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VORWORT

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Politikgeschichte ist wieder Mode geworden, nachdem sie längere Zeit durch die Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte verdrängt worden war. Da mich «Comparative Politics» wegen meiner interfakultären Studienfächer interessierten, liess ich mich von den Modeströmungen nicht in Verlegenheit bringen. Allerdings versuchte ich von Anfang an, Ansätze der Geschichts- und Sozialwissenschaften transdisziplinär zu verbinden.

Vor 50 Jahren – es war im Wintersemester 1962/63 – besuchte ich als junger Student an der Universität Bern ein Geschichtsseminar, das der Historiker Hans von Greyerz und der Politikwissenschaftler Erich Gruner als gemeinsame Lehrveranstaltung über Parteien und Verbände anboten. Nach Gastsemestern an den Universitäten Freiburg (Roland Ruffieux) und Berlin (Freie Universität, Otto-Suhr-Institut) entstand daraus später, 1970, meine Berner Dissertation über die Geschichte der «Konservativen Volkspartei» von 1848 bis 1912. Dabei ging ich ausdrücklich vom «Milieu»-Konzept aus (ich nannte es zunächst «Subgesellschaft», «Subkultur» und «katholisches Ghetto») und ordnete die Parteientstehung in die Kulturkampfkonflikte («cleavages») von Staat und Gesellschaft des 19. Jahrhunderts ein. Ich machte mehr oder weniger das, was einige heute unter «neuer Politikgeschichte» postulieren.

Zusammen mit Hans Peter Fagagnini publizierte ich 1979 einen Band über die CVP-Reformen von 1970/71. In der ersten Hälfte der 80er-Jahre begann ich im Fernsehen und Radio die National- und die Bundesratswahlen zu kommentieren, und im Jahr 1983 fiel mir die Ehre zu, am 100-Jahr-Jubiläum der christlichdemokratischen Fraktion der Bundesversammlung die Festansprache zu halten. 1985 verfasste ich für das deutsche «Staatslexikon» und später für das «Schweizer Lexikon» die Artikel über die Schweizer Parteien. Eine begonnene Darstellung der Geschichte und Soziologie der CVP blieb unvollendet, da ich 1987/88 vom Bundesrat den unerwarteten Auftrag erhielt, den «Groupe de réflexion» für das 700-Jahr-Jubiläum der Eidgenossenschaft zu leiten. Auf das Jubiläumsjahr 1991 gab ich das Bundesratslexikon heraus; und Mitte der 90er-Jahre verfasste ich den Schweiz-Teil in einem mehrbändigen internationalen Sammelwerk über die konservativen und christlichdemokratischen Parteien Europas. Während meines Rektorats an der Universität Freiburg von 2003 bis 2007 erlebte die Parteipolitik turbulente Phasen. Als Rektor blieb ich in den Debatten zurückhaltend.

Im Hinblick auf das diesjährige 100-Jahr-Jubiläum der CVP (1912–2012) scheint mir der Augenblick gekommen, ein Buch zu veröffentlichen, das auf meinen Vorarbeiten aufbaut. Welche Wandlungen machte die Identität dieser Traditionspartei durch, die ihre Wurzeln wie die FDP auf die Gründungsjahre des Bundesstaats zurückführt? Da vieles nicht aufgearbeitet und noch im Fluss ist, erhebt mein Buch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Als historisch-politisches Werk richtet es sich an ein breites Publikum und möchte zur Debatte über Wesen und Stellung der CVP im politischen System beitragen.

Im ersten Teil des Bandes stelle ich die CVP vor. Es sind Essays, die man einzeln lesen kann: die Geschichte der CVP von der klassischen Oppositionspartei zum Scharnier in der Zauberformel-Regierung, den langen Weg von der katholischen Milieu- zur bürgerlichen Zentrumspartei mit einem konservativen und einem christlichsozialen Flügel. Ist die Partei auf dem Weg von einer christlichen Weltanschauungs- zu einer sozialkonservativen oder «bürgerlichen» Wertepartei? In einem zweiten Teil vertiefe ich die Periode von 1848 bis 1970 mit ausgewählten Themen und komme auf die zentrale Rolle des Kulturkampfes, auf den Beginn der Koalition mit der freisinnigen Regierungspartei und auf die Blütezeit des katholischen Milieus in der Zwischenkriegszeit 1919–1939 zu sprechen. Der dritte Teil widmet sich – wiederum keinesfalls abschliessend – den Reformen von 1970/71, die zur heutigen CVP führten. Am Schluss des Buches stelle ich Reflexionen über die Zukunft der Partei an. Wer sich für die christlichdemokratischen Bundesrätinnen und Bundesräte interessiert, kann ausserdem ein aufschlussreiches Stück zur Sozialgeschichte der schweizerischen Politikelite lesen.

Zahlreich sind die Dissertationen und Lizentiatsarbeiten, die während meiner Professur von 1980 bis 2010 an der Universität Freiburg zur Politik- und Parteigeschichte erarbeitet worden sind. Verschiedene sind in der vom Verlag Academic Press Fribourg verlegten Publikationsreihe «Religion, Politik und Gesellschaft in der Schweiz» (seit 1987 über 50 Bände) erschienen, andere blieben leider ungedruckt. In den Endnoten verweise ich auf dieses umfangreiche und noch nicht ausgeschöpfte wissenschaftliche Corpus, das einen Grundstock für die noch ausstehende umfassende Parteigeschichte bildet. An dieser Stelle danke ich allen Historikerinnen und Historikern, die mich in den 30 Freiburger Jahren in Bezug auf die Parteigeschichte mit Anregungen und Beiträgen bereichert haben.

An der Universität Freiburg bildete sich im Verlauf der drei Jahrzehnte meiner Professur eine Forschergruppe, die sich mit der Geschichte des politischen Systems (Bundesrat, Konkordanz usw.) und den Parteien, insbesondere mit den Christlichdemokraten, befasste. Ich nenne hier die Namen der Studierenden, die mit einem Doktorat oder Lizentiat zum engeren Thema der Geschichte der CVP inklusive des politischen Katholizismus abgeschlossen haben: Markus Hodel, Dieter Holenstein, Bernhard Wigger, Hilmar Gernet, Peter Arnold, Markus Rohner, Sulpice Piller, Remo Wäspi, Josef Widmer, Roswitha Feusi, Andreas Luig, Martin Zenhäusern, Lukas Rölli-Alkemper, Christoph Flury, Martin Pfister, Davide Dosi, Chantal Kaiser, Claudia Glaus, Frederik Udry, Pierrot Bissegger, Barbara Ludwig und Alexandra Vlachos. Themen und Titel der ungedruckten Arbeiten sind im Band von Franziska Metzger und Markus Furrer, «Religion, Politik, Gesellschaft im Fokus. Beiträge zur Emeritierung des Zeithistorikers Urs Altermatt», Freiburg 2010, aufgeführt. Ich danke auch meinen Freiburger Kolleginnen und Kollegen von der Schweizer Geschichte: Francis Python, Damir Skenderovic, Joseph Jung, Markus Furrer, Franziska Metzger, Christina Späti und Catherine Bosshart-Pfluger. Ausserdem danke ich meinen Kollegen von den Schweizer Universitäten, die mich über Jahrzehnte mit anregenden und manchmal auch kontroversen Diskussionen über das politische System begleitet haben. Um einige Namen zu nennen: Wolf Linder, Hanspeter Kriesi, Hans Peter Fagagnini, Alois Riklin, Andreas Ladner, Thomas Maissen, Georg Kreis, Klaus Armingeon, Aram Mattioli, Claude Longchamp, Martin Senti, Michael Hermann, Georg Lutz, Werner Seitz, Olivier Meuwly und viele andere, deren Studien in den Endnoten verzeichnet sind.

Im vergangenen Jahrzehnt übernahm in der schweizerischen Parteiforschung die Politikwissenschaft die Führungsrolle. Auch die im Buch mehrfach zitierten Dissertationen von Ludwig Zurbriggen und Timotheos Frey über die CVP sind sozialwissenschaftlicher Prägung. Als Historiker lege ich den Fokus auf die Geschichte. Politikwissenschaftliche Thesen diskutiere ich nur beiläufig, obwohl es reizvoll wäre, die wegweisenden Studien von Andreas Ladner, Michael Brändle und anderen zu debattieren.

Obwohl Irene Ulrich neben ihrem Bachelor-Studium nur in einem kleinen Teilzeitpensum arbeiten kann, hat sie mich bei der Realisierung dieses Bandes mit grossem Engagement unterstützt, so beim Erfassen des Textes, beim Nachprüfen der Endnoten und bei der Suche nach Daten, wofür ich ihr herzlich danke. Als Nothelferinnen sprangen Martha Altermatt-Joller und Marisa Thöni-Coray ein. Ich danke auch dem Verlag «hier + jetzt» in Baden für die professionelle Unterstützung, insbesondere Andreas Steigmeier für das sorgfältige Lektorat.

Solothurn, Ende Juni 2012

Urs Altermatt

Das historische Dilemma der CVP

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