Читать книгу Motte und Co Band 4: Die Insel der Drogenbande - Ulrich Renz - Страница 14
Schuss ins Schwarze
ОглавлениеUnd das taten wir. Und zwar ziemlich bald.
Wegen des Quallenalarms war der Strand auch noch nach dem Mittagessen gesperrt, und am Pool war es inzwischen so voll, dass uns die Lust vergangen war. Außerdem, um ehrlich zu sein, hatten wir auch ein bisschen Angst vor den Strammscheiteln. Tati war längst bei seinem Zweistein und den anderen Fischer-Freunden in der Stadt.
Wir saßen also nach dem Mittagspicknick etwas unschlüssig vor dem Wohntempel rum und wussten nicht so recht, was wir mit dem Rest des Tages anfangen sollten. „Lasst uns doch eine Exkursion zu den Ausgrabungen in Alexandros machen, die haben da eine Kultstätte aus der mykenischen Zeit entdeckt.“ Papa hatte wieder mal unstillbaren Durst auf Tempel.
Zum Glück wurde die Idee von Mama sofort beerdigt. „Ach Reinhard, es ist doch viel zu heiß. So was muss man früh morgens machen.“
Womit aber die Frage noch nicht beantwortet war, was wir jetzt machen sollten.
„Wir könnten ja mal das Animationsprogramm checken“, meinte JoJo.
Seit wir hier auf der Insel waren, lag er uns mit dem Animationsprogramm in den Ohren. Er stellte sich offensichtlich was weiß ich was vor, was ganz Großartiges jedenfalls. Wir anderen fanden das nicht so prickelnd, aber JoJo ließ nicht locker. „Warum sollen wir das nicht mal ausprobieren? Ich finde, wenn man schon mal in so einem Ferienclub ist, muss man auch die Möglichkeiten nutzen, die da geboten werden!“
Da keinem von uns etwas Besseres einfiel, machten wir uns also auf den Weg ins Dorf. Samt Ute, die wahrscheinlich von der stillen Hoffnung getrieben war, irgendwo ihren Chrissy zu treffen.
Neben dem Fresstempel gab es eine Schautafel, auf der das Programm mit den Freizeitaktivitäten angeschlagen war, daneben war das Häuschen der Animateure. Wir wurden gleich von einer netten Blonden mit Pferdeschwanz in Empfang genommen, die sich als Lulu vorstellte. Leider sei der Andrang diesen Nachmittag so groß, dass schon alle Kurse voll belegt seien, außer „Mathe für Mädchen“. Und Bogenschießen. Aber das sei doch auch super cool und voll krass und fett und bei der Hitze gerade das Richtige. Der Schießplatz sei „absolut Hightech“, und außerdem – das sagte sie mit einem Augenzwinkern – seien die angesagtesten Animateure überhaupt dabei, nämlich die legendäre Lulu und der supercoole Christoph.
Worauf Ute einen hysterischen Schrei von sich gab: „Chrissy!!!“
Lulu schenkte Ute ein verständnisvolles Lächeln. „Fängt gleich an, ich freu mich auf euch!“
Also Bogenschießen. Ich hatte ja eigentlich schon Lust, aber …
„Simon, du wirst dich zu Tode langweilen“, vollendete MM den Gedanken, der gerade in meinen Kopf gekommen war. Sie schaute Simon voller Mitleid an.
„Ach Leute“, sagte Simon mit seinem gewohnten leisen Lächeln, „keine Sorgen wegen mich … wirklich, ist vielleicht mal ganz nett, ein anderes Bogen zu probieren.“
Wer Simons Bogen zu Hause kennt, weiß, dass es für ihn alles andere als „nett“ sein konnte, mit irgendwelchen Spielzeugbögen auf eine Pille-Palle-Zielscheibe in zwanzig Meter Entfernung zu schießen. Im Bogenschießen ist Simon der absolute Vollprofi. Zuhause in seinem Sportclub trainiert er in achtzig Meter Entfernung. Ein paar Mal habe ich ihn zum Training begleitet. Dass man auf so eine Distanz überhaupt eine Zielscheibe treffen kann, ist für mich schon ein Wunder, aber dass man dann auch noch voll in die Mitte trifft, ist schlicht übermenschlich, finde ich.
Lulu hatte sich schon auf den Weg gemacht, wir trotteten ihr hinterher. Der „Hightech-Schießplatz“ sah auf den ersten Blick nach allem anderen als nach Hightech aus: eine Bretterbude auf einer vertrockneten Wiese, dazu drei bunte Schießscheiben mit einer Wand aus Stroh dahinter, für die verirrten Pfeile.
Chrissy wartete schon und nahm uns sehr nett in Empfang. Ute hatte rote Flecken am Hals und klimperte so wild mit ihren Wimpern, dass Chrissy sie besorgt fragte, ob sie was in die Augen bekommen hätte. JoJo prustete darauf so heftig los, dass er Schluckauf bekam. Das konnte ja heiter werden.
Außer uns war noch die ganze holländische Familie da, wie immer alle orange angezogen, auch das Baby, und noch ein paar Leute, die ich nicht kannte.
Leider waren das aber noch nicht alle. Vom Dorf her kam jetzt nämlich eine Gruppe anmarschiert, deren Gegröle schon von Weitem zu hören war. Mein Herz machte einen kleinen Stolperer, und ich schaute unwillkürlich zu den anderen. Auch ihnen stand ein kleiner Adrenalinstoß ins Gesicht geschrieben.
„Shit happens“, sagte Simon.
„Machen wir das Beste draus“, flüsterte MM.
„Ute!“ Der kleine Benni hatte offenbar Ute entdeckt und kam auf sie zu geflitzt. Die Großen kamen langsam hinterher, mit einem merkwürdig schwankenden Gang.
„Bestimmt besoffen“, sagte MM.
Sie hatten uns natürlich sofort erkannt. „Na, die Billigcamper, ich sagte doch, wir treffen uns wieder!“, warf uns Attila mit seinem fiesen Grinsen zu.
Ich war froh, dass die supercoole Lulu gerade in dem Moment alle an der Bretterbude zusammenrief und mit einem kleinen Einführungskurs anfing: wie man die Bögen zu halten hatte, die Pfeile auf die Sehne setzte, die Sehne spannte und so weiter. Wir schauten dabei immer wieder verstohlen Simon an. Der ließ sich aber nichts anmerken.
Jeder bekam so eine Art Fingerhandschuh und einen Unterarmschutz („damit ihr euch nicht mit der Sehne verletzt, die kann die Haut richtig aufratschen“). Dann verteilte man sich auf die Schießplätze und durfte alles ausprobieren, was sie uns gezeigt hatten.
Nach den ersten Katastrophen-Schüssen fing es an, mir richtig Spaß zu machen, und meine Trefferquote war schon ganz passabel. MM entpuppte sich als ziemlich talentiert, sie war die beste von uns – Simon hielt sich immer noch vornehm zurück. „Habe Ferien …“, lächelte er uns an. JoJo versenkte die meisten Pfeile in der Strohwand, was er auf die „miese Qualität der Pfeile“ zurückführte. Ute hatte noch keinen einzigen Pfeil abgeschossen bekommen, wahrscheinlich stellte sie sich extra blöd an, damit Chrissy ihr zu Hilfe kam. Und tatsächlich tat er das einmal: er stellte sich hinter sie, nahm die Arme um sie, um ihre Hand zu führen. Sie war kurz vor der Ohnmacht. Danach war sie völlig durch den Wind und kriegte den Pfeil noch nicht mal angelegt.
Die Strammscheitel tummelten sich zum Glück an einer der anderen Scheiben, aber selbst aus der Ferne war ihr Gegröle kaum auszuhalten. Nur Benni war bei uns, er wich Ute keinen Schritt von der Seite.
„Liebe Sportschützen!“, kam nun über Lautsprecher die Stimme von Lulu. „Um die Sache etwas sportlicher zu gestalten und ein bisschen Spannung reinzubringen, haben wir uns was Supercooles ausgedacht. Ein Mannschaftsturnier, bei dem es was richtig Geiles zu gewinnen gibt! Nämlich“, – sie machte eine lange Spannungspause –, „für jeden aus der Siegermannschaft eines von unseren supercoolen Club-Caps!“ Sie wedelte wie wild mit ihrem Cap rum. „Und wer will, kriegt sogar noch ein Autogramm von Chrissy drauf.“ Das hatte sie bestimmt nur wegen Ute gesagt.
„Okay Jungs, holen wir uns die blöden Caps!“, hörte ich von den Strammscheiteln. Sie klatschten sich grölend ab. Von Benni wussten wir, dass sie in ihrem schicken Internat Bogenschießen als Unterrichtsfach hatten, zusammen mit Fechten und Reiten.
Lulu machte weiter und erklärte nun die Regeln. Es sollten sich Mannschaften von je fünf Leuten zusammentun, und an jeder Scheibe sollten zwei Mannschaften gegeneinander antreten. „Jedes Team hat 15 Schuss, jeder darf also dreimal schießen, und zwar alle drei Schüsse hintereinander. Der äußerste Ring zählt 10 Punkte, der zweitäußerste 20, der dritte 30, und so weiter. Der kleine schwarze Kreis ganz innen bringt 150 Punkte.“
Sie deutete auf eine Anzeigetafel an der Wand der Bretterbude: „Hier wird der Punktestand für jede Mannschaft angezeigt, die Treffer werden nämlich per Funk direkt von der Zielscheibe hier auf das Display übertragen.“
Aha, das war also die Sache mit der „Hightech“.
Jede Mannschaft sollte sich jetzt einen Namen ausdenken, mit dem sie auf der Anzeigetafel stehen wollte. JoJo war nur mit Mühe von „Die Meisterdetektive“ abzubringen. „Wir haben schließlich Ferien“, meinte Simon. Das mit den Ferien hatte es ihm offenbar angetan. Am Ende einigten wir uns auf „Eistanker“. Ute sollte anfangen, Benni war der Schlussmann. Simon hatte weiterhin Ferien.
Die Suche nach einem Mannschaftsnamen hatte uns so beschäftigt, dass wir gar nicht gemerkt hatten, dass sich die Strammscheitel zu uns gesellt hatten. Offenbar hatten die Animateure sie unserer Scheibe zugeteilt.
„Da haben wir ja die Arschkarte gezogen, mit den Billigheimern vom Campingplatz“, ätzte Attila gleich los. Wir versuchten wegzuhören. Was aber gar nicht so leicht war, denn es blubberte nur so aus ihm raus. „Gestern Abend bei Luigi … Alter, war das geil … is sowas von abgegangen … aber is ja nichts für euch Kleinen, ihr macht ja noch in die Pampers …“
Ich war froh, als Lulu ankam und meinte, wir könnten doch eigentlich loslegen.
„Wir machen die so was von platt“, musste Attila noch loswerden, worauf Lulu trocken zurückgab: „Mit dem Mundwerk auf jeden Fall.“
Mit einem Münzwurf wurde ausgelost, dass die „Masters of the Universe“ – wie sich die Strammscheitel offenbar genannt hatten – anfangen sollten.
Ihr erster Schütze war Bennis Bruder Wulfius, nach seinen drei Schüssen standen 150 Punkte auf der Tafel.
Bei uns war JoJo der Erste. Zwei Pfeile gingen daneben, immerhin traf der Dritte, wenn auch nur knapp.
„Glückstreffer, Dicker!“, höhnten die Strammscheitel.
Der zweite von ihnen erhöhte das Konto der Masters of the Universe auf 320, und damit lagen sie auch in der Gesamtwertung in Führung, an zweiter Stelle kam „Oranje“. Das konnten nur die Holländer sein, die an der anderen Zielscheibe gegen ein paar ältere Leutchen antraten, die sich „Rentnerkanonen“ nannten.
Bei uns kam als zweite Ute dran. Wie erwartet vermasselte sie alle Schüsse, was ihr aber nichts auszumachen schien, denn von Chrissy kam ein „Gut gemacht, Ute!“ Darüber freute sie sich so heftig, dass ihr die Tränen runterliefen.
Von den Strammscheiteln kam nichts als höhnisches Gelächter. Und der Kommentar „Selber schuld, wenn ihr Pussies mitmachen lasst.“
Nach dem dritten Scheitel-Typen hatten sie ihren Vorsprung auf 450 Punkte ausgebaut, und klatschten sich ab, als ob sie eine Olympiamedaille gewonnen hätten.
MM hatte leider eine Pechsträhne und blieb weit unter ihren Möglichkeiten. Immerhin schaffte sie 140 Punkte.
Und dann kam ich dran. Als ich den Bogen nahm, brachen die Strammscheitel in Buh-Rufe aus. Um mich zu verunsichern hätte aber auch ein Blick an die Tafel gereicht. Wir standen an letzter Stelle, mit über 300 Punkten Rückstand zu den führenden Masters.
Leider war auch mir keine Glanzleistung vergönnt. Der erste Pfeil ging daneben, die beiden anderen trafen ganz knapp.
Von den Strammscheiteln kam das übliche Gefeixe. Deren Schlussmann war Attila höchstpersönlich.
„Jetzt könnt ihr mal sehen, wie ein richtiger Könner das macht.“ Und dann schoss er immerhin 80, 80 und 70. Und wurde natürlich gefeiert wie ein Weltstar. Die anderen klopften ihm minutenlang auf den Rücken und wälzten sich johlend mit ihrem Superhelden auf dem Boden.
Benni schaute betreten weg.
„Völlig durchgeknallt“, sagte MM neben mir, „wie wenn sie Drogen genommen hätten.“ Genau das war mir gerade auch durch den Kopf gegangen.
Als sie sich wieder eingekriegt hatten, kam Attila auf uns zu. „Na, Pampers-Kiddies, ihr seid ja voll am Abkacken … voll die Letzten, und jede Wette, das seid ihr auch am Schluss.“
„Nö, erste.“
Das kam von Simon.
Attila hatte es offenbar die Sprache verschlagen. Er schaute irritiert zu seinen Freunden.
Simon hatte schon einen Bogen in der Hand. Sein Gesicht war unbewegt, aber ich konnte spüren, wie empört er war.
„Ich dachte, du hast Ferien?“, flüsterte ich ihm zu.
Simon schien das nicht gehört zu haben. Er war in Gedanken weit weg. Ganz ruhig ging er die paar Schritte zu dem Eimer mit den Pfeilen und suchte sich drei Pfeile aus. Dann ging er ebenso ruhig zur Linie.
„Erste – hahahaha, habt ihr das gehört?!“ Attila hatte offenbar seine Stimme wiedergefunden. „Wir sind 350 Punkte vor euch!“
„Also, um was wetten wir?“, fragte JoJo.
„Eine Packung von dem geilen Zeug von Luigi“, grinste Attila.
„Dass ihr uns für den Rest des Urlaubs in Ruhe lasst. Und uns am Pool die Liegen nicht mehr wegnehmt“, sagte JoJo.
„Okay Dicker, geht klar!“
Simon stand schon an der Linie und legte den ersten Pfeil an. Ganz langsam hob er den Bogen und spannte ihn. Und schon zischte der Pfeil los.
Schwarz. Mehr Mitte ging nicht. Von der Anzeigetafel kam eine kleine Fanfare, die offenbar einprogrammiert war, wenn die innere Scheibe getroffen wurde.
„Glückstreffer!“, grölten die Strammscheitel. Das Hohngelächter klang aber etwas angestrengt.
Simon hatte schon wieder angelegt. Losgelassen. Wieder die Fanfare.
Von den Attilas kein Ton.
Simon nahm nun den dritten Pfeil. Ganz langsam, wie in Zeitlupe, setzte er ihn an, und genauso langsam hob er den Bogen, richtete ihn in voller Spannung aus, verharrte noch einen Moment unbewegt. Und dann: Zisch!
Der Pfeil steckte im Schwarzen.