Читать книгу Nachtmahr – Das Erwachen der Königin - Ulrike Schweikert - Страница 10
Kapitel 4 NOAH
ОглавлениеLorena schlug die Augen auf und blinzelte. Sie lag im Bett. Es war noch dunkel um sie, und der Wecker hatte noch nicht geklingelt. Dennoch stimmte irgendetwas nicht. Zuerst drang ihr der Geruch ins Bewusstsein.
Es roch nicht nach ihrem Bett in ihrem Schlafzimmer daheim. Der Kater war nicht da, und auch die Geräusche waren ihr fremd.
Aber irgendetwas lag da neben ihr. Obwohl er sie nicht berührte, konnte sie spüren, wie der Körper die Matratze niederdrückte.
Jason!, durchfuhr es sie, und für einen Moment genoss sie das Glücksgefühl, das durch ihren Geist und ihren Körper rieselte. Doch es ließ sich nicht halten. Das war nicht möglich! Dann müsste dies ein Traum sein, und Lorena war sich sicher, dass sie wach war.
Aber wer zum Teufel lag dann mit ihr in diesem Bett, das nicht das ihre war? Und wo war sie?
Der Mann neben ihr gab ein grunzendes Geräusch von sich und drehte sich dann schwungvoll auf die andere Seite. Die Matratze bebte unter seinem Gewicht. Dann war es wieder still. Sein Atem ging ruhig.
Lorena traute sich nicht, ihre Hand zu ihm hinüberwandern zu lassen. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte, sich zu erinnern. Was war in der Nacht geschehen? Sie hatte sich um Mitternacht wie immer gewandelt ... Und dann?
Nein halt, vorher war sie im Mau Mau gewesen und hatte nach Jason gesucht.
Ein Gesicht stieg vor ihr auf. Ein dunkelhäutiges Gesicht mit eindringlich braunen Augen. Ein Name huschte durch ihre Erinnerung.
Noah.
Dann sah sie den muskulösen Schwarzen vor sich, der jetzt wohl neben ihr im Bett lag ...
Himmel! Nein, das konnte nicht sein.
Und doch wusste ein Teil von ihr, dass es genau so war.
Was, verflucht noch einmal, war passiert? Sie konnte sich an das Billardspiel mit Noah und seinen Freunden erinnern und dass sie die Zeit vergessen hatte. Sie hatte um Mitternacht eilig aufbrechen müssen, um sich zu wandeln.
Und dann?
Lorena unterdrückte ein Stöhnen. Das durfte nicht wahr sein. Sie war zu der Bar zurückgekehrt, statt nach Hause zu gehen und sich in der Sicherheit ihrer Wohnung einzuschließen, bis die gefährliche Stunde der Nacht vorüber war, in der das dunkle Wesen in ihr die Oberhand gewann.
Was hatte sie nur getan?
Bilder und Gefühle zuckten wie Blitze durch ihren Geist. Zwei starke Arme, die warmen, fleischigen Lippen, die sie vor Lust aufschreien ließen, der Körper, der sie in die Matratze drückte, als wolle er sie zerbrechen. Dann saß sie auf ihm und strich mit ihren Fingernägeln über seine muskulöse, haarlose Brust, während sie sich in einem Rhythmus bewegte, der sie beide zum Stöhnen brachte. Sie sah sich nach vorn gebeugt dastehen, während er von hinten in sie eindrang. Sie konnte ihn überall in sich spüren und schrie vor Lust, während seine Hände sie festhielten und seine Schenkel sich gegen die ihren pressten. Er war fast so unersättlich wie sie, und nach einer kleinen Pause pulsierte schon wieder die Lust durch ihre Leiber, die sich schweißglänzend auf seiner Bettdecke wanden. Die Bilder hasteten vorüber, und Lorena hätte sie zu gern angehalten, doch nun brach die Erinnerung mit voller Macht über sie herein. Sie konnte nicht einmal hoffen, das alles nur geträumt zu haben.
Noah bewegte sich wieder.
Sie musste hier weg! Was, wenn er aufwachen würde? Er wäre nicht erfreut, eine Frau neben sich zu finden, die er nicht kannte. Oder noch schlimmer, an die er sich zwar erinnerte, die er jedoch nicht mit in sein Bett genommen hatte.
Und Jason?
Ihr Inneres verkrampfte sich in Schuldgefühlen. Es war ihr, als habe sie ihn betrogen.
Das ist doch Unsinn!
Schließlich war sie nicht mit ihm zusammen. Und dennoch plagte sie ihr Gewissen. Sie hatte sich in Jason verliebt, zum zweiten Mal in ihrem Leben – nur um ihn dann gleich mit einem athletischen Schwarzen zu betrügen?
Das war nicht ich!, protestierte sie. Das war dieses Wesen in mir.
Was für eine dumme Ausrede. Sie und der Nachtmahr waren eins, dieselbe Frau. Wann würde sie das endlich akzeptieren?
Niemals! Sie hatte mit diesem Monster in sich nichts gemein, das wahllos Männer zu wildem Sex verführte.
Das nur auslebt, was du in deinen heimlichen Träumen versteckst!
Nein!
Wie auch immer. Erneut zuckte Noah neben ihr. Sie spürte, dass er nun kurz davor war aufzuwachen. Eine Uhr irgendwo in der Wohnung schlug fünf Mal. Es war höchste Zeit, dass sie sich aus dem Staub machte.
Vorsichtig rutschte sie unter der Decke hervor und tastete sich dann nackt, wie sie war, aus dem Schlafzimmer. Ihr Unterbewusstsein fand trotz der Dunkelheit den Weg durch den Gang bis zur Haustür, wo ihr Fuß gegen eine Jeans und andere Kleidungsstücke stieß. Lorena bückte sich und suchte die ihren heraus. Bis auf ihre Socken fand sie alles und schlüpfte in die noch immer feuchten Kleider. Dann öffnete sie leise die Wohnungstür und schob sich hinaus.
Irgendwo klingelte etwas. Lorena ignorierte es. Sie war so müde.
Das Klingeln hörte auf. Gott sei Dank! Sie drehte sich auf die andere Seite und stieß gegen den Kater, der sich mit einem protestierenden Maunzen erhob.
Dann begann es erneut zu klingeln. Dieses Mal erkannte sie den Klingelton ihres Handys.
Was sollte diese Störung mitten in der Nacht?
Lorena riss die Augen auf und blickte in ihr lichtdurchflutetes Schlafzimmer. Während sie das Handy vom Nachttisch angelte, warf sie einen Blick auf die Uhr.
Neun.
Neun? Was für ein Tag war heute?
Die Frage beantwortete ihr der Anrufer.
»Es ist Montag, neun Uhr, und wir fragen uns, wo du bleibst!«
»David?«, krächzte sie.
»Ja, höchstpersönlich. Und ich will dir nur raten, dich zu beeilen. Es gibt da einen Chef, der bereits vor zehn Minuten seine erste Runde durch das Büro gedreht hat und dem es sicher nicht entgangen ist, dass dein Platz noch leer ist.«
»O nein!« Lorena stöhnte auf und schwang die Beine aus dem Bett. Sie steckten in einer schmutzigen Jeans. Sie trug sogar noch ihre ausgetretenen Turnschuhe an den nackten Füßen.
»Wie hörst du dich denn an?«, erkundigte sich David. »Bist du krank?«
Lorena nickte eifrig. »Ja, sorry, ich fürchte, ich habe mir übers Wochenende was eingefangen. Es tut mir leid. Ich fühle mich so schlecht.« Das wenigstens war nicht gelogen.
»Tja, da kann man nichts machen. Geh zum Arzt und lass dir eine Krankmeldung ausstellen«, riet David. Sie hörte seinen Zweifel in der Stimme. Sie war noch nie krank gewesen, seit sie bei der HSBC arbeitete. Andererseits hatte sie auch noch nie verschlafen oder sich – wie so manch anderer Kollege – einen blauen Montag gegönnt. So schwang dann doch Bedauern in seiner Stimme, als er ihr gute Besserung wünschte.
Lorena legte auf und sank in ihr Bett zurück.
Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Drei Jahre hatte sie alles im Griff gehabt, und nun das!
Nur weil sie Jason wiedergetroffen hatte. Er hatte ihre wohlgeordnete Welt aus den Fugen gerissen.
Quatsch! Du kannst jetzt nicht ihm die Schuld für deine eigene Schwäche geben. Und nun raus aus dem Bett!
Auf müden Beinen schlich Lorena ins Bad, schälte sich aus ihren restlichen Kleidern und stellte die Dusche an. Sie hätte einfach nur weinen mögen, so elend fühlte sie sich. Noch schlimmer als an all den anderen Tagen, und dazu drückte sie noch ihr schlechtes Gewissen.
Dir geht es schlecht? Gut so! Das hast du nicht besser verdient, schimpfte ihre innere Stimme.
Sie duschte noch länger als sonst, fühlte sich aber kaum erfrischt, als sie in die Küche humpelte und dem Kater seine Schale auffüllte. Sie selbst hatte ausnahmsweise keinen Appetit.
Vielleicht wurde sie ja doch krank?
Blödsinn! Bilde dir nur nichts ein. Deine einzige Krankheit ist deine fehlende Selbstbeherrschung.
So saß sie am Küchentisch, kasteite sich selbst in Gedanken und sah dem Kater bei seinem Frühstück zu. Dann rief sie bei Dr. Cowen an und bat um einen Termin. Die Sprechstundenhilfe bestellte sie auf elf Uhr. Lorena dankte und gab dann der Sekretärin ihres Vorgesetzten Bescheid. Auch sie wünschte gute Besserung und versprach, ihre Krankmeldung weiterzuleiten.
Lorena fühlte sich schauderhaft, dennoch war sie auch erleichtert, heute keine Kunden anrufen und keine Anlagevorschläge unterbreiten zu müssen. Ihre Gedanken schlugen Kapriolen. Immer wieder zuckten die Szenen der Nacht durch ihren Geist, und sie fragte sich entsetzt, wie sie das hatte zulassen können.
Weil es aufregend war!, meldete sich die tiefe erotische Stimme in ihr, die sich so gern gegen ihre Vernunft auflehnte. Weil du hier langsam, aber sicher versauerst. Wann hattest du zum letzten Mal solch wundervollen, aufregenden Sex? Während des Studiums? Ist das nicht schon ein wenig zu lange her? Gib zu, dass Noah ein prächtiger Liebhaber war!
Das wollte sie gar nicht abstreiten. Doch er hatte nicht sie begehrt, nicht Lorena, nur das Wesen der Nacht, das ihm gar keine andere Wahl gelassen hatte.
Na und? Hauptsache, der Sex war gut.
Nein, das war nicht die Hauptsache! Das sollte die Folge der Liebe sein, die zwei Menschen füreinander empfanden.
Die Antwort war nur ein Schnauben. Lorena gab es auf, mit sich selbst zu diskutieren. Das führte zu nichts. Sie nahm sich fest vor, so etwas nie wieder zuzulassen, und machte sich dann zur Praxis ihres Arztes auf.
Er fand sie zu blass und vermutete eine tiefe Erschöpfung. Insoweit hatte er sogar recht. Nur dass er diesen Zustand auf ihre Arbeit zurückführte, traf die Sache ganz sicher nicht. Immerhin schrieb er sie drei Tage krank, und Lorena konnte mit einem Gefühl der Erleichterung in ihr Bett zurückkehren, wo sie sofort in tiefen Schlaf fiel.
Etwas drückte auf ihren Magen. Lorena riss die Augen auf und starrte direkt in die grünen Augen ihres Katers.
»Finley, wie kannst du mich so erschrecken?« Sie stöhnte und schob ihn vom Bett. »Wie spät ist es eigentlich?«
Sein Maunzen klang vorwurfsvoll, und als sie zur Uhr sah, wusste sie, warum. Sie hatte den ganzen Tag verschlafen.
»Du hast ja recht«, beschwichtigte sie ihn und kraulte seine Ohren. Dann ging sie in die Küche, um zu sehen, was der Kühlschrank noch hergab. Gemeinsam aßen sie, während es draußen bereits wieder dunkel wurde. Lorena kaute bewusst auf jedem Bissen Brot und jedem Salatblatt herum, um sich die Unruhe nicht eingestehen zu müssen, die zunehmend von ihr Besitz ergriff. Um neun hielt sie es nicht mehr aus. Sie sprang auf und zog sich um.
»Weißt du, ich habe jetzt so lange geschlafen, da muss ich einfach noch ein wenig frische Luft schnappen, ehe ich mich wieder ins Bett lege«, sagte sie zu Finley, obwohl sie wusste, dass sie den Kater und sich selbst belog. »Ich mach nur einen kleinen Spaziergang«, fügte sie noch hinzu und eilte dann die Treppe hinunter.
Nein, es war nicht nur ein Spaziergang, vor allem keiner, der dem Zufall die Richtung überließ. Ihre Schritte führten sie direkt zu der Jazzbar am anderen Ende der Straße. Erst als der Eingang in Sicht kam und sie die Menschentraube davor sehen konnte, blieb sie stehen. Die Tür öffnete sich, und einige Leute verschwanden in der Bar. Zwei junge Frauen standen ein wenig abseits, schwatzten und rauchten. Doch ihr Blick heftete sich auf den großen Schwarzen, der neben der Tür an der Wand lehnte und irgendwo in die Ferne zu sehen schien. Lorena ahnte, wohin ihn seine Gedanken gerade entführten. Sie schluckte trocken, als auch in ihr das warme Gefühl von Verlangen aufstieg.
Nein! Dieser Mann war ihr völlig gleichgültig. Sie war in Jason verliebt. Und außerdem wartete er nicht auf Lorena. Er wartete auf den Nachtmahr.
Sie zwang sich, ihren Blick abzuwenden, und ging mit langen Schritten davon. Eine halbe Stunde später stand sie jedoch erneut an der Ecke und sah zu der Jazzbar hinüber. Nicht nur die Musik, die bis auf die Straße klang, zog sie wie magisch an. Vielleicht ist Jason ja doch da, dachte sie wider jede Vernunft, und schon setzten sich ihre Beine in Bewegung. Die mahnende Stimme in ihr, die sie daran erinnerte, dass sie krankgeschrieben war und überhaupt nicht in eine Bar gehen durfte, ignorierte sie. Zitternd vor freudiger Erwartung, strebte sie auf die Tür zu, als diese vor ihr aufgerissen wurde. Sie blickte in das bekannte und doch fremde schwarze Gesicht.
Noah starrte zurück. Er brauchte einige Augenblicke, bis er sie erkannt hatte. »Ach, du bist es«, sagte er und suchte in seinem Gedächtnis offenbar nach ihrem Namen. »Hey, Lorena«, fügte er schließlich ein wenig unsicher hinzu.
»Hallo, Noah«, antwortete sie und senkte verlegen den Blick. Auch wenn er nicht den Hauch einer Ahnung davon hatte, dass sie die Frau war, mit der er die Nacht verbracht hatte, ihr standen bei seinem Anblick mehr Details vor Augen, als ihr im Moment lieb war.
»Spielt ihr wieder Billard?«, fragte sie, nur um überhaupt etwas zu sagen und ihren Geist abzulenken.
Noah schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin heute alleine da. Ich habe nach jemandem gesucht.«
Lorena nickte wissend. »Ja, ich auch. Jason, er ist Saxofonist und spielt in einem Orchester Cello.«
Noah schien zu überlegen, dann nickte er. »Den kenne ich. Hab ihn schon ein paar Mal hier gehört. Aber jetzt ist er nicht da. Heute ist keine Livemusik.«
Lorena nickte und zwang sich, nicht dennoch die Bar nach Jason zu durchsuchen. Sie würde sich lächerlich machen. Obgleich Noah sie wieder zu einem Drink einladen wollte, lehnte sie ab, verabschiedete sich und ging davon.
Zwei Stunden stürmte sie durch den nächtlichen Hydepark, doch ihr Gemüt wollte nicht zur Ruhe kommen. Alles, was sie erreichte, war, dass sie irgendwann mit schmerzenden Füßen stehen bleiben musste. Verflucht, die Blasen waren noch immer nicht abgeheilt, und nun war eine von ihnen wieder aufgebrochen. Langsam humpelte Lorena weiter. Sie fühlte schon wieder dieses Ziehen und sah sich um. Wo war sie eigentlich?
O nein!
Sie musste noch den ganzen Kensington Garden durchqueren, um wieder nach Notting Hill zu gelangen. In der Dunkelheit sah sie das Albert Memorial vor sich aufragen.
Lorena fluchte. Sie würde es nicht rechtzeitig vor ihrer Verwandlung nach Hause schaffen.
Das war doch nicht so schlimm. Hier im Park war um diese Zeit kein Mensch mehr unterwegs. Da konnte nichts passieren. Sie würde sich wandeln und dann nach Hause fliegen, um sich in ihrer Wohnung einzuschließen, bis der Spuk vorüber war.
Lorena wusste nicht, wen sie hier zu betrügen versuchte. So einfach würde es nicht werden ...
»Hallo, Noah!«
Beim Klang ihrer Stimme fuhr der große Schwarze herum. »Was für eine schöne Nacht. Was machst du hier? Suchst du jemand?«
Er kam mit zwei großen Sätzen auf sie zu und riss sie in seine Arme. »Du weißt, dass ich dich suche, und zum Glück habe ich dich gefunden!«
Ihr Lachen wurde von einem Kuss erstickt. Sie ließ ihn eine Weile gewähren, ehe sie sich von ihm losmachte.
»Ist dein Hunger noch immer nicht gestillt?«, erkundigte sie sich mit einem neckischen Gurren.
»Mein Hunger war nie größer, und er verlangt nur nach dir!«, drängte Noah. »Du bist heute Morgen einfach verschwunden. Ich weiß ja nicht einmal deinen Namen. Wo hätte ich dich denn suchen sollen?«
Lorena zuckte mit den Schultern. »Wozu Namen? Ist das denn so wichtig? Ich finde dich, wenn mir danach ist. Und du hast Glück! Auch mein Appetit ist wieder erwacht. Wollen wir?«
Sie hakte sich bei ihm unter. Noah sah sie mit gerunzelter Stirn an. Es gefiel ihm nicht, dass ihm die Kontrolle so entglitt. Er war ein Mann, der gern selbst die Spielregeln bestimmte und die Regie übernahm, gegen ihre Magie jedoch konnte er nichts ausrichten. Zumindest bemerkte er das überhaupt. Schwächere Charaktere als er dachten nicht einmal darüber nach, wie leicht sie ihren eigenen Willen über Bord warfen.
Lorena beschloss, ihm wenigstens die Illusion zu lassen, er habe die Situation im Griff. Sie setzte eine Miene auf, die, wie sie hoffte, sein Vertrauen wecken würde.
»Ich heiße Faith«, sagte sie und drückte seinen Arm.
Er lächelte. »Wie passend«, murmelte er. Ob er ihr glaubte oder nur die Botschaft hinnahm, wusste sie nicht, und das war ihr im Moment auch egal. Sie wollte Sex mit diesem wunderbaren Exemplar an Männlichkeit!
Und den bekam sie auch.
Lorena rekelte sich wie eine Katze. Sie war noch halb in ihren Träumen gefangen und genoss die Bilder und Gefühle, die Körper und Geist gleichermaßen wohlig erschaudern ließen.
Kein Wecker. Keine Arbeit. Sie war krankgeschrieben.
Es war gegen Mittag, als sie sich ihren Bademantel überzog und in der Küche Porridge für sich und den Kater kochte. So ein paar Krankheitstage waren nicht übel. Warum nur hatte sie sich das bisher noch nie genehmigt?
Natürlich begann die Stimme ihres moralischen Gewissens sogleich zu zetern und zählte ihr auf, wie verwerflich dies alles war, doch sie hatte heute keine Lust auf ein schlechtes Gewissen, weder wegen ihrer Krankmeldung noch wegen Noah.
Nun ja, wegen Noah vielleicht ein wenig. Wie konnte sie nur so skrupellos den Sex mit ihm genießen, während sie sich gleichzeitig nach einem Wiedersehen mit Jason sehnte?
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, versuchte sie, sich einzureden. Lorena war in Jason verliebt. Den zügellosen Sex dagegen genoss Faith mit Noah.
Wen versuchte sie hier zu belügen?
Lorena seufzte und wollte nicht weiter darüber nachdenken, was nicht ganz so einfach war. Sie drehte das Radio laut und wusch ihre Wäsche, sie ging einkaufen, plauderte mit ihrem Vermieter und kochte dann einen traditionellen Irish Stew, wie ihre Tante es ihr vor vielen Jahren beigebracht hatte.
Ja, das war gut. Sie konnte an ihre Jahre an der Highschool denken, an ihre Zeit bei Tante Ruby nach dem plötzlichen Unfalltod ihres Vaters. Nein, das war schon wieder nicht gut. Kein Thema, mit dem sich ihre Gedanken befassen wollten.
Also noch einmal von vorn. Ihre Highschoolzeit. Die Mitschüler, die ihr erst so fremd vorgekommen waren und mit denen sie erst nach und nach warm geworden war: Grace, Maisie und Chloe, oder Jamie, Dylan und Connor.
Und Jason.
Immer wieder Jason, in den sie sich verliebt hatte. Doch er wollte immer nur ihr Freund sein, ihr Kumpel, mit dem man Pferde stehlen konnte. Hatte er je das Mädchen in ihr gesehen, das sich in ihn verliebt hatte?
Das ging auch schon wieder in eine gefährliche Richtung. Lorena schleuderte den langen Holzlöffel in den Topf, dass die heiße Soße aufspritzte.
»Aua. Verdammt!«
Der Kater, der auf dem Küchenstuhl geschlafen hatte, öffnete die Augen und sah sie vorwurfsvoll an.
Lorena drehte das kalte Wasser auf und hielt ihren schmerzenden Arm unter den kühlen Strahl. Tränen standen ihr in den Augen, doch sie wusste, dass sie nicht vom Schmerz der Verbrennung kamen. Panik kroch aus den dunklen Winkeln ihrer Seele und ballte sich wie ein Stein in ihrem Magen zusammen. Da war sie wieder, diese Angst, die Kontrolle zu verlieren. Die Furcht davor, sie selbst würde sich verlieren und das Etwas in ihr, das böse, dunkle Wesen, die Oberhand gewinnen. War es nicht schon dabei, sie zu beherrschen? Ihr Nacht für Nacht seinen Willen aufzuzwingen? Sie wollte nicht so werden. Sie wollte nicht Faith sein. Sie sehnte sich danach, nur Lorena zu sein. Als Lorena geliebt zu werden.
Jason ...
Warum musste es so schwierig sein? Was hatte sie getan, um diesen Fluch zu verdienen? Woher kam er? Und gab es eine Möglichkeit, ihn loszuwerden? Damals an der Highschool hatte sie gedacht, sie habe wieder alles im Griff. Ab und zu eine Verwandlung, ansonsten hatte sie normal gelebt. Soweit man es als normal bezeichnen konnte, keine Familie mehr zu haben und in einem fremden Land bei einer Tante zu leben.
So viele Fragen, auf die sie keine Antwort wusste. So widmete sie ihre Aufmerksamkeit lieber wieder ihrem Irish Stew und versuchte, die Tränen zu ignorieren, die ihr lautlos über die Wangen rannen.
Lorena schaffte es, den ganzen Abend daheim zu verbringen, auch wenn sie wie ein gefangener Tiger immer wieder vom Wohnzimmer in den Flur und wieder zurück ging. Sie fand keine Ruhe, doch sie traute sich auch nicht, das Haus zu verlassen. Wenn sie sich irgendwo draußen wandelte, dann würde sie wieder die Kontrolle verlieren. Hier drin war sie einigermaßen sicher.
Sicher vor sich selbst?
Nein, vor diesem Wesen in ihr!
Das bist auch du.
Nein! Das ist nicht möglich. Der Nachtmahr ist zügellos, wild und böse!
Sind wir das nicht alle ein wenig? Sehnen wir uns nicht danach, auch diese Seite zeigen zu dürfen?
Nein!
Sie schaltete den Fernseher ein, doch keinem der Programme gelang es, ihre Aufmerksamkeit wenigstens so auf sich zu ziehen, dass sie ihre inneren Monologe unterbrach. Zum Lesen fand sie schon gar keine Ruhe.
Dem Kater wurde es zu viel. Er erhob sich und machte sich durch das Badezimmerfenster davon.
Nicht einmal Finley war bereit, ihren Fluch mit ihr zu teilen. Lorena sah auf die Uhr. Noch fünfzehn Minuten. Sie drehte noch eine Runde durch die Wohnung und versicherte sich, dass der Riegel vorgeschoben und der Strom eingeschaltet war.
Vor Jahren hatte sie herausgefunden, dass sie in der Gestalt des Nachtmahrs sehr empfindlich auf Strom reagierte, und so hatte sie sich, als sie in diese Wohnung nach Notting Hill gezogen war, diese perfide kleine Konstruktion ausgedacht und von einem Handwerker einbauen lassen. War der Riegel einmal vorgeschoben und der Stromkreis geschlossen, konnte man ihn zwischen Mitternacht und ein Uhr am Morgen nicht unterbrechen. Erst danach, wenn sie zu sich selbst zurückgekehrt war und die Vernunft wieder die Oberhand gewann, war es ihr möglich, den Strom abzuschalten.
Sie erinnerte sich noch an das Gesicht des Handwerkers, der ihren Plan umgesetzt hatte. Es stand in seiner Miene, dass er sie für verrückt oder für gemeingefährlich oder auch für beides hielt. Er wollte nicht einmal das großzügige Trinkgeld annehmen, das sie ihm hatte geben wollen. Er war nur froh, diesen seltsamen Auftrag erledigt zu haben und von hier unbeschadet wieder fortzukommen. Es war auf alle Fälle eine kluge Entscheidung gewesen, einen Handwerker aus dem Eastend zu beauftragen, der ganz sicher sonst keine Aufträge hier in der Gegend bekam, und so blieb der gefürchtete Klatsch in der Nachbarschaft aus.
Pünktlich um Mitternacht wandelte sich Lorena in die Gestalt des Nachtmahrs. Zornig stand sie vor der verschlossenen Tür, doch sie wusste, dagegen kam sie nicht an. Frustriert ballte sie die Hände zu Fäusten. Die Nacht war dazu geschaffen, durch die Stadt zu streifen oder über ihre Dächer zu gleiten, den Wind in ihren Schwingen. Das war Freiheit! Sie wollte die Wonne genießen, sich fallen zu lassen und aufgefangen zu werden von der nächsten Böe, die sie über die Parkbäume hinwegtrug. Und sie sehnte sich nach der Lust in den Armen eines Mannes.
Nach der Lust in Noahs Armen.
Hasserfüllt starrte sie den Riegel an.
Verflucht, warum nur tat sie sich das selbst an? Was schadete es, wenn sie zu Noah ging? Er hatte Spaß am Sex und sie auch. Sie waren erwachsen und durften tun, was ihnen beliebte. Das konnte nicht schaden.
Oder doch? Genau das war das Problem, dem Lorena noch nicht auf den Grund hatte folgen können.
Es war nur so ein Gefühl, das eine dumpfe Angst in ihr auslöste, sobald sie daran dachte. Es gab so viele Lücken in ihren Erinnerungen, die danach verlangten, wieder gefüllt zu werden. Aber wollte sie das wirklich? Sie ahnte, dass es Balsam für ihr Gemüt war, die Erinnerungen verdrängt zu haben. Und gerade das bereitete ihr Angst. Es war wie ein tiefer Abgrund, mitten in ihrer Seele, bis zu dessen Boden sie nicht sehen konnte. Nur ihre Ahnung sagte ihr, dass ihr das, was dort unten unruhig zuckte, ganz und gar nicht gefallen würde.