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IV

Als Begay auf dem Parkplatz der Stammesverwaltung in Kykotsmovi eintraf, erwartete Agent Caldwalder ihn schon. Er hatte sich nicht verändert, seit Begay ihn das letzte Mal gesehen hatte. Wie der Indianer war er jetzt Mitte fünfzig und sah dafür gut durchtrainiert und frisch aus, wie Begay feststellte. Dass das auch für ihn galt, sagte der Weiße ihm zur Begrüßung. Caldwalder hatte kurzes, blondes Haar, das mit Grau durchsetzt war, blaue Augen in einem sonnengebräunten Gesicht und ein ständiges Lächeln auf den Lippen. Er war etwas größer als der mittelgroße Begay. Wie Caldwalder trug der Navaho Hemd und Jeans, dazu Cowboystiefel. Aber sein mit Silberconchos besetzter Gürtel und ein Armreif, in den feine Stücke von verschiedenfarbigem Türkis einlassen waren, sowie sein kräftiger, untersetzter Körperbau und das halblange schwarze Haar, in das sich ebenfalls graue Strähnen mischten, wiesen ihn als Angehörigen seines Volkes aus. Die Haut seines Gesichts und seiner Hände zeigten, dass er viel Zeit im Freien verbrachte. Der stets aufmerksame Blick seiner tief dunklen Augen zeugte von einem wachen Geist. Begay war ein typischer Dineh, der fest in der Tradition seines Volkes verankert war und doch auch in einer modernen Welt bestehen konnte.

Begay und Caldwalder waren sich, obwohl sie einen denkbar verschiedenen persönlichen Hintergrund hatten, von Anfang an sympathisch gewesen, und diese Sympathie trug auch jetzt ihr Wiedersehen.

Sie begrüßten sich herzlich. Begay bat Caldwalder, zu ihm in sein Auto zu steigen. Er war mit seinem privaten Pick-up unterwegs, da es ein Affront gewesen wäre, mit einem Gefährt der Navaho-Stammespolizei zu einem traditionellen Hopi-Dorf zu fahren. Begay ging davon aus, dass der Wagen des Weißen den Weg zu dem Dorf Hotevilla nicht geschafft hätte.

Die Tafelberge ragten aus dem Flachland auf wie Festungen von Riesen aus einer mythischen Vergangenheit. Dort standen die Pueblos der Hopi seit hunderten von Jahren und die Menschen fristeten ein karges und einfaches Leben im Einklang mit ihrer Umgebung. Begay bewunderte die Hopi. Auch in seinem Volk hielt ein Großteil der Menschen an den Traditionen fest, aber die Kultur der Navaho war viel opportunistischer als die der Hopi. Die Dineh waren als nomadisierende Jäger aus dem Norden eingewandert, hatten dann von ihren sesshaften Nachbarn den Feldbau und später ebenfalls von diesen und auch den Spaniern die Zucht von Schafen, Ziegen, Pferden und wiederum später von den Amerikanern auch die Haltung von Rindern übernommen. Die Kultur der Navaho definierte sich als eine Kultur des Wandels, so wie es Changing Woman die ersten Dineh vor Urzeiten gelehrt hatte. Die traditionellen Hopi aber hielten an ihrer althergebrachten Lebensform fest und verteidigten sie gegen den Einfluss der Weißen. Zurückgezogen auf ihren weltabgewandten Burgen waren sie wie Ritter, die dem Ansturm der Moderne widerstanden.

Zunächst konnten sie noch einige Meilen auf der asphaltierten Bundesstraße 264 fahren, an der der neuere Ortsteil der Gemeinde Hotevilla-Bacavi lag. Kurz darauf rumpelte Begays alter Pick-up dann langsam und eine Staubfahne weit hinter sich herziehend die Staubpiste zu dem alten Dorf Hotevilla entlang. Geduldig umschiffte er dabei Löcher und große Steine, die auf dem Weg lagen.

Caldwalder hatte schon an der Grenze der Reservation Schilder bemerkt, die die Besucher aufforderten, das traditionelle Dorfleben nicht zu stören, nicht zu fotografieren, sowie Begräbnisstätten und andere heilige Plätze nicht zu betreten. Hier stand ein Schild, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ:

Warnung Warnung

Keine weißen Besucher erlaubt.

Auf Grund Ihrer Unfähigkeit, die Gesetze unseres Stammes zu befolgen wie auch der Unfähigkeit Ihre eigenen Gesetze zu befolgen, ist dieses Dorf hiermit geschlossen.

Kurz vor dem Ortseingang stellte Begay seinen Wagen auf einem Platz ab, an dem zwei weitere rostige und offensichtlich altgediente Pick-ups standen. Zu Fuß gingen sie weiter den staubigen Weg zwischen den eng gedrängt stehenden Adobe-Häuser der Hopi. Die Gassen des Dorfes waren wie ausgestorben und auch auf dem zentralen Platz des Ortes begegneten sie nur einer älteren Frau mit buntem Kleid und Kopftuch, die sie argwöhnisch ansah. Es war später Vormittag und die Bewohner schienen entweder auf ihren Feldern zu arbeiten oder sich zu Hause aufzuhalten. Nur ein paar Hunde beäugten sie misstrauisch und verfolgten sie ständig witternd in gebührendem Abstand.

Caldwalder hatte eine Verabredung mit dem Hopi-Stammespolizisten Charles Quochytewa, der in Hotevilla lebte. Glücklicherweise kannte Begay das Haus des Polizisten von früheren Besuchen und führte seinen Kollegen dorthin. In den engen Gassen, die von der Plaza in der Mitte des Dorfes abgingen, gab es weder Straßennamen noch Nummern an den Häusern. Als sie das Haus von Quochytewa erreichten und sich fragten, wie sie sich bemerkbar machen sollten, trat der schon aus der Tür.

„Mister Quochytewa?“, fragte Caldwalder.

„Ja“, antwortete der Angesprochene. „Sie sind Agent Caldwalder?“

„Genau, wir haben telefoniert. Das ist Officer Frank Begay von der Navaho-Stammespolizei, der mir seine Hilfe angeboten hat.“

„Wir kennen uns“, antwortete Quochytewa und die Männer schüttelten sich die Hände.

„Kommen Sie bitte herein“, lud der Hopi sie ein. „Sie können mich ruhig Charly nennen“, fügte er an Caldwalder gewandt hinzu. „Das tun alle. Und ich weiß, wie schwer es für Weiße ist, sich die Hopi-Namen zu merken.“

Der Agent quittierte das Angebot mit einem dankbaren Lächeln. „Sie können mich Jack nennen!“

Sie traten in den halbdunklen Innenraum des Hauses, der offenbar als Schlaf-, Ess- und Wohnzimmer für Charlys Familie diente. Zwischen mehreren an der Wand aufgereihten Betten stand ein großer Tisch mit einigen Stühlen darum. Neben einem Schrank, in dem Küchenutensilien und anderes Geschirr zu sehen war, gab es einen offenen Schrank, in dem verschiedenes Kinderspielzeug, aber auch die Kachina-Puppen der Hopi lagerten. In einer Feuerstelle an der Rückwand des Hauses brannte ein kleines Feuer und auf einem gusseisernen Ofen stand eine Kanne mit Kaffee bereit, aus der Charly jetzt drei Becher füllte. Sie setzten sich um den Tisch herum und während der Hopi mehrere gehäufte Löffel Zucker in seinen Kaffee einrührte sagte er: „Danke, dass Sie gekommen sind! Ist schon eine mysteriöse Geschichte mit dem Tod von Albert Tasajeswa.“

„Wieso?“, fragte Caldwalder.

„Nun“, antwortete Charly, „erst mal kann ich mich nicht erinnern, dass jemals beim Schlangentanz jemand getötet worden ist. Und Tasajeswa war der Häuptling des Schlangenklans und der Erfahrenste von allen.“

„Aber ein Schlangenbiss kann doch eigentlich nur ein Unfall sein, oder nicht?“, wunderte sich Begay.

„Eigentlich ja“, gab Charly zu. „Trotzdem ist hier einiges seltsam!“

„Was denn?“, hakte Caldwalder nach.

„Die Schlange hat sich sehr ungewöhnlich verhalten.“

Begay und Caldwalder sahen Charly gespannt an.

„Normalerweise ergeben sich die Schlangen bei dem Tanz sozusagen in ihr Schicksal. Sie sind ganz ruhig und lassen eigentlich alles mit sich machen, ohne sich zu wehren. Aber dieses Tier war gleich anders. Das hat man gesehen.“

„Waren Sie bei dem Tanz dabei?“, fragte Begay.

„Ja, ich und die Ordner haben dann immer viel zu tun. Es gibt immer Schaulustige, die sich einschleichen und den Tanz beobachten wollen, die ich dann des Dorfes verweisen muss. Aber als der Tanz losging, war ich da. Und ich habe mir gleich Sorgen gemacht. Die Schlange hat die ganze Zeit gedroht und auch als Tasajeswa sie aufgenommen hatte, hat sie sich nicht beruhigt. Sie hat sich immer wieder aufgerichtet, geklappert und ihn angezischt.“

„Und das ist nicht normal?“, fragte Caldwalder.

„Nein, überhaupt nicht. Das habe ich so noch nie gesehen!“

„Wo sind denn die Schlangen jetzt?“, fragte Caldwalder weiter.

„Sie werden traditioneller Weise nach dem Schlangentanz in alle Richtungen getragen und wieder freigelassen. Sie sollen die Botschaft von der Erneuerung allen Lebens durch die Rituale zu den vier Enden der Welt tragen und die Gebete des Volkes nach Regen und Fruchtbarkeit übermitteln. Aber ich habe diese Schlange hierbehalten.“ Er deutete zu einer hohen Kiste in einer Ecke des Raumes. „Ist ja vielleicht so etwas wie ein Beweisstück“, fügte er hinzu.

„Das haben Sie gut gemacht“, meinte Caldwalder.

„Dürfen wir sie sehen?“, bat Begay.

„Natürlich!“

Charly stand auf und sie gingen zu der Kiste. Der Hopi nahm den Deckel herunter und sie sahen eine große und dicke Klapperschlange zusammengerollt am Grunde des Behälters liegen. Sie bewegte sich nicht und schien keine Notiz von den Männern zu nehmen.

„Wow, ganz schön groß“, meinte Caldwalder.

„Gut einen Meter lang“, bestätigte Charly.

„Jetzt scheint sie ja ganz ruhig zu sein“, stellte Begay fest.

„Ja.“

„Was war denn nun seltsam an der Schlange?“, fragte Caldwalder.

„Na ja, als ich sie gefangen hatte und sie in dieser Kiste untergebracht hatte, habe ich ihr vorsichtshalber eine Maus zum Fressen angeboten. Und sie hat sie sofort gebissen und heruntergeschluckt.“

Caldwalder sah Charly verständnislos an.

„Die Tiere für den Schlangentanz werden natürlich sehr gut versorgt. Erst einmal sind sie ja so etwas wie die Hauptpersonen bei der Zeremonie,“ erklärte er. „Und dann setzt es natürlich ihre Beweglichkeit und Aggression herab, wenn sie ordentlich vollgefressen sind.“

„Aha“, machte Begay.

„Ja. Deshalb werden sie in den Tagen vor dem Schlangentanz regelrecht verwöhnt. Wenn eine Schlange viel gefressen hat, nimmt sie oft wochenlang keine Nahrung zu sich. Und eine Schlange, die satt ist, wird ein Beutetier, auch wenn es ihr auf der Nase herumtanzt, nicht angreifen.“

„Außerdem hat doch eine Schlange, die erst kürzlich Beute gemacht hat, nur eine geringe Menge Gift in den Giftdrüsen!“

„Ja. Nur eine Schlange, die lange nicht gefressen hat, hat viel Gift und kann damit auch einem Menschen wirklich gefährlich werden“, ergänzte Charly.

„Aha“, machte jetzt auch Caldwalder.

„Als ich merkte, wie ausgehungert sie war, habe ich ihr dann noch mehrere Mäuse und Ratten in die Kiste gelegt, die sie alle sofort verputzt hat!“

„Sie war also regelrecht ausgehungert“, stellte Begay fest.

„Und deshalb ist sie jetzt so friedlich“, mutmaßte Caldwalder.

Sie standen um die Kiste herum und sahen auf das Tier herab.

„Ist das Blut?“, fragte Begay und deutete auf den Boden des Behälters.

„Ich weiß nicht“, antwortete Charly offensichtlich ohne den Grund für Begays Frage zu verstehen.

„Das kommt sicher von den Beutetieren, oder?“, fragte Caldwalder.

„Ich glaube nicht“, antwortete Begay. „Wenn eine Schlange ein Tier beißt, hinterlässt das nur zwei winzige Einstiche, die eigentlich nicht bluten. Und dann wartet sie, bis das Opfer gelähmt ist und schlingt es herunter.“

„Das stimmt“, bestätigte Charly, der jetzt auch interessiert den Boden der Kiste ansah.

„Können wir die Schlange untersuchen?“, fragte Begay.

„Ja!“

Charly nahm einen an der Spitze gegabelten Stock, der neben der Kiste bereit stand, um mit ihm den Kopf der Schlange am Boden festzuhalten. Dann packte er sie blitzschnell mit der linken Hand hinter dem Kopf und hielt den Körper mit der rechten. Die Schlange gab selbst jetzt nur ein mattes Klappern von sich und schien sich in ihr Schicksal zu fügen. Charly ging mit dem Tier zum Tisch, auf dem er es weiter mit beiden Händen festhielt. Caldwalder und Begay beugten sich über das Reptil und Begay fuhr sacht mit dem Finger über die Haut des Tieres. In diesem Moment zuckte die Schlange zusammen und gab jetzt ein deutlich drohendes Zischen von sich.

„Sehen Sie das?“

Die beiden angesprochenen Männer reckten ihre Hälse, um die Stelle zu mustern, die Begay ihnen zeigte. Ein länglicher Riss, in dem verkrustetes Blut zu sehen war, war auf der matt schimmernden Haut der Schlange deutlich auszumachen.

„Und da auch.“ Begay zeigte auf eine weitere Stelle, an der ein langer, dünner Schnitt den Blick auf das Fleisch des Tieres freigab.

„Tatsächlich“, meinte Caldwalder.

„Können das natürliche Verletzungen sein?“, fragte Charly.

„Ich glaube nicht“, antwortete Begay. „Sehen Sie mal, wie gerade diese Schnitte verlaufen.“

„Ja“, sagte nun auch Caldwalder. „Schnitte ist das richtige Wort.

Als ob jemand die Schlange der Länge nach aufgeritzt hätte.“

Charly nickte. „Mit einer ganz dünnen Klinge. Deshalb sieht man die Verletzung auch nicht sofort!“

„Das würde erklären, warum die Schlange sich so ungewöhnlich verhalten hat“, meinte Begay.

„Ja“, stimmte der Hopi zu, „sie hatte Schmerzen!“

„Und besonders, wenn jemand sie berührte oder in den Mund nahm“, ergänzte Caldwalder.

„Das erklärt auch, warum sie Tasajeswa gebissen hat! Und wenn sie regelrecht ausgehungert war und eine dementsprechend große Giftmenge injizieren konnte, ist es auch kein Wunder, dass er daran gestorben ist“, sinnierte Begay.

„Außerdem war Tasajeswa ein alter Mann“, sagte Caldwalder.

„Wenn das stimmt, was wir annehmen, haben wir es tatsächlich mit einem Mord zu tun!“ Charly schüttelte offensichtlich schockiert den Kopf.

„Und mit einer sehr ungewöhnlichen Mordwaffe“, bemerkte Caldwalder.

Tanz mit Schlangen

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