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1993


Der Morgentau auf der Wiese und Schüler, die nicht mehr barfuß darüber trampelten, sondern mit gesenkten Köpfen widerwillig trotteten, deuteten darauf hin, dass der Sommer seinem Ende entgegenging und die Tourismusfachschule St.Viktor ihre Türen wieder geöffnet hatte.

Das Dorf füllte sich langsam, aber sicher wieder mit Schülern, das Internat und Privatzimmer im Ort wurden bezogen und es herrschte die alljährliche umtriebige Aufgeregtheit durch die Lena, Matt und Eliza unberührt Richtung Tabaktrafik schlurften. Lena trug ihre Baumwolltasche quer über den Bauch, vollgefüllt mit Knabbereien und Süßem und da sie ihren Schlabberpullover darüber trug, brachte ihr das am nächsten Tag im Pausenhof das Gerücht ein, sie wäre im sechsten Monat schwanger. Neben ihr baumelte Eliza eine Plastiktasche mit dem billigsten Doppler Weißwein, den der kleine Laden bot und ging Hand in Hand mit Matt, der seine Gitarre quer über die Schulter trug was seinem wippenden Gang noch mehr Bedeutung gab.

Eliza war gestern aus Lech angereist, hatte ihr Zimmer dieses Schuljahr sogar offiziell bei Lenas Großmutter bezogen. Nachdem sie vorletztes Semester dreimal aus dem Internat ausgebüchst war, letztes Semester sogar viermal, konnte sie das endlich bei ihrer Mutter durchsetzen.

Der Standard war Madame Berger zwar nicht fein genug, und Lenas Großmutter musste hochdiplomatische Gespräche führen, doch stimmte sie Frau Berger schlussendlich mit selbstgebackenem Gugelhupf, verständnisvollen Blicken und dem Versprechen, auf das Mädchen acht zu geben, um.

Frau Berger hob den Zeigefinger: Es würden keine weiteren Kapriolen ihrer Tochter geduldet werden. Elizas Mutter seufzte schwermütig, erklärte beim zweiten Stück Kuchen, »la petite Elise« sollte sich doch auf ihre bevorstehende Karriere konzentrieren und vor allem ihre Aufgabe, in ferner Zukunft das Familienhotel zu übernehmen, anpeilen.

So war es vorgesehen! So sollte es auch werden!

Lenas Oma nickte, schenkte Kaffee nach und gab Elizas Mutter, »Darf ich?«, einen Klecks Schlagsahne auf ihren Teller.

Eliza und Lena saßen währenddessen zusammengekauert auf der Treppe und lauschten unter dem Küchenfenster. Abwechselnd verdrehten sie die Augen oder stießen sich hoffnungsvoll in die Rippen.

Als Elizas Mutter mit dem Gugelhupfrezept zwischen den frisch manikürten Fingern aus dem Haus getrippelt kam, nickte sie Eliza gnädig zu und erlaubte schließlich ein Semester »auf Probe«. Lenas Großmutter gab ihr noch einen frisch gepflückten Strauß leuchtender Sommerastern mit und zwinkerte den Mädchen zu, als der Wagen von Madame um die Ecke bog.

»Seht ihr, man muss nur miteinander reden!«

Vor Freude sprangen die Zwei wild herum, Eliza hatte Lenas Großmutter sogar ungeschickt umarmt und »Danke, Danke, Danke, Frau Wretlik!«, gerufen.

Geplante Karriere hin oder her, jetzt war sie hier und durfte bleiben und das allein zählte.

Matt hatte das kleine Gartenzimmer, wie Großmutter es nannte, auch dieses Schuljahr bezogen.

Ganz wohl war ihr nicht bei der Sache, war der Raum doch zugig und schlecht isoliert, doch er bestand auf dieses Zimmer, ihm war es gut genug. Dreimal hatte sie ihn gefragt, ob er es denn warm genug hätte und ob es wohl nicht zu sehr von der Terrassentüre herein zog? Seine Mutter kam nie zur Inspektion vorbei und die Miete brachte er regelmäßig mit, er bezahlte in bar.

Ganz oben unter dem Dach lag noch ein kleines Zimmer, das »Vogelnest«, welches auch dieses Jahr für Frida reserviert war. Sie würde im Laufe des Nachmittages anschweben, meinte Lena, als sie quer über die Straße gingen. Eliza kicherte.

Zusammen teilten sie sich eine kleine Küche im mittleren Stock, wo die drei vor einer Stunde ihr Geld zusammengeworfen hatten, um Einkäufe für ihren Abend am Fluss zu besorgen. Wenn schon Schulanfang, dann sollte ihr Wiedersehen auch gebührend begossen werden!

Sie schoben sich gegenseitig durch die Türe der Tabaktrafik und erst, als ihnen der Rauch und das schallende Lachen von Franz entgegenschlug, entspannten sich ihre Gesichtszüge unmerklich. Er war gerade dabei ein Los aufzurubbeln, welches er alsgleich darauf zusammenknüllte und begleitet von einem kleinen Fluch in den Papiermüll warf. Als er die drei sah, strahlte er übers ganze Gesicht und bog um den Tresen, um sie mit Handschlag zu begrüßen.

»Meine Güte, ist der Sommer etwa schon wieder um? Sagt mir nicht, dass man euch schon wieder in die Mühle steckt?«, er machte eine Kopfbewegung Richtung Schule. Sie verdrehten die Augen und wurden, nachdem sie einen kurzen Sommerbericht abgegeben hatten, mit je einem Päckchen Zigaretten und zwei Päckchen Tabak mit Papers zusätzlich beschenkt.

»Aber ihr wisst schon, erzählt es nicht rum!« Als sie sich unbeholfen bedankten und wieder Richtung Türe drehten, fragte Franz: »Du, Lena, sag, da fehlt doch einer, wo ist denn der Walter? Läuft da nichts mehr?«

Als Antwort kniff Lena ihre Augen zu Schlitzen und machte eine zügige, eindeutige Handbewegung quer unter ihrem Kinn.

»Alles klar, ist sowieso ein Vollidiot, wenn ihr mich fragt!« Lena musste lachen. »Na, dann hat er jetzt einen neuen Namen. Vollidiot, das passt!« Als sie gingen, winkte er ihnen noch nach und zog ein neues Rubbellos aus der Theke.

Unter der alten Eisenbahnbrücke angekommen, machten sie zuerst ein Feuer. Eliza löste ihr schwarzes Tuch, welches sie immer wie einen breiten Schlauch um den Hals trug und sie breiteten ihre mitgebrachten Fressalien und den Wein darauf aus. Der Doppler kreiste, Eliza lehnte an Matts Rücken, welcher auf seiner Gitarre ein paar Akkorde anschlug. Lena hockte im Schneidersitz auf einem Felsbrocken und drehte einen Joint.

»Wisst ihr was?« Eliza und Matt schüttelten die Köpfe.

»Wenn der Franz so weiter macht, kann er seine Tabaktrafik bald schließen!«

»Du meinst, weil er uns immer so viel Tabak schenkt?«

Eliza knabberte zwischen Chips und Schokoladekeksen hin und her.

»Nein, wegen seiner Spielerei.« Matt legte seine Gitarre weg, zog kräftig am Joint und reichte ihn an Eliza weiter. Lena kramte nach einem flachen Stein am Boden herum, fand einen passenden und warf ihn quer in den Fluß. Er schlug vier Mal auf, sie schnalzte mit der Zunge.

»Meine Oma hat mir erzählt, eine Freundin von ihr ist die Tante von der Arbeitskollegin von Franz seiner Frau. Die ist anscheinend mit den Nerven am Ende. Angeblich sind sie hochverschuldet.«

Matt stand auf und lief auf und ab, wie immer wenn er sich über etwas ärgerte.

»So eine Sauerei! In diesem Kaff ist er der einzig halbwegs normale Mensch, der Einzige mit dem man reden kann und der sich auch für einen interessiert, wissen will, wie es einem wirklich geht. Und genau so jemand geht vor die Hunde und alle schauen zu!«

»Nun, es wissen ja nicht alle!«

»Aber alle im Dorf wissen doch, dass er viel spielt. Er hat doch die Rubbellose direkt vor seiner Nase, von früh bis spät. Ist ja klar, dass er nicht widerstehen kann!«

Lena schmiss einen Stein in den Fluss. »Er ist doch sicher gut versichert, nicht? Ich meine, die Trafik ist doch gut versichert.«

»Wie meinst du das?« Matt blieb stehen und starrte sie an.

»Nun, jeder Geschäftsbesitzer hat doch eine Versicherung gegen Brand, Sturmschäden und Raub abgeschlossen, nicht wahr?«

»Ja, und was hat das jetzt mit Franz seinen Schulden zu tun?« Wieder flog ein Stein in den Fluß.

»Ich meine ja nur.«

»Wie meinst du nur?« Eliza richtete sich auf.

»Lena, diesen Blick kenne ich, schieß los!«

Noch ein Stein flog und platschte ins Wasser, bis der nächste und ein weiterer ihm folgte. »Angenommen, die Tabaktrafik würde überfallen werden, würde ihm da nicht seine Versicherung Schadenersatz zahlen?«

Matt nickte, legte den Kopf schief und starrte Lena weiter an.

»Langsam ahne ich, was du meinst.«

»Man hört ja immer wieder, dass Tabaktrafiken überfallen werden, oft am hellichten Tag und das nicht nur in der Stadt. Ich bin mir sicher, der Franz ist diesbezüglich gut versichert.«

»So schwer wäre es hier im Dorf auch gar nicht, wenn man bedenkt, dass hinter dem Geschäft gleich der kleine Schleichweg liegt und übers Feld, zum Wald bis hierher zur Brücke sonst nichts und niemand wohnt.«

Sie spekulierten noch eine Weile über die Höhe der Spielschulden, die mögliche Versicherungssumme, die dabei herausschauen könnte und ob man damit die Schulden ausgleichen könnte. Eine große Teilsumme wäre es bestimmt, im Idealfall bliebe vielleicht sogar noch etwas für ihn übrig? Sie malten sich aus, wie Franz mit seiner Frau unter Palmen sorgenfrei Cocktails trinken könnte und nie erfahren würde, wie es zu diesem Schadensersatz gekommen war.

»Nur passieren darf ihm nichts!«, Eliza blickte besorgt abwechselnd zu Matt und zu Lena.

»Das würde ich nicht ertragen!«

»Wie soll ihm denn bitte dabei etwas passieren? Wenn die Sache gut geplant wird, läuft das wie am Schnürchen ab!«, Matt zog sie zu sich und drückte sie kurz.

Plötzlich hörten sie ein Rascheln, Eliza versteckte reflexartig den Joint und alle atmeten erleichtert auf, als sie Rosi und Gunter durch das Geäst herunterstolpern sahen.

Sie hatten eine Flasche Tequila, Zitronen und Salz dabei und hockten sich damit zu den anderen ans Feuer. Gemeinsam feierten sie ihr Wiedersehen bis in die frühen Morgenstunden.

Als es hell wurde, erinnerte sich Eliza, dass heute Schulanfang war.

Sich aufrappelnd und gegenseitig stützend kletterten sie über den kleinen Trampelpfad hoch zum Waldweg, der sie den Fluss entlang nachhause brachte.

Als sie wieder im Dorf waren, hatte der Bäcker seine Runden schon gedreht. An manchen Türen hingen frische Semmeln, Kornspitz, Nussgipfel und heute waren sogar Topfentascherl dabei! Für jeden eines. Wenn das kein Glück bedeutete!

Noch im Gehen aßen sie aus den Papiertüten, wischten sich den Staubzucker mit den Ärmeln aus den Gesichtern und beschlossen, dass sich ein Stündchen Schlaf noch locker ausgehen würde, bevor sie in die Schule mussten.

Sommerfrische

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