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Sogar Niko, der doch immer so tat, als wäre er Mister Cool persönlich, lief zwei Tage lang mit roter Nase und verheulten Augen herum. Pepper war aus irgendeinem Grund sein besonderer Liebling gewesen, während er für unsere Ponys Smilla und Kringle nicht allzuviel übrighatte. Doch man hätte schon ein Herz aus Stein haben müssen, um Pepper und Cinnamon nicht zu mögen.

Jetzt war Cinnamon allein, ohne ihren Gefährten, mit dem sie die vielen schweren und anstrengenden Jahre im Wanderzirkus geteilt hatte. Die beiden waren wie ein unzertrennliches altes Ehepaar gewesen.

»Vielleicht stirbt sie ja auch bald vor Einsamkeit und Kummer«, sagte meine Freundin Kim am Montagmorgen im Schulbus. Die Sommersprossen auf ihrer Stirn bildeten ein verrücktes Muster, als sie die Augenbrauen zusammenzog. »Stevie könnte doch ein Pferd von einem Schlachttransport freikaufen. Es gibt so viele armselige Pferde, die Hilfe bräuchten. Und für Cinnamon wäre es sicher leichter, wenn sie nicht allein bleiben muss.«

Ich warf ihr einen zweifelnden Blick zu. »Wenn bei einem alten Ehepaar ein Partner stirbt, kann man ihn auch nicht durch einen anderen ersetzen, Kim. So einfach ist das nicht.«

»Das weiß ich doch!« Kim zog an ihrer Strickmütze, bis ihre Ohren darunter verschwanden. »Aber vielleicht könnte sie sich ja noch mal neu verlieben oder so?«

Das klang total komisch, aber auch irgendwie süß.

»Es müsste halt das richtige Pferd sein. Ähnlich wie Pepper, sanft und lieb und geduldig. Ein Pony mit einer ähnlichen Ausstrahlung, verstehst du?«

Wieder einmal war ich total froh, dass ich kurz nach unserem Umzug Kim Ravensmoor kennengelernt hatte. Ohne sie hätte ich es bestimmt vor Heimweh nicht ausgehalten. Sie hatte mir über die Trennung von meiner besten Freundin Svenja hinweggeholfen und wir waren fast wie Schwestern geworden, denn Kim war durch ihre besondere Stellung als Tochter des Herzogs von Ravensmoor ziemlich einsam gewesen.

Während des Mathe-Tests dachte ich zu viel an Pepper. Ich konnte nur ungefähr zwei Drittel der Aufgaben beantworten, und auch da war ich nicht sicher, ob die Lösungen stimmten. Kim ging es noch bescheidener. Ms Straithpoodle, von allen »der zählende Pudel« genannt, hatte uns auseinandergesetzt, weil sie fand, dass wir uns gegenseitig zu sehr von der Arbeit ablenkten.

In der Pause trafen wir uns auf dem Flur. Kims Gesicht war mit grünen Filzschreiber-Krakeln verziert. Ihre kurzen rotblonden Haare standen wild in alle Richtungen.

»Alles Mist und Schweinekacke!«, sagte sie. »Aber was sind schon Tests und Noten im Vergleich dazu, dass wir den lieben alten Pepper nie mehr sehen werden?«

Als wir aus der Schule kamen, hatte das Wetter gewechselt, was in Cornwall mindestens dreimal täglich passierte. Jetzt segelten nur noch ein paar Schäfchenwolken am blauen Himmel, und der Wind war lind und roch nach Frühling.

Ich dachte, dass Pepper nie wieder auf der Wiese unter den knorrigen alten Apfelbäumen stehen und sich im frischen grünen Gras wälzen konnte, während die Seevögel über Little Eden kreisten. Er würde nie mehr erleben, wie die Schwalben zurückkehrten und ihre Nester unter dem Stalldach bauten. Und er würde nicht mehr dabei sein, wenn Stevies zahme Krähen Dagobert und Donald auf der Weide durchs Frühlingsgras staksten und nach Würmern und Käfern stocherten.

Sofort wurde ich traurig und meine Augen füllten sich mit Tränen. Kim legte den Arm um meine Schultern.

»Pepper geht es gut. Er ist jetzt an einem schönen Ort, wo es keine Schmerzen und keine Atemnot mehr gibt.«

Ja, ein Ort vielleicht, an dem eine Art ewiger Frühling herrschte? Ich wünschte es ihm so sehr nach seinem mühsamen Zirkusleben. Falls es ein Paradies für Menschen gibt, warum nicht auch für Tiere? Vielleicht würden er und Cinnamon sich eines Tages wiedersehen.

»Glaubst du an ein Tierparadies?«, fragte ich auf der Heimfahrt im Bus. »Tiere haben doch auch eine Seele, Kim, davon bin ich überzeugt.«

»Klar haben sie das! Man braucht ihnen nur in die Augen zu schauen, um das zu wissen!«

Kim redete leise. Die Mädchen und Jungen, die hinter uns und vor uns saßen, hätten sich womöglich über uns lustig gemacht, wenn sie das Gespräch mit angehört hätten. »Aber das mit dem Paradies … Mein Vater sagt immer, es gibt keines, das wäre eine Erfindung von uns Menschen, weil wir Angst haben, dass mit dem Tod alles zu Ende ist.«

Ich nahm mir vor, Niels anzurufen. Niels war seit dem vergangenen Sommer auf einem englischen College und kam nur noch in den Ferien und manchmal am Wochenende nach Hause. Wenn sich einer mit Sachen wie Tod und Wiedergeburt auskannte, dann mein älterer Bruder. Er wusste unheimlich viel über indianische und keltische Weisheiten, Bräuche und Glaubensvorstellungen.

Es tat so gut, Niels’ Stimme zu hören und ihm von Pepper zu erzählen. Zum Glück hatte er sein Handy an diesem Abend eingeschaltet und war allein auf seinem Zimmer, um für eine Prüfung zu lernen.

Irgendwann, als ich vor Weinen nicht mehr reden konnte, sagte er ganz ruhig: »Pepper geht es jetzt gut, Kathi. Mama hat ihm den Übergang in ein anderes Leben erleichtert. Der Körper ist manchmal eine Bürde, besonders für alte Menschen und Tiere. Diese Bürde hat er abgeworfen und ist jetzt leicht und frei und bestimmt auch glücklich.«

»Du glaubst also, dass er in einem … in einem Tierparadies ist?«

»Die Kelten haben nicht zwischen einem Paradies für Tiere und Menschen unterschieden. Für sie hatten Tiere eine Seele, genau wie wir, und sie kamen nach dem Tod auch an den gleichen Ort, der manchmal ›die Insel der Seligen‹ genannt wird, manchmal auch Paradies, manchmal ›die elysischen Felder‹ oder ›die ewigen Jagdgründe‹. Der Ort hat viele Namen, aber fast alle Kulturen haben sich darunter etwas Ähnliches vorgestellt: einen Zustand von ewigem Glück und ewiger Jugend, einen wunderbaren Garten, in dem Menschen und Tiere friedlich zusammen existieren.«

»Glaubst du wirklich daran?«, fragte ich.

»Ja sicher, Kathi. Manche Lebewesen müssen auch wieder in unsere irdische Welt zurückkehren, weil sie ihre seelische Entwicklung nicht abgeschlossen oder Schuld auf sich geladen haben. Aber Tiere sind unschuldig und tun nichts absichtlich Böses. Und Pepper hat seine Ruhe und seinen Frieden verdient. Weine ihm nicht zu sehr nach, du hältst ihn damit nur fest.«

In dieser Nacht träumte ich, dass ich auf Peppers Rücken saß und mit ihm durch einen wunderbaren Wald ritt, in dem Bäche zwischen Gras und Farnkraut sprudelten und weiße Blumen unter mächtigen, uralten Bäumen blühten. Schmetterlinge gaukelten durch die Luft, Nachtigallen schlugen. Pepper war jung und stark. Er galoppierte voller Kraft und Lebenslust über den bemoosten Pfad. Seine graue Mähne flatterte im Wind. Ich hörte seine leichten, regelmäßigen Atemzüge, spürte seine federnden Bewegungen unter mir.

Wir ritten einen Hang hinunter; es war fast, als würden wir fliegen. Peppers Hufe schienen den Boden kaum zu berühren. Dann wieherte er. Es klang wie ein triumphierender Trompetenstoß.

Sein Gewieher tönte mir noch in den Ohren, als ich aufwachte. Hinter dem Dachfenster dämmerte der Morgen. Vielleicht hatte mir Pepper eine Botschaft geschickt.

Pferdeglück auf Ravensmoor

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