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Ich hatte Stevie nie zuvor weinen sehen.

Im Schein der Lampe, die über der Haustür brannte, war sein Gesicht rot und verschwollen. Die Tränen liefen ihm nur so über die Wangen. Er versuchte nicht sie zu verbergen, fuhr sich nur mit dem Handrücken über die Nase und murmelte: »Danke, dass ihr gekommen seid!«

Erst jetzt wurde mir richtig klar, wie schlimm es um den alten Pepper stehen musste. Wir gingen über den Hof, begleitet von Stevies drei Hunden. Sie schienen zu spüren, dass Unheil in der Luft lag, denn sie begrüßten uns nicht wie sonst mit lautem Gekläff und freudigen Sprüngen. Sie ließen die Köpfe hängen und drängten sich dicht an Stevies Beine.

Im Stall verbreitete eine einzige Lampe ihr trübes Licht. Bei unserem Eintritt wieherte Cinnamon leise und angstvoll. Sie hatte ihre rotbraune Nase über die Trennwand zur Nachbarbox gestreckt, wo der graue Wallach in der Streu lag, die steifen alten Beine von sich gestreckt. Stevie hatte Kissen unter seinen Kopf und seine Schulter gelegt, wohl, um ihm das Atmen etwas zu erleichtern.

Es war schlimm, Peppers schwere, rasselnde Atemzüge zu hören. Sie klangen, als wäre eine Art Dampflokomotive in seiner Brust. Er hatte die Augen halb geschlossen. Seine Flanken hoben und senkten sich wie ein Blasebalg.

Tränen stiegen mir in die Augen. Mit erstickter Stimme flüsterte ich: »Hat er Schmerzen?«

Stevie antwortete nicht. Mama sagte: »Ich glaube nicht. Er muss nur furchtbar kämpfen, um Luft zu bekommen.«

Sie öffnete ihre Tasche, während Stevie in der Streu niederkniete. »Wenn’s dir recht ist, gebe ich ihm gleich ein paar Beruhigungstropfen«, sagte sie leise. »Vielleicht kann er ein bisschen schlafen. Das wäre ein Segen für ihn.«

»Pepper soll nicht leiden.« Stevie weinte jetzt so, dass er fast nicht sprechen konnte. »Wenn Dr. Muir kommt … Er muss entscheiden, ob … ob es nicht besser ist, ihn zu erlösen.«

Ich setzte mich auf den dreibeinigen Hocker in eine dunkle Ecke. Am liebsten wäre ich weggelaufen, doch das wäre feig gewesen. Wenn Stevie und Mama es aushielten, wollte ich mich nicht davonschleichen, auch wenn ich das Geräusch von Peppers gequälten Atemzügen kaum ertragen konnte.

Als mein Blick auf Cinnamons Kopf fiel, die Art, wie sie über die Trennwand hinweg auf ihren sterbenden Gefährten niedersah, krampfte sich meine Kehle zusammen, so sehr musste ich mich beherrschen, um nicht laut zu schluchzen.

Mama aber war stark. Ich hörte, wie sie Pepper beruhigende Worte zuflüsterte, mit ihrer sanftesten, weichsten Stimme. Dann bat sie Stevie um etwas Wasser, damit sie die Tropfen darin verdünnen konnte. Sie zog eine Einwegspritze aus ihrer Tasche und entfernte die Spitze.

Schon oft hatte ich zugesehen, wie sie einem unserer Ponys mithilfe der Spritze Medizin einflößte. Sie machte das immer rasch und sehr geschickt. Trotzdem senkte ich den Blick. Am liebsten hätte ich mir auch die Ohren zugehalten.

»Einen Teil hat er wenigstens geschluckt«, sagte sie nach einer Weile. »Das wird ihm guttun. Ich massiere ihm noch ein paar Stellen am Hals und an der Brust. Das hilft, den Schleim etwas zu lösen.«

Das wehe, krampfartige Gefühl in meiner Kehle verschwand. Wieder einmal dachte ich, was für ein unverschämtes Glück wir doch mit unserer Mutter hatten und dass ich keine andere gewollt hätte als sie, nicht einmal eine Herzogin mit einem Schloss oder eine berühmte Schauspielerin mit einem Geldberg wie Dagobert Duck.

Die Hunde kratzten an der Stalltür und winselten. Stevie erhob sich aus der Streu.

»Ich bring sie ins Haus.«

»Ich komme mit.«

Er sagte nicht Ja und nicht Nein, also hoffte ich, dass es ihn nicht stören würde, wenn ich ihn begleitete.

Es war eine dunkle Nacht. Kein Stern funkelte am Himmel. Der Mond war hinter Wolken verschwunden. Der Wind zerrte an unseren Haaren. Erleichtert rannten Arabella, Puccini und Grizzly voraus und warteten vor der Haustür auf uns.

»Kannst du ihnen Futter geben?«, fragte Stevie. »Sie haben abends noch nichts gekriegt.«

In der Küche war es kalt. Das Feuer im Herd war erloschen. Die Hunde wuselten um mich herum. Ich fiel fast über Grizzly, während ich zusammensuchte, was gerade da war, gekochten Reis aus dem Kühlschrank, Dosenfutter, das Stevie für Notfälle bereithielt, Karotten und Haferflocken.

Ich raspelte die Karotten, vermischte alles mit warmem Wasser und füllte die drei Näpfe. Während die Hunde gierig schmatzten und kauten und ihre Schüsseln über den Küchenboden schoben, kam Mimi, die blinde alte Katze, und bettelte um Futter. Daisy, das Eichhörnchen, flitzte unterm Sofa hervor und kletterte an meinem Hosenbein hoch.

Ich gab ihm eine Haselnuss und sah mich nach Stevie um. Bestimmt hatte er auch seit Stunden nichts gegessen. Er war bleich und sah total erschöpft aus.

»Setz dich aufs Sofa, ich mach dir Tee und ein Honigbrot«, sagte ich, aber er schüttelte nur den Kopf und erwiderte: »Danke, ich bring nichts runter.«

»Trink wenigstens eine Tasse Tee mit ordentlich Zucker drin!«

Er lehnte sich gegen die Fensterbank und ließ den Kopf hängen. Das Ticken der Uhr, das sonst immer so gemütlich klang, hatte plötzlich einen schweren, unheilvollen Klang.

Ich verrührte braunen Zucker im Tee, goss Milch hinein und reichte Stevie den Becher. Er nahm ihn und stellte ihn hinter sich auf die Fensterbank.

»Es ist so schwer auszuhalten, Kathi«, sagte er.

»Ich weiß.« Ich umarmte ihn und schmiegte meine Wange an seine. So etwas hatte ich bisher noch nie getan. Ich hatte es mir oft gewünscht, aber einfach nicht den Mut dazu gefunden, nicht bei Stevie. Jetzt war es plötzlich ganz selbstverständlich, und er ließ es zu, hob sogar die Hand und legte sie auf meinen Rücken.

So standen wir lange, ohne ein Wort zu sagen. Dass ich es endlich wagte, diesen lang ersehnten Schritt zu tun, hatte ich Pepper zu verdanken. Vielleicht war es sein Abschiedsgeschenk an uns.

Denn er starb noch in dieser Nacht, wenige Minuten ehe Dr. Muir in der Stalltür auftauchte. Sicher war es Mamas Beruhigungstropfen und ihrer sanften Streichelmassage zu verdanken, dass er die letzten Stunden seines Lebens ruhiger atmen konnte und einigermaßen friedlich in eine andere Welt hinüberdämmerte. Um zehn Minuten vor elf tat er den letzten mühsamen Atemzug.

Dann war es still im alten Stall von Little Eden.

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