Читать книгу Sommerfrische - Ulrike Waldbach - Страница 6
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ОглавлениеDer Wind wehte eine Staubwolke über den Innenhof der kleinen Pension »La Flora«, just in dem Moment als Frida den letzten Tisch abwischte. Es war sechs Uhr fünfzehn in der Früh und die ersten Gäste würden bald hinter den Bananenstauden zum Frühstück auftauchen.
Drei vor kurzem angereiste Gäste hatte sie vor einer Stunde von ihrem kleinen Bürofenster aus mit Matten unterm Arm den Hügel hochgehen sehen. Sie würden pünktlich zum Sonnenaufgang oben am Meditationsplatz sein. Die kleine Plattform, die sie in einer windgeschützten Mulde errichtet hatte, wurde neuerdings immer häufiger besucht, vielleicht, weil die Zeit dafür nun endlich reif war.
Anfangs hatte sie ihn als ihren persönlichen heiligen Platz angesehen, wo sie Energie tanken durfte, um den Alltag der Pension zu meistern. Doch eines Tages bekam sie eine klare Eingebung.
»Share it!«, tönte es in ihr, als sie, ihre Augen über den Horizont ausgeruht und frei atmend, ihren Geist zur Ruhe gebracht hatte. Schon als sie das erste Mal den Hügel hochgeschnauft war und sich ihr unter der Felswand dieser unglaubliche Ausblick über den Atlantik erstreckte, spürte sie an diesem, »ihrem« Platz sofort die Energie der Erholung und Regeneration. Damals, vor über zehn Jahren, ließ sie ihre Kondition noch nach wenigen Höhenmetern im Stich.
Mittlerweile war ihr Körper durch das viele Herumlaufen in der Anlage so fit geworden, wie sie es sich niemals erwartet hätte. Wobei, in letzter Zeit fühlte sie sich irgendwie …
Sie tunkte den Putzschwamm in das Kübelchen, wrang ihn aus und wischte voller Hingabe von Neuem die metallenen Platten ab und auch ihre Zweifel weg. Das würde schon wieder werden. Die Gäste schätzten es, hier draußen zu frühstücken, inmitten von
Vogelgezwitscher und Pflanzenvielfalt. Wenn es ruhig war, wie jetzt, konnte man sogar das Meer von unten rauschen hören. Wie Frida diese Momente frühmorgens liebte! Die Sonne kroch über den Hügel, langsam, aber stet brachte sie die Blütenkelche des Jasminstrauchs dazu, sich zu öffnen und ihren unvergleichlichen Duft zu verströmen. Nach diesem Auftakt wanderte sie weiter über den ganzen, nach Feng-Shui Kriterien errichteten Garten, verbreitete ihre wärmenden Strahlen und erweckte die ganze Anlage mit Leben.
»Wenn dort vorne eine zusätzliche Bananenstaudenhecke wäre, hätten wir hier einen natürlichen Windschutz«, dachte Frida, wischte den letzten Tisch ab und stellte sich den Innenhof gepflastert vor, was dieser Ecke noch mehr Charme verleihen und sie zudem pflegeleichter gestalten würde. Am liebsten hätte sie José geweckt, um mit ihm darüber zu sprechen, doch das würde seine Laune und damit die Harmonie dieses Ortes ins Wanken bringen, was wiederum die Gäste spüren würden. Und die Hühner! Diese Verantwortung wollte und konnte sie nicht übernehmen. Sie würde später mit ihm darüber reden, wenn er gegen elf Uhr aufstehen würde, um sein Frühstück auf ihrer kleinen Veranda hinter dem Tanzstudio einzunehmen. Schweigend. So gegen Mittag wäre wohl ein passender Moment.
Sie verteilte die Zuckerstreuer auf die runden Tische, beschwerte die Servietten mit kleinen, runden Steinen, auf welche sie Engelsflügel gemalt hatte.
Wobei, um diese Uhrzeit vergrub er sich gerne in die Tageszeitung, fiel ihr wieder ein, er würde auf eine Irritation sensibel reagieren. Als Künstler brauchte er diese klaren Zeiten für sich, schließlich gab er täglich Alles. Alles! Seine ganze Kraft und Emotion floss in seine Arbeit, wie er Frida immer wieder erklärte. Ob er nun Touristen im Nebentrakt der Finca in einer Woche die Grundschritte des Salsas beibrachte oder für einen Soloauftritt trainierte, er gab Alles. Also vielleicht doch erst nach seinem Training? Wobei, da war er meistens erschöpft.
Sie rückte die Stühle zurecht, betrachtete den Platz mit ein paar Schritten Abstand, nickte zufrieden und ging zurück ins Haus, um die Wasserflaschen mit einem Segen zu bemurmeln. Nun, sie würde schon einen passenden Moment finden. Bis dahin gab es noch viel zu tun. Pedro würde gegen Ende des Vormittags einen Kleinbus neuer Gäste bringen, da musste sie vorher noch die Zimmer durchgehen, vielleicht hier und da ein wenig räuchern. Schließlich hinterließ nicht jeder Gast die entspannte und freie Atmosphäre, die er bei der Anreise vorgefunden hatte. Die hier entladenen Energien verhingen sich manchmal in den Balken und könnten auf die neuen Gäste übergehen. Das konnte und wollte Frida nicht riskieren! Sie war überaus glücklich, dass Antonia, ihre Hilfe und Stütze im Haus, eine äußerst feinfühlige Person war, auf die sie sich voll und ganz verlassen konnte. Die Gute klebte auf jeden Türpfosten der verunreinigten Zimmer ein kleines Post-it, so daß Frida anschließend, eine Muschel mit glühender Räuchermischung in der einen Hand, in der anderen eine Adlerfeder wedelnd, von Raum zu Raum schreiten und so den »holy smoke« verbreiten konnte. Anschließend stellte sie frische Blumen in jedes Zimmer und gab sie mit einem Segen für die Neuankömmlinge frei.
Seufzend zog sie ihre Taschenuhr aus der mit Pailletten und feinen, seidigen Fäden bestickten Umhängetasche. Sie musste weiter, es gab noch so viel zu tun. Zimmer vorbereiten, die Reservierungen überprüfen, die Gäste willkommen heißen, ihre Hühner besuchen. Außerdem wollte sie am Nachmittag noch etwas im Garten werkeln. Die Hibiskusstauden und die Bambusecke benötigten dringend einen Rückschnitt und das Mondzeichen war momentan geradezu perfekt dafür. Das Mikroklima der Insel und der fruchtbare Boden hatten Vor und Nachteile. Alles wuchs, aber wie! Jetzt müsste sie nur noch Pedro dazu bringen, anstatt den aufkeimenden Flirtchancen, die mit den neu eingetroffenen Damen entstanden, die Gartenschere zu ergreifen. Die Sonnenhungrigen würden sich sowieso gleich an den Pool legen, so könnte sie ihn bitten in dieser Ecke zu beginnen, das würde ihn hoffentlich motivieren.
Frida bleib ein wenig vor dem mit Glyzinien umrankten Bogen, der das Eingangstor zum Garten bildete, stehen. Was für eine Motivationsarbeit das gewesen war, zuerst José dann die Arbeiter dazu zu bringen, den Garten nach ihren feinfühligst ausgetüftelten Plänen anzulegen! Stundenlang hatte sie über Feng-Shui Büchern gesessen, um verschiedenste Varianten durchzuarbeiten. José mochte eben keine Veränderungen, der Garten war für ihn bisher schön genug gewesen. Wie auch für die Gäste, die seines Erachtens schließlich nicht wegen der Grünpflanzen, sondern wegen seiner Salsakurse herreisten.
Als sie mit den Plänen in der Hand den Gärtnertrupp durch die Anlage geführt hatte, war er mit verschränkten Armen abseits gestanden, seinen Kopf fortwährend schüttelnd, was die Männer nicht wirklich motiviert hatte. Doch Frida hatte mit gütigem, aber bestimmtem Lächeln auf den Lippen das durchgesetzt, was sich jetzt bezahlt machte.
Sie zupfte vertrocknete Glyzinienblüten vom Bogen herunter und erinnerte sich, dass »La Flora« genau in dem Jahr zum ersten Mal ausgebucht gewesen war. Während die zarten Pflänzchen anwurzelten, betrieb sie einen Blog, in dem sie über ihr Leben auf der Insel berichtete. Sie knüpfte Kontakte mit den unterschiedlichsten Menschen, unter anderem mit einer Journalistin aus Wien. Diese kam eines Winters blass, zynisch und ausgelaugt angeflogen und verließ La Gomera eine Woche später mit entspannten Gesichtszügen, zartem Teint und einer Aura der Glückseligkeit. Kurz darauf erschien ein Artikel in einer österreichischen Frauenzeitschrift mit der Überschrift:
»Gemma noch Gomera! Wie sich eine Althippie Insel zum easygoing Place mit sanftem Ökotourismus wandelt!« Ihr verschlafenes Örtchen La Flora wurde als »top location mit megahohem Regenerationsfaktor« erwähnt, als »Kraftplatz« und »Geheimtipp«. Das Frühstücksbüffet mit Obst aus dem Garten und den eigenen Eiern wurde als »liebevoll zubereitete Ode an Gaumen und Auge« beschrieben. Dazu waren Fotos vom Garten abgebildet, außerdem vom Meditationsplätzchen mit Meerblick am Hügel, von der Treppe zur Minibucht, »süß und perfekt zum Chillen« und ein Foto von Frida vor ihrem Brotbackofen im Garten. Selbstverständlich wurden auch Josés Salsakurse in den höchsten Tönen gelobt.
»Salsa: Das Drama des Lebens wieder wahrnehmen und es sich aus der Seele tanzen! Sich wieder spüren! Bikinifigur inklusive!«
Mittig im Artikel war ein Bild, auf welchem José abgebildet war, wie er mit nacktem Oberkörper, verschwitzt und durchtrainiert vor der Spiegelwand stand, den Arm bittend zum Tanz ausgestreckt, in den Augen pure Leidenschaft.
In den folgenden Wochen und Monaten war die Pension ausgebucht. Blasse, lebenshungrige Damen jeden Alters buchten einen Aufenthalt mit Salsastunden. Seinetwegen. Es war das erste Jahr gewesen, in dem sie ohne Nebenjob über die Runden kamen.
Jetzt, mit der Homepage, dem Blog, den guten Bewertungen bei diversen Suchmaschinen im Internet, mit den von Gästen kommentierten und zahlreich geposteten Bildern, lief es wie am Schnürchen. Sie konnte sich wirklich nicht beklagen.
Wirklich nicht.
Als sie das Büro ansteuerte, merkte sie erneut, dass ihr Energielevel nicht mehr derselbe war wie noch vor einem Jahr. Die Müdigkeit kam in Wellen. Wellen, die immer größer wurden. Wellen, die sie nicht mehr glätten konnte.
Sie, die noch bis vor kurzem von früh bis spät leichtfüßig durch die Anlage gesprungen war, ertappte sich immer öfter dabei, wie sie vor einer anstehenden Aufgabe seufzend gen Himmel blickte und den Kopf leicht schüttelte. Manchmal gingen die Tage nur schleppend dahin, vieles, was vor kurzem noch Spaß gemacht hatte, war jetzt ein Muss. Vielleicht sollte sie ein wenig früher aufstehen und ihren Kraftplatz oben am Hügel aufsuchen, wie sie es früher getan hatte? Doch da müsste sie erstmal früher schlafen gehen und abends genoss sie die wenigen Stunden, die sie mit
José hatte, da konnte sie sich unmöglich zurückziehen. Wobei, in letzter Zeit war er ihr gegenüber sehr wortkarg geworden, fast schon mürrisch.
Anstatt im Cockpit, wie sie ihr winziges Büro nannte, sofort den Computer zu starten und loszulegen, lehnte sich Frida ein wenig in ihrem Bürosessel zurück. Die indischen Fußkettchen klingelten vertraut, als sie ihre Füße auf den Tisch legte. Seufzend sah sie durch das Minifenster in den blauen Himmel.
Immer öfter gab er ihr das Gefühl, das Falsche zu sagen oder im falschen Moment zu sprechen, letzthin sogar vor den Gästen! Dann schnalzte er mit der Zunge auf eine Art, die ihr ein sofortiges Schaudern im Nacken bereitete. So musste sich ein Kätzchen fühlen, wenn es hochgehoben wurde, weil es zur falschen Zeit am falschen Ort war und dort etwas Verkehrtes getan hatte. Kein Mensch auf dieser Welt vermochte es, in ihr sowohl ein solch gigantisches Unwohlsein, als auch das Gefühl Göttinnenstatus zu besitzen, auszulösen. Sie schloss die Augen und dachte nach, wann sie sich das letzte Mal neben ihm wie eine Göttin gefühlt hatte. Es wollte und wollte ihr nicht einfallen.
Nun, da Raum und Zeit sowieso reine Illusion waren, beschloss sie, die positiven Energien herbeizurufen, indem sie sich auf ihre gemeinsame, wahre Bestimmung besann. Sie atmete tiefe, bewusste Atemzüge ein und aus und ein und aus und ein und aus und visualisierte ihre erste Begegnung am Hafen vor fünfzehn Jahren.
Es war ihr erster Sommer hier auf der Insel gewesen, sie hatte mit Lena ihr Praktikum geschmissen und an einer Strandbar gejobbt. Der Sommer neigte sich dem Ende zu, Lena war wieder nachhause geflogen und Geld hatte sie auch nicht viel verdient. Deswegen hatte sie mit zwei Engländern, die sie am Strand kennengelernt hatte, Timothy und Shalom, eine Performance einstudiert, die sie abends an der Uferpromenade vorführten. Die Zwei jonglierten mit nacktem Oberkörper jeweils drei Feuerkegel, sie schlug dazu aufs Tamburin und tanzte um sie herum. Alle drei hatten zudem fantasievollst bunt geschminkte Gesichter. Zum Finale machte sie durch einen brennenden Ring eine Brücke rückwärts und Timothy und Shalom spien links und rechts dazu Feuerfontänen.
In diesem Moment fühlte sie pures Glück, sie war wie der Schmetterling, den sie sich ins Gesicht gemalt hatte, unbeschreiblich frei und bunt.
José hatte sie an der Mauer lehnend beobachtet, seine Augen waren nur auf sie gerichtet. Jede ihrer Bewegungen sog er auf, wie sie tanzte und ihr Tamburin im Takt schwang. Anstatt ein paar Münzen in ihren Hut zu werfen, lud er sie auf einen Drink ein.
Als sie ihm in diesem Moment in die Augen sah, ging ihr das Herz schlagartig auf und sie wusste, mit absoluter Klarheit, dass sie ihren Seelenpartner gefunden hatte. Da stand er vor ihr und strahlte sie an wie ein funkelnder Stern, von dem sie gar nicht gewusst hatte, dass er für sie bestimmt war. Es war, als wären sie plötzlich von einer schimmernden Seifenblase umfangen, in einer eigens für sie geschaffenen Welt. Und genau diesen Moment wollte Frida nun konservieren. Fokussieren, halten und konservieren. Sein Strahlen, die Seifenblase, ihr weit geöffnetes Herz. Fokussieren, halten und konservieren. Ihr Körper entspannte sich allmählich. Fokussieren, halten, konservieren. Sie sank etwas tiefer in ihren Bürosessel. Fokussieren, halten, konservieren. Ein Teil ihres Bewusstseins machte sich auf einen Spaziergang.
Plötzlich riss sie ein Hupen aus ihrem tiefenentspannten Zustand. Ein Hupen? Wie spät war es denn? Sie riss die Füße vom Tisch und kramte nach ihrer Taschenuhr.
Elf Uhr Dreißig?!
Dann war das Hupen etwa Pedro mit den Gästen?!
Das konnte doch nicht sein! Sie wollte doch vorher die Reservierungen prüfen, die Zimmer ausräuchern und frische Blumen hineinstellen! Hieß das, dass an den verunreinigten Zimmern noch Zettelchen klebten und vor ihrer Pension zehn reisemüde Personen standen, die es willkommen zu heißen galt? Wo war eigentlich José? Er sollte doch mit geöffneten Armen neben ihr im Hof stehen. Beziehungsweise sie neben ihm. Warum hatte er sie nicht gesucht? Ihre Gedanken überschlugen sich, genauso wie ihre klimpernden Schritte, als sie, während sie Richtung Eingang lief, ihre Haare zurecht strich. Das war ihr noch nie passiert, dass sie Mitten am Vormittag eingeschlafen war! Sie würde improvisieren müssen und die Gäste auf einen Willkommensdrink an den Pool bitten, damit sie in dieser Zeit rasch die Zimmer fertigmachen konnte.
Frida öffnete den Haupteingang und dazu ihre Arme und rief ein »Herzlich Willkommen in La Flora!« aus. José war dabei, mit Pedro Gepäckstücke aus dem Kleinbus zu hieven und funkelte sie kurz an.
Sofort verkrampfte sich ihr Nacken, als würde sie dort hochgehoben und leicht geschüttelt.