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Frida ging durch ihren nach Feng-Shui Kriterien errichteten Garten und dachte über ein passendes Thema für den Abend am Hügel nach.

Einmal die Woche veranstalteten sie oben ein großes Feuer, manchmal ließ José sich sogar dazu hinreißen, seine Gitarre anzustimmen. Manchmal. Wenn er gut gelaunt war. Bei Vollmond trommelte sie dazu oder tanzte mit den Gästen ums Feuer und um Mitternacht räucherten sie Kräuter aus dem Garten. Für diese Mischung ließ sie sich frei inspirieren von Tagesqualität und Mondstand, der Stimmung, die gerade in der Pension herrschte, den Menschen, die zu Gast waren und was sie an Geschichten und Energie mitbrachten. Ihre feinen Antennen ausgefahren, schritt sie voran, aufrecht und offen.

Bewusst nahm sie das Knirschen der Kieselsteine unter ihren Sandalen war, ein Geräusch, das sie plötzlich unheimlich nervte. Ihre Augenbrauen schoben sich zusammen. So ging das nicht, so würde das nichts werden. Frida schwang ihr Tuch hinter sich hoch und ließ es noch einige Sekunden im Wind flattern, bevor sie es wieder um die Schultern legte. Der Wind. Einst ihr Verbündeter, ihr Antrieb, machte sie nur noch müde, raubte ihr Energie, anstatt ihr welche zu geben.

Sie, die sich in einer Oase der Harmonie glaubte, fühlte sich wie auf einem stark frequentierten, vierspurigen Highway mit großen Schildern, die in die verschiedensten Richtungen zeigten. Nur wusste sie nicht, wohin sie fahren sollte. Abfahren, umkehren, weiterfahren?

Wo sie doch diejenige war die immer Ideen und Ratschläge für andere parat hatte, musste sie sich nun eingestehen, dass sie keine Ahnung mehr hatte, wohin mit sich selbst. Das Einzige, das sie wusste war, dass sie diesen Wind nicht mehr ertrug.

Frida lief weiter, den Kiesweg entlang, Richtung Brunnen. Das Zentrum des Gartens. Dort zu rasten würde ihr Inneres stärken. Oder etwa nicht? Was würde sie jemandem in solch einer Situation raten? Sie wusste es nicht mehr. Ihre Gedanken fuhrwerkten in letzter Zeit immer öfter in der Zukunft oder der Vergangenheit herum und es fiel ihr immer schwerer, sie ins Hier und Jetzt zu holen.

Sie erreichte den Brunnen, setzte sich auf die Holzbank, streckte ihre Füße aus, scharrte ein wenig im Kies, zog Spuren, verwischte sie wieder. Es dauerte ein Weilchen bis sie bemerkte, dass das Geräusch der herum geschobenen Kiesel ihre Nervenfasern in die Länge zog, wie eine zu stark gespannte Geigensaite, kurz bevor sie riss.

So beschloss sie, ihren Körper mit bewussten Atemzügen zur Ruhe zu bringen und lehnte sich etwas nach vor, richtete sich auf, legte ihre Hände auf ihre Knie, schloss ihre Augen.

Hinter ihr raschelte das Bambusgehölz.

»Scheiß Wind!«, durchfuhr es sie. Huch! Woher kam diese plötzliche Negativität? Was war nur los mit ihr?

Sie stand auf und blickte vorsichtig nach links und rechts. Vielleicht sollte sie mit José darüber reden, ihre Wahrnehmung mit ihm teilen. Er, als ihr Seelenpartner, sah sicher die Seite der Sachlage, die ihr verborgen blieb. Möglicherweise würde es ihre eingeschlafene Beziehung wieder erwecken, wenn sie ihm zeigte, wie wichtig sie sein Bedürfnis nach Anerkennung nahm? Doch um diese Zeit des Tages würde er sie mit seinem funkelnden Blick daran erinnern, dass sie ihn störte. Automatisch griff sie sich an den Nacken.

So konnte das nicht weiter gehen. Sie blieb mitten am Weg stehen, formte mit den Händen eine kleine Schale, hob sie gen Himmel, schloß die Augen und atmete ein paar Mal tief ein und aus. Nach einer Bitte um kosmische Kraft, zog sie ihre Hände wieder zu sich, legte sie aneinander vor ihre Brust und verneigte sich leicht.

Zwei Damen mittleren Alters kreuzten ihren Weg, wussten nicht, ob sie grüßen sollten, nickten verlegen und gingen eingehakt an ihr vorbei.

»Die ist schon eigenartig, diese Frau.«, trug ihr der Wind herbei, als sie schon ein paar Schritte weiter waren.

Eigenartig? Sie?

Ein paar zusätzliche Schüttelübungen würden ihre Energien wieder ins Fließen bringen, gewiss.

Frisch durchgeschüttelt, strich sie ihre energetischen Bahnen glatt, und besann sich wieder auf ihre ursprüngliche Aufgabe.

»Rosmarin!«, durchfuhr es sie plötzlich. Der würde für Klarheit sorgen, die Köpfe freiblasen und offen für Neues machen, der gute alte Rosmarin! Vielleicht noch ein paar getrocknete Zitronenschalen dazu? Davon hatte sie noch genügend lagernd. Nickend lief sie den Kiesweg weiter entlang, das Knirschen und den Wind schob sie großzügig beiseite. Eine Prise königlicher Duftrosenblüten dazu, das würde zum Abschluss einen sanften eleganten Schleier hinterlassen.

Zufrieden über diese Mischung ging sie ihre Hühner besuchen. Wie sie ihre Hühner liebte! Oft hatte sie das Gefühl, sie wären ihre einzigen Freundinnen hier.

Frida öffnete das Türchen zu ihrem Gehege, nahm Eleonora auf dem Arm, steckte ihr Gesicht in ihr Gefieder und trug sie ein wenig herum. Sie summte ihnen ein Lied vor und wurde mit Gurren und zärtlichem Gegacker belohnt. Frida lobte sie so viele und schöne Eier gelegt zu haben und streute ein paar Extrakörnchen über die Erde. In diese Ecke der Anlage kamen kaum Gäste herunter, hier konnte Frida mit ihren Hühnern ungestört plaudern und auftanken. Wie gerne sie hier noch ein wenig bleiben würde. Ihre Taschenuhr aus ihrem quer über ihrem Rumpf baumelnden Beutel ziehend bemerkte sie seufzend, dass es nun Zeit für etwas Büroarbeit war. Eigentlich sollten sie dringend jemanden dafür einstellen! Sich auf den Weg zurück ins Hauptgebäude machend, ploppte all die Unruhe wieder auf, wie Blasen im Schlamm.

Der kurz eingetroffene Seelenfrieden schien bei den Hühnern geblieben zu sein.

Wenn sie Unterstützung im Büro hätte, könnte sie intensiver an ihrem Konzept weiterfeilen, grübelte sie weiter.

Seit zwei Jahren arbeitete sie schon an der Vision, hier ein Meditationsretreat aufzubauen. Sie blieb kurz stehen und schnaubte auf. Zwei Jahre ihres Lebens verbrachte sie mittlerweile damit! Die Kontakte mit spezifischen Reiseveranstaltern waren bereits geknüpft, deren Vertreter waren sogar schon zum Lokalaugenschein hergereist und hatten ihr diese spezielle Energie von »La Flora« bestätigt und das Potential des Ortes erkannt. Mit so manchen kompetenten Lehrern hatte sie Kontakt aufgenommen, es lagen sogar schon Anfragen in ihrer Mailbox.

Aber die Zeit wäre dafür noch nicht reif, meinte José. Sie kickte einen Kieselstein über den Weg.

Dabei müssten sie nur eine kleine Zwischenwand im Tanzstudio einreißen und vorne ein großes Fenster einbauen welches diesen bezaubernden Blick übers Meer freigeben würde. Schon wäre dieses dunkle Loch ein perfekter kleiner Saal für Retreats jeder Art. Sogar für Mal und Zeichenworkshops wäre der Raum geeignet. Vor ihrem inneren Auge sah sie schon Gäste hinter Staffeleien sitzen, vertieft in ihre Kreativität und beglückt durch den Rahmen, den sie hier vorfanden. In ihr brannte eine Flamme der Weiterentwicklung, des Fortschritts, die er immer wieder auszulöschen versuchte. Er.

Diese Erkenntnis brachte sie zum Stehenbleiben.

Der Wind fuhr durch ihr Haar, sie strich es sich gedankenverloren aus dem Gesicht. Das tiefe Verständnis, dass sie ihm jahrelang entgegen gebracht hatte, schrumpelte plötzlich dahin, wie eine abgefallene Hibiskusblüte in der Mittagshitze.

Er, der gelernte Polier, der seine innere Bestimmung schon längst erkannt hatte und diese ausschließlich im Tanz zum Ausdruck bringen konnte, der sich selbst klar als unwiderstehlichen Augenschmaus sah.

Er, der Magnet aller weiblichen Reservierungen in der Pension. Er, der seine Bewegungen mit einer Präzision bis in die Fingerspitzen einstudierte und deswegen auch keinen Hammer mehr in die Hand nehmen konnte, da ihm Schwielen von zu harter Arbeit den nötigen Schwung nehmen würden. Wollte sie das denn verantworten?

Übelkeit stieg in ihr auf, ihre Schritte wurden größer. Wo war er? Sie musste dringend mit ihm reden! Sofort! Wenn sie dieses starke Gefühl jetzt weiterhin in sich hineinfraß, würde sie verkümmern! Als erstickte, zertrampelte Flamme. Das konnte sie auf keinen Fall zulassen!

Sie nahm die Abkürzung durch die kleine Poollandschaft, nickte den sich sonnenden Gästen zu und huschte durch die Bananenstauden durch. Büroarbeit hin oder her, sie musste das mit ihm klären, sofort!

Vor dem Hauptgebäude angekommen, lief sie weiter links Richtung Tanzraum. Um diese Zeit machte er sicher noch sein »Warm-up«.

Noch vier Treppen. Sie riss die Türe des Saales auf.

Von der grellen Sonne in die plötzliche Dunkelheit gestolpert, blieb sie in der Türe stehen.

Es musste sich hier um ein Trugbild handeln. Ihre Augen gaukelten ihr etwas vor.

Bestimmt.

Sie blinzelte, sah Staub in der Luft. Blinzelte nochmals. Erkannte José auf seinem Hocker sitzend.

Jedoch nicht alleine. Sie. War. Rothaarig. Mehr ertrug sie nicht.

Er schrie irgendetwas in ihre Richtung, sie konnte es weder zuordnen, noch verstehen.

Frida rannte weg.

Sommerfrische

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