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III

Officer Frank Begay saß vor dem Schreibtisch in seinem Büro im Polizeidepartement von Window Rock. Vor ihm türmte sich ein Haufen unbearbeiteter Akten. Begay schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, nahm vorsichtig einen Schluck und seufzte. Er hasste Papierkram. Aber leider gehörte auch das zu seiner Arbeit für die Navaho Nation Tribal Police.

Der Hauptteil seiner Arbeitszeit bestand aus Außendienst. Er liebte es, in den menschenleeren Weiten der großen Reservation unterwegs zu sein, oft tagelang, und dabei auch manchmal irgendwo im Freien kampieren zu müssen. Und er liebte den Umgang mit den Angehörigen seines Volkes, besonders mit den verstreut in der Wildnis lebenden Feldbauern und Viehzüchtern. Er hatte immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte dieser Menschen und sein Beruf vermittelte ihm oft das Gefühl, helfen zu können. Kapitalverbrechen gab es auf der Big Rez äußerst selten und Gewalt kam eigentlich nur in Fällen von Notwehr oder als Folge von Alkoholmissbrauch vor. Meist musste man als Navaho-Stammespolizist eher helfend oder vermittelnd eingreifen. Er liebte diesen Teil seiner Arbeit. Und er hasste den Papierkram. So wurde er denn auch oft von seinem Vorgesetzten, Captain Blackhat, gerügt, wenn ein Bericht wieder einmal zu kurz oder ungenau ausgefallen war. Lustlos nahm Begay den obersten Hefter von dem Stapel.

„Werwolf in den Chuska Mountains?“, stand auf der Pappe. Er legte ihn zur Seite und nahm die zweite Akte hoch. „Viehdiebstahl bei Tec Nos Pos“, las er und klappte den Hefter auf. Einer Familie waren in den letzten Wochen fünf Schafe abhanden gekommen. Dass ein oder zwei Tiere sich verirrten und nicht zur Herde zurückfanden, gab es in dieser Gebirgslandschaft öfter und auch dass ein Schaf oder eine Ziege sich ein Bein brach und nicht gefunden wurde, kam häufig vor. Aber diese Zahl von verschwundenem Vieh musste eine andere Ursache haben. Manchmal schlossen sich Tiere der Herde eines anderen Besitzers an, was der in dieser unwegsamen Landschaft, in der man sein Viehmanchmal tage-oder wochenlang nicht zu Gesicht bekam, oft nicht entdeckte. Der eigentliche Besitzer konnte dieses aber sehr wohl als Diebstahl auslegen und so musste die Stammespolizei vermittelnd eingreifen. Es konnte aber auch sein, dass ein paar Kojoten oder ein Berglöwe sich über längere Zeit an Tieren dieser Herde gütlich taten. Begay hatte sich selbst schon in der Gegend umgesehen, aber keine Hinweise auf ein Verbrechen oder Spuren großer Raubtiere finden können.

Er legte den Hefter zur Seite und nahm sich einen dickeren Aktenordner vor. „Harold Nez“ stand darauf und „Alkoholmissbrauch“. Begay nahm noch einen Schluck von seinem Kaffee und schüttelte den Kopf. Vor ein paar Tagen hatte Begay Nez‘ Frau und Kinder zu Verwandten gebracht, um sie nicht weiter der trunkenen Tobsucht ihres Familienvaters auszusetzen, und hatte ihn selbst im Gefängnis abgegeben. Nez war auch wiederholt mit anderen in gewalttätige Auseinandersetzungen verstrickt gewesen. Immer wieder hatte er kurze Haftstrafen verbüßt. Begay setzte sich seine Computerbrille auf, mit der er sowohl den Bildschirm wie auch die Tastatur gut sehen konnte, und öffnete eine Datei. „Harold Nez“, schrieb er und seufzte.

In diesem Augenblick klingelte das Telefon. „Officer Frank Begay, Navaho Nation Tribal Police“, meldete er sich.

„Hallo Frank“, tönte es leutselig aus dem Hörer, und Begay erkannte sofort die Stimme seines FBI-Kollegen Jackson Caldwalder. „Alter Siedlerschreck! Wie geht es Ihnen?“

„Hallo Jack“, antwortete Begay, der mit dieser Floskel noch nie viel hatte anfangen können, und ärgerte sich gleich darauf über seine Reserviertheit. Er war mit dem Agenten Caldwalder sozusagen durch Dick und Dünn gegangen und er hatte sich dabei, obwohl ein Weißer, als guter und verlässlicher Partner erwiesen. „Schön, Sie zu hören“, setzte Begay etwas unbeholfen hinzu.

„Ja, Frank, das finde ich auch“, meinte Caldwalder. „Was machen Sie so?“

Begay erzählte dem Agenten, dass er gerade vor einem Stapel unerledigter Akten säße und nun Berichte schreiben müsse, und erntete Caldwalders Mitgefühl.

„Vielleicht kann ich Sie etwas ablenken“, sagte Caldwalder und Begay stellte sich vor, dass er das augenzwinkernd tat.

„Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte er.

„Wir haben einen Fall im Hopi-Reservat.“

Begay horchte auf. Das bedeutete, dass es sich wahrscheinlich um einen Todesfall handeln musste. Die Indianerreservate besaßen eine Teilautonomie und ihre Polizei und Gerichte bearbeiteten einen Großteil der Straftaten, die im Reservat vorkamen, unabhängig. Nur bei Kapitalverbrechen und Mord schaltete sich automatisch die Bundespolizei ein.

„Ein Mord?“

„Das wissen wir nicht“, antwortete Caldwalder. „Ein Hopi ist oben in Hotevilla auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen. Scheint ein wichtiger Mann gewesen zu sein, der aber mit vielen Leuten im Clinsch lag, und jetzt denken wohl einige, dass es bei seinem Tod nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könnte, und haben die Polizei informiert.“

„Was sagt denn die Hopi-Polizei?“

„Bis jetzt gar nichts. Aber Sie wissen, ich muss mir das Ganze angucken. Und da dachte ich, Sie könnten mir helfen.“

„Wieso ich?“

„Frank, ich habe überhaupt keine Ahnung von den Hopi und wenn es dort irgendwelche Verflechtungen gibt, ist vielleicht auf die örtliche Polizei auch kein Verlass. Ich weiß, dass Sie sich auch mit der Kultur anderer Indianerstämme gut auskennen. Wenn Sie mit mir dort hinkämen, hätte ich einfach ein besseres Gefühl!“

„Wie ist der Mann gestorben?“, fragte Begay.

„Das ist ziemlich seltsam! Er ist bei einem Ritual umgekommen, dem Schlangentanz. Er ist offensichtlich von einer Klapperschlange gebissen worden.“

Begay erschrak. „Was?“, fragte er ungläubig. Er kannte den Schlangentanz der Hopi, der im Zyklus der Rituale dieses Volkes eine wichtige Rolle spielte.

Der Schlangentanz war eine der spektakulärsten Zeremonien des Volkes und lockte auch immer wieder Schaulustige an. Begay selbst hatte einmal ein solches Ritual miterleben dürfen und erinnerte sich bewundernd an die Tänzer, die mit den bloßen Zähnen Giftschlangen aufgenommen hatten und mit ihnen im Mund getanzt hatten.

„Meines Wissens wird so gut wie nie ein Tänzer bei dieser Zeremonie gebissen“, meinte Begay nachdenklich. „Und wenn, dann haben die Hopi doch ein Gegenmittel bereit.“ Begay wusste, dass Schlangenbisse nicht so gefährlich waren, wie heute besonders von den Weißen immer angenommen wurde. Wenn man schnell ein Gegenmittel bekam, bestand in den meisten Fällen keine Todesgefahr.

„Und selbst wenn ein Tänzer durch einen Biss getötet wurde, ist das dann ja ein Unfall“, fügte er hinzu.

„Ich weiß nicht“, antwortete Caldwalder stockend. „Es gibt dort wohl Leute, die meinen, dass er nicht an dem Schlangenbiss gestorben ist. Jedenfalls muss ich mir die Sache vor Ort ansehen. Wie ist es, Frank, wollen Sie mich begleiten?“

Begay sah auf den Stapel Akten vor ihm und seufzte.

„Ja“, sagte er. „Dann müssen Sie aber mit meinem Vorgesetzten reden.“

„Mit Captain Blackhat habe ich schon geredet“, meinte Caldwalder fröhlich. „Der stellt Sie frei!“

Tanz mit Schlangen

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