Читать книгу Kittys Salon: Legenden, Fakten, Fiktion - Urs Brunner - Страница 9
1.2 Das horizontale Gewerbe nach der Machtergreifung Hitlers
ОглавлениеDie Dirne kann uns gleichgültig sein: ob eine Dirne ausgenutzt wird oder nicht, geht uns nichts an. Je mehr sie ausgenutzt und je schneller sie dadurch ausgemerzt wird, um so besser ist es.61
Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 − und somit der Machtergreifung der Nazis − hatte der freie Umgang mit der Prostitution ein rasches Ende. Zu spüren bekam die erotische Unterwelt des alten Berlin die strengen Sanktionen allerdings schon zuvor im Frühjahr und Sommer 1932. Pornografische Publikationen und Travestieclubs wurden bereits damals geschlossen.62 Für Hitler, wie bereits vorab aus „Mein Kampf“ zitiert, waren Prostituierte „(…) eine Schmach der Menschheit“63. In der sittlichen Verkommenheit der Huren offenbare sich – im Gegensatz zum Nazi-Ideal der monogamen, treuen Ehefrau – die minderwertige Erbmasse dieser „Asozialen“64, „Gemeinschaftsfremden“65, „moralisch Schwachsinnigen“66. In vielen deutschen Städten, wie etwa Essen, Lübeck und Karlsruhe, wurde die bis dato ausdrücklich verbotene Kasernierung wieder eingeführt. In Stuttgart, München und Hamburg67 ging man mit „Strichverboten“ vor, die den Dirnen durch von der Polizei ausgehändigte Merkblätter zur Kenntnis gebracht wurden. Wer sich nicht daran hielt, musste mit „Schutzhaft“ rechnen.68
Durch das am 26. Mai 1933 erlassene „Gesetz zur Abänderung strafrechtlicher Vorschriften“ musste nun die „Verletzung von Sitte und Anstand“ nicht mehr explizit nachgewiesen werden. Ganz im Gegenteil: Straßenprostitution wurde im Zuge von Razzien strafrechtlich aktiv verfolgt.69 Mit Haft bis zu sechs Wochen und anschließender Arbeitshausunterbringung wurde jene Person bestraft, die „öffentlich in auffälliger Weise, die geeignet ist, einzelne oder die Allgemeinheit zu belästigen, zur Unzucht auffordert oder sich dazu anbietet“70.
In Hamburg etwa wurden zwischen März und Dezember 1933 mehr als 1.500 Frauen vorrübergehend in Schutzhaft genommen. Die Regeln bei der Hamburger Polizei waren klar: Aufgegriffene prostitutionsverdächtige Frauen galt es bei der ersten Festnahme zu verwarnen, bei der zweiten wurden sie mit acht Tagen Haft und bei der dritten Festnahme innerhalb eines halben Jahres mit 90 Tagen Arrest bestraft.71 Auch das Berliner Sexgewerbe verschwand in den Sommermonaten 1933 beinahe vollständig.72 Prostitution wurde als etwas Ekelhaftes und Gefährliches angesehen, somit das Bordell mit einem Infektionsherd für chronischen Tripper und Syphilis gleichgesetzt. Alle zwei Minuten wurde 1934 in Deutschland eine Person angeblich mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt. Der Tripper galt mit 175.000 Neuzugängen im Jahr als die am meisten verbreitete Infektionskrankheit; die Dunkelziffer lag jedoch noch deutlich höher.73
Es war daher die Aufgabe der Behörden, sämtliche in Privatbesitz stehenden Bordelle zu schließen.74 Der Reichsminister des Inneren, Wilhelm Frick75, erklärte durch einen Erlass vom 12. Juli 1934 die Wiedereinrichtung von Bordellen ausdrücklich als unzulässig.76 Daher existierten im Frühjahr 1934 in Berlin nur noch rund 20 Bordelle77, die folgendermaßen auszusehen hatten: Die Treppenhäuser mussten Tag und Nacht ausreichend beleuchtet sein und den Mädchen war es untersagt, sich im Eingangsbereich, am Flur, an den Fenstern oder in der Straße mit „anstößiger Kleidung“ zu zeigen. Die Vermieter mussten an der Haustüre eine Wohntafel mit Vor- und Nachnamen anbringen und es durfte kein „Salon“ eingerichtet werden. Jedes Zimmer musste mit einer fortlaufenden Nummer versehen sein. Zudem hatten die Vermieter für saubere Bettwäsche und Handtücher zu sorgen. Sofern keine Zentralheizung vorhanden war, musste in jedem Raum ein Ofen aufgestellt werden. Lag das Bordell im Erdgeschoss, so mussten Vorhänge angebracht werden, um Passanten vor dem Anblick des unsittlichen Treibens im Inneren des Hauses zu schützen. Der Ausschank von Getränken aller Art war grundsätzlich untersagt, es sei denn, die Mieter hätten diese ausschließlich in ihrem Zimmer kredenzt.78
Gesundheitsämter und Polizei arbeiteten bei der Bekämpfung der „gewerbsmäßigen Unzucht“ Hand in Hand. Zusätzlich zu den Prostituierten standen bei den Gesundheitsbehörden in ganz Deutschland in etwa 20.000 Personen mit „häufig wechselndem Geschlechtsverkehr“ – sogenannte „h.w.G.-Frauen“79 – unter Beobachtung. Innerhalb dieser Gruppe galt es, mittels Tests80 „moralisch Schwachsinnige“ zu diagnostizieren und diese anschließend zu entmündigen oder gar zu sterilisieren.81
Wer als Prostituierte und somit als „asozial“ klassifiziert wurde, war oft der willkürlichen Einstufung der Beamten überlassen. Darunter fielen auch Frauen, die kein gutbürgerliches Leben führten, bereits früher einmal geschlechtskrank gewesen waren, wechselnde Liebesbeziehungen unterhielten oder sich einfach der moralischen Engstirnigkeit des Regimes nicht anpassen wollten. Sie galten somit als „gemeinschaftsunfähig, erbkrank und minderwertig“82. Der Nachweis einer Geschlechtskrankheit wurde nun zur Nebensache. Bei der Entmündigung wegen „Geistesschwäche“ nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch wurde als handelnder Vormund ein städtischer Beamter eingesetzt, der dann über das jeweilige Schicksal seines „Schützlings“ bestimmte. Voraussetzung war, dass der „Zuentmündigende infolge von Geistesschwäche seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag“83. Und als geistesschwach wiederum galten Personen, „deren intellektuelle Fähigkeiten in erheblichem Maße beschränkt sind“84.
In einem Gutachten eines Sachverständigen für ein Entmündigungsurteil am Amtsgericht Hamburg heißt es:
(…), dass die Klägerin im Gefühls- und Willensleben immer wieder versagt hat. Der Sinn für sittliche Werte und die Fähigkeit zu einer vom sittlichen Verantwortungsbewußtsein bestimmten Lebensführung sind in einer Weise verkümmert, die eindeutig auf Geistesschwäche hinweist. (…) Kritiklos und unterdurchschnittlich intelligent hat sie bislang konstitutionellen Entartungstrieben stets ohne Rücksicht auf etwaige Folgen nachgegeben.85
Es handelte sich hier also prinzipiell um Frauen, die „infolge ihres sittlichen Verschuldens in stärkerem Maße der öffentlichen Fürsorge anheimgefallen sind, jede Arbeit beharrlich verweigern und der Unzucht nachgehen“86. Unter dem Deckmantel der „Fürsorgeleistung“ reichte allerdings schon eine nicht bezahlte Krankenhausrechnung aus, um „sich herumtreibende“ junge Frauen in ein sogenanntes Arbeitshaus87 einzusperren.88 Der Zwangsaufenthalt war für die Dauer von mindestens zwei Jahren vorgesehen und die Frauen mussten, um dem Staat nicht noch mehr auf der Tasche zu liegen, etwa in einem Pflege- oder Altenheim waschen, nähen, stopfen bzw. im Garten mitarbeiten.89
In Hamburg – wo neben Berlin die meisten Prostituierten lebten – ermutigte das für Prostituierte zuständige Pflegeamt im November 1934 die Fürsorger, einmal pro Woche einen Sterilisationsvorschlag zu liefern.90 Die Leiterin des dortigen Pflegeamtes, Käthe Peterson, übernahm selber zwischen 1936 und 1945 die Vormundschaft von insgesamt 1.450 aufgrund ihrer „Geistesschwäche“ entmündigten, „gemeinschaftsfremden und gefährdeten“ Frauen und errichtete eine spezielle Sammelvormundschaft, die eine Einweisung in eine Anstalt erleichtern sollte.91 Bereits Ende Juli 1936 standen 230 Frauen unter der Sammelvormundschaft von Käthe Peterson, von denen 80 Prozent in Anstalten untergebracht worden sind. Ihrer Wunschvorstellung und Argumentation zufolge, sollten monatlich bis zu zehn Frauen hinzukommen: „Sie sind willensschwach und stumpf, daß eine Gewöhnung an ein geordnetes Leben nicht möglich ist.“92
Aufgrund des enormen Arbeitskräftemangels wurde Prostitution zusätzlich zur sittlichen Verwahrlosung zunehmend auch als Arbeitsverweigerung angesehen. Mit dem „Grunderlaß Vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ vom 14. Dezember 1937 konnte in Vorbeugehaft genommen werden, „wer, ohne Berufs- oder Gewohnheitsverbrecher zu sein, durch sein asoziales Verhalten die Allgemeinheit gefährdet“93. Unter den Begriff Asoziale fielen ab April 1938 dann auch Dirnen und geschlechtskranke Personen, die sich den „Maßnahmen der Gesundheitsbehörden entziehen“94. Auf dieser Grundlage sollen bis 1945 mehrere tausend Frauen in Konzentrationslager gebracht worden sein.95
Abb. 4: Adolf Hitler und Heinrich Himmler während einer Parade zum Reichsparteitag in Nürnberg 1938.
Auch wenn sich die Repressionen gegenüber Prostituierten immer weiter zuspitzten, so war es den Nationalsozialisten vollkommen bewusst, dass die Prostitution als Dienstleistung nicht vollständig von der Bildfläche verschwinden konnte und sollte. Bei den Olympischen Spielen 1936 beispielsweise propagierte man sogar das Gewerbe käuflicher Liebe, um möglichst viele Besucher nach Berlin zu locken. Die NS-Behörden erteilten zu dieser Zeit 7.000 Prostituierten eine befristete Sondergenehmigung und zudem war es den Berlinerinnen erlaubt, ihren Rocksaum bis zu fünf Zentimeter nach oben anzuheben.96 Heinrich Himmler97 war sich ebenso bewusst, dass ein komplettes Verbot der Prostitution eher kontraproduktiv sei. Er äußerte sich 1937 dazu in einer Rede vor SS-Gruppenführern folgendermaßen: „Wir werden auf dem Gebiet [Anm.: der Prostitution] großzügig bis dorthinaus sein, denn man kann nicht einerseits verhindern wollen, daß die ganze Jugend zur Homosexualität abwandert und andererseits jeden Ausweg sperren. Das ist Wahnsinn.“98
Die Großzügigkeit beschränkte sich hier allerdings nur auf die Freier. Die militärischen Interessen bewirkten auch künftig keinerlei Zurückhaltung in der Verfolgung von Prostituierten. Ganz im Gegenteil: Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 verschärften sich die Arbeits- und Lebensbedingungen der käuflichen Liebesdienerinnen noch einmal erheblich. Sie wurden in Bordellen bzw. in eigens errichteten Wehrmachtsbordellen kaserniert, strengstens reglementiert, polizeilich erfasst und gesundheitsamtlich überwacht. In nie gekannter Härte wollte nun die Polizei das Dirnenwesen vollständig und umfassend kontrollieren. Prostitution auf den Straßen und an Plätzen wurde völlig untersagt99 und nur in besonderen Häusern erlaubt. Sollten solche Häuser nicht bereits zur Verfügung stehen, so hatte die Polizei diese bereitzustellen. Dabei mussten sie den „allgemeinen rassischen Grundsätzen“ nachkommen, wonach auch „nicht-deutschblütige Prostituierte“ zugelassen wurden – mit Ausnahme von jüdischen Frauen.100 Am 9. September 1939 forderte das Reichsinnenministerium die polizeiliche Erfassung aller Dirnen an101 und noch am selben Tag wurden entsprechende Regeln für Prostituierte wie auch Vermieter erlassen. So hieß es in einem vertraulichen Rundschreiben, dass Straßenmädchen nur in festgelegten Räumlichkeiten ihre Kunden anwerben, sich nachts nicht außerhalb ihrer Wohnung und tagsüber nicht an bestimmten öffentlichen Orten aufhalten durften. Der Kontakt zu Zuhältern war verboten, genauso wie der Gebrauch von sadomasochistischen Utensilien. Ein Wohnungswechsel musste gemeldet werden und die regelmäßige Kontrolle beim Arzt war Pflicht. Zudem mussten die Prostituierten beim Geschlechtsverkehr Schutzmittel verwenden102, obgleich diese bis zum Kriegsausbruch offiziell verboten waren.103 Die Verhütungsmittel dienten zum einen dazu, dass sich die „Asozialen“ nicht weiter fortpflanzten, und zum anderen hatte Heinrich Himmler Interesse daran, das männliche Sperma aufgrund rassentheoretischer Grundlagen erforschen zu lassen. Zu diesem Zwecke mussten die Dirnen der Stuttgarter Klosterstraße beispielsweise die gefüllten Präservative nach dem Verkehr in dafür vorgesehenen Behältern zur Abholung aufbewahren.104
Am 18. September 1939 wurde zudem die verstärkte Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten angeordnet.105 Propagandaminister Joseph Goebbels beklagte, dass 15 Prozent aller bei einer Razzia 1942 aufgegriffenen Frauen geschlechtskrank, teils syphilitisch gewesen seien.106 Die größte Gefahr sah man in der heimlichen, unkontrollierbaren Prostitution.107 Sogenannte „Fürsorgestreifen“108 sollten von nun an noch verschärfter nach „h.w.G.-Personen“ fahnden. Das nationalsozialistische Bordellsystem in Deutschland sollte lückenlos erfasst sein und so forderte der Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, Reinhard Heydrich109, in einem Rundschreiben an alle deutschen Kriminalpolizeistellen vom Mai 1941 eine konkrete Auflistung existierender Bordelle, Angaben zu ihren rassenpolitischen und militärischen Zweckbestimmungen sowie zu Anzahl und Nationalität der Prostituierten.110 Wer sich der Registrierung entzog oder am Straßenstrich gefasst wurde, dem drohte wegen „Asozialität“ Konzentrationslager mittels Vorbeugehaft.111 Wie viele Prostituierte genau in KZs eingeliefert wurden, ist nicht bekannt.112
Dass Bordelle unter dem Nationalsozialismus nicht völlig eliminiert wurden, hängt nicht zuletzt mit Heinrich Himmlers bereits vor Ausbruch des Krieges geäußerten und schon zitierten Befürchtung zusammen, dass besonders junge Männer der Homosexualität anheimfallen könnten, wenn ihnen jegliche Möglichkeit zu käuflichem Sex verwehrt würde. Und der Umgang mit Homosexualität gestaltete sich im Dritten Reich rigoros. Innerhalb der SS und der Polizei wurden homosexuelle Beziehungen ab November 1941 sogar mit der Todesstrafe geahndet.113 In Himmlers Erlass vom 15. November 1941 zur „Reinhaltung von SS und Polizei“ heißt es dazu:
Um die SS und Polizei von gleichgeschlechtlich veranlagten Schwächlingen reinzuhalten, hat der Führer bestimmt, daß ein Angehöriger der SS oder Polizei, der mit einem anderen Manne Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt, ohne Rücksicht auf sein Lebensalter mit dem Tode bestraft wird. In minder schweren Fällen kann auf Zuchthaus oder auf Gefängnis nicht unter sechs Jahren erkannt werden.114
Als eine Art „präventive Maßnahme“, die derartigen homosexuellen „Entartungen“ Vorschub leisten sollte, wurden während des Zweiten Weltkrieges KZ- und Wehrmachtsbordelle eingerichtet.