Читать книгу „. . . in einer steinernen Urkunde lesen“ - Ulrike Glatz - Страница 9
DER DOM ZU TRIER – KIRCHLICHE TRADITION SEIT DER ANTIKE
Оглавление… War eine jener Säulen, durch ihre Länge ermüdet … jählings gestürzt, sodaß aus Furcht vor dem Zusammensturze niemand daselbst den göttlichen Dienst feierte … Poppo nun befestigte den Dom wieder mit großer Arbeit und Kosten …
(Gesta Treverorum, um 1100)*
Die Kirchengruppe von Dom und Liebfrauenkirche beherrscht noch heute den Stadtkern von Trier. An keinem anderen Ort lässt sich der Fortbestand religiöser Tradition von der Antike über die schwierigen Zeiten der Völkerwanderung bis in das Mittelalter so gut verfolgen.
Im 4. Jh., in der Zeit Kaiser Konstantins des Großen, entstand auf dem Gelände eines kaiserlichen Palastes – der Legende nach dem der hl. Helena, der Mutter Konstantins – eine Doppelkirche. Helena soll auch von einer Reise in das Heilige Land kostbare Reliquien nach Trier gebracht haben: einen Kreuznagel Christi, den Leibrock Christi und die Gebeine des hl. Apostel Matthias; Reliquien, die seit dem Mittelalter große Verehrung genießen. Im späten 4. Jh. ließ Kaiser Gratian dort einen Neubau errichten, den sog. Quadratbau. Die flache Decke der großen, quadratischen Halle trugen vier riesige Säulen aus Odenwälder Granit. Eine vor dem Dom liegende Säule, der sog. Domstein, gibt noch heute eine Vorstellung von der Monumentalität dieses Kirchenbaus. Die Maße dieser Halle waren die Vorgabe für den gesamten späteren Dombau. Nach mehreren Zerstörungen, vor allem beim Normanneneinfall im späten 9. Jh., erlitt die Kirche zwar Schäden, wesentliche Teile der Grundmauern blieben jedoch stehen. Bis zu einer Höhe von 25 m sind die spätantiken Mauern noch im heutigen Dom erhalten, besonders eindrucksvoll zu sehen an der Nordseite.
Zwei herausragende Bischöfe bestimmten die Geschicke des Bistums Trier im ausgehenden 10. und frühen 11. Jh. Ihre Baumaßnahmen sicherten und prägten den Dom in den kommenden Jahrhunderten.
Trier, Dom (Nordseite), Mauerwerk des römischen Quadratbaus
Der aus einer holländischen Grafenfamilie stammende Erzbischof Egbert war ein hochgebildeter, tatkräftiger Mann. So brachte er die bis dahin schleppend verlaufenden Wiederaufbauarbeiten am Dom energisch wieder in Gang. Im Quadratbau ersetzte er eine eingestürzte Säule und begann mit dem Neubau einer daran anschließenden Basilika. Sein Tod verhinderte den Weiterbau. Mit seinem Namen sind vor allem hochrangige Werke der Buchkunst verknüpft, wie der sog. Codex Egberti, eine Prachthandschrift mit einem Bilderzyklus zum Leben Jesu. Auch eine hervorragende Goldschmiedewerkstatt existierte zu seiner Zeit in Trier. Von deren außerordentlicher Kunstfertigkeit zeugen das reiche Reliquiar zur Aufbewahrung eines Kreuznagels Christi ebenso wie der Tragaltar zur Aufbewahrung einer Sandale des Apostels Andreas.
Mit Erzbischof Poppo übernahm 1016 ein Mann mit vielfältigen Begabungen und Interessen das Erzbistum Trier. Unter ihm wurde die schon wieder ins Stocken geratene Dombaustelle erneut in Angriff genommen, allerdings mit einem völlig neuen Plan. Diese Neukonzeption bestimmt das Bild der Westseite des Domes bis heute. Zuerst wurde die Erneuerung des Quadratbaus vollendet. Im Anschluss baute man ein Langhaus, dessen Ausdehnung durch die Maße des Quadratbaus festgelegt war. Nach Westen wurde der Bau durch eine Doppelturmfront mit einer Apsis abgeschlossen. Diese eindrucksvolle Fassade gehört zu den Höhepunkten der Architektur im 11. Jh. Mit den Bauarbeiten war bald nach 1030 begonnen worden. Die Vollendung erlebte Erzbischof Poppo nicht mehr. Er starb, wie die Quellen berichten, 1047 an den direkten Folgen seines Eifers beim Dombau. So soll er eines Tages auf der Baustelle gesessen haben, die Sonne schien heißer als gewöhnlich und glühte auf sein Haupt, das kahl war. Sein Gehirn entzündete sich, er wurde vom Fieber ergriffen und starb. So wird sein Tod in den Gesta Treverorum (Taten der Treverer, Geschichten und Aufzeichnungen, um 1100) beschrieben. Erst unter seinen Nachfolgern konnte der Westbau beendet werden.
Nicht nur dem Dom hat Erzbischof Poppo durch eine außergewöhnliche Baumaßnahme seine bis heute prägende Gestalt gegeben. Ein weiteres Bauwerk in Trier verdankt ihm seine Rettung. Die Porta Nigra, das nördliche römische Stadttor, war nach dem Ende der römischen Herrschaft in den nachfolgenden Jahrhunderten als Steinbruch genutzt worden. Simeon, ein Mönch aus dem Sinai-Kloster, begegnete in Trier Erzbischof Poppo und begleitete ihn auf einer zweijährigen Pilgerfahrt in das Heilige Land. Nach der Rückkehr bewegte Poppo Simeon dazu, als Eremit im Ostturm der Porta Nigra zu leben. Simeon starb nach wenigen Jahren und wurde dort auch begraben. Erzbischof Poppo betrieb nun in Rom die Heiligsprechung des Eremiten und baute in die Porta Nigra eine Doppelkirche zum Gedenken an den Heiligen ein. In unmittelbarer Nähe gründete er ein Kanonikerstift, das mit Einkünften gut ausgestattet wurde. Hier fand Poppo auf seinen Wunsch hin seine letzte Ruhestätte in der Nähe des so verehrten Heiligen und Freundes. Der Kirchenbau wurde später um eine romanische Apsis erweitert. Im frühen 19. Jh., als Trier zu Frankreich gehörte, bestimmte Kaiser Napoleon, dass die Kirche abgetragen werden sollte, um den Bau in den „alten Stand“ zu versetzen. Nur die Apsis blieb bei den Abbrucharbeiten erhalten und erinnert an den einstmaligen Kultort des hl. Simeon und die Rettung der Porta Nigra im Mittelalter.
Der Trierer Dom erfuhr im Laufe seiner Geschichte viele Veränderungen, Renovierungen, Um- und Anbauten. Durch die geniale Planung unter Erzbischof Poppo wurde der spätantike Quadratbau so im späteren mittelalterlichen Dom verankert, dass er bis heute Bestand hat.
Literatur
Jochen Zink, Die Baugeschichte des Trierer Domes von den Anfängen im 4. Jh. bis zur letzten Restaurierung, in: Franz Ronig, Der Trierer Dom, Jahrbuch d. Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz, Neuss 1980, S. 17ff.
* zit. nach: F. Ronig, Der Trierer Dom, Jahrbuch d. Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz, Neuss 1980, S. 34.