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Die Macht liegt bei Lobbygruppen

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Man kann ruhig sagen, dass das ganze politische System nicht mehr zeitgemäß ist und nicht mehr zu einer Demokratie im 21. Jahrhundert passt. Das fängt bei der Wahl zum Nationalrat an: Wir haben ein Listenwahlrecht. Der Wähler wählt also nicht Abgeordnete, sondern Parteien. Wer an wählbarer Stelle steht, wird von einem kleinen Kreis innerhalb der Parteien entschieden. Die meisten der Abgeordneten werden von den Landesparteien auf die Listen gesetzt, wobei bei den Regierungsparteien die jeweiligen Sozialpartner AK, ÖGB, Wirtschaftskammer und Landwirtschaftskammer und bei der ÖVP zusätzlich die drei großen Bünde Bauernbund, Wirtschaftsbund und ÖAAB Einfluss nehmen. Ein Abgeordneter ist also primär diesen Organisationen gegenüber verantwortlich und muss darauf achten, die Interessen seiner „Entsender“ zu vertreten, wenn er sich bei der nächsten Wahl wieder an wählbarer Stelle finden will. Zusätzlich ist er der sogenannten „Fraktionsdisziplin“ unterworfen, darf also sein freies Mandat, das er vom Wähler angeblich erhalten hat, gar nicht ausüben. Der Wähler selbst hat so gut wie keine Möglichkeit, diese Listen zu beeinflussen. Die wenigen Ausnahmen, in denen Vorzugsstimmenkampagnen zu signifikanten Umreihungen geführt haben, bestätigen eher diese Regel.

Die Auswahl der Regierungsmitglieder läuft nach demselben Schema. Allein dieses Auswahlverfahren garantiert, dass Regierungsmitglieder bei Reformen, die Kerninteressen der Länder oder der Sozialpartner treffen könnten, völlig chancenlos sind. Das Problem bei einer derartigen Konstruktion: Die eigentliche Macht liegt nicht bei einer Bundesregierung, welche gesamtstaatliche Interessen zu vertreten hat, sondern bei Teilorganisationen, die die Interessen ihrer Klientel im Blick haben und diese jedenfalls vor das gesamtstaatliche Interesse stellen. Das kann man ihnen nicht vorwerfen. Die Sozialpartner etwa sind ja dazu da, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Zumal diese überwiegend (mit Ausnahme der Gewerkschaft) Zwangsmitglieder sind und gar keine Wahl haben. Und dass ein Landeshauptmann primär die Interessen seines Landes vertritt, kann man ihm auch nicht wirklich übel nehmen.

In einem gesunden politischen System würde eine Regierung diese Partikularinteressen selbstverständlich berücksichtigen und bewerten. Dann aber in ein Gesamtkonzept einbringen, in dem das gesamtstaatliche Wohl im Vordergrund steht. Auch wenn das die Interessen einzelner dieser Lobbygruppen tangiert. In so einem System wären umfassende Reformen, die auch in die Strukturen eingreifen, kein großes Problem. In einem sklerotischen politischen System wie dem österreichischen funktioniert das jedoch nicht. Ein solches System führt, wie wir das anhand der Theorie der institutionellen Sklerose von Mancur Olson schon festgemacht haben, zwingend zu gegenseitigen Blockaden.

Das Ergebnis ist Reformstau. Wie groß der Stau schon geworden ist und wie schnell der Pegel steigt, zeigt die Geschichte der Reformempfehlungen des Rechnungshofs. Dessen damaliger Präsident Josef Moser hatte erstmals 2009 ein rund 400 Vorschläge umfassendes Vorschlagspaket für eine dringend notwendige Verwaltungsreform geschnürt. Die überarbeitete Neuauflage 2011 enthielt dann die berühmt gewordenen 599 konkreten Vorschläge für die Umsetzung dieser Verwaltungsreform. Als Moser fünf Jahre später in Pension ging, war die Zahl der Vorschläge auf mehr als 1000 angewachsen. Umgesetzt war von den ursprünglichen Vorschlägen wenig. Politiker sehen das freilich anders: Nationalratspräsidentin Doris Bures hatte vor einiger Zeit einmal öffentlich erklärt, sie verstehe die Aufregung um die Rechnungshofvorschläge grundsätzlich nicht. Schließlich setze die Regierung 80 Prozent der Empfehlungen dieses parlamentarischen Kontrollorgans um. Das stimmt. Allerdings betrifft die Umsetzung überwiegend Kleinigkeiten aus Randbereichen. Die wirklichen Reformvorschläge, die, die in die Tiefe der Strukturen gehen, greift niemand an. Und wenn ein Regierungsmitglied einmal vorwitzig wird, wie beispielsweise der Finanzminister beim jüngsten Finanzausgleich, holt es sich bei der Betonfraktion mit einiger Sicherheit einen blutigen Kopf.

Dabei wäre gerade dort das große Geld beziehungsweise der große Kick für die Wirtschaft zu holen. Man müsste nicht einmal die Welt neu erfinden. Detaillierte Vorschläge für eine Modernisierung des Staates liegen zuhauf in den diversen Regierungsschreibtischladen herum. Man müsste sie nur herausziehen und umsetzen. Schließlich war der Rechnungshofpräsident ja nicht der Einzige, der sich Gedanken über die notwendige große Staats- und Verwaltungsreform gemacht und vor dem Weg in die Pension noch 1007 Vorschläge dafür hinterlassen hat. Es gibt auch ein umfassendes Reformkonzept des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO. Es gibt detaillierte Reformvorschläge von anderen Wirtschaftsforschungsinstitutionen. Es hat noch unter Schüssel einen Staatskonvent gegeben, von dem so gut wie alle Reformvorschläge unverwirklicht geblieben sind. Und es haben ein paar von den jeweiligen Regierungen eingesetzte Reformkommissionen sowie Kommissionen zur Evaluierung der Arbeit dieser Reformkommissionen gewerkt. Nur: Geschehen ist halt leider so gut wie nichts. Es war im Prinzip nicht mehr als teure Beschäftigungstherapie für Wirtschaftsforscher und regierungsnahe Experten.

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