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Kapitel 4 JASON

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Die Maschine des Councillors setzte sanft auf dem Rollfeld vor den Toren von Las Vegas auf. Die Bremsen griffen, und er fühlte den Druck des Gurts an seinem Bauch. Der Jet rollte an seinen zugewiesenen Platz, das Dröhnen der Maschinen verebbte.

»Willkommen in Las Vegas«, ertönte die Stimme des Piloten durch den Lautsprecher. Ein großer schwarzer Wagen näherte sich, um den Duke of Roxburgh und seine beiden persönlichen Begleiter aufzunehmen. Die anderen würden mit einem zweiten Wagen folgen.

»Kommen Sie zur großen Party, Governor?«, begrüßte ihn der mächtige Schwarze, der hinter dem Steuer saß. Winston Campbell runzelte lediglich die Stirn.

»Die Silvesterparty!«, legte der Schwarze nach. »Es ist die größte Feier der ganzen Welt. Alle sind auf den Beinen. Tausende Besucher sind bereits in der Stadt. Niemand will sich das Spektakel entgehen lassen. Las Vegas versteht es zu feiern, das kann ich Ihnen versichern!«

»Fahren Sie mich zum Damm«, sagte der Councillor. Seine Stimme war leise, doch der Hüne zog ein wenig den Kopf ein.

»Wie Sie wünschen, Duke. Sie haben Glück, dass der Airport hier im Süden der Stadt liegt, da müssten wir ganz gut durchkommen. In der City geht heute gar nichts mehr. Der Strip ist bereits gesperrt. Mit dem Auto kommen Sie da heute Nacht nicht mehr durch.«

Der Councillor nickte nur schweigend und unterband damit den Redefluss des Chauffeurs. Der Schwarze presste seine Lippen zusammen und konzentrierte sich auf die Straße. Stille senkte sich herab, die nur durch das sanfte Summen des Wagens durchbrochen wurde, während dieser dem Highway 93 nach Osten folgte. Plötzlich stieg eine erste Silvesterrakete auf und zerbarst Funken sprühend. Goldene Sterne regneten herab, doch keiner der Männer im Wagen sagte etwas.

Winston Campbell brütete noch immer darüber nach, was er dem Mädchen, das nicht Eclipse war, sagen sollte, um sie dorthin zu dirigieren, wo er sie haben wollte. Konnte das funktionieren? Trug sie überhaupt die Macht in sich? Er glaubte, sich zu erinnern, sie gespürt zu haben, doch vielleicht war er zu leichtgläubig gewesen. Vielleicht hatte er sich zu sehr auf die Beteuerungen seiner Warrior verlassen, die sie ihm gebracht hatten. Er schalt sich selbst nachlässig, dass er ihnen geglaubt und es nicht selbst nachgeprüft hatte. Nun hatte er den Vorsprung, den er sicher geglaubt hatte, wieder eingebüßt.

Vielleicht war noch nicht alles verloren. Der Plan, der während des Flugs in ihm gereift war, gefiel ihm. Und dennoch plagte ihn ein seltsames Gefühl. Eine ungewohnte Unruhe ergriff ihn, so als wolle eine Ahnung ihn warnen.

Wieder stieg eine Rakete auf und teilte sich in blaue und grüne Sterne. Winston Campbell sah zu den flüchtigen Lichtern auf, die so plötzlich, wie sie am Himmel aufgetaucht waren, wieder verloschen. Mit einem Ruck beugte er sich zu seinem Fahrer vor.

»Fahren Sie schneller, los, drücken Sie aufs Gas!«

Der hünenhafte Schwarze drückte das Pedal durch, sodass der Wagen mit einem Ruck beschleunigte und dann in einem Höllentempo über den Highway schoss. Natürlich brachen sie jedes Tempolimit, doch wenn der Duke es befahl, war es nicht an seinem Chauffeur, die Anweisung infrage zu stellen. Vielleicht war die Polizei von Nevada heute Nacht zu sehr damit beschäftigt, die feierlustigen Menschen in Las Vegas unter Kontrolle zu halten. Würde sie es überhaupt wagen, einen Duke of Roxburgh aufzuhalten?

Sie trafen auf keine Polizeikontrolle. Der Chauffeur bremste den Wagen erst, als sie sich dem Colorado näherten. Eine schmale Straße verließ den Highway und führte sie in einer weiten Schleife direkt zum Hoover Dam. Die schwarze Limousine fuhr gerade auf die befestigte Dammkrone hinaus, als im Westen das Silvesterspektakel begann. Der Himmel zuckte in allen Farben, funkelte und blitzte, während das Krachen der Explosionen lediglich zu erahnen war.

»Halten Sie an!«, befahl der Councillor. »Sofort!«

Der Chauffeur trat auf die Bremse, und der Wagen blieb mit quietschenden Reifen stehen. Winston Campbell riss die Tür auf und sprang hinaus. Verwirrt wechselten seine Begleiter Blicke und folgten ihm dann nach. Der Councillor hastete zur Brüstung und starrte in die Dunkelheit. Sein Blick galt nicht den aufsteigenden Silvesterraketen, zu denen seine Männer mit kindlichem Staunen aufsahen. Er glaubte, etwas anderes gesehen zu haben, das er hier nicht zu Gesicht bekommen wollte. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Das durfte doch nicht wahr sein!

»Meine Tasche!«, bellte er.

Grant, einer seiner beiden Attendanten, riss sich vom Anblick des funkelnden Himmels los und eilte zum Kofferraum des Wagens. Er riss den Deckel auf und wollte die Tasche herausnehmen, als der Duke bereits neben ihm stand. Er öffnete den Verschluss und nahm einen Gegenstand heraus, der hier an diesem Ort seltsam unpassend erschien, doch keiner der Männer wagte zu fragen. Sie standen nur stumm da und starrten den Councillor an, der wieder an die Brüstung trat, mit einer routinierten Bewegung die Armbrust spannte und sie dann anlegte ...

Lorena dachte über ihren ersten Arbeitstag in ihrer neuen Abteilung nach, während die U-Bahn Richtung Notting Hill ratterte. Sie wurde durchgerüttelt, doch ihr Körper war es gewohnt, die Bewegungen der veralteten Bahn auszugleichen, ohne sie in ihren Gedanken zu stören. Lorena versuchte, ihre Gefühle zu sortieren. Natürlich war es beeindruckend dort draußen in der Canary Wharf in einem der höchsten Gebäude Großbritanniens im vierzigsten Stock mit einem Ausblick über die Themse und die Docks zu arbeiten. Mr. Gray hatte sich auch bemüht, ihr ihren ersten Tag angenehm zu gestalten und sie bei der Einarbeitung zu unterstützen. Dennoch nagte ein ungutes Gefühl in ihr. Das eine betraf die beiden Kollegen, mit denen sie diesen Fonds betreuen sollte. Sie waren ihr schon bei ihrer ersten Begegnung unsympathisch gewesen. Da war etwas Kaltes, Lauerndes in ihren Blicken, mit denen sie Lorena abschätzend musterten. Wollten sie nicht mit einer Frau zusammenarbeiten, oder hielten sie sie für nicht erfahren genug in diesem Geschäft?

Lorena wusste es nicht. Die beiden hatten nichts gesagt oder getan, das gegen normale Höflichkeit unter Kollegen verstoßen hätte, dennoch fühlte sie sich in ihrer Gegenwart nicht wohl.

Kein guter Anfang. Lorena konnte nur hoffen, dass sich das mit der Zeit legte. Doch die neuen Kollegen waren nicht das Einzige, was ihr auf den Magen schlug. Mr. Gray hatte ihr das Geschäftsmodell für den neuen Fonds erklärt, der »an ganz spezielle Kunden« verkauft werden sollte. Lorena spürte, wie ihr übel wurde, wenn sie an seine Worte dachte. Fast fühlte sie Erleichterung, dass sie Jason nun nicht mehr erklären musste, worin ihr neuer Job bestand. Sie konnte seine entsetzten Worte in ihrem Geist hören: Zocker und Aasgeier waren vermutlich noch die harmlosen Bezeichnungen, die er für solche Leute hatte, die auf die Pleite von ganzen Staaten wetteten und diese in den Abgrund zu treiben suchten, die mit Nahrungsmitteln zockten und die Preise so in die Höhe trieben, dass sich die Menschen in den Ländern Afrikas und Lateinamerikas sie nicht mehr leisten konnten und hungern mussten. Fonds, die verschiedene Kredite immer wieder in neue Pakete schnürten, um die schlechte Bonität vieler Schuldner zu verschleiern, um so den hochriskanten Papieren einen sicher wirkenden Anstrich zu verleihen. So wurden ehrliche Menschen um ihre Ersparnisse gebracht, während die Fondsmanager und Banken immer reicher wurden!

Lorena versuchte, Jasons anklagende Stimme aus ihrem Kopf zu vertreiben. Sie hatte dort nichts mehr zu suchen. Und überhaupt. Was sollten diese Vorwürfe? Sie hatte weder diese Geschäftsmodelle erfunden noch sich auf diesen Job beworben. Sie war nur ein Rädchen, das die Anweisungen ihres Chefs befolgte und Wertpapiere und Optionen für den Fonds kaufte.

Aber nur mithilfe dieser vielen kleinen Rädchen, die nicht nachfragten, sondern einfach nur funktionierten, war es möglich, dass Hedgefonds so viele Menschen ins Unglück stürzten.

Noch immer Jasons Stimme im Ohr, verließ Lorena die U-Bahn und machte sich auf den Heimweg. Es war ein langer Arbeitstag gewesen und die Dunkelheit längst über London hereingebrochen. Lorena fühlte sich müde und ausgelaugt. Sie war froh, heute nicht mehr nach Gryphon Manor hinaus zu müssen, um ihre Übungsstunden mit den beiden Guardians fortzusetzen. Lorena hatte in den vergangenen Wochen viel gelernt, doch so manches Mal war sie der Verzweiflung nahe gewesen oder wusste nicht, wie sie in ihrer Erschöpfung auch nur noch einen weiteren Schritt vorwärts schaffen sollte. So war Lorena erleichtert, heute Nacht ruhen zu können und einfach nur die Beine hochzulegen. Sie würde ein Bad nehmen, noch ein wenig lesen oder fernsehen und dann ins Bett gehen. Heute Nacht würde sie sich nicht wandeln.

Lorena überlegte gerade, was ihr Kühlschrank noch hergeben könnte, als sie in die Portobello Road einbog und eine Gestalt auf der Treppe vor der Tür entdeckte. Sofort hellwach, fuhr sie zurück und suchte hinter einem parkenden Auto Deckung.

Da saß ein Mann auf ihrer Schwelle, den Kopf in die Hände gestützt. Die Haltung wirkte eher rührend als bedrohlich, dennoch war Lorena alarmiert. Wer war das, und was wollte er von ihr? Mr. Gordons Antiquitätenladen war um diese Uhrzeit längst geschlossen und ihr Vermieter daheim bei seiner Familie. Lorena hatte in den vergangenen Monaten gelernt, vorsichtig zu sein. Sie überlegte, was sie jetzt tun sollte, als sie spürte, wie ihr Herz einen ganz eigenen Rhythmus anschlug. Lorena blinzelte. Das war doch nicht möglich!

Vorsichtig pirschte sie sich zwei Autos näher heran, bis ihre Augen und ihr Geist ihr bestätigten, was ihr Herz ihr bereits verraten hatte.

Jason! Was um alles in der Welt tat er hier? Warum saß er auf ihrer Schwelle und wartete auf sie?

Lorena zögerte. Alles in ihr sehnte sich nach ihm. Sie wollte ihn in ihre Arme nehmen, ihn an sich drücken, seinen Geruch in sich aufsaugen und seine Stimme hören. Gerade weil ihre Sehnsucht so stark war, fürchtete sie um ihre Vorsätze, die doch so vernünftig und selbstlos waren.

Scheiß auf die Vernunft!

Lorena spürte, wie die Winterkälte ihre Beine hinaufkroch. Wenn sie nicht die ganze Nacht hier frierend auf der Straße verbringen wollte, musste sie sich ihm wohl oder übel stellen.

Ich kann stark bleiben! Ich habe es schon einmal geschafft.

Ja, und wozu? Willst du dich lieber in Selbstmitleid suhlen, statt Spaß mit ihm zu haben?

Sie ignorierte die Stimme des Nachtmahrs in sich und schritt forsch auf das Haus zu. »Guten Abend Jason, was für eine Überraschung«, sagte sie mit fester Stimme.

Er erhob sich, trat einen Schritt vor, hielt dann aber inne, ohne sie zu berühren. »Guten Abend Lorena.«

Für einige Augenblicke schwiegen sie und sahen einander mit hungrigen Blicken an.

»Wie geht es dir?«, erkundigte sie sich, als sie meinte, die Spannung nicht länger aushalten zu können.

Er zuckte mit den Schultern. »Falls du die Stichwunde meinst, die ist verheilt. Ich wurde schon vor einer Woche aus dem Krankenhaus entlassen. Und der Rest: schlecht, mir geht es sehr schlecht. Ich fühle mich einsam. Ich vermisse dich, und ich habe meinen Platz im Orchester verloren, weil ich mit der Schulter vermutlich noch wochenlang nicht richtig Cello spielen kann.«

Lorena schluckte. Was konnte sie darauf sagen? Zumindest auf die schlechte Neuigkeit mit dem Orchester konnte sie eingehen.

»Was? Die haben dich gefeuert? Können die das so einfach? Nicht, wenn du verletzt bist und krankgeschrieben. Du hast doch einen Vertrag!«

»Ja, Verträge hat das Orchester auch. Im Winter gibt es viele Auftritte. Da müssen die Plätze mit guten Musikern besetzt sein.«

Was sollte sie daraufhin erwidern? Lorena stand noch immer auf der kalten, dunklen Straße und starrte ihn an.

»Darf ich mit hinaufkommen? Es ist kalt, und ich warte schon eine ganze Weile.«

Ja, natürlich, komm rauf, und fühle dich wie daheim.

Nein! Auf keinen Fall. Wie soll ich da stark bleiben?

»Aber sicher doch, wie unhöflich von mir. Komm herein! Was willst du trinken? Kaffee oder Tee oder soll ich einen Wein aufmachen?«

»Kaffee bitte.«

Jason folgte ihr die Treppe hinauf in ihre Wohnung. Es fühlte sich so vertraut an. Im Flur oben kam ihnen Finley maunzend entgegen. Der schwarz-weiß gefleckte Kater strich um Jasons Beine und begann zu schnurren.

»Hallo alter Junge«, begrüßte ihn Jason, beugte sich herab und strich über das weiche Fell.

Lorena riss sich von dem anheimelnden Bild los und ging in die Küche, um Kaffee zu kochen. Sie selbst setzte sich Teewasser auf.

»Du kannst schon mal ins Wohnzimmer vorgehen und dich setzen«, sagte sie betont locker und vermied es, ihn anzusehen, doch Jason blieb in der Küchentür stehen und beobachtete sie.

»Lorena, warum tust du mir das an? Ich liebe dich, und ich möchte mein Leben mit dir verbringen.«

Ihre Hände zitterten. Hastig setzte sie den Topf mit dem Wasser ab, ehe er ihr aus den Fingern glitt. »Es geht nicht, das habe ich dir doch erklärt.«

»Du bist ins Krankenhaus gekommen und hast mir irgendwelche verworrenen Dinge erzählt, dass es für mich zu gefährlich sei, mit dir zusammen zu sein, und dass du deshalb edelmütig auf mich verzichtest!«

»Genau so ist es«, sagte sie leise, ohne ihn anzusehen.

»Verdammt, Lorena, wenn du meinst, du müsstest dich für irgendetwas strafen und dafür leiden, dann ist das deine Sache, aber warum strafst du mich? Warum lässt du mich leiden?«

»Es geht eben nicht«, wehrte sie unter Tränen ab.

»Weil du mich nicht mehr liebst? Weil du meiner überdrüssig geworden bist?«

Nun wandte sie sich ihm doch zu und sah ihn aus weit aufgerissenen Augen an. »Nein, das darfst du nicht glauben! Ich liebe dich und würde alles dafür geben, wenn wir als ganz normales Paar zusammenleben könnten.«

Jason trat näher, bis er so dicht vor ihr stand, dass sie seinen Atem auf ihrer Wange spüren konnte, doch er berührte sie nicht.

»Dann tu es einfach!«

»Ich bin aber nicht normal, das weißt du.«

»Zum Glück bist du das nicht. Ist das nicht die ganz besondere Würze? Das große Abenteuer, das uns unser Leben lang in Atem halten wird?«

»Mit einem Nachtmahr zusammen zu sein ist ein gefährliches Abenteuer, das sehr schnell tödlich enden kann, hast du das in dieser Nacht nicht begriffen? Du bist nur knapp dem Tod entronnen. Vielleicht hättest du nächstes Mal nicht so viel Glück? Vielleicht könnte ich mich in unserer nächsten Liebesnacht nicht beherrschen und würde dich mit meinem Gift infizieren. Darm würdest du so enden wie Noah. Willst du das riskieren?«

Jason hielt ihrem Blick stand. »Lass mich überlegen. Es ist mein Leben, nicht wahr? Und ich bin erwachsen und kann selbst entscheiden, welches Risiko ich eingehen möchte. Ich brauche keinen Babysitter, der mich vor Unheil bewahrt, und daher sage ich dir: Ich will dich! Ich bin mir der Gefahr bewusst, aber sie schreckt mich nicht. Alles, was ich will, ist deine Liebe.« Er legte seine Hände auf ihre Arme, beugte sich vor und küsste sie.

Sie hatte sich so fest vorgenommen, nicht schwach zu werden, doch als seine Lippen die ihren berührten und seine Arme sie an ihn zogen, löste sich ihre Selbstbeherrschung in nichts auf. Sie ließ sich gegen seine Brust sinken und erwiderte seine Küsse mit wachsender Leidenschaft.

Vielleicht trieb sie auch der Nachtmahr an, dessen Kräfte mit Einbruch der Dunkelheit erwachten. Sie spürte, wie Jasons Herz schneller schlug und sein Atem unter ihren Händen und Lippen zu einem Keuchen wurde.

Der Kaffee war vergessen. Jason musste sich nicht mehr aufwärmen, und auch Lorena spürte, wie sie innerlich zu glühen begann, als er ihr Jackett abstreifte und ihre Bluse öffnete. Der schmale Kostümrock fiel zu Boden. Eng umschlungen taumelten sie ins Wohnzimmer und ließen sich auf den Teppich sinken.

»Ich habe dich so vermisst«, sagte Jason und stöhnte auf, als er seinen nackten Körper an ihren drückte. »Wie konntest du mir das antun?«

»Es tut mir leid«, stammelte Lorena zwischen zwei Küssen. »Ich lass dich nie wieder los, ich schwöre es!«

»Das hoffe ich«, brachte er keuchend hervor, während seine Knie sich zwischen ihre Beine schoben. Lorena schloss ihre Hände um seine Pobacken und zog ihn so stürmisch zu sich, dass er mit einem Aufseufzen in sie glitt.

Sie waren zu ausgehungert für irgendwelche Raffinessen. Er bewegte sich mit schnellen Stößen, während Lorena ihn noch anheizte. Sie krallte sich an ihm fest und biss ihm in die Schulter, während seine Stöße immer härter wurden. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sie beide innehielten und aufstöhnten. Dann sanken sie noch immer eng umschlungen in sich zusammen. Ihr Atem beruhigte sich langsam wieder.

»Wie konntest du mir das alles wegnehmen?«, flüsterte Jason und biss ihr zärtlich ins Ohr.

»Nur um dich zu schützen«, verteidigte sich Lorena halbherzig.

Jason rollte sich von ihr herunter und stützte den Ellbogen auf. »Ach, und da lieferst du mich ohne jeden Schutz Raika aus? Toller Plan, das muss ich schon sagen. Sie war bei mir im Krankenhaus. Wusstest du das?«

Lorena knurrte unwillig. »Sie hat es mir gesagt.«

»Und du bist nicht sofort losgerannt, mich aus ihren Krallen zu befreien? So also bist du um meine Sicherheit besorgt«, spottete Jason, dessen Finger in ihrem verschwitzten Haar wühlten.

»Sie hat es hinterher beiläufig erwähnt, ohne mir die Chance zu geben, ihr die Leviten zu lesen. Was hätte ich denn tun sollen? Sie fesseln und einsperren, dass sie sich von dir fernhält?«

»Oder an meiner Seite bleiben, um ihr mit deinen Krallen ins Gesicht zu springen, wenn sie in meiner Nähe auftaucht«, schlug Jason vor.

Lorena kniff ihn in die Wange. »Das hättest du wohl gern? Zwei Frauen, die sich um deine Gunst schlagen? Vergiss es!«

»Noch besser, zwei Nachtmahre! «, sagte er mit sehnsuchtsvoller Stimme. Lorena war sich nicht sicher, ob er sie auf den Arm nahm oder ob diese Fantasie ihn erneut anfachte. Zumindest regte sich etwas zwischen seinen Beinen.

»Du willst es mit einem Nachtmahr aufnehmen?«, rief sie, und ehe sie sich Gedanken darüber gemacht hatte, wandelte sich ihr Körper in jene wunderschöne Gestalt, der kein Mann widerstehen konnte. Jason setzte sich auf und starrte sie an. Er hatte sie schon öfter so gesehen, doch noch immer spiegelte seine Miene das Staunen wider, das er bei ihrem Anblick empfand. Dieser makellose Körper mit der schmalen Taille und den festen Brüsten, die seidenglatte Haut, die auch im Winter in einem leichten Bronzeton schimmerte, und dieses Haar! Goldene Locken fielen ihr über den Rücken, während er seinen Blick in ihren schimmernd blauen Augen verlor.

»Komm!«, formten die roten Lippen, die zum Küssen einluden.

Jason schüttelte die Erstarrung ab und folgte der Aufforderung. Mit ihrem verführerischen Lachen heizte sie ihn immer weiter an. Sie spielte mit ihm, zog ihn an sich und stieß ihn wieder weg. Beugte sich über den Tisch und bot sich ihm dar, nur um sich ihm nach einigen schnellen Stößen wieder zu entziehen und ihn in einer anderen Position in sich aufzunehmen. Es war ein herrliches und grausames Spiel, in dem der Nachtmahr klar die Oberhand behielt, sich seiner Lust bediente, sich wohlig rekelte und sich das nahm, nach dem er schon so lange verlangte.

Sie hätte die ganze Nacht weitermachen können, doch irgendwann waren Jasons Kräfte aufgebraucht, und er schlief in ihren Armen auf dem Boden ein. Lorena schüttelte ihn und brachte ihn dazu, ihr bis ins Bett hinüberzufolgen, wo er sofort wieder in tiefen Schlaf fiel. Lorena dagegen lag noch lange wach neben ihm und atmete die Mischung aus Lust und Begehren ein, die sich mit seinem frischen Schweiß vermischte. Sie fühlte sich so lebendig, dass sie keine Ruhe fand. Sie sollte sich zurückwandeln und schlafen, das wäre vernünftig gewesen, doch wer wollte in so einer Nacht vernünftig sein? Lorena schlüpfte aus dem Bett, ohne dass Jason sich auch nur rührte. Sie öffnete die Wohnzimmerfenster und sah hinaus in die kalte Winternacht. Es schneite ein paar Flocken, die der Wind ins Zimmer wirbelte.

Lorena spürte, wie sich die Schlitze unter ihren Schulterblättern öffneten. Ohne weiter nachzudenken, stürzte sie sich aus dem Fenster und ließ sich fallen. Ehe ihr Körper auf dem Asphalt aufschlug, breiteten sich ihre Schwingen aus und ließen sie in einem Bogen über den Dächern der Nachbarhäuser aufsteigen. Mit einem Jauchzen schoss sie in die Luft und flog dann über den Hydepark hinweg. Sie ließ sich von den Böen des Winds tragen und fühlte ihren nackten Körper wie Champagner prickeln.

Während Lorena die Freiheit der Nacht genoss, trat ein Mann in den Hof und sah zu dem offenen Fenster hinauf. Eine Weile wartete er reglos, dann ging er um das Haus herum und näherte sich der Haustür. Es dauerte nur ein paar Wimpernschläge, dann knackte es leise, und die Tür sprang auf. Auf Gummisohlen stieg er bedächtig die Treppe hinauf und öffnete ebenso geräuschlos die Wohnungstür. Leise schritt er durch die Wohnung und ließ den Blick aufmerksam schweifen. Die im Wohnzimmer verstreuten Kleidungsstücke ließen so etwas wie ein Lächeln über seine Lippen huschen. Dann trat er ins Schlafzimmer und näherte sich dem Bett, in dem Jason auf dem Rücken lag und mit leicht geöffnetem Mund geräuschvoll atmete. Der Mann beugte sich herab und sah ihn aufmerksam an, dann wandte er sich um und verließ das Haus ebenso leise und unbemerkt, wie er gekommen war.

Lucy sah den Wagen auf den Damm hinausrollen, doch sie achtete nicht auf ihn. Er hielt an. Männer stiegen aus und traten ans Geländer, um das Feuerwerk in der Ferne zu betrachten.

Na und?

Sie dagegen genoss ihre Freiheit, den Wind, der ihr über die Haut brauste und an ihrem langen Haar zerrte, die Bewegungen ihrer Muskeln, die endlich wieder ihre Aufgabe erfüllen durften. Alles war gut. Das Leiden war zu Ende.

Und doch war da ein Ziehen, ein unangenehmer Stich, der sie aus ihrer Schwärmerei riss. Ihre Nackenhaare stellten sich auf, und ihr Herz begann zu rasen. Was war das? War sie einfach zu lange untätig in diesem Verlies herumgesessen? Verlangte ihr Körper nach einer Ruhepause?

Das konnte nicht sein. Sie war ein Nachtmahr. Sie war ausdauernd und stark.

Und doch ...

Das unangenehme Gefühl blieb. Sie ließ sich ein wenig tiefer sinken und sah zu den Männern hinunter, die dort unter ihr auf der Staumauer standen.

Das Gefühl verstärkte sich. Es warnte sie und rief ihr zu, sich davonzumachen, so schnell sie ihre Flügel trugen, doch Lucy verharrte noch immer in der Luft.

Was sollte ihr hier oben schon zustoßen? Sie hatte Flügel.

Sie spürte, wie der Blick des Mannes unter ihr sie erfasste und fixierte. Was hielt er da Seltsames in den Händen?

Die Alarmglocken schrillten immer lauter, und endlich war Lucy bereit, auf sie zu hören. Sie schlug zweimal mit den Schwingen und schoss über die Dammkrone hinweg auf den Stausee hinaus, doch sie spürte, wie der Blick des seltsamen Mannes ihr folgte.

Sie kannte ihn, dachte sie noch, als ein Sirren an ihr Ohr drang. Ein stechender Schmerz in ihrem Rücken ließ sie erstarren. Für einen Moment hing sie noch in der Luft, die Schwingen wie versteinert, dann fiel sie immer schneller der Wasserfläche entgegen, in der sich der nächtliche Himmel spiegelte.

Wie wunderschön, dachte sie noch, als ihr Körper die Oberfläche durchschlug und das eisige Wasser in ihre Lungen gepresst wurde.

Der Councillor ließ die Armbrust sinken und sah dem erschlafften Körper nach, der trudelnd vom Himmel fiel und dann ins Wasser klatschte.

»Holt sie da raus!«, herrschte er seinen Attendant an. »Beeilt euch! Es ist mir nicht gedient, wenn sie im tiefen Wasser versinkt und wir sie nicht finden. Bin ich dafür achttausend Meilen geflogen?«

Grant und Hunter rannten los. Vorn, wo der Damm in das natürliche Felsgestein überging, führte eine Treppe hinunter zu einem Steg, an dem ein Motorboot vertäut lag.

»Das wird zu lange dauern«, rief Campbell den Männern hinterher. Die beiden zögerten. Hunter trat an die Mauer und sah hinab, wo das reglose Mädchen mit ausgebreiteten Flügeln im Wasser lag. Er wusste, dass der Duke recht hatte. Sie konnte jeden Moment in der Tiefe versinken.

Hunter stöhnte leise und schlüpfte aus Jackett und Schuhen. Dann kletterte er über die Brüstung und stieß sich kraftvoll von der Mauerkante ab. Mit einem sauberen Kopfsprung tauchte er acht Meter tiefer ins Wasser ein.

Der Chauffeur pfiff anerkennend durch die Zähne. »Ein guter Mann«, sagte er, als der Warrior des Duke wieder auftauchte und mit kräftigen Zügen auf das Mädchen zukraulte, von dem inzwischen nur noch das lange blonde Haar wie ein Algenteppich an der Oberfläche zu sehen war. Der Councillor kommentierte die Bemerkung nicht, sah aber mit einer gewissen Anspannung zu, wie Hunter abtauchte und dann mit der schlaffen Gestalt in den Armen wieder nach oben kam. Grant rannte die Straße entlang bis zur Treppe und eilte hinunter zum Boot, während Hunter ihm mit dem Mädchen im Arm langsam entgegenschwamm.

Schweigend beobachteten der Duke und sein Chauffeur die beiden, bis die Männer zu ihnen zurückkehrten. Der tropfnasse Hunter trug das junge Mädchen in den Armen, dessen Flügel nun verschwunden waren. Sie wirkte sehr jung und verletzlich mit ihrem bleichen, schmalen Gesicht. Die Augen waren noch immer geschlossen. Das Haar schien nun weniger üppig.

»Ich glaube, sie lebt noch«, sagte Grant.

»Da bin ich mir sicher!«, gab Winston Campbell zurück, legte aber seine Hand an den Hals des Mädchens. Die drei anderen starrten ihn erwartungsvoll an, bis der Duke nickte.

»Ja, sie lebt. So schnell bringt man einen Nachtmahr nicht um. Sie sind wie Schaben, echtes Ungeziefer, das man nur mit den schärfsten Mitteln ausrotten kann. Man muss ihnen schon den Kopf abschlagen, um ganz sicherzugehen«, fügte er grimmig hinzu. Dann wandte er sich ab und ging zum Wagen zurück.

»Wickel sie in deinen Mantel«, wies er Grant an. »Ich will nicht, dass sie den Sitz völlig durchweicht.«

Grant nickte, schlang den Mantel um die Bewusstlose und schob sie auf den Rücksitz.

»Sollen wir sie in ihre Zelle zurückbringen?«

Der Councillor überlegte, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, wir werden sie mitnehmen. Aber zuerst will ich nachsehen, wie es ihr gelingen konnte, ihren Wächtern zu entkommen.«

Nachtmahr – Die Schwester der Königin

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