Читать книгу DAS GRANDHOTEL - Ursula Hass - Страница 9
Kapitel 6
ОглавлениеVor ihr saßen viele Menschen. Es kam ihr vor, dass sie in einem Gerichtssaal war. Aber sie sah keine Richter und keine Staatsanwälte und keine Verteidiger in ihren schwarzen Roben. Am großen Tisch saßen nur Wichtel mit ihren Wichtelmützen, die hatten aber zum Teil andere Farben, manche waren blau, manche rot.
So rot wie die Häscher der französischen Revolution, überlegte sie. Ja, sie erkannte, dass eine gewisse Revolution im Gange war, nur wusste sie nicht welche, die badische Revolution von 1848, die Oktoberrevolution von 1918 oder gar die Französische Revolution von 1789. Gegen wen und was rebellierten die Leute oder sie? Diese Frage konnte sie nicht beantworten.
Die Leute fuchtelten in diesem Gerichtssaal mit ihren Händen wie wild herum. Nur sie saß ganz still auf ihrem Platz und war die Ruhe in Person. Vor ihr tauchte ein großer hässlicher Kopf auf, der ihr schien, als wäre er eine Teufelsfratze, die sie anblickte und zu ihr sagte: „Sie solle das Haus verlassen!“ Das Gesicht einer Frau tauchte ebenfalls auf. Und auch sie war sehr aufgeregt. Doch dieser Mann mit der Teufelsfratze ging auf diese Frau mit den blonden Haaren zu und hielt sie zurück.
Plötzlich kamen zwei Polizisten herein, es waren Männer in Uniform, das sah sie ganz deutlich und sie war froh, dass diese Männer nun gekommen waren. Aber der Mann mit der Teufelsfratze und die Frau mit den blonden Haaren gingen gleich nach draußen mit den beiden Männern und redeten wie wild auf diese beiden Polizisten ein. Sie hörte nur, dass über ölgeschädigte Wohnungen gesprochen wurde. Aber alles schon bei einem Anwalt in den besten Händen liegt.
Noch immer saß sie ganz ruhig auf ihrem Stuhl. Eine Frau saß ihr gegenüber an einem Computer und nahm überhaupt keinen Anteil oder keine Notiz von der ganzen Geschichte. Ob sie überhaupt diese ganze Situation wahrgenommen hatte? Sie, die vielleicht Schuld hatte, zumindest zum Teil an dieser Geschichte. Vielleicht hatte sie in einer Laune heraus gedacht, da könnte ja noch etwas Öl in den Tank gepresst werden. Doch weshalb hat man nicht nachgerechnet? Weshalb wurde überhaupt Öl bestellt? Es war doch genügend Öl in den Tanks. Diese unselige Ölbestellung, die nur ausgeführt wurde, damit eine gewisse Mengenanzahl zustande kam, hatte ihrem Paradies mehr als geschadet, es hatte ihr Paradies ausgelöscht, wie Wasser oder Feuer, das auf Häuser und Menschen niederprasseln kann. Die Situation in diesem Gerichtssaal war irgendwie abstrus und grotesk fand sie, die immer noch auf ihrem Stuhl brav ausharrte.
Dann kam einer der Polizisten und führte sie nach draußen auf einen Parkplatz, auf dem viele Bäume standen. Dort stand auch ihr Auto. Sie war immer noch ganz ruhig. Ein Mann auf einem Balkon gegenüber beobachtete die Szene. Der eine schwarzhaarige Polizist war nett, der andere hatte nur schlechte Laune. Nicht mal richtig schreiben konnte der. Der hatte etwas anderes vor und diese ganze Geschichte war ja auch wirklich suspekt. Weshalb wurde dieser Mann überhaupt versteckt und weshalb sagte seine Frau, dass er noch dort arbeiten würde? Weshalb das alles? Da konnte man ja direkt verrückt werden, weil überhaupt alles so unwirklich und unwahr ablief.
Immer wieder sagte sie ihr Sprüchlein, wie auswendig gelernt, auf. Doch der Polizist konnte damit nichts anfangen. Irgendwie konnte sie ihn ja auch verstehen. Aber gesehen hatte der nette schwarzhaarige Polizist alles und auch registriert, denn dann wollte er ja die Akten sehen. Diese Akten, die sich in ihrem Arbeitszimmer anhäuften, wie der Turmbau zu Babel.
Der Name des Gesuchten fiel ihr sofort wieder ein, aber er verschwand dann auch wieder aus ihrem Gedächtnis. Dann kamen die Männer mit einer weißen Uniform und einer hatte eine Spritze in der Hand, das sah sie ganz genau.
Sie wollte sich wehren, aber sie konnte es nicht. Ihre Hände waren plötzlich nicht mehr da und aus ihrem Mund quoll Wasser, Blut und Schleim. Aus ihren Augen rollten die Tränen, die unaufhörlich über ihr Gesicht und in ihren offenen Mund tropften. Zwei Zähne fehlten, als sie mit ihrer Zunge ihren Mund inspizierte. Das spürte sie noch, dann war Nacht um sie herum, grauenvolle dunkle Nacht.