersten Einschätzung von vor zwei Tagen nicht falsch gelegen zu haben.

Auch Isabelle arbeitete sich gut voran. Sie war außerordentlich geschmeidig. Es gab bald kaum eine Stelle meines Körpers, die sie mit ihren graziösen Händen nicht erforscht hatte und dort, wo sie mich mit den Händen nicht erreichte, spürte ich ihre Zehen, was mich noch mehr elektrisierte.


Isabelle quietschte nicht! Sie hatte eine wesentlich angenehmere Tonlage als Jeanette. Während es sich bei Jeanette anhörte, als wenn jemand mit einer Stahlsäge das Rohr einer Wasserleitung zerlegte, war es bei Isabelle eher mit dem Einstimmen eines Cellos zu vergleichen.

Natürlich klappte es noch nicht so reibungslos wie mit Sybille zu unseren besten Zeiten. Meistens hatten wir uns auf den Rhythmus von Smoke On The Water eingependelt. Sybille hatte von meiner Affinität zu Deep Purple natürlich nichts mitbekommen, obwohl sie mich einmal beim Mitsummen ertappt und blöde angeglotzt hatte. Als mich später der Ehrgeiz packte - unsere Beziehung hatte den Zenit längst überschritten, wollte ich mit ihr noch Child In Time ausprobieren. Erst der softe Einstieg, dann der rasende, sich fast überschlagende Mittelteil und am Ende wieder ganz ruhig. Sybille hatte diese Nummer leider gar nicht verstanden und irgendwann abgebrochen. Es war das erste Mal gewesen, dass sie mir mit dem Notarzt gedroht hatte.

In Anbetracht meiner zugegebenermaßen nicht immer überzeugenden Performance, war ich mit dem Ergebnis bei Isabelle ziemlich stolz. Wir lagen atemlos und schwitzend nebeneinander und schauten wortlos auf den sternenübersäten Ägäishimmel. Ich suchte wieder einmal den großen Wagen, das einzige Sternbild, das ich zu kennen glaubte. Isabelle roch nach wohligem Sex. Mir fiel die B-Note ein, die Franky ins Spiel gebracht hatte. Eigentlich fand ich das bescheuert, aber es half ja alles nichts, Franky würde bestimmt danach fragen. Spontan gab ich Isabelle neun Punkte. Das war objektiv gesehen allerdings nicht sehr aussagekräftig, die meisten Frauen kamen bei mir auf acht bis neun Punkte, zumindest kurz danach. Diesmal glaubte ich jedoch, dass ich vollkommen richtig lag. Isabelle spielte definitiv in der Premium League!

»Weißt du, woran ich gerade denke?« schnurrte Isabelle und kraulte mich in der Bauchnabelgegend. Entweder an die hinter uns liegende Nummer, überlegte ich, an die Zigarette danach oder wann es weitergeht. »An was denn?«

»An ein klassisches Konzert. Die Wiener Philharmoniker mit dem Piano Concerto Nr. 1 von Tschaikovksy und am Horizont geht über dem Meer die Sonne auf.«

»Oh ja, das muss wirklich toll sein.« Obwohl ich schon davon gehört hatte, sagten mir die Wiener Philharmoniker, das Piano Concerto Nr. 1 und auch Tschaikovksy wenig, lediglich mit Horizont, Sonne und Meer konnte ich etwas anfangen.

»Ich denke oft an Musik, wenn ich am Meer bin«, schwärmte Isabelle mit geschlossenen Augen, »mir fallen dann auch immer ganz bestimmte Stücke ein. Genauso, wenn ich mich an bestimmte Zeiten erinnere.«

»Bei mir ist das so ähnlich.«

»Hast du auch gerade an Musik gedacht?«

Nicht direkt. Dass mir Noten durch den Kopf gingen, beispielsweise Isabelles B-Note, erwähnte ich vorsichtshalber nicht. »Ja, ich habe auch an Musik gedacht«, log ich stattdessen.

»Und an was für Musik?«

»An Deep Purple.« Das stimmte jedenfalls. Smoke On The Water!

»Hab' ich schon mal etwas von gehört.«

»Wirklich? Kennst du auch Richie Blackmoor

»Nein.«

»Ist einer der besten Gitarristen, die ich kenne.« Noch im selben Moment merkte ich, wie blödsinnig dieser von mir initiierte Dialog war und meine überschäumende Begeisterung konnte ich mir auch nicht erklären. Mir war sofort klar, dass ich mich auf Isabelle erst einstellen muss. Sie stellte die Konversation über Musik auch ein, richtete sich auf und gab mir wortlos lächelnd einen flüchtigen Kuss auf die Nasenspitze.


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