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Es geht um viele Milliarden
ОглавлениеDabei geht es um viel Geld. Je nach Reformkonzept wird die theoretisch mögliche Gesamteinsparung auf insgesamt zehn bis 25 Milliarden Euro geschätzt. Letzteres entspricht ungefähr den Einnahmen aus der Mehrwertsteuer oder der Lohnsteuer, also der beiden größten Steuerpositionen im Land. Nur zum Vergleich: 15 Milliarden müsste man einsparen, um die abenteuerlich hohe Steuer- und Abgabenquote auf deutsches Niveau zu senken. Das ist durchaus nicht utopisch. Immerhin erzielten die Deutschen mit einer Steuer- und Abgabenquote von 40 Prozent in den vergangenen Jahren permanent Budgetüberschüsse, während die Österreicher mit einer um fast 5 Prozent höheren Quote nicht das Auskommen fanden und die Budgetlöcher mit immer höheren Schulden stopfen mussten. Vielleicht liegt der Unterschied darin, dass die Deutschen mit der „Agenda 2010“ und „Hartz IV“ einen Teil der Ausgabenreformen, die Österreich schon so lange unerledigt vor sich herschiebt, bereits vor 15 Jahren durchgezogen haben. Es ist nun einmal so, dass man strukturelle Ausgabenprobleme nicht durch Schulden und höhere Einnahmen, sondern nur durch Eindämmung der Ausgaben lösen kann. Etwas plastischer: Es hilft herzlich wenig, in ein mit Löchern übersätes Fass immer mehr Wasser hineinzuschütten. Wenn man die Löcher nicht stopft, wird es immer wieder herausrinnen.
Kritiker der vorliegenden Reformvorschläge meinen, die genannten Einsparungssummen seien Maximalwerte und völlig unrealistisch. Zumindest auf kurze Sicht kann man dem zustimmen, denn viele der strukturellen Reformen würden erst mittel- oder langfristig spürbare monetäre Auswirkungen zeigen. Das ist aber noch kein Antireformargument. Denn erstens gibt es auch Bereiche – etwa das aus den Fugen geratene Förderwesen –, in denen kurzfristig sehr viel Geld freizuspielen wäre. Zweitens: Selbst wenn man in einer ersten Stufe nur 10 Prozent des Potenzials realisieren würde, wären das bis zu 2,5 Milliarden Euro. Eine Summe, mit der man schon sehr viel Zukunftsträchtiges anfangen kann. Von der wirtschaftsbelebenden Wirkung, die ein Zurückstutzen der Bürokratie auf ein vernünftiges Maß hätte, reden wir da noch gar nicht.
Man muss nur einmal anfangen. Das Problem ist natürlich, dass vor der Sanierung der zahlreichen Reformbaustellen eine sinnvolle Baustelleneinrichtung stehen muss: nämlich eine grundlegende Föderalismusreform und eine Neupositionierung der Sozialpartner. Der mit Abstand schwierigste Part kommt also zuerst. Denn dass Länder und Sozialpartner plötzlich im Sinne des gesamtstaatlichen Interesses agieren und zu diesem Zweck auch den einen oder anderen Nachteil für ihre eigene Kernklientel in Kauf nehmen würden, ist eher nicht sehr realistisch.
Nehmen wir trotzdem an, dass Sozialpartner, Länder und Regierung aus Staatsräson ausnahmsweise an einem Strang ziehen, dann sind folgende Baustellen abzuwickeln:
Der Staatshaushalt ist zu sanieren. Österreich gibt, wie schon erwähnt, seit mehr als 40 Jahren permanent mehr aus, als es einnimmt. Und das, obwohl die Steuerquote von Rekord zu Rekord eilt und die Steuerbelastung im internationalen Vergleich sehr hoch ist. Es ist ein Hase-Igel-Problem: Wo immer die Einnahmen hinkommen, die Ausgaben sind schon dort.
Die Verwaltung ist zu straffen. Österreich hat die Verwaltungsstruktur eines Großreichs in die Republik herübergerettet und beim EU-Beitritt noch eine Verwaltungsebene oben draufgepappt bekommen, ohne unten eine wegzuschneiden. Das ist teuer und wirtschaftshemmend. Bürokratie hat die Tendenz, neue Bürokratie zu erzeugen. Das Ergebnis ist eine wirtschaftslähmende Gesetzesflut.
Das Steuersystem ist umfassend zu reformieren. Es ist belastend und wenig zukunftssicher, weil es sehr stark auf der Besteuerung menschlicher Arbeit beruht, die im Zuge der kommenden Digitalisierung schrumpfen wird. Kommt es nicht zu neuen Schwerpunktsetzungen, wackelt das gesamte Sozialsystem.
Dieses Sozialsystem ist sehr gut ausgebaut, im internationalen Vergleich aber sehr teuer. Und es ist voll mit Fehlanreizen, wenn es etwa über Sozialleistungen Sogwirkung auf Armutseinwanderung ausübt oder zu wenige Anreize für den Umstieg auf Arbeitseinkommen bietet. In zwei Bereichen – Pensionen und Gesundheit – steuert es ohne umfassende Reformen definitiv auf die Unfinanzierbarkeit zu.
Das Förderwesen ist völlig entgleist. Österreich schüttet, bezogen auf die Wirtschaftsleistung, fast doppelt so viel Geld in den Förderbereich wie der Rest Europas, ohne zu evaluieren, was diese Förderungen überhaupt bewirken und ob es sich um sinnvoll eingesetztes Geld handelt. Hier sind bei klugen Reformen kurzfristig große Summen zu heben.
Die Bildung ist ein spezielles Kapitel: Österreich gibt im internationalen Vergleich außerordentlich viel Geld für den Bildungssektor aus und erreicht damit außerordentlich durchschnittliche Ergebnisse: blamables Mittelmaß beim PISA-Test, die Universitäten in internationalen Rankings nicht unter den ersten hundert. Hier sind umfassende Reformen gefragt, die über die bisher am heftigsten diskutierte Frage, wer die Parteibücher der Lehrer kontrollieren darf, weit hinausgeht.
Es gibt also viel zu tun. In den folgenden Kapiteln werden wir uns diese Baustellen einmal näher ansehen.