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Die Pferde mussten mit Strohwischen abgerieben und getränkt werden, ehe wir ins Haus gehen konnten. Wir stellten Flora zu Smilla und Kringle auf die Weide.

Mama war damit beschäftigt, die Terrasse zu schrubben. Vogelkot und Schalen von Sonnenblumenkernen bedeckten das Pflaster, denn wir hatten den ganzen Winter lang die Vögel gefüttert.

»Mama«, sagte ich, »wir müssten was mit dir besprechen. Hast du dann Zeit für uns?«

Sie seufzte. »Ist es wichtig? Eigentlich sollte ich das hier zu Ende bringen, wenn ich mich schon mal dazu aufgerafft habe. Seit Wochen höre ich mir Grannys spitze Bemerkungen darüber an, wie ungepflegt unsere Terrasse aussieht.«

»Später helfe ich dir«, versprach ich.

»Es geht um Stevie«, sagte Kim gleichzeitig.

Stevie war ein Zauberwort, das bei Mama immer seine Wirkung tat. Sie hatte eine besondere Schwäche für ihn, seit er nach dem ersten Sturm, den wir in Cornwall erlebt hatten, Kringle nach Ravensnest zurückgebracht hatte.

Sie ließ den Schrubber fallen und folgte uns durch die Terrassentür ins Wohnzimmer. Erst als der Teppich schon voller Sand und Grasbüschel war, merkten wir, dass wir unsere Reitstiefel nicht ausgezogen hatten.

Ich ließ mich in einen Sessel fallen. Während Kim an meinem linken Stiefel zog und mir dabei ihr knochiges Hinterteil zuwandte, sagte ich: »Wir müssen an die RSPCA schreiben, Mama. Und du musst uns dabei helfen, den Brief richtig zu formulieren, damit sie uns auch ernst nehmen.«

»Stevie braucht Geld«, fügte Kim hinzu. »Für seine Tiere. Sieht aus, als wäre er praktisch pleite. Und Kathi braucht neue Reitstiefel. Die hier sind verdammt eng. Irgendwann wirst du die Stiefel aufschneiden müssen, nur um wieder rauszukommen!«

Über meinem Kopf schwirrte es. Zorro, unsere Blaumeise, die wir im Winter nach einer Sturmnacht im Garten gefunden hatten, landete auf meiner Schulter. Einer ihrer Flügel war gebrochen und etwas schief wieder zusammengewachsen. Inzwischen konnte Zorro wieder ein bisschen herumflattern, aber nicht mehr richtig fliegen.

Ich legte den Kopf zur Seite, und er kuschelte sich unter mein Kinn und zupfte an meinen Haaren.

»Hab ich’s mir doch gedacht!« Mama war dabei, ihre Strickjacke auszuziehen, und hielt mitten in der Bewegung inne. »Dass der arme Junge sich neben all der Schufterei auch noch mit Geldsorgen abplagen muss …«

»Wenigstens hat er eine Arbeit, die ihm Spaß macht und bei der ihm keiner dreinredet«, stellte Kim fest und befreite mich von meinem zweiten Stiefel. »Die Kohle kommt nicht von selbst angeflogen. Jammern nützt da überhaupt nichts.«

Mama machte den Mund auf und schloss ihn wieder. Ich tappte auf Strümpfen in die Küche, um Teewasser aufzusetzen, damit keiner sah, dass ich lachte. Zorro schlüpfte in den Ausschnitt meines Poloshirts und schmiegte sich in die Mulde über meinem Schlüsselbein wie in ein Nest.

Als ich mit dem Teetablett wieder ins Wohnzimmer kam, war Niko da. Er versprach, die Adresse der RSPCA im Internet herauszusuchen.

»Wir müssen herzergreifende Fotos machen«, sagte er. »Von Dreibeinchen und Stevie mit Dagobert und Donald auf den Schultern, um ihn herum die Hunde, und von Cinnamon, wie sie den Kopf hängen lässt. Das macht sich gut.«

»Prima Idee!« Ich lächelte ihm zu, froh, dass er mitmachen wollte. »Übernimmst du das? Du bist doch unser Starfotograf.«

»Aber nicht erst irgendwann in ferner Zukunft«, warf Kim streng ein. »Gleich morgen, solange das schöne Wetter anhält. Am besten schicken wir die Fotos gleich zusammen mit dem Brief los.«

Niko murmelte etwas Unverständliches. Er mochte es nicht, wenn man ihn zu etwas drängte. Doch immerhin holte er seinen Laptop und setzte sich zu uns an den Tisch, während Mama Papier und Stifte für jeden brachte. Dann machten wir »Brainstorming«, wie Kim sagte. Jedem von uns fiel etwas ein, was in dem Brief stehen sollte. Ich fand, dass die Geschichte von Cinnamon und Pepper dazugehörte.

»Wir müssten wenigstens kurz erzählen, wie die beiden krank, erschöpft und abgemagert aus dem Wanderzirkus nach Little Eden gebracht wurden«, sagte ich.

»Ja, und Dreibeinchens Schicksal«, fügte Niko hinzu. »Da schmilzt das Herz jedes Tierfreaks. Ich hab im Herbst ein paar wirklich gute Fotos von ihm gemacht. Überhaupt könnten wir Little Eden doch mal ins Internet setzen. Dann bekäme Stevie sicher haufenweise Spenden von Privatleuten, und …«

Ich unterbrach ihn. »Nie im Leben! Du hast sie wohl nicht alle! Lass das bloß bleiben! Dann bringen die Leute noch mehr kranke Tiere.«

Und Kim tippte sich an die Stirn. »Du kennst doch Stevie, Mann. Er würde dir die Hucke vollhauen und nie wieder ein Sterbenswort mit dir reden!«

Auch Mama schüttelte den Kopf. Niko murmelte, es sei ja nur eine Idee gewesen und wir sollten uns nicht gleich vor Schreck in die Hosen machen.

Dann kritzelten wir alle Einfälle aufs Papier und bastelten einen Brief daraus. Er wurde ziemlich lang.

Dreimal dachte ich: Schade, dass Niels nicht da ist. Er beherrscht so etwas besser als wir alle. Er könnte einen Brief schreiben, der den Tierschützern in London derart unter die Haut ginge, dass sie uns nur so mit Geld überschütten würden …

Aber unsere »Anfrage«, wie Mama es nannte, wurde auch nicht übel. Niko ging in sein Zimmer, um alles auszudrucken. Morgen wollten wir den Brief noch einmal durchlesen und verbessern und ihn Stevie zeigen. Dann konnte Niko hoffentlich auch noch ein paar Fotos mit seiner Digitalkamera beisteuern.

Später kam Paps und bereitete das Abendessen vor. Mama fütterte die Pferde. Kim und ich schrubbten den Rest der Terrasse sauber, während die Abenddämmerung hereinbrach.

Unter den Büschen und Bäumen in Grannys Garten schaukelte ein Meer von Narzissen und Bluebells im Wind. Eine silbrige Mondscheibe hing über dem Eckturm von Ravensmoor und tauchte das alte Gemäuer in geheimnisvolles Licht.

»Könntet ihr Ravensmoor nicht mal für ein paar Wochen an irgendwelche Filmfuzzis vermieten?«, fragte ich, ganz begeistert von meiner eigenen Idee. »Bei euch könnte man doch einen coolen Gruselfilm drehen, so ähnlich wie ›Tanz der Vampire‹ zum Beispiel. Die würden sicher gut zahlen und ihr hättet endlich Geld für Reparaturen.«

Kim schnitt eine Grimasse. »Erzähl das mal meinem Vater, der kriegt die Krise! So was ist unter seiner Würde, dafür gibt sich ein Ravensmoor nicht her.«

Aber den Stammsitz der Familie verfallen zu lassen, das ist nicht unter seiner Würde, dachte ich, sprach es aber nicht aus.

Kim sagte: »Wenn mir das alles da oben gehören würde, könnten sie meinetwegen Micky-Maus-Filme auf Ravensmoor drehen. Ich hätte nichts dagegen, solange die Kohle stimmen würde. Aber immerhin haben mein Vater und Grandpa schon überlegt, ob sie Ravensmoor nicht dem National Trust übergeben sollen.«

»Dem National Trust? Was ist das?«, fragte ich und schüttete einen Eimer Wasser über die Terrassenfliesen.

»Ein Verein, der sich um die Erhaltung von besonders schönen oder geschichtlich wichtigen Gebäuden und Gärten in England kümmert«, erklärte Kim. »Es gibt viele Besitzer von Schlössern und Herrenhäusern, die alles dem National Trust überlassen, weil sie die Kosten für die Erhaltung nicht mehr aufbringen können. Meistens dürfen sie dann in ihren Stammsitzen wohnen bleiben, müssen aber einen Teil der Häuser oder Gärten für die Öffentlichkeit zugänglich machen.«

»He, das klingt nicht schlecht!«, sagte ich, obwohl ich mir nicht vorstellen mochte, dass täglich ganze Busladungen voller Besucher nach Ravensmoor hochgekarrt wurden und dort über das alte Gemäuer herfielen.

»Der Mist ist bloß, dass der National Trust von den Besitzern Geld haben will. Kein Wunder, denn meistens muss der Verein erst mal ein Vermögen für Reparaturen aufbringen. Sie verlangen sogar einen ordentlichen Batzen. Dafür kümmern sie sich dann bis in Ewigkeit um alles, was gemacht werden muss. Aber …«

Kim redete nicht weiter. Das brauchte sie auch nicht. Ich wusste sowieso, dass die Ravensmoors nichts als Schulden hatten.

»Ich hab meinen Vater zu Maman sagen hören, dass Duncans Operationen uns an den Rand des Ruins gebracht haben«, vertraute mir Kim an. »Er hat eines unserer letzten Grundstücke in St. Austell verkaufen müssen. Ich weiß, dass es deswegen Streit mit Grandpa gegeben hat. Aber Duncan setzt ja immer seinen Willen durch.«

»Nicht immer«, sagte ich. »Bei Flora hast du deinen Willen durchgesetzt. Da hat er den Kürzeren gezogen.«

Sie warf mir einen überraschten Blick zu. »Hm, da hast du recht. So hab ich das noch gar nicht gesehen.«

»Du bist stark, Kim. Du merkst es bloß selbst nicht.«

Mein Vater streckte den Kopf durch die Terrassentür. »Das Essen steht auf dem Tisch, Kids!«, rief er. »Ich hab auch für dich ein Gedeck aufgelegt, Kim. Sagt ihr Mama Bescheid?«

Auf dem Weg zur Weide gingen wir schweigend nebeneinander her. Kim grübelte offenbar noch über unser Gespräch nach.

Unvermittelt sagte sie: »Aber ich konnte nur stark sein, weil ihr mir geholfen habt. Du und Stevie und deine Mutter.«

Pferdeglück auf Ravensmoor

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