Читать книгу Eiskalte Vergeltung - Ursula Dorn - Страница 6
ОглавлениеKapitel 3
Marvin 02.09.
Marvin saß im Wintergarten seiner Villa und genoss den sonnigen Tag. Er hatte die Panoramafenster weit geöffnet und eine frische Brise vom nahe gelegenen Meer kräuselte die Oberfläche des Pools, in dem er eben seine täglichen zwanzig Minuten geschwommen war.
Vor ihm stand ein Becher mit dampfendem, tiefschwarzem Kaffee, den er sorgfältig aus frisch gemahlenen Bohnen in seiner Bodum- Stempelkanne zubereitet hatte. Diese Kanne hatte er sich extra aus Europa mitgebracht. Seiner Ansicht nach gab es keine bessere Methode, einen edlen Kaffee so zuzubereiten, dass er am Ende dieser Prozedur sein volles Aroma behalten hatte.
Ein Teller mit frischem Obst aus geschnittener Ananas, halbierten Feigen und geschälter Mango, der gestern Abend noch von einem Delikatessengeschäft gut gekühlt geliefert wurde, vervollständigte sein Frühstück. Später würde er ins Gaslamp Quarter fahren und sich ein paar von diesen fürchterlich ungesunden, aber umwerfend schmeckenden Schokoladen-Donuts mit einem riesigen Kaffee Latte gönnen.
Als er mit Kaffee und Obst fertig war, lehnte er sich in die weichen Polster seines überdimensionalen Korbsessels entspannt zurück. Er schloss die Augen und überdachte ein weiteres Mal seine Pläne für die nächsten Tage. Leise Bedenken meldeten sich wie schon so oft. War es nötig, sie total zu vernichten? Würde es nicht ausreichen, sie hilflos seiner brutalen Gewalt auszusetzen und dann laufen zu lassen? Sie wären gezeichnet fürs Leben, könnte er damit nicht zufrieden sein?
Ärgerlich auf sich selbst über diese erneut aufgetauchten Bedenken, sprang er auf. Er wischte sich mit beiden Händen über die Stirn und schüttelte sie mit gespreizten Fingern aus, als wollte er diese Gedanken buchstäblich in alle Winde zerstreuen. Nein, es würde keine Gnade geben. Ihm hatte damals auch niemand Gnade gewährt.
Es wurde Zeit, sich auf seine erste Aktion vorzubereiten.
Er begab sich ins Schlafzimmer und betrat den begehbaren Kleiderschrank. Sein Abbild erschien in einem mannshohen Spiegel. Er betrachtete sich kritisch. Alles in allem war er mit seinem Anblick recht zufrieden. Er brachte es zwar nur auf eins achtzig, aber jedes Gramm an seinem Körper waren durchtrainierte Muskeln. Die mehr als zehn Jahre Aikido haben sich ausgezahlt. Für einen Mittdreißiger hatte er sich sehr gut gehalten. Sein schmales Gesicht mit den strahlenden grünen Augen und seine dichten rotblonden Locken, für die Frauen morden würden, hatten schon so manche Lady schwach werden lassen. An Angeboten mangelte es ihm nicht und doch war er immer noch solo. Mit einem bitteren Lächeln wandte er sich vom Spiegel ab, denn das, was ihn erwartete, wenn er sein Handtuch von den Hüften nahm, wollte er heute nicht sehen.
Er schlüpfte in legere Kleidung, eine lose geschnittene helle Baumwollhose und ein seidig schimmerndes hellblaues Hemd von Armani, dazu bequeme Nikes. So sah er aus wie viele Touristen, die die Sehenswürdigkeiten von San Diego besuchten.
Es war noch eine Aufgabe zu erledigen, bevor er das Haus verlassen konnte.
Er betrat das Arbeitszimmer, hob ein Bild von der Wand und öffnete den Tresor, der sich dahinter befand. Er nahm eine Notebooktasche heraus, die mit einem Nummernschloss gesichert war, dessen Kombination er lediglich seinem Gedächtnis anvertraut hatte. In der Tasche steckte ein Surface Book von Microsoft, allerdings von Marvin gehörig aufgepimpt. Er nahm es heraus, klappte den Deckel hoch und schaltete es ein. Sein selbst entwickeltes Sicherheitsprogramm prüfte sein Gesicht und gewährte ihm Zugang zu seinen Daten.
Dieses Notebook nutzte er ausschließlich für John Carmel.
Auch den anderen vier Zielen seiner Rache hatte er ein eigenes Gerät eingerichtet. Er hatte sich in die Netzwerke seiner Opfer eingehackt und beobachtete sie seit etwa zwei Jahren unbemerkt.
Johns offizielles Leben war wenig ergiebig, sein heimliches allerdings pikant. John war inkognito als „Sklave Masototal“ in der Schwulenszene im Internet und auch in der Praxis in den Bars von San Diego unterwegs. Marvin beantragte unter dem Pseudonym „Master of Love“ die Aufnahme in das Forum, in dem John angemeldet war, und gab sich gleich selbst eine Empfehlung in dessen Namen. Nun war es ein Kinderspiel, John glauben zu machen, dass er einen Seelenverwandten gefunden hätte, schließlich kannte er dessen heimliche Wünsche nur allzu gut. Ihre Beziehung hatte sich zügig entwickelt und in den nächsten Tagen wollten sie sich erstmalig hier in San Diego persönlich treffen. John war schon ganz aufgeregt und fragte immer wieder, wann es endlich so weit sei.
Marvin musste ihn noch ein bisschen hinhalten, denn bevor er sich mit John beschäftigen konnte, war Thomas Foulder fällig. Der gab übermorgen zum Ende seines Wahlkampfs einen Galaabend mit fünfhundert geladenen Gästen aus Politik und Wirtschaft. Eine perfekte Gelegenheit, um den größtmöglichen Schaden anzurichten.
Marvin sah auf die Uhr. Es war gleich zehn und John hatte seine erste Pause. Es war Zeit, sich einzuloggen und mit seinem Opfer Süßholz zu raspeln. Schnell gab er die entsprechenden Tastaturbefehle ein und meldete sich im Chatroom an. Erwartungsgemäß stand John bereits in den Startlöchern und stülpte ihm einen ellenlangen Text über.
„Wo warst du denn so lange ich warte schon auf dich ich hatte schon angst dass du gar nicht mehr kommst du weißt doch wie sehr ich dich liebe und auf dich warte und ich hoffe doch dass wir uns bald sehen werden es war wieder so ein furchtbarer tag heute …“. An dieser Stelle hörte Marvin auf zu lesen. Er verabscheute Texte, die ohne Satzzeichen geschrieben wurden, und dachte gar nicht daran, sich die Mühe zu machen, diesen Kauderwelsch auseinanderzunehmen. Es interessierte ihn ohnehin nicht, was dieser Typ von sich gab.
Nach einem Moment des Wartens schrieb er ihm eine liebevolle Epistel zurück: Wie sehr er ihn liebt und sich so wahnsinnig darauf freut, ihn endlich persönlich kennenzulernen, und ähnliches Geschwätz, das Verliebte wohl schreiben würden. Dann rückte er mit seiner Botschaft heraus, dass sie ihr Treffen um etwa eine Woche verschieben müssten, da ihm dringende Geschäfte in den nächsten Tagen keine einzige Minute für private Unternehmungen ließen.
Es gab ein wenig Hin und Her. John war enttäuscht und bettelte ein paar Mal. Als sich Marvin nicht überreden ließ, gab er auf und wollte nur noch ein wenig Sex. Marvin ließ ihn gewähren, gab sich schwer erregt und schrieb etliche Plattheiten, wie „Ach“ und „Oh, ich bin so geil“, „Gleich komme ich!“ „Oh, du bist sooo gut, ich kann nicht mehr!“ Bis es endlich überstanden war.
Er gab John keine Chance mehr, weiteren Text abzusondern und tippte: „Es klingelt bei mir an der Tür. Tut mir leid, ich muss aufhören. Danke für die wundervollen Minuten, das war so geil. Du machst mich total fertig. Morgen wieder zur gleichen Zeit?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, schloss er den Chat. Erleichtert klappte er das Notebook zu.
Er verstaute alles wieder sorgfältig im Tresor und verließ das Arbeitszimmer. Er schlenderte für einige Minuten auf die Terrasse, um ein wenig frische Luft zu tanken und den klebrigen Text aus seinem Gehirn auszumerzen. Er schüttelte sich und kehrte in das Haus zurück. Für den Rest des Tages nahm er sich frei.
Er fuhr seinen Chrysler 300 in einem schlichten Dunkelgrau aus der Garage. Den Wagen hatte er über seinen schwedischen Anwalt schon vor mehr als zehn Monaten auf den Namen Alec McKinner kaufen lassen. Selbstverständlich hatte er auch einen so gut wie echten Führerschein auf diesen Namen. Nebenbei gesagt, kannte ihn auch sein Anwalt nur unter diesem Pseudonym. Wenn es wirklich mal hart auf hart käme, dann würde niemand auf Anhieb wissen, nach wem sie wirklich suchen müssen. Die gewonnene Zeit sollte reichen, um für immer von der Bildfläche zu verschwinden. Das war jedenfalls der Plan.
Doch nun hatte er erst einmal Hunger. Er fuhr in das Gaslamp Quarter. Bei seinen früheren Besuchen hatte er sich gern dort aufgehalten. Ihm gefiel das quirlige Leben, die vielen Bars und Geschäfte. Die gesamte Atmosphäre in diesem Viertel hatte es ihm angetan.
Auch jetzt, zu dieser frühen Stunde, es war nicht einmal zwölf Uhr mittags, waren die Straßen voller Leute. Einheimische und Touristen aus aller Welt nutzten das herrliche Wetter und genossen das Ambiente. Vor vielen Cafés standen Tische und Stühle unter riesigen Sonnenschirmen. Er fand einen freien Tisch und nahm Platz. Der Kellner erschien und er bestellte zwei Schokoladen-Donuts und einen großen Kaffee Latte. Er lehnte sich in seinem Korbsessel zurück und sah sich um. Sein Blick wanderte scheinbar ziellos über die vielen Plakate, die mit schreienden Farben und den unsinnigsten Versprechungen versuchten, Kundschaft anzuziehen.
Ihn interessierte nur ein einziges Motiv: das, auf dem die Kandidaten für die Bürgermeisterwahl mit ihrem falschen Lächeln um Stimmen warben. In wenigen Wochen wurde gewählt. Es war in den vergangenen Monaten ein hartes Rennen, die Kandidaten hatten sich nichts geschenkt. Zwei hatten den Wettlauf bisher für sich entschieden und jetzt lief die letzte Schlacht um den Sieg auf Hochtouren.
Einer davon war Thomas Foulder, dessen Konterfei man momentan nicht ausweichen konnte.
Das war der Mann, der in Kürze im freien Fall in den Abgrund rauschen wird.
Ein eisiges Lächeln umspielte Marvins Züge und er dachte: „Wir sehen uns! Genieße noch deine Zeit im Rampenlicht. Bald ist es vorbei.“
Genussvoll verspeiste er seine Donuts und trank den überraschend aromatischen Kaffee Latte langsam aus. Nachdem er gezahlt hatte, schlenderte er zum Parkplatz, setzte sich in sein Auto und fuhr auf direktem Wege zu seiner Villa.
Dort angekommen, begann er mit den Vorbereitungen für den nächsten Tag. Er holte eine zweite Notebooktasche aus dem Tresor, genauso gesichert wie die von Carmel, stellte sie auf den Tisch und öffnete sie.
In einer Lasche steckte ein USB-Stick. Er nahm ihn heraus. Äußerlich ein Allerweltsteil: harmlos, keinen zweiten Blick wert. In sich trug er jedoch den Todesstoß für den Bürgermeisterkandidaten Thomas Foulder.
Um seine brisanten Daten zu schützen, hatte Marvin ihn mit einem kaum zu knackenden Passwort versehen: „Wenn ich mit Thomas fertig bin, nimmt kein Hund mehr von ihm ein Stück Brot“. Er codierte die Anfangsbuchstaben über eine genormte Telefontastatur.
Er schloss den Stick an das Notebook an und überprüfte akribisch, ob auch alle Dateien ihre Aufgaben erfüllten. Er war zufrieden mit dem Ergebnis. Mit einem bösen Lächeln packte er alles ein und verstaute das spezielle Thomas-Foulder-Notebook wieder im Tresor.
Morgen brauchte er den Stick noch nicht. Nein, morgen musste er nur seine Rolle überzeugend spielen, dann hatte er übermorgen den guten Thomas an den Eiern.
Wie ein Fallbeil werden diese Dateien auf Thomas Foulder niedersausen.