Читать книгу Pferdeglück auf Ravensmoor - Ursula Isbel-Dotzler - Страница 7

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Kim und ich überlegten hin und her, wie wir es anstellen sollten, noch in dieser Woche nach Little Eden zu reiten, doch wir hatten jeden Nachmittag bis drei Uhr Unterricht, am Donnerstag sogar bis vier. Und der Weg nach Little Eden war weit. Mit den Pferden waren wir selbst auf den Schleichwegen, die nur Kim kannte, mehr als eine Stunde unterwegs. Wir wären also auf dem Rückweg unweigerlich in die Dunkelheit gekommen, und das war auf den steilen, schlüpfrigen Klippenpfaden eindeutig zu gefährlich für uns und die Pferde.

So mussten wir den Besuch auf Samstag verschieben. Ich rief Stevie an und fragte, wie es Cinnamon ging.

»Sie frisst kaum etwas«, sagte er. »Sie steht nur auf der Weide und lässt den Kopf hängen.«

»Kein Wunder. Sie trauert um Pepper. Stevie, ich muss dir einen Traum erzählen, aber nicht am Telefon. Wir wollten am Samstag vorbeikommen, Kim und ich. Ist das in Ordnung?«

»Sicher«, erwiderte er. »Vielleicht könnt ihr Cinnamon ein bisschen aufmuntern.«

Zögernd sagte ich: »Kim meint, es wäre gut, wenn sie wieder mit einem anderen Pferd zusammen sein könnte.«

Stevie schwieg eine Weile. Ich dachte schon, er hätte aufgelegt, da murmelte er: »So einfach ist das nicht. Erstens lässt sich Pepper nicht ohne Weiteres durch ein anderes Pferd ersetzen.«

»Das hab ich ihr auch gesagt.«

»Und zweitens … Aber darüber reden wir ein andermal.« Seine Stimme klang müde. Da war noch etwas anderes neben der Trauer um Pepper, was ihn bedrückte, ich spürte es deutlich. Doch ich begriff auch, dass er noch nicht bereit war, darüber zu sprechen.

In der Nacht von Freitag auf Samstag regnete es. Ich lag im Bett, hörte den Regen gegen die Dachfenster trommeln und dachte: Mist und Hühnerkacke! Jetzt müssen wir die Pferde im Stall lassen …

Doch am Morgen war alles anders. Der Himmel wölbte sich klar und »unschuldsvoll blau«, wie Paps das nannte, der Wind roch nicht wie sonst nach Tang und Fisch und Teer, sondern nach Frühling. Smilla hatte muntere Augen und knabberte an meinem Jackenärmel, während ich sie aufzäumte.

Sie blähte sich nicht auf, wie Kringle das immer tat, sondern wartete geduldig, während ich den Sattelgurt anzog, fuhr mir nur mit ihrem samtweichen Maul kurz übers Gesicht und prustete mich freundschaftlich an.

»Gutes Mädchen!«, sagte ich und wischte mir das Gesicht mit dem Ärmel ab. »Jetzt treffen wir Flora und Kim und reiten mit den beiden zu Stevie. Cinnamon freut sich hoffentlich, wenn sie ein paar Stunden Pferdegesellschaft hat.«

Ich sah eine Fahne von Ravensmoors Eckturm flattern, als ich auf dem Hügel haltmachte und auf Kim wartete.

Dort oben lebte Kim, das »Burgfräulein«, wie Niko sie spöttisch getauft hatte. Das klang romantisch und großartig. Noch vor zwei Jahren wäre ich heftig beeindruckt gewesen, wenn mir jemand erzählt hätte, er komme aus einem uralten Adelsgeschlecht und sei in einer Burg geboren und aufgewachsen.

Kim aber war nicht glücklich mit ihrer Familie und ihrem Zuhause. Sie sagte oft, dass sie viel lieber in einem Reihenhaus oder auf einem Bauernhof gelebt hätte als in einem baufälligen, verlotterten Gemäuer wie Ravensmoor.

»Ihr habt eine neue Fahne gehisst«, sagte ich, als sie mit ihrer rostroten Stute zwischen den Bäumen auftauchte.

Wie immer war Kim ohne Reithelm unterwegs und hatte ihre schwarzen Jeans in die Schäfte ihrer Gummireitstiefel gesteckt. Dazu trug sie eine grüne Lederjacke, die irgendwie klasse an ihr aussah, obwohl sie abgeschabt und fleckig war und viel zu breit in den Schultern.

Wieder einmal erinnerte mich Kim an einen Kobold – ihr langer, dünner Hals, die Art, Grimassen zu schneiden, ihr gesträubtes rotblondes Haar, das sie selbst mit der Schere zu einer Art Punk-Frisur schnitt.

Sie nickte und erwiderte düster: »Das war mein Vater. Gestern Abend ist er auf den Turm gestiegen und hat die Fahne gehisst, was ich echt albern finde. Duncan ist wieder zu Hause, deshalb. Meinetwegen hätte er das bestimmt nie gemacht.«

Sie verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln. Es sah aus, als hätte sie Zahnschmerzen.

»Dann haben sie ihn endlich wieder ganz zusammengeflickt?«

Duncan Ravensmoor, Kims Bruder, hatte im vergangenen Herbst zusammen mit einem Freund einen schweren Motorradunfall gehabt. Er war monatelang im Krankenhaus gelegen und hatte neben Knochenbrüchen, einer zertrümmerten Kniescheibe und einem Riss in der Lunge auch schlimme Gesichtsverletzungen davongetragen.

»Wahrscheinlich wird er Mama so lange löchern, bis sie ihm noch ein paar Schönheitsoperationen bezahlt. Die OPs haben mehr gekostet als ein Mittelklassewagen, sagt mein Vater. Nicht dass man’s Duncan ansehen würde. Er könnte immer noch locker als Frankensteins Urenkel im Fernsehen auftreten.«

»Für einen, der so eitel ist wie er, muss das echt bitter sein«, sagte ich.

»Geschieht ihm nur recht.«

Ich konnte Kims Abneigung gegen ihren Bruder verstehen. Er war der hochnäsigste und aufgeblasenste Typ, den ich kannte. Und im vergangenen Jahr war er so brutal mit Flora umgegangen, dass Kim mit ihrer Stute vor Verzweiflung nach Little Eden geflüchtet war und sich dort versteckt hatte.

»Maman redet ihm gut zu und sagt, wenn die Schwellungen und Narben und Verfärbungen im Gesicht zurückgegangen sind, wird er wieder richtig gut aussehen. Aber er hat schwer daran zu schlucken, dass er nicht mehr der schöne, edle Duncan Ravensmoor ist, vor dem die Mädchen reihenweise in den Staub fallen und seine stinkenden Füße küssen.«

Ich musste lachen. »Vielleicht kommt er jetzt endlich von seinem hohen Ross herunter. Könnte doch sein, dass er was dazugelernt hat. Immerhin kann er nur sich selbst und seinem Freund die Schuld am Unfall geben.«

»Der und was dazulernen?« Kim schniefte. »Da kannst du ebenso drauf hoffen, dass ihm Engelsflügel wachsen!«

Meine Mutter sagte immer, dass sich jeder Mensch ändern kann. Aber Kim hatte wohl in ihrer Kindheit zu viele üble Erfahrungen mit ihrem Bruder gemacht, der zu allem Überfluss auch noch der verwöhnte Liebling ihrer Mutter war. Wenn ich daran dachte, wie brutal er mit Flora umgegangen war, fiel es mir schwer, ihm eine wunderbare Verwandlung zuzutrauen.

»Und sein Freund?«, fragte ich abschließend, denn ich merkte, dass Kims Stimmung durch das Gespräch immer ungnädiger wurde.

»Der liegt nach wie vor im Koma. Keiner weiß, ob er je wieder zu Bewusstsein kommt. Jedenfalls ist klar, dass Duncan nie mehr mit Flora reiten wird. Sie gehört mir jetzt ganz allein, das hat Grandpa versprochen und daran gibt’s nichts zu rütteln!«

Sie nahm Floras Zügel wieder auf und ritt voraus. Verwitterte Steinbrocken, Mulden voller Geröll und Sand und schlüpfrige Felsplatten, die treppenförmig bergauf und bergab führten, bildeten den Klippenpfad hoch über der Küste. Er war von windzerzausten Sträuchern und Stechginsterbüschen gesäumt. Dazwischen hatten wir immer wieder atemberaubende Ausblicke aufs Meer, auf die Spanische Bucht und die Felsenklippen, an denen sich die Wellen brachen und in Gischtfontänen hoch aufspritzten.

Es gab Tore und Türme und wunderliche Gestalten, die Wind und Wasser im Laufe von Jahrhunderten geformt hatten, und weit draußen kleine Felsrücken, Spitzen oder Kuppen. Sie wirkten harmlos, konnten jedoch für jedes Schiff zur Bedrohung werden, wenn der Meeresspiegel bei starkem Wellengang und Sturm anstieg und die Riffe unter dem Wasser verschwanden.

Doch heute zeigte sich die cornische See von ihrer freundlichsten Seite. Das Wasser war azurblau und smaragdgrün mit Schaumkronen, die wie Sahnehäubchen unter dem hellblauen Frühlingshimmel glitzerten. Segelboote kreuzten vor der Küste und hinterließen ihre weißen Gischtfährten in den Wellen.

In den Weißdornhecken flöteten Drosseln und Amseln. Ihr Gesang mischte sich mit dem klingenden Hufschlag unserer Pferde auf den Steinen und dem Schmatzen und Gurgeln der Wellen.

Der Wind spielte in Floras und Smillas Mähnen und Schweifen und wirbelte mir meine widerspenstigen Locken ums Gesicht. Als ich Kim einholte, merkte ich, dass sich ihre Miene verändert hatte. Sie sah jetzt entspannt aus, richtig glücklich.

»Schön!«, sagte sie mit einer weit ausholenden Handbewegung, als gehörte das alles ihr – das Meer, die Küste, der Himmel. Und so war es wohl auch. Kim war ja hier geboren und aufgewachsen, war ein Teil von alldem.

Ich nickte und dachte: Wenn’s nur immer so wäre! Keine eisigen Winde, keine Stürme, keine plötzlichen Regenschauer … Doch wenn das Leben ein einziger Frühlingstag gewesen wäre, hätten wir es dann noch schön gefunden? Vielleicht war das alles um uns herum nur deshalb so wunderbar, weil wir auch stürmische Zeiten erlebt hatten?

Bei all diesen philosophischen Überlegungen passte ich nicht richtig auf. Smilla glitt beinahe auf einer der Felsstufen aus. Wir waren zu schnell, und ich hätte sie nach links lenken müssen, wo die Steinplatten ebener waren.

In letzter Sekunde gelang es Smilla, wieder ins Gleichgewicht zu kommen.

»He, schau, wohin du reitest!«, hörte ich Kim mit strenger Stimme sagen. »Du verlässt dich zu sehr auf die Trittsicherheit deines Ponys. Wenn du nicht auf ihrem Rücken sitzen würdest, hätte sie keine Probleme mit dem steilen, holprigen Weg. Aber sie trägt dich und kann sich nicht mit solcher Leichtigkeit bewegen, wie das ein Wildpferd tun würde.«

»Ich weiß«, erwiderte ich beschämt. »Ich bin eine ziemlich lausige Reiterin.«

»Nein, du reitest ganz okay. Aber du lässt den Ponys manchmal zu viel Entscheidungsfreiheit. Wenn du im Sattel sitzt, musst du deinem Pferd zeigen, wo’s langgeht. Natürlich nie mit harter Hand, aber sie brauchen klare Ansagen.«

Gelegentlich erteilte mir Kim solche Lektionen im Reiten, doch von ihr konnte ich sie annehmen. Sie versuchte nie, mich zu bevormunden oder die große Lehrmeisterin zu spielen.

Kim war schon als Kind von ihrer Großmutter in den Sattel gesetzt worden, noch ehe sie richtig laufen konnte. Das merkte man. Sie war die beste Reiterin, die ich kannte, besser noch als Mama. Und was das Wichtigste war: Sie liebte Pferde und kannte ihre Wesensart und ihre Bedürfnisse genau. Kim hätte nie versucht Flora ihren Willen aufzuzwingen.

Stevie Trelawnys Reich lag in einer Mulde wie eine kleine Welt für sich, eine Welt, in der eigene Gesetze galten. Ich wünschte, es hätte mehr Orte wie Little Eden auf unserer Erde gegeben.

Doch der Frieden, der über den alten Dächern, den Weiden und Baumgruppen und dem besonnten Hofplatz lag, war trügerisch. Auch vor Little Edens Tor machte der Tod nicht halt und ebenso wenig die Welt mit ihren Problemen und ihrem Überlebenskampf. Das begriff ich eine halbe Stunde später, als wir mit Stevie auf dem Koppelgatter saßen, die Hunde zu unseren Füßen.

Pferdeglück auf Ravensmoor

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