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IM JURASSIC PARK DER POLITSAURIER

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Wir leben zunehmend auf Pump und von der Vergangenheit – und sind dabei, unsere Zukunft zu verspielen.

Nach der Vorspeise und ein bisschen Smalltalk kam der Handelsattaché direkt zur Sache: Er sei nun ein Jahr im schönen Österreich, sagte er. In dieser Zeit habe er die Wirtschaft des Landes eingehend studiert und analysiert, die Hintergründe durchleuchtet, die Strukturen und Institutionen hinterfragt. Es gebe für ihn keinen Zweifel: Dieses Land sei, das zeigten alle verfügbaren Daten, eines der wohlhabendsten und insgesamt ökonomisch erfolgreichsten der Erde. Er wisse aber, wenn er sich die Wirtschaftspolitik genau anschaue, beim besten Willen nicht warum. „Können Sie mir weiterhelfen?“, fragte er. „Wissen Sie, wie dieses Wohlstandsniveau mit diesen Strukturen zusammenpasst?“

Gute Frage. Tatsächlich sind die Daten recht eindeutig. Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, Durchschnittseinkommen, Exportquote, Inflation, Arbeitslosenrate – was immer man international vergleicht: Österreich fällt nirgends wirklich negativ auf. Wir sind zwar auch nirgends wirklich Weltspitze, aber für einen Platz im vorderen Drittel reicht es allemal. Das alles, obwohl auf der anderen Seite ein aufgeblasener Staatsapparat mit ungeheurer Bürokratie die Wirtschaft behindert, eine der höchsten Steuerquoten der westlichen Welt Betrieben und Arbeitnehmern den finanziellen Spielraum nimmt, eine von der Politik durchaus geschürte wirtschaftsfeindliche Grundstimmung erfolgreiches Wirtschaften dämonisiert.

Das ist tatsächlich eine Diskrepanz, die nicht nur Nichtösterreichern schwer erklärbar ist. Vielleicht hilft es, wenn man ein bisschen zurückblickt. Da werden die guten Daten schnell relativiert. Sie sind zwar nach wie vor gut, aber nicht mehr so gut wie noch vor einem Jahr und noch weniger gut als vor einem Jahrzehnt. Die Alarmsignale, die von Zeit zu Zeit aufblitzen, geben ein eindeutiges Bild: Es geht bergab. In internationalen Standortrankings beispielsweise werden wir in vergleichsweise atemberaubendem Tempo nach unten durchgereicht. In allen wichtigen Rankings liegt Österreich zurzeit irgendwo rund um Rang 20. Das ist entschieden zu wenig für ein Land, das sehr hohe Lohnkosten aufweist und diese gegen immer besser werdende internationale Konkurrenz verteidigen muss. Wenn das Wohlstandsniveau gehalten werden soll, dann gehört Österreich in solchen Ranglisten unter die Top Ten. Dorthin, wo sich vergleichbare europäische Industriestaaten wie Schweden, Dänemark, Holland oder die Schweiz finden.

Dieser schleichende Verfall der Wettbewerbsfähigkeit wirkt sich natürlich auch in den Wirtschaftsdaten aus. Seit einiger Zeit hinkt das Wirtschaftswachstum der europäischen Konkurrenz hinterher. Ein ungewohntes Gefühl für ein Land, das noch zu Beginn dieses Jahrhunderts ein wenig mitleidig auf die Performance der Deutschen hinuntergeblickt hat. Dafür liegt die Inflation über dem europäischen Schnitt. Und die Zeit, in der Experten aus anderen europäischen Ländern versuchten, hinter das Geheimnis des österreichischen Arbeitslosenwunders zu kommen, sind auch vorbei: Jetzt sind wir in dieser Disziplin immer noch gut, aber eben nicht mehr spitze. Und vor allem: die Tendenz! Während rundum in Europa die Arbeitslosigkeit sinkt, steigt sie zwischen Bodensee und Neusiedler See.

Was ist mit diesem Land los? Was ist schuld daran, dass wir beeindruckende Wachstumsraten nicht mehr beim BIP, sondern nur noch bei den Arbeitslosen und den Mindestsicherungsbeziehern haben, deren Zahl 2016 um beeindruckende 16 Prozent gestiegen ist?

Antworten sind schnell zur Hand. Ein rekordverschuldeter Staat versucht, sein Ausgabenproblem mit Rekordsteuereinnahmen zu kaschieren und betreibt eine auf Verhinderung und Behinderung aufgebaute Bürokratie. Das bremst Investitionen, führt zu allgemeinem Frust und sorgt für eine schleichende Entindustrialisierung im Land. Zeiten wie etwa die Siebziger- und Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts, in denen ein offenbar attraktives Umfeld Großkonzerne zu prestigeträchtigen Großinvestitionen im Lande animierte – etwa General Motors in Wien-Aspern, BMW in Steyr oder Infineon in Villach –, sind lange vorbei. Heute läuft das Investitionskapital den umgekehrten Weg: Selbst hier ansässige Großkonzerne, wie etwa voestalpine oder Lenzing, tätigen im Land nur noch Ersatzinvestitionen.

Erweitert wird im Ausland. Die Gründe, die dafür genannt werden, sind immer die gleichen: Steuern, ausufernde Bürokratie, industriefeindliche Stimmung. Letzteres hat ein heimischer Industriekapitän einmal volkstümlich so auf den Punkt gebracht: Wenn er eine Großinvestition in den USA ankündigt, dann organisiert der Bürgermeister eine Festveranstaltung mit Blumenmädchen, der Gouverneur hält eine Rede und eine Dixieband spielt auf. Wenn er dasselbe in Österreich macht, bilden sich zuerst einmal drei Bürgerinitiativen, und die bürokratischen Mühlen beginnen, das Projekt zu zermahlen. Das Ergebnis dieses Unterschieds sieht man dann in der Arbeitslosenstatistik.

Offenbar benötigt man hierzulande das alles nicht. Denn es geht uns ja noch gut. Nicht mehr ganz so gut wie noch vor ein paar Jahren, aber es lässt sich noch leben. Was dabei gerne übersehen wird: Wir leben zunehmend auf Pump und von der Vergangenheit – und sind dabei, unsere Zukunft zu verspielen. Das ist keine österreichische Spezialität: Der US-Journalist und Autor Thomas L. Friedman („The World is Flat“) hat Europa schon vor zehn Jahren als „Museum“ bezeichnet, das seinen ganzen politischen Ehrgeiz daran setze, die Vergangenheit zu bewahren – und auf diese Weise dramatisch von den Dynamikzentren der Weltwirtschaft in Amerika und Asien abgehängt werde. Eine Art Jurassic Park voller Polit-Dinosaurier.

Ein Indiz dafür: Die 20 wichtigsten Unternehmen Europas sind im Prinzip noch immer dieselben wie vor 30 Jahren. Von den damaligen Top 20 der US-Unternehmen findet sich dagegen kein einziges mehr unter den besten 20 im aktuellen Ranking. Friedman meint, das liege nicht zuletzt daran, dass Europa zu viel politischen Ehrgeiz daran setze, die alten Strukturen zu erhalten. Wenn das so ist, dann leben die österreichischen Polit-Dinos im Zentrum dieses Jurassic Park. Wo sonst ist beispielsweise ein Toppolitiker denkbar, der im Brustton der Überzeugung öffentlich als besonderen Vorzug seiner Politik nennt, dass es gelungen sei, mit Milliardensubventionen „den Strukturwandel aufzuhalten“. Wer so viel Rückwärtsgewandtheit nicht für möglich hält, muss sich nur die Presseaussendungen des österreichischen Bauernbund-Präsidenten aus dem Jahr 2016 anschauen. Dass so etwas einfach so, ganz ohne öffentlichen Aufschrei oder zumindest höhnischem Gelächter über die Bühne gehen kann, sagt viel über den Stellenwert des Wandels und der Innovation im Lande aus. Oder, wie es die Tageszeitung „Die Presse“ einmal formulierte: „Dies ist ein Land für Neugebauers, nicht für Zuckerbergs.“ Für alle, die ihn nicht mehr kennen: Herr Neugebauer hatte sich zu seiner aktiven Zeit als oberster Beamtengewerkschafter den Ruf als begnadetster „Betonierer“ des Landes erworben.

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