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Ein Brautkleid für Felice

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Franz und Felice, zwei Namen wie erfunden füreinander. Mit der Aussicht auf die bevorstehende Hochzeit im kommenden Mai lässt sich sogar der Gedanke an den harten Berliner Winter ertragen. Mit dem unsteten Leben zwischen Postämtern und Bahnhöfen, auf Parkwegen und in Hotels wird endlich Schluss sein, wenn Franz erst in Berlin ist, für immer. Schönen Feierabend, Fräulein Bauer, ruft der Pförtner Felice aus seiner Loge zu, als sie das Gebäude der Technischen Werkstätten verlässt und hinaustritt auf die Markusstraße. ›Sprungbrett der Lustigkeit‹, so hatte Franz die letzte Arbeitsminute vor dem Büroschluss mal bezeichnet.

Felice geht gern zu Fuß durch die Straßen der Stadt, ihr knöchellanger Rock schwingt bei jedem Schritt auf den Granitplatten, die noch die Sommerwärme abstrahlen. Eine S-Bahn hält kreischend am Bahnhof Jannowitzbrücke, ein Eisenbahnzug dampft in Richtung Ostkreuz, unter der Spreebrücke zieht ein Apfelkahn dahin. Die Uhr auf dem Spittelmarkt zeigt halb fünf, Tauben umschwirren die Postmeilensäule auf dem Dönhoffplatz, in der Leipziger Straße herrscht Hochbetrieb. Den Läden auf dem prächtigen Einkaufsboulevard sieht man auf den ersten Blick nicht an, dass das Angebot jetzt im dritten Kriegsjahr 1917 äußerst eingeschränkt ist, dass es alles nur auf Marken gibt und die Konsumtempel zu Magazinen geworden sind, zu Verteilstellen für rationierte Waren. Erst abends, bei Einbruch der Dunkelheit, wirkt die Stille befremdlich, und es bleibt seltsam schummrig, denn die Geschäfte sind angehalten, bestenfalls eine Notbeleuchtung einzuschalten. Aber jetzt, am späten Nachmittag, fällt die Augustsonne schräg von Südwesten in die schnurgerade Straße und vergoldet die Fassaden. Die große Weltkugel auf dem Dach des Kaufhauses Tietz scheint sich zu drehen im Licht, Hermes, Gott der Kaufleute, reckt sein Haupt in den Himmel, üppige, halb nackte Frauengestalten füttern Greifvögel und zähmen Bestien in luftiger Höhe, Bären und Stiere, und hinter der spiegelnden Glasfassade schemenhaft die Parade kopfloser Kleiderständer. Felice Bauer träumt sich in ein Brautkleid hinein, das sie im Journal Die elegante Welt gesehen hat, ein schulterfreies Modell, eng anliegende Seide und ein üppiger, bodenlanger Volantrock aus Tüll. Aber nein, es ist vermessen, jetzt, wo selbst Kleidung nur auf Karte zu haben ist und zum Umarbeiten alter Kleider aufgefordert wird, an ein prächtiges Brautkleid zu denken, wer trägt denn Weiß in diesen Zeiten? Zahllos die Frauen in Schwarz, alte wie junge, Witwenschleier haben Konjunktur. Doch Träumen ist erlaubt. Dass Kersten & Tuteur im prächtigen Eckhaus Berlins erste Adresse für Damenmode ist, daran erinnert ein purpurrotes Kleid im Schaufenster wie ein Traum von besseren Zeiten. Ein farbiges Brautkleid wäre ein Ausdruck künftiger, neuer Lebensfreude; ohnehin ist es zu spät für unschuldiges Weiß.

Felice Bauer ist verlobt, zum zweiten Mal mit ein und demselben Mann, mit Franz Kafka, einem Schriftsteller aus Prag. Da er bislang kaum etwas veröffentlicht hat und weit davon entfernt ist, seinen Lebensunterhalt mit der Schreiberei zu verdienen, geschweige denn, damit eine Familie ernähren zu können, ist es beruhigend, dass er auch einen ordentlichen Beruf hat. Franz ist in solider Stellung bei der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen, falls es mit dem Schreiben nichts wird, lässt sich in Berlin notfalls an diese Vita anknüpfen. Dass er Beamter ist und sogar promovierter Jurist, beruhigt auch Felices Eltern. Ein Herr Doktor, das gibt es noch nicht in der Familie. Dass er außerdem stiller Teilhaber an einer Fabrik ist, die Asbest herstellt, bedeutet eine zusätzliche Absicherung. Franz Kafka kommt aus gutem Hause, der Vater ist ein tüchtiger Kaufmann, er führt ein Galanteriewarengeschäft im prächtigen Kinsky-Palais am Altstädter Ring, im Herzen Prags. Für Felice ist es vor allem ein Segen, dass Franz keine Soldatenuniform tragen muss. Seine Vorgesetzten sind ihm wohlgesonnen und schätzen sehr, dass ihr Mitarbeiter größte Sorgfalt selbst auf nüchterne und staubtrockene Texte verwendet, in denen er versicherungstechnische Vorgänge und Gefahren beschreiben muss, die von so unaussprechlichen Geräten wie Sicherheitshobelmesserwellen ausgehen. Franz legt jedes Wort auf die Goldwaage, als zuverlässiger Diener des Unternehmens ist er unabkömmlich, es kommt gar nicht infrage, den fragilen jungen Mann den Gefechtsmühlen an der Front auszuliefern. Für Franz indessen ist die Arbeit im Kontor nur eines von zwei Übeln. Er hasst den täglichen Trott der Büroarbeit, der ihm alle Kraft zum Schreiben absaugt. Lieber heute als morgen würde er seinen Beamtenposten hinschmeißen, um sich ausschließlich seiner größten Leidenschaft zu widmen, der Literatur.

Einen von Franz’ Briefen hat Felice auswendig im Kopf: »Meine Lebensweise ist nur auf das Schreiben hin eingerichtet und wenn sie Veränderungen erfährt so nur deshalb, um möglicher Weise dem Schreiben besser zu entsprechen, denn die Zeit ist kurz, die Kräfte sind klein, das Bureau ist ein Schrecken, die Wohnung ist laut und man muss sich mit Kunststücken durchzuwinden suchen, wenn es mit einem schönen geraden Leben nicht geht.«

Vor fünf Jahren, im November 1912, als Franz dies schrieb, da hatte Felice noch fest an einen schönen, geraden Lebensweg geglaubt, an eine gemeinsame Zukunft in den üblichen Verhältnissen, er der Ernährer, sie die Hausfrau, irgendwann Kinder. Doch ein bürgerliches Familienleben ist nichts für Franz, das hat sie längst eingesehen, und auch Felice liebt ihre Arbeit in der Firma mehr, als sie es sich früher eingestehen wollte. Auch als verheiratete Frau Kafka wird sie beruflich nicht zurückstecken, sondern weiter als Prokuristin tätig sein. Manchmal übt sie den neuen Namen schon auf dem Papier: Felice Kafka, mit freundlichen Grüßen.

Wie unendlich lange haben sie gebraucht, wie viele Briefe mussten zwischen Berlin und Prag hin und her gehen, um einander zu finden! Wohl kein anderes Brautpaar auf der Welt hatte eine solche Achterbahnfahrt hinter sich wie Franz und Felice.

Kafka und Felice

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