Читать книгу Nachtmahr – Das Erwachen der Königin - Ulrike Schweikert - Страница 9

Kapitel 3 POOLBILLARD

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An diesem Morgen schlief sie noch länger als sonst, und ihre übliche Duschorgie dauerte fast eine halbe Stunde. Ihre Fußsohlen waren wund und brannten, und an den Fersen hatten ihre Pumps – wie erwartet – zwei dicke Blasen hinterlassen. Lorena verpflasterte sie sorgfältig und schlüpfte in ein Paar dicke, weiche Socken. So humpelte sie in die Küche, um Porridge zu kochen. Finley saß schon da und verfolgte jede ihrer Handbewegungen mit aufmerksamem Blick aus seinen grünen Augen.

Nachdem sie ihre Schale geleert und noch zwei Scheiben Toast mit Butter und Erdbeermarmelade gegessen hatte, nahm sie sich das Päckchen, das sie am Vortag in der Portobello Road gekauft hatte. Ganz vorsichtig wickelte sie das Seidenpapier ab, als halte sie einen wertvollen Schatz in den Händen. Und so kam es ihr auch wirklich vor, als sie fast zärtlich über das dunkelrote Leder strich.

Was sollte sie mit diesem Buch anfangen? Wozu hatte sie es gekauft? Lorena wusste es nicht. Ein wenig ratlos blätterte sie die leeren Seiten durch. Dann legte sie es wieder weg und verstaute es im Wohnzimmer in einer Schublade.

Und jetzt? Sie hatte den halben Sonntag noch vor sich. Lorena trat ans Fenster und sah hinaus. Dichte Regenwolken zogen über den Himmel, und dann prasselte es auch schon gegen die Scheiben. Das ungewöhnlich schöne Spätsommerwetter war vorüber. Jetzt übernahm wieder die typisch englische Witterung die Regie. Nein, nichts zog sie hinaus in den Regen, da war sie mit Finley einer Meinung. Der Kater machte es sich bereits auf dem Sofa bequem, und so nahm sich Lorena einen Krimi, den sie noch nicht gelesen hatte, und kuschelte sich zu Finley. Die Geschichte war nicht so fesselnd, wie sie es sich erhofft hatte, und das gleichförmige Prasseln des Regens tat das Übrige. Bald sanken ihre Lider herab, und das Buch rutschte ihr aus den Händen.

Den ganzen Nachmittag schlief sie. Sie bemerkte nicht, dass der Regen aufhörte und sich der Kater zu einem Spaziergang davonmachte. Als sie endlich hochschreckte, war es im Zimmer bereits dunkel. Ein wenig verwirrt rieb sie sich die Augen. Sie hatte geträumt. Verwirrende Dinge. Schreckliche Dinge. Sie waren ihr so real erschienen, doch jetzt konnte sie sich nur noch an unzusammenhängende Fetzen erinnern. Lediglich die Stimmungen schwangen noch in ihr nach. Eine Atmosphäre der Furcht und der Verzweiflung.

Lorena schloss noch einmal die Augen und kniff sie fest zusammen.

»Nur ein Traum, der keine Bedeutung hat«, sagte sie bestimmt, obwohl sie wusste, dass sie sich selbst belog. »Das hat mit dir alles nichts zu tun!«

Mit einer energischen Bewegung warf sie schließlich die Wolldecke ab, stand auf und ging in die Küche. Was sollte sie mit dem Abend anfangen? Jetzt fühlte sie sich wach und ausgeschlafen und hatte keine Lust, den Rest des Sonntags allein vor dem Fernseher zu verbringen.

Also ausgehen. Nur ihre wehen Füße sprachen dagegen – und vielleicht, dass sie kein Ziel hatte und ihr niemand einfiel, mit dem sie spontan den Abend hätte verbringen können.

Gegen die wunden Füße halfen ausgetretene Turnschuhe, der Rest war nicht so leicht zu lösen. So zog sie sich einfach eine Jacke über und stapfte ziellos drauflos. Sollte sie die U-Bahn nehmen und nach Covent Garden fahren? Dort war am Abend immer etwas los. Man konnte in der fröhlichen Menge baden und sich irgendwie dazugehörig fühlen. Sie könnte ins Kino gehen oder versuchen, eine Restkarte für eine der Theateraufführungen zu ergattern.

Noch während sie darüber nachdachte, schlugen ihre Beine ihren eigenen Weg ein, und der führte nicht zum Notting Hill Gate. Sie folgten einfach der Straße immer weiter, bis sie wieder vor der Bar stand. Ihr Herz schlug höher, als die ersten Jazzklänge an ihr Ohr drangen, doch sie zögerte hineinzugehen. Bisher hatte sie den Gedanken erfolgreich verdrängt, nun aber musste sie sich fragen, wie Jason ihre Flucht vom Vorabend aufgenommen hatte. Hoffentlich war er nicht zu sauer auf sie. Sie würde es ihm erklären müssen.

Wie denn?, höhnte eine Stimme in ihrem Kopf. Die Wahrheit konnte sie ihm nicht sagen.

O ja, das würde lustig werden. Entschuldige Jason, aber ich verwandle mich jede Nacht in ein geflügeltes Monster. Mach dir nichts draus, vielleicht wirst du den Umgang mit mir unbeschadet überstehen, versprechen kann ich dir das allerdings nicht.

Lorena seufzte und machte einen Schritt zurück. Vielleicht war das alles eine dumme Idee. Sie sollte ihr Wiedersehen in schöner Erinnerung behalten und es dabei belassen. Es konnte ohnehin nichts Gutes dabei herauskommen. Was würde es ihr bringen, wenn sie ihn wiedersah? Noch mehr Lügen, noch mehr Leid, wenn sie wieder einmal nur von dem kosten konnte, was sie nicht haben durfte. Unerfüllbare Sehnsucht war schmerzhaft, und die Einsamkeit quälte sie, doch wenigstens litt sie nicht den Kummer zurückgewiesener Liebe. Noch nicht. Und dabei sollte es auch bleiben!

Sie zog sich noch zwei Schritte zurück und stieß dabei gegen einen schwarzen Hünen.

»Au!«

»Oh, Verzeihung. Ich wollte Sie nicht treten. Ich habe Sie nicht gesehen.«

Der Mann lachte. »Macht nichts.« Er trat nach vorn und hielt ihr die Tür auf.

Lorena sah ihn unschlüssig an.

»Was ist nun? Wollen Sie nicht reinkommen? Es wird sicher gleich wieder regnen. Kommen Sie auf einen Drink, ich lade Sie ein.«

Lorena gab sich einen Ruck. »Ach, Sie meinen dafür, dass ich Sie angerempelt habe und Ihnen auf die Füße getreten bin?«

Der Schwarze öffnete seine enormen Lippen und grinste. »So ungefähr.«

Jazzklänge hüllten sie ein, als sie die Bar betraten, wo ihr Begleiter gleich mit großem Hallo begrüßt wurde. Offensichtlich war er hier Stammgast. Er griff mit seiner Pranke über den Tresen und ließ seine Fingerknöchel gegen die des Barkeepers krachen.

»Hey Noah, was steht an? Das Übliche?«

»Ja Mann, und die kleine Lady hier bekommt ...?« Er zog die Stirn kraus und sah Lorena an.

»Einen Caipirinha, bitte«, rief sie dem Mann hinter der Bar über die nun einsetzende Trompete zu.

Er nickte, reichte Noah eine Bierflasche und mischte Lorena ihren Cocktail.

»Cheers, und danke, Noah«, sagte sie und hob ihr Glas. »Ich heiße Lorena.«

Er prostete ihr ebenfalls zu, wurde dann aber von zwei Bekannten, die ebenfalls die Körpermaße von Rugbyspielern hatten, ins Gespräch gezogen. Lorena betrachtete die Musiker, die gerade ein neues Stück probierten. Ein zweiter Trompeter gesellte sich zu ihnen, und dann packte noch einer ein Banjo aus. Lorena erkannte keinen von ihnen, daher wandte sie sich wieder an den Barkeeper.

»Ich suche einen Ihrer Musiker, der hier gestern Saxofon spielte.«

»Jason? Ich glaube nicht, dass er heute kommt. Wir haben sonntags immer Jamsession oder auch Open Mic, da ist er selten dabei.« Er deutete mit dem Kinn auf die Musiker, die das nächste Stück wieder in anderer Besetzung spielten. Sie mussten mehrmals ansetzen, bis sie einen gemeinsamen Rhythmus fanden. Sie spielten ein paar Mal die wechselnden Grundharmonien des Themas, dann begannen sie zu variieren und das Thema weiterzuentwickeln.

»Und wann kommt Jason voraussichtlich wieder?«

Der Barkeeper hob die Schultern. »Vielleicht Donnerstag, da haben wir Jazznacht. Freitag legt der DJ Reggae auf, das ist eher nicht so sein Ding, oder vielleicht nächsten Samstag. Samstags haben wir immer eine Band da, ich weiß allerdings noch nicht, ob es wieder die Jungs von gestern sein werden.«

Lorena bedankte sich. Sie erwog, den Barkeeper nach Jasons Telefonnummer zu fragen, unterließ es dann aber. Was sollte sie ihm am Telefon sagen? Nein, das würde noch komplizierter werden. Außerdem war es vielleicht ganz gut so, wenn sie noch ein paar Tage darüber nachdenken würde, was für eine Erklärung sie ihm für ihr seltsames Verhalten liefern konnte. Bis Donnerstag fiel ihr sicher etwas ein. Ganz bestimmt. Je fester sie daran glaubte, desto wahrscheinlicher würde es auch eintreffen.

Andererseits fühlte sie sich richtig elend bei dem Gedanken, so lange warten zu müssen, ehe sie Gelegenheit bekam, das Missverständnis auszuräumen. Donnerstag, bis dahin war es noch schrecklich weit hin. Fast eine ganze Arbeitswoche. Was, wenn er bereits beschlossen hatte, sie sei seiner Aufmerksamkeit nicht wert, nachdem sie sich einfach so aus dem Staub gemacht hatte? Was, wenn er womöglich dachte, ihr habe seine Musik nicht gefallen und sie wäre deshalb früher gegangen?

Unruhig rutschte Lorena auf ihrem Barhocker hin und her. Sie trank ihr Glas leer und schob es dem Barkeeper hin. »Noch einen?«

»Nein danke, ich muss jetzt gehen.«

Noah unterbrach sein Gespräch und wandte sich ihr zu. »Was? Jetzt schon? Das geht aber nicht. Wie wäre es, wenn du mit uns eine Partie Pool spielst?«

Lorena hob verlegen die Schultern. »Ich spiele nicht besonders gut Billard.«

Noah grinste. »Umso besser. Ich gewinne gern. Aber ich kann dir auch meinen Freund Jake hier an die Seite stellen. Er ist ein Meister und kann dir so manchen Kniff verraten. Dann spiele ich mit Tyler. Der ist zwar im Gegensatz zu mir ein Loser, aber ich werd das schon für ihn ausbügeln.«

Noah feixte und klappte dann wie ein Taschenmesser zusammen, als ihm sein Kumpel einen gespielten Schlag in die Magengrube verpasste.

»Der Einsatz sind fünf Pfund«, sagte Jake und zog einen Geldschein hervor.

Lorena hatte es sich eigentlich zum Grundsatz gemacht, nicht um Geld zu spielen – außer natürlich dem Spiel an den Börsen mit dem Geld anderer Leute –, doch sie wäre sich spießig vorgekommen, wegen fünf Pfund einen Aufstand zu machen. So folgte sie den drei Männern zum Billardtisch. Jake bestellte eine Runde Porter für alle. Lorena protestierte nicht.

Was tat sie hier eigentlich? Sich mit drei wildfremden Männern, die in jedem Hollywoodstreifen als Footballspieler oder Preisboxer durchgegangen wären, beim Billard die Nacht um die Ohren schlagen? Wie war sie nur hier hineingeraten? Andererseits wirkten die schwarzen Jungs gar nicht so finster.

Noah reichte ihr einen Queue, dann losten sie aus, wer beginnen sollte.

Es war Jake, der den Break bekam und auch gleich die blaue Zwei versenkte.

»Yeah Baby«, rief er und hob die Handfläche, um sich von Lorena abklatschen zu lassen. Dann versenkte er noch die Sechs und die Eins.

»Das müssen die uns erst mal nachmachen«, sagte er, als der nächste Stoß fehlging.

Noah umrundete den Tisch und prüfte die Lage der verschiedenen Kugeln. Dann lochte er die Elf ein und danach die Vierzehn. Er versuchte, die Neun gleich hinterherzuschicken, doch es blieb bei dem Versuch.

»Lorena, du bist dran.«

Lorena ging langsam um den Tisch herum. Sie spürte, wie sie immer nervöser wurde. So ein Blödsinn. Das war nur ein Spiel. Es ging gerade einmal um fünf Pfund. Und doch spürte sie die drei Augenpaare wie Spots auf sich gerichtet.

»Vielleicht die Sieben dort drüben rein«, schlug Jake vor.

Lorena nickte. »Ich versuch’s.« Sie holte tief Luft, näherte die Spitze des Queues der weißen Kugel, zog sie wieder zurück und stieß dann zu. Sie traf klackend auf die Zehn, die gegen die Sieben stieß, die dann fünf Zentimeter neben dem Loch gegen die Bande prallte und wieder in die Mitte zurückrollte.

»Das war wohl nix«, feixte Tyler und reckte seine beeindruckenden Armmuskeln, die ihm beim Billard rein gar nichts brachten, wie ihm Jake sogleich versicherte. Dennoch schaffte er es, eine Kugel zu versenken, ehe die Aufnahme wieder zu Jake wechselte. Auch er schaffte nur eine Kugel, dafür hatte Noah nach ihm eine echte Erfolgssträhne.

Lorenas zweiter Versuch wurde zwar mit einem Treffer belohnt, doch dann war schon wieder Tyler dran.

Vermutlich hätten Jake und Lorena dieses Spiel verloren, hätte Tyler nicht die Acht eingelocht, ehe sie ihre letzte Kugel versenken konnten. Noah ging in die Knie.

»Tyler! Ich sag es doch, du bist ein Loser!« Er schob Lorena und Jake ihre beiden Fünfpfundnoten zu. »Los, wir fordern Revanche!«

Auch bei diesem Spiel bekleckerte sich Lorena nicht gerade mit Ruhm. Es war ihr ein kleiner Trost, dass Tyler nicht besser spielte. Dennoch gelang es Noah, das Spiel rauszureißen und es dieses Mal für ihn und Tyler zu entscheiden.

»Wie gewonnen, so zerronnen«, kommentierte Jake, als er den Geldschein wieder rausrücken musste. »Noch ein Spiel?«

Die anderen nickten, und so fügte sich Lorena. Eigentlich waren die Jungs ganz nett, und mit jedem Spiel schmeckte ihr auch das dunkle Bier besser. Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte entzückt, als Noah ein trefflicher Fehlstoß unterlief. Auch Jake jauchzte und reckte die Faust in die Höhe. Ihm dagegen gelang es, drei Kugeln hintereinander zu versenken.

Lorena spürte, wie sie in Gesellschaft der drei Männer immer lockerer wurde. Oder lag das am Bier, das sie inzwischen getrunken hatte? Egal. Sie traf manches Mal ganz gut und sonnte sich im Lob ihrer Mitspieler, während ihre Fehlstöße ihr nicht mehr so viel ausmachten.

»Lorena, du bist dran. Versuch, die rote Drei dort drüben einzulochen!«, riet ihr Jake. Lorena fixierte die Kugel und versuchte, sich die Bahn vorzustellen, die sie nehmen musste, um im richtigen Winkel an der Bande abzuprallen.

Plötzlich spürte sie, dass sie beobachtet wurde. Sie waren längst nicht mehr die Einzigen, die sich um den Billardtisch versammelt hatten, doch dieser Blick war anders. Er strich ihr unangenehm den Nacken entlang. Lorena nahm den Queue noch einmal herunter und wandte sich um. Da stand eine Frau, die sie sorgfältig musterte.

Sie sah gut aus, keine Frage. Sie war größer als Lorena und hatte mit ihren etwas schräg gestellten Augen und dem langen dunklen Haar, das ihr in weichen Locken auf den Rücken fiel, etwas Rassiges an sich. Ihre üppigen weiblichen Rundungen brachte sie durch ein tief dekolletiertes geschnürtes Oberteil sehr deutlich zur Geltung. Doch da war etwas in ihrem Blick, das Lorena abstieß. Die Frau kniff ein wenig die Augen zusammen und sah Lorena abschätzend an. Dann trat sie an den Tisch, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und drehte aufreizend ihre Hüfte nach außen.

»Ich störe doch hoffentlich nicht, wenn ich euch ein wenig zusehe?«, sagte sie mit rauchiger Stimme und ließ den Blick über die drei Männer schweifen, die ihr natürlich sogleich versicherten, dass sie nichts lieber hätten.

Lorena schwieg. Doch, es störte sie ganz beträchtlich, aber was würde es nützen, das zu sagen? Ihre drei Mitspieler waren dem Weib bereits erlegen, das konnte sie deutlich spüren.

»Nun mach schon«, sagte Jake ein wenig ungeduldig, und Lorena wunderte sich nicht, dass ihr Stoß fehlging. Die drei Männer stöhnten auf.

»Ups, das war wohl nichts«, sagte die Frau und warf mit einem gurrenden Lachen ihre langen Locken zurück. Lorena hätte sie erwürgen mögen.

»Mach Platz, jetzt zeige ich der Lady mal, wie man das macht«, brüstete sich Tyler, und zu Lorenas Überraschung versenkte er zwei Kugeln.

»He, Tyler läuft zur Hochform auf, wenn er einer schönen Frau imponieren kann«, kommentierte Noah.

Wieder dieses Lachen, das offensichtlich nur in Lorenas Ohren gekünstelt klang.

»Wie heißt du eigentlich, schöne Lady?«, erkundigte Sich Jake. »Was dürfen wir dir zu trinken bestellen?«

»Ich heiße Adelita, und ich nehme einen Whisky mit Eis. Und wem muss ich dafür danken?« Mit ihren langen roten Krallen strich sie über Jakes nackten Unterarm.

Er lächelte ein wenig einfältig. »Ich bin Jake, und das sind Lorena, Noah und Tyler.«

Sie nickte den Männern strahlend zu. Nur als ihr Blick über Lorena strich, kühlte er sich merklich ab, und ihre dunklen Augen verengten sich.

»Kommt, machen wir weiter«, mahnte Noah. »Jake, du bist dran.«

Sie setzten ihr Spiel fort, doch es war nicht mehr dasselbe. Spürten die Männer nicht, wie sich die Atmosphäre verändert hatte? Wie sie selbst ihr Verhalten änderten? Allein wie sie sich bewegten, wie sie sich aufrichteten und unter Adelitas bewunderndem Blick die Muskeln spielen ließen. Vor allem Jake und Tyler buhlten um jedes Lächeln von ihr. Lorena war vergessen. Nicht, dass sie nicht mehr mit ihr sprachen oder nicht mehr weiterspielen wollten, dennoch fühlte sich Lorena plötzlich wie gläsern. Lediglich Noah schien noch nicht vollständig in den unsichtbaren Fäden von Adelitas Spinnennetz gefangen und warf Lorena einige scherzhafte Worte zu.

Das schien auch Adelita nicht zu entgehen, worauf sie alles daransetzte, auch ihn einzuwickeln. Sie war der Typ Frau, die erst zufrieden war, wenn alle Männer zu ihren Füßen lagen.

Lorena fühlte, wie bittere Galle in ihr aufstieg. Sie war so wütend, dass sie die Hände zu Fäusten ballte. Es machte ihr nichts aus, dass sie noch ein Spiel verloren, ja, sie bemerkte es fast nicht. Ihr wurde bei dem Anblick, wie Adelita Noah angurrte, richtig schlecht. Sie spürte, wie sie sich in ihren Zorn hineinsteigerte. Jeder Muskel in ihrem Körper verkrampfte sich, ihr Atem ging immer schneller, Schweiß stand ihr auf der Stirn. Sie umklammerte den Queue mit beiden Händen, dass sie das Gefühl hatte, ihn gleich in der Mitte durchzubrechen.

Noah wandte sich ihr zu. »Jetzt steht es zwei zu zwei. Noch ein letztes Spiel?«

Sie sah nicht zu ihm auf. Ihr ganzer Körper schien zu vibrieren. Ein Summen ertönte in ihren Ohren und wurde immer lauter. Mit Entsetzen erkannte sie, dass dies nicht nur ihre Wut auf Adelita war. Es musste jeden Augenblick zwölf Uhr schlagen!

Lorena warf den Queue auf den Tisch. »Entschuldigt, aber ich muss gehen«, rief sie. Sie hastete zur Tür. Im Hinausgehen blickte sie sich noch einmal um. Keiner der Männer sah ihr hinterher. Ihre Augen waren auf Adelita gerichtet, die Lorenas Queue in ihre manikürten Finger nahm und mit einem Augenaufschlag verkündete: »Da springe ich doch gerne ein!«

Lorena musste nicht weiter hinsehen, um zu wissen, dass alle drei begeistert zustimmten. Sie riss die Tür auf und stürzte ins Freie. Es regnete in Strömen, doch sie achtete nicht darauf. Der erste Glockenschlag begann, das Ende des Tages einzuläuten. Sie keuchte und wand sich, während sie in einem dunklen Hinterhof Zuflucht suchte. In einer Ecke kauerte sie sich unter einen Mauervorsprung. Sie zerrte sich ihre Jacke herunter und riss an ihrem Shirt, während ihr Körper sich reckte und sich in seine nächtliche Gestalt wandelte. Mit einem Aufschrei entfaltete sie die Schwingen und klappte sie dann wieder zusammen.

Das Beben in ihrem Körper verebbte zu einem leichten Zittern und verklang. Stille herrschte um sie. Nur der Regen rauschte herab.

Lorena reckte ihr Gesicht den kühlen Tropfen entgegen und stieß noch einen Schrei aus. Dieses Mal war es wie eine Befreiung. Sie schlug mit ihren Schwingen und schoss dem nächtlichen Himmel entgegen. Noch immer tobte Zorn in ihr und wühlte sie auf, doch sie hoffte, ein schneller Flug durch den Hydepark würde sie beruhigen.

Das war ein Irrtum! Sie flog schneller, doch sie konnte ihren aufgewühlten Gefühlen nicht entkommen. Dieses Weibsstück hatte ihr auf infame Weise ihre neuen Freunde gestohlen. Das sollte sie ihr büßen! Sie würde sie mit ihren eigenen Waffen schlagen. In ihrer nächtlichen Gestalt war sie schöner als jede andere Frau und für jeden Mann attraktiver. Keiner konnte ihr widerstehen. Sie musste nur mit dem kleinen Finger schnippen, schon würden sie keinen Gedanken mehr an eine kleine, dahergelaufene Adelita verschwenden!

Die dünne Stimme in ihr, die sie mahnte, keine Dummheiten zu begehen, ignorierte sie.

Du musst nach Hause. Nur hinter der verschlossenen Tür deiner Wohnung bist du in Sicherheit.

Sicherheit? Ha, soll diese Adelita sich lieber in Sicherheit bringen, ehe sie der Strahl ihrer Vergeltung traf und zu Asche verbrannte!

Sie wusste, was die Stimme ihr sagen wollte. Dass sie um die Sicherheit der anderen fürchtete, nicht um ihre eigene, aber in dieser Nacht wollte sie nicht auf die Vernunft hören. Sie dürstete nach Vergeltung, nach dem wilden Leben – und nach Sex!

O nein! Tu das nicht, hörte sie das Flehen in sich. Willst du das wirklich? Denk an Jason.

Jason ...

Sie ließ den Namen durch ihren Geist hallen und beschwor Fantasien herauf, die Lorena in ihrem normalen Zustand vermutlich hätten erröten lassen.

Jason, ja, ihn sollte sie sich anschließend ebenfalls genehmigen. Er sah so aus, als könnte er ein tauglicher Liebhaber sein. Sie würde ihn zu ihrem Sklaven machen, bis er ihr alles gab, was sie begehrte!

Nein!

Aber zuerst war Adelita dran. Sie machte kehrt und flog nach Notting Hill zurück. Die Stimme in ihr schwieg. Vielleicht war sie froh, dass Jason vorerst vergessen war.

Lorena landete in dem kleinen Hinterhof und faltete ihre Flügel zusammen. Sie sah an sich herab. Sie trug noch immer ihr schwarzes Trägertop, das sie unter dem Shirt angehabt hatte, ihre Jeans und die ausgetretenen Turnschuhe. Wasser tropfte aus ihrem langen Haar, und auch die Kleider, die ihr nicht so recht zu passen schienen, waren nass.

So kannst du da nicht reingehen. Sie werden dich auslachen! Lorenas Gesicht verzog sich zu einer Grimasse.

»O nein, das wird keiner wagen!«

Sie schüttelte ihre goldblonden Locken, dass die Tropfen flogen, und lachte laut auf. Dann marschierte sie los, überquerte die Straße und hielt direkt auf den Eingang der Bar zu. Sie stieß die Tür auf, trat ein und ging, ohne den Anwesenden einen Blick zu gönnen, an der Bar vorbei zum Billardtisch. Auch ohne sich umzusehen, spürte sie die bewundernden Blicke auf sich ruhen und hörte das Raunen, das durch die Bar von einem zum anderen übersprang. Es war, als würde sich die Zeit verlangsamen. Lorena konnte jeden ihrer Muskeln spüren, wie sie sich im Rhythmus der Musik bewegten und ihren Körper in einem wiegenden Gleichklang ausschreiten ließen. Sie spürte die Wassertropfen, die an ihren nackten Armen herabrannen. Sie fühlte das Spiel ihrer feuchten Locken um ihr Gesicht. Der gedämpfte Schein der Lampen ließ hypnotische Reflexe an ihnen entlangtanzen. Längst schon hatten die Spieler ihre Queues gesenkt und starrten sie an. Tyler klappte der Mund auf. Nur Noah wirkte noch halbwegs bei Sinnen. Lorena genoss den Zorn, der Adelita aus jeder Pore drang. Sie wusste bereits, was die Stunde geschlagen hatte, dennoch war sie nicht bereit, so schnell aufzugeben. Gut so. Den Kampf nahm Lorena gern auf.

Adelitas Augen blitzten, als sie Lorenas abschätzendem Blick begegnete. Dann wandte sie ihr betont lässig den Rücken zu und fixierte Jake, der neben ihr stand.

»Das war ein toller Stoß, Jake! Komm, die nächste lochst du auch ein. Und dann sind sie fällig.«

Als er nicht reagierte, strich sie ihm mit ihren roten Krallen über den Handrücken. Jake zuckte zusammen. Fast widerwillig wandte er sich Adelita zu, die das wohl bemerkte und zornig die Luft einzog. Lorena lachte leise und fühlte, wie ihr Lachen den Anwesenden bis in die Seele drang. Es war bezaubernd im wahrsten Sinn des Wortes.

Jake sah noch einmal zu Lorena hinüber, die lässig neben ihn trat. Er erkannte sie nicht. Keiner erkannte sie, obgleich sie noch immer ihre Jeans und die Turnschuhe trug. Das bedeutete nichts. Sie war jetzt ein anderes Wesen, und der Gedanke, dies könnte die Lorena sein, die um Mitternacht die Bar verlassen hatte, war im Geist der Anwesenden nicht vorgesehen.

»So wird das nichts, mein Lieber«, hauchte sie Jake ins Ohr, als er sich vorbeugte und die Kugel fixierte.

Er stieß trotzdem und sah dann fassungslos der weißen Kugel hinterher, die sich wie magisch ihren Weg zwischen allen anderen hindurch suchte und dann, ohne eine davon auch nur zu berühren, von der Bande abprallte. Noah und Tyler johlten, während Adelita nur zornig zischte. Noah fixierte Lorena, die nun um den Tisch herum auf ihn zuschlenderte.

»Du scheinst Unglück zu bringen, Lady«, sagte er und kniff ein wenig die Augen zusammen, als könne er sie nicht richtig sehen.

»Aber nein«, widersprach sie und schüttelte den Kopf, dass noch ein paar Tropfen aus ihren Locken flogen. »Es kommt immer darauf an, was man sich wünscht. Dein nächster Stoß wird treffen. Du musst nur daran glauben.«

Noah sah sie noch einen Moment prüfend an, dann spielte er die nächste Kugel. Und wirklich, er versenkte nicht nur eine, sondern gleich drei hintereinander.

»Das war gut«, lobte Lorena, während sie Adelita einen schnellen Blick zuwarf. Sie war jetzt an der Reihe. Lorena fixierte die schwarze Kugel und suchte ihr einen Weg in die nächste Tasche. Nur eine kleine Unachtsamkeit, und Adelita würde sie statt der gelben Eins treffen. Lorena bewegte sich nicht. Sie hatte nicht die Macht, der Kugel den rechten Lauf zu geben, doch sie konnte den Geist ihres Gegenübers beeinflussen. Sie dachte so intensiv an die schwarze Acht, dass sich auch die Aufmerksamkeit der Männer auf sie richtete. Und dann blickte auch Adelita verwirrt auf die Kugel. Lorena hielt die Luft an. Sie sah, wie Adelita den Queue zurückzog und dann mit einem Ruck durch ihre Finger gleiten ließ. Die Männer stöhnten auf, noch ehe die weiße Kugel gegen die Bande stieß und mit der Acht zusammenprallte. Jeder konnte sehen, wie das Ende seinen Lauf nahm. Mit einem leisen Klacken verschwand die Acht in einem der Löcher.

Keiner sagte ein Wort, als sich Adelita aufrichtete und ungläubig in die Runde starrte. Auch Lorena schwieg. Es war nicht nötig, etwas zu sagen.

Vielleicht wäre es nicht so schlimm gewesen, wenn die Männer ihrer Enttäuschung Ausdruck gegeben oder einfach einen Fluch ausgestoßen hätten, doch sie schwiegen und sahen Adelita nur an.

Es war kein Drama, dass sie die Acht versenkt und damit das Spiel verloren hatte. Auch die anderen hatten den einen oder anderen schlechten Stoß gehabt. Und dennoch war das Band zerschnitten, mit dem Adelita die Aufmerksamkeit der Männer auf sich gezogen hatte. Sie betrachteten sie fast abschätzig.

Noah legte den Queue auf den Tisch. »Lassen wir es für heute«, sagte er, ohne Adelita anzusehen.

Sie murmelte etwas zum Abschied und ging. Keiner der drei blickte ihr nach. Jake und Tyler sahen nur noch Lorena, oder besser gesagt das unnatürliche nächtliche Wesen, dem es ein Leichtes war, sie zu fesseln. Die beiden würden alles für sie tun, sie musste nur mit den Fingern schnippen. Aber das wollte sie gar nicht. Sie trat einen Schritt zurück und hob abwehrend die Hand.

»Jungs, es ist spät. Geht nach Hause und schlaft euch aus«, sagte sie leise, aber mit dem eindringlichen Ton, dem man so schwer widerstehen konnte. Die beiden nickten, bezahlten ihre Drinks beim Barmann und trollten sich.

Nun war nur noch Noah da. Sie konnte seine Anwesenheit ganz deutlich hinter sich spüren, so als streiche ihr Blick über seinen wohlgeformten, muskulösen Körper. Ein heißer Strahl schoss durch sie hindurch. Sie wollte diesen Mann! Gerade weil er ihr nicht so leicht erlag und sich ihr nicht wie ein willenloser Sklave zu Füßen warf. Sie war eine Jägerin und wollte ihr Wild erobern, ehe sie es erlegte!

Ganz langsam drehte sie sich um und hob die Lider. Sie konnte sehen, wie er unter ihrem Blick erschauderte, doch er starrte noch immer auf den grün bespannten Tisch. Seine Hand griff nach zwei der farbigen Kugeln und spielte ein wenig nervös mit ihnen. Sie klackten leise gegeneinander, während er sie anstarrte, als dürfe er sie keinen Augenblick aus den Augen lassen.

Lorena lachte leise und trat auf ihn zu, bis sie so nah bei ihm war, dass sie seinen Geruch in sich aufnehmen konnte. Sie spürte seine Wärme, die sie zu verbrennen schien, doch sie berührte ihn nicht.

Noch nicht.

»Ist es nicht auch für dich Zeit heimzugehen?«, fragte sie leise.

Noah reagierte nicht.

»Gibt es keine Frau, die auf dich wartet und sich danach sehnt, dass du sie heute Nacht in deine Arme ziehst?«

»Nein«, sagte er rau, den Blick noch immer auf die Kugeln gerichtet, so als könnten sie ihn vor Lorenas Macht beschützen.

»Was für eine Verschwendung!«, hauchte sie ihm ins Ohr, sodass ihre Lippen seine Haut für einen Wimpernschlag lang berührten.

Noah zuckte zusammen. »Was willst du?«, fragte er kaum hörbar.

»Das Aufregendste, was man mit dieser Nacht anfangen kann...«

Seine Finger zuckten, dann spannten sich seine kräftigen Hände schmerzhaft um ihre Arme.

»Ich weiß nicht, was du für ein Spiel treibst, doch hör auf damit!«

»Warum? Ist das Leben bei Tag nicht ernst genug? Ist die Nacht nicht wie geschaffen dazu, ein wenig miteinander zu spielen?«

Sein Griff verstärkte sich noch.

»Was willst du hören? Dass ich dich haben will? Jetzt sofort? Am liebsten gleich hier auf diesem Tisch?«, stieß er hervor. »Nun, wenn es dieser Triumph ist, auf den du aus bist, dann kannst du ihn haben!«

Lorena lächelte. »Aber nein. Du könntest Hausverbot bekommen, das will ich nicht auf mein Gewissen laden. Lass uns gehen! Die Nachtluft kühlt das heiße Gemüt.«

Er lockerte seinen Griff um ihre Arme.

Lorena löste sanft seine Finger und sagte: »Komm, gehen wir.«

Sie warf dem Barkeeper noch einige Pfundnoten hin, dann standen sie draußen im Regen.

Noah starrte sie mit brennendem Blick an. »Ich habe noch nie eine Frau wie dich gesehen.«

Lorena wandte sich ihm zu. »Das glaube ich gern«, sagte sie leise. »Ich spüre deine Glut, die dich verzehrt. Lass sie heraus! Es kann nichts passieren. Der Regen löscht die Flammen. «

Er stieß einen knurrenden Laut aus und zog sie so heftig in seine Arme, dass ihr die Luft aus der Lunge gepresst wurde. Dann küsste er sie. Und wie! Sie konnte sich nicht erinnern, so etwas schon einmal erlebt zu haben.

Wollte er sie wirklich nur küssen oder ihr das Rückgrat brechen? Hatte er völlig die Kontrolle über sich verloren? Sie umklammerte ihn und spürte den heißen Wellen der Lust nach, die sich von ihrem Unterleib aus über ihren ganzen Körper ausbreiteten. Lorena hätte schreien mögen, wenn sie dazu in der Lage gewesen wäre. So drang nur ein Stöhnen zwischen ihren Lippen hervor. Endlich ließ er sie keuchend los.

»Du bist entweder ein Engel oder ein Dämon des Teufels«, sagte Noah und küsste sie noch einmal. Inzwischen waren sie beide völlig durchnässt, doch auch ihn schien das nicht zu stören. Schließlich löste er sich wieder von ihr und umschloss ihre Hand mit seiner Pranke. »Komm mit! Ich wohne nicht weit von hier. Bitte, sag jetzt nicht nein!«

»Warum sollte ich nein sagen?«, hauchte sie ihm ins Ohr. »Dafür ist die Nacht geschaffen.«

Nachtmahr – Das Erwachen der Königin

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