Читать книгу Stillstand - Urschitz Josef - Страница 10
GEFANGEN IM REFORMSTAU
ОглавлениеHauptursache für die massive Austrosklerose sind aufgeschobene Reformen. Ihre Notwendigkeit wird von niemandem bestritten. Aber sie werden nicht umgesetzt.
Man kennt das von Hochwasserkatastrophen: An einer Engstelle verklaust sich Treibgut, der Fluss beginnt, sich aufzustauen. Wenn die Verklausung nicht schnell aufgelöst wird, bildet sich ein Stausee. Je höher dieser ansteigt, umso größer wird die Gefahr für die darunterliegenden Gebiete im Fall des Durchbruchs. Und brechen wird der Damm, wenn der Druck zu groß wird, jedenfalls. Der Verklausung des österreichischen Reformflusses ist bereits Mitte der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts passiert. Nach dem Ende der Regierungszeit des Sozialdemokraten Bruno Kreisky (der eine umfassende Öffnung der österreichischen Gesellschaft geschafft hatte, in Wirtschaftsdingen aber eher etatistisch agierte) stellten österreichische Regierungen von Reform- und Zukunfts- auf Verwaltungsmodus um. Es war schließlich bequemer, erkennbare politische und wirtschaftliche Baustellen mit Schuldenmachen zuzudecken, als die vermeintlich wohlerworbenen Rechte der eigenen Klientel anzutasten.
Natürlich war der Damm nicht gänzlich dicht: Immer wieder gab es kleinere Reförmchen und Anpassungen. Manchmal sogar recht erfolgreich, denn um die Jahrtausendwende galt Österreich wirtschaftlich in Europa als Vorzeigeland. Und in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends hatte man den Eindruck, dass sich der konservative Bundeskanzler Wolfgang Schüssel sogar ernsthaft daranmachte, den Reform-Stausee kontrolliert abzulassen. Schüssels Pech war wohl, dass seine Koalitionskumpels von der FPÖ beziehungsweise vom BZÖ mehr den Futtertrog und die eigene Befindlichkeit im Auge hatten als Reformen. Mit einem Regierungspartner, dessen Umfeld heute, mehr als zehn Jahre später, noch immer die Korruptionsstaatsanwaltschaft und die Gerichte beschäftigt und dessen Minister hauptsächlich durch intelligenzbefreite Maßnahmen à la „Busspurenbenützung für Regierungsmitglieder“ oder „Blaulicht für Minister-Dienstfahrzeuge“ in Erinnerung geblieben sind, war eben kein Staat zu machen. Schon gar kein Reform-Staat.
Nur: Seit dem Ende der Ära Schüssel geht gar nichts mehr. Es sind zwar schon mehrere rot-schwarze „Reformpartnerschaften“ ausgerufen worden, von Bundeskanzler Christian Kern sogar ein „New Deal“ und ein „Plan A“, auf einschlägige Aktivitäten warten wir aber noch immer. Den Hauptgrund dafür haben wir im vorigen Kapitel schon abgehandelt: Austrosklerose, institutionelle Verhärtung, hervorgerufen durch eine unglückliche Staatskonstruktion und einen völlig aus den Fugen geratenen Föderalismus. Kurzum: Länder und Sozialpartner halten sich eine Bundesregierung. Die kann vieles tun, aber sicher nicht gegen die Kerninteressen ihrer „Herren“ verstoßen. Bei neun Bundesländern und vier großen Sozialpartnern kommen da eben viele „Herren“ zusammen.