Читать книгу Himmel über der Maremma - Ursula Tintelnot - Страница 8

Vor­wür­fe

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»Du weißt, wie ein Hengst re­a­giert, wenn er ei­ne ros­si­ge Stu­te wit­tert. Für die­sen Un­fall bist du al­lein ver­ant­wort­lich.«

Ja, er hät­te dem Hengst nicht al­lei­ne die Stall­tür öff­nen dür­fen. Aber es war nun mal pas­siert, und Raf­fa­el leb­te ja noch. Den Stall­meis­ter des­we­gen gleich in ei­ne Pri­vat­kli­nik ein­wei­sen zu las­sen …

»Hast du mich ver­stan­den, Fre­de­ri­co?«

»Ja, Ma­ma. Aber Raf­fa­el lebt ja noch.«

The­resas Au­gen wur­den schmal. Sie rich­te­te sich auf. »Zy­nis­mus steht dir nicht, mein Jun­ge.«

Ma­xim stand vor dem kal­ten Ka­min in der Bi­blio­thek, be­ob­ach­te­te sei­ne Frau und hör­te ih­re Vor­wür­fe.

Ei­ne Lö­win, die ein Jun­ges zu­recht­weist, das zu weit ge­gan­gen ist, dach­te er. Sie soll­te nicht in die­sem Ton mit Fre­de­ri­co spre­chen.

Ich ken­ne dich nicht mehr, fuhr es The­resa durch den Kopf.

Sie mach­te sich wirk­lich Sor­gen um ih­ren Sohn.

Er war kein klei­ner Jun­ge mehr, aber er be­nahm sich so. Mit neun­zehn soll­te er über­leg­ter han­deln.

Man konn­te ihn nicht zwin­gen, das Gut zu über­neh­men. Auch dar­über wür­den sie spre­chen müs­sen. Sie seufz­te. Er war der Er­be, und sie war si­cher, dass Ma­xim sich nichts mehr wünsch­te, als dass Fre­de­ri­co die­ses Er­be an­nahm.

Nicht heu­te, ent­schied sie.

Viel­leicht soll­te sie das Ge­spräch dar­über Ma­xim über­las­sen? Sie fand kei­nen Zu­gang mehr zu ih­rem Sohn.

Sie wand­te sich an ih­ren Mann. »Der Grund für mei­ne Ent­schei­dung, Raf­fa­el von Pro­fes­sor Do­na­to be­han­deln zu las­sen, ist, dass un­ser Sohn an die­sem Un­fall schuld ist.«

»Ja, das ist rich­tig, ich hal­te es trotz­dem für et­was über­trie­ben«, sag­te Ma­xim und sah auf sei­ne Arm­band­uhr.

The­resa er­hob sich, strich ihr Kleid mit ei­ner Be­we­gung glatt, die selbst­ver­ständ­lich und auf­rei­zend zu­gleich war. Sie ging zur Tür.

»Ich se­he, du willst noch aus­ge­hen, Ma­xim. Wir se­hen uns mor­gen.«

Einen Mo­ment lang über­leg­te Ma­xi­mi­li­an, nicht mehr nach Gros­se­to zu fah­ren. Manch­mal ver­stand er sich selbst nicht. Er ver­ließ ei­ne Frau, die er be­wun­der­te, ja, lieb­te, um sich bei ei­ner Schlam­pe zu be­wei­sen. Si­do­nie war zwar ei­ne at­trak­ti­ve Schlam­pe, aber eben auch nicht mehr. Sei­ne Frau war ei­ne ele­gan­te, in­tel­li­gen­te … The­resa for­der­te ihn her­aus. Sie war ex­qui­sit und an­stren­gend. Bei Si­do­nie konn­te er sich ge­hen las­sen.

Fre­de­ri­co sah er­leich­tert hin­ter sei­ner Mut­ter her. Für einen Mo­ment hass­te er sie. Sie wur­de zu ei­ner Frem­den, wenn sie mit ihm in die­sem Ton sprach, kühl und emo­ti­ons­los. Lie­ber war ihm, wenn sie rich­tig bö­se wur­de, da­mit konn­te er bes­ser um­ge­hen.

The­resa sie muss­te sich be­herr­schen, die Tür nicht zu­zu­knal­len. Wann hat­te sie den Kon­takt zu ih­rem Kind ver­lo­ren? Nein, die­ses Ge­spräch war nicht sehr er­folg­reich ver­lau­fen. Ma­xim hat­te nicht nur ein­mal auf die Uhr ge­schaut, und Fre­de­ri­co … hat­te er tat­säch­lich ge­sagt »Er lebt ja noch«?

Sie war kurz da­vor ge­we­sen, ihn zu schla­gen.

Für einen Mo­ment lehn­te sie sich ge­gen die Wand und schloss die Au­gen.

Als sie Fre­de­ri­co hör­te, er­starr­te sie.

»Ich ver­steh Ma­ma nicht. Sie über­treibt ih­re Ver­ant­wor­tung. Muss man einen Pfer­de­bur­schen der­art ver­wöh­nen? Oder steckt da noch was an­de­res da­hin­ter?« Ihr Sohn war scha­rf­sich­ti­ger, als ihr lieb sein konn­te.

»Raf­fa­el ist nicht ein­fach ein Pfer­de­bur­sche, er hat ei­ne aus­ge­zeich­ne­te Aus­bil­dung. Von Schaf­zucht bis Pfer­de­hal­tung hat er al­les ge­lernt. Er könn­te mor­gen den Be­trieb hier über­neh­men.«

The­resa hör­te Fre­de­ri­cos Ant­wort: »Na, dann hast du ja einen Nach­fol­ger.«

»Ich wünsch­te, du könn­test das sein.«

»Nein, Pa­pa, ver­giss es.«

Ihr Sohn hat­te Hö­hen­flü­ge im wahrs­ten Sinn. Er woll­te Pi­lot wer­den.

The­resa dreh­te ein Glas zwi­schen ih­ren Fin­gern und blick­te auf den Schim­mer von Sil­ber am Ho­ri­zont.

Da­vor schweb­ten Ne­bel­in­seln über den schla­fen­den Hü­geln.

Die­se war­me Nacht ist, dach­te The­resa, nicht ge­macht, um al­lei­ne zu sein.

Sie be­ob­ach­te­te den tor­keln­den Flug der Luc­cio­le. Die Leucht­kä­fer­chen blink­ten wie vom Him­mel ge­fal­le­ne Ster­ne.

Bald nach ih­rem Ge­spräch hat­te sie zu­erst Ma­xims Wa­gen, et­was spä­ter auch Fre­de­ri­cos Ma­schi­ne ge­hört. Wie im­mer sorg­te sie sich um Fre­de­ri­co und hoff­te, dass er ver­nünf­tig ge­nug wä­re, nicht in be­trun­ke­nem Zu­stand zu fah­ren.

Ihr Sohn hat­te Raf­fa­el einen Pfer­de­bur­schen ge­nannt.

Sie kann­te Raf­faels Bio­gra­phie. Mit sech­zehn hat­te er den klei­nen Hof sei­ner El­tern ver­las­sen und sechs Jah­re lang erst in Aus­tra­li­en und spä­ter in Neu­see­land al­les ge­lernt, was es über Tier­wirt­schaft, Auf­zucht von Pfer­den, Rin­dern und Scha­fen zu ler­nen gab, ein­schließ­lich Milch­wirt­schaft und Bie­nen­zucht.

Sie lä­chel­te. Er war ihr haus­hoch über­le­gen.

Als er zu­rück­kam, hat­te er sei­ne Ju­gend­lie­be ge­hei­ra­tet, ei­ne Fa­mi­lie ge­grün­det und vier Jah­re nach der Ge­burt sei­ner Zwil­lings­mäd­chen fest­stel­len müs­sen, dass sei­ne Ehe ge­schei­tert war.

Die Tren­nung von sei­nen Kin­dern hat­te er nie ver­wun­den. So­oft wie mög­lich be­such­te er sie. In den Fe­ri­en durf­te er Gi­u­li­a­na und Ga­la zu sich ho­len.

»Was machst du hier, Ma­ma?«

The­resa schrak auf, als sie Kon­stan­tin hör­te. Sie muss­te ein­ge­schla­fen sein. »Ich ge­ni­e­ße die Ru­he und ver­su­che nach­zu­den­ken.«

Kon­stan­tin zog einen Stuhl her­an und setz­te sich zu ihr. »Ich stö­re dich nicht lan­ge. An­na­bel er­war­tet mich. Du soll­test auch zu Bett ge­hen, es ist spät.«

»Manch­mal schla­fe ich hier drau­ßen. Es ist schön un­ter den Ster­nen.«

Wenn er an sei­ne Mut­ter dach­te, sah er sie mit we­hen­den Haa­ren, oh­ne Sat­tel auf Lu­na über die Hü­gel der Ma­rem­ma ja­gen. Er war, dank ihr, ein gu­ter Rei­ter, aber die Be­geis­te­rung, die sie be­flü­gel­te, fehl­te ihm.

»Du wirst dei­nem Va­ter im­mer ähn­li­cher«, sag­te sie.

»Du warst mit ihm glü­ck­li­cher als mit Ma­xi­mi­li­an.« Das war kei­ne Fra­ge, son­dern ei­ne Fest­stel­lung.

The­resa ant­wor­te­te nicht di­rekt. Un­ter dich­ten Wim­pern blick­te sie ihn an. »Dein Va­ter und ich wa­ren nur kurz ver­hei­ra­tet. Die ers­te Lie­be noch nicht vor­bei. Ehen ent­wi­ckeln sich. Es gibt kei­ne Ga­ran­ti­en für das Glück und die Lie­be.«

»Ich wer­de An­na­bel im­mer lie­ben«, sag­te Kon­stan­tin.

Er war ein Kind. The­resa lä­chel­te. »Na­tür­lich wirst du das, mein Schatz.«

»Wir wer­den hei­ra­ten, Ma­ma.«

Oh du mei­ne Gü­te, sie muss­te an sich hal­ten, das nicht laut aus­zu­spre­chen.

»Na­tür­lich«, sag­te sie noch ein­mal, »wenn man sich liebt, will man das der Welt zei­gen. Aber das muss ja si­cher nicht so­fort sein?«

Kon­stan­tin griff nach ih­rem Glas, trank einen Schluck und sag­te: »An­na­bel möch­te noch in die­sem Jahr hei­ra­ten.«

»Und du, was möch­test du?«

»Sep­tem­ber oder Ok­to­ber«, sag­te ihr Sohn, »sind schö­ne üp­pi­ge Mo­na­te. Trau­ben, Nüs­se, Obst, Oli­ven, al­les ist reif, die Aben­de sind noch warm.«

»Und, wie du weißt, ist es die Zeit der Ern­te, die Zeit der Ar­beit.«

Er lach­te. »Ma­ma, du schaffst das. Un­se­re Gäs­te kön­nen bei der Oliv­e­n­ern­te hel­fen.«

Sie lach­te. »Lie­ber nicht.«

»Kon­stan­tin?« Er sprang auf.

»An­na­bel, hier sind wir.«

»Du woll­test doch nur ganz kurz …« Sie schwieg, als sie er­kann­te, dass Kon­stan­tin nicht al­lei­ne war. Die jun­ge Frau stand zwi­schen den ge­öff­ne­ten Fens­ter­tü­ren. Rei­zend in ih­rem kur­z­en, wei­ßen Hemd.

The­resa konn­te ih­ren Sohn ver­ste­hen. Sie war ein hüb­scher An­blick, auch wenn sie, wie jetzt, schmoll­te.

»Es tut mir leid, willst du dich noch zu uns set­zen, Lieb­ling?«

»Nein, ich bin mü­de.«

Ih­re Stim­me klingt kind­lich und ei­ne Spur zu schrill. The­resa rief sich zur Ord­nung.

»Gu­te Nacht, Ma­ma.«

»Gu­te Nacht, Kon­stan­tin … An­na­bel.«

Sie er­hob sich, um eben­falls ins Haus zu ge­hen. Erst als sie die Tü­ren des Win­ter­gar­tens schloss, fiel ihr auf, dass Kon­stan­tin ihr die Ant­wort auf ih­re Fra­ge nach sei­nen Wün­schen, schul­dig ge­blie­ben war.

»Gu­ten Mor­gen, Ma­ja. Gu­ten Mor­gen, Ali­cia.«

»Gu­ten Mor­gen, Si­gno­ra.«

Ver­blüfft sah The­resa Ali­cia hin­ter­her, die schluch­zend aus der Kü­che rann­te. Sie wand­te sich an die Kö­chin. »Was ist pas­siert?«

»Heu­te Nacht ist Kit­tys Ma­ma ge­stor­ben.«

»Ach, die ar­me Klei­ne. Wis­sen Sie schon, wann die Trau­e­r­fei­er statt­fin­det?«

Ma­ja schüt­tel­te den Kopf. »Nein, Si­gno­ra.«

Die Trau­e­r­fei­er fand drei Ta­ge spä­ter in der Kir­che von Bas­so statt. In brü­ten­der Hit­ze über­quer­ten Ma­xi­mi­li­an und The­resa, von ih­ren Söh­nen, Ama­lia und Ma­da­me Du­rand be­glei­tet, den Kirch­platz. Ma­ria ging am Arm ih­res äl­tes­ten En­kels.

Die Bli­cke der in tie­fes Schwa­rz gehüll­ten Dorf­be­woh­ner folg­ten ih­nen. Es war un­ge­schrie­be­nes Ge­setz, dass die ers­te Bank dem Guts­be­sit­zer vor­be­hal­ten war, was Ma­xim wie ei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit hin­nahm, The­resa mehr als pein­lich war.

Wir le­ben nicht mehr im acht­zehn­ten Jahr­hun­dert.

Sie hät­te zu ger­ne ge­wusst, ob die Bank leer blieb, wenn sie nicht zur Kir­che gin­gen.

Raf­fa­el lach­te, als sie ihn da­nach frag­te. »Nein, The­resa. Wir nut­zen sie, aber mit schlech­tem Ge­wis­sen.«

»Idi­ot!«

Raf­fa­el hat­te sich vor zwei Ta­gen selbst ent­las­sen. »Ich kann nicht auf dei­ne Kos­ten in ei­ner Pri­vat­kli­nik her­um­lie­gen, ich bin kein Gi­go­lo.«

Sein Zorn auf sie war noch nicht ganz ver­raucht.

Nach­dem ih­re Fa­mi­lie Platz ge­nom­men hat­te, be­gann der Got­tes­dienst. The­resa spür­te Raf­faels Blick im Nacken. Er saß in der zwei­ten Bank, di­rekt hin­ter ihr. Dank An­na­bel, die sich im letz­ten Mo­ment mit ei­nem »Ich ha­be ra­sen­de Kopf­schmer­zen, Lieb­ling« ent­schul­digt hat­te, wa­ren sie zu spät ge­kom­men.

Ma­ri­sa saß ne­ben Raf­fa­el. Ihr jüngs­ter Sohn, Gas­pa­ro, ein klei­ner Teu­fel, be­gabt mit der Stim­me ei­nes En­gels, sang das Ave Ma­ria so er­grei­fend mit sei­ner kna­ben­haf­ten sil­ber­nen Stim­me, dass kein Au­ge tro­cken blieb.

Im acht­zehn­ten Jahr­hun­dert hät­te man dich um die­ser Stim­me wil­len kas­triert, dach­te The­resa.

»Ich tät mich sehr freu­en, wenn Sie noch mit zu Sil­vio kom­men tä­ten«, bat Kit­ty. Sie sah ver­heult aus, aber ge­fasst.

»Na­tür­lich, Kit­ty, wir kom­men sehr ger­ne.«

Der Gang ins Ris­to­ran­te nach dem Trau­er­got­tes­dienst.

Das klei­ne Gast­haus hieß zwar nach sei­nem Be­sit­zer Sil­vio, aber die wah­re Her­rin war Au­re­lia, sei­ne Frau. Ei­ne ras­si­ge, wil­de Schö­ne, die ih­ren Mann fest im Griff hat­te. Es hieß, dass sie ih­ren Gäs­ten nicht nur Spei­se und Trank an­bot, son­dern ge­le­gent­lich auch sich selbst. Jetzt knall­te sie Raf­fa­el ein Glas mit sol­cher Wucht vor die Na­se, dass der Wein her­aus­spritz­te. Sie zisch­te ihm et­was zu und wand­te sich wü­tend ab. Raf­fa­el wisch­te sich un­ge­rührt den Wein vom Hemd. The­resa frag­te sich, was er mit Au­re­lia zu schaf­fen hat­te.

»Ich muss noch zu den Scha­fen raus«, flüs­ter­te Ma­xim, »und zur Mol­ke­rei.« The­resa nick­te. »Ich weiß. Wir wer­den nicht län­ger als ei­ne Stun­de blei­ben.«

Ma­xi­mi­li­an wür­de min­des­tens zwei Ta­ge weg sein. Sie sah hin­über zu Raf­fa­el. Ama­lia saß bei ihm und hielt ihm ihr Ta­blet ent­ge­gen. Raf­fa­el las und lach­te. Dann sag­te er et­was zu dem Mäd­chen.

The­resa er­schau­er­te.

Un­schick­lich, dach­te sie, beim Lei­chen­schmaus ein der­art un­ge­zü­gel­tes kör­per­li­ches Ver­lan­gen zu spü­ren.

Heu­te Nacht wür­de sie bei ihm lie­gen.

Kon­stan­tin war ge­gan­gen, um, wie er sag­te, nach An­na­bel zu se­hen. The­resa er­hob sich. »Kommst du?«, frag­te sie Ma­xim über die Schul­ter.

Er er­hob sich eben­falls. Sie drück­ten Kit­ty und ih­rem Groß­va­ter die Hand.

»Kit­ty, neh­men Sie sich Zeit. Kom­men Sie erst wie­der, wenn es Ih­nen bes­ser geht.«

»Ja, Si­gno­ra, dan­ke, Si­gno­re.«

Ma­xim mach­te kei­nen Ver­such, ih­ren Arm zu neh­men, als sie den schma­len Weg auf­wärts stie­gen.

Vor ein paar Jah­ren hät­test du es noch ge­tan, dach­te The­resa.

Sie ging et­was lang­sa­mer und hak­te sich bei ih­rem Mann ein. »Musst du wirk­lich heu­te noch fah­ren, mein Lie­ber?«

Schot­ter und Kies knirsch­ten bei je­dem ih­rer Schrit­te.

»Mei­ne Schu­he sind ru­i­niert, wir hät­ten nicht die­sen Weg neh­men sol­len.«

Der Weg führ­te schat­tig und steil zwi­schen Wie­sen mit Oli­ven­bäu­men vom Dorf bis zu ih­rem Haus.

Er schnauf­te. »Wir hät­ten fah­ren sol­len bei die­ser Hit­ze.«

»Ein biss­chen Sport kann dir nicht scha­den.«

»The­resa, ich bin ein al­ter Mann.«

»Ich weiß.« Sie lach­te hell auf. »Das sagst du im­mer, wenn dir et­was un­be­quem ist.«

Zwei Stun­den spä­ter war Ma­xi­mi­li­an auf dem Weg zur Mol­ke­rei. Am Abend ver­ab­schie­de­ten sich Kon­stan­tin, An­na­bel und Fre­de­ri­co.

»Wir fah­ren nach Flo­renz«, sag­te Fre­de­ri­co. »An­na­bel soll dort das Nacht­le­ben ken­nen­ler­nen.«

Über­ra­schend schnell hat­te sich die jun­ge Frau von ih­rer Mi­grä­ne er­holt.

»Es freut mich, dass es Ih­nen wie­der gut geht, An­na­bel.«

Vor ein paar Stun­den muss­te Kon­stan­tin dich noch auf dein Zim­mer brin­gen, dach­te The­resa amü­siert und är­ger­lich zu­gleich.

Die­se raf­fi­nier­te klei­ne Per­son hat­te ih­ren Sohn voll im Griff, er­kann­te sie, nicht oh­ne ei­ne Spur von Be­wun­de­rung.

The­resa ent­le­dig­te sich der Trau­er­klei­dung, dusch­te und wähl­te ein rü­cken­frei­es wei­ßes Som­mer­kleid, das nur im Nacken ge­hal­ten wur­de.

Als sie das Haus ver­ließ, hör­te sie die ers­ten Tö­ne ei­nes der »Lie­der oh­ne Wor­te« von Fe­lix Men­dels­sohn. Ma­ria va­ri­ier­te das The­ma. Die Tö­ne schweb­ten in die Nacht hin­aus und be­glei­te­ten The­resa ein Stück weit.

Ma­da­me Du­rands Bli­cke be­glei­te­ten sie eben­falls. Sie stand im Zim­mer ih­res Zög­lings am Fens­ter.

»The­resa be­sucht Raf­fa­el.«

»Viel­leicht geht sie zum Stall.«

»Nicht in ei­nem wei­ßen Kleid«, ge­bär­de­te Ama­lia.

So jung und so schlau, dach­te Ma­da­me.

»Kann man zwei Män­ner lie­ben?«

»Ich glau­be schon.«

»Ich könn­te das nicht!«

»Wir wer­den se­hen, mein Kind.«

Ma­da­me strich Ama­lia über die kur­z­en Lo­cken. Sie ging zur Tür. Dort wand­te sie sich noch ein­mal um.

»Ama­lia, An­na­bel hat nun ge­nug ge­lit­ten, ab mor­gen wirst du dich zu den Mahl­zei­ten wie­der um­zie­hen.«

Ama­li­as Mund ver­zog sich zu ei­nem spitz­bü­bi­schen Lä­cheln.

Ama­lia nahm An­na­bel in­zwi­schen hin, wie man ei­ne Topf­pflan­ze ak­zep­tier­te. Sie über­sah sie ein­fach. Aber nach­dem An­na­bel un­vor­sich­ti­ger­wei­se von ih­rer aus­ge­präg­ten All­er­gie ge­gen Pfer­de­haa­re ge­spro­chen hat­te, war ih­re Stun­de ge­kom­men. Ama­lia kam grund­sätz­lich ge­ra­de aus dem Stall, wenn sie sich zu Tisch be­ga­ben, und war nicht da­zu zu be­we­gen, sich um­zu­zie­hen oder die Hän­de zu wa­schen. An­na­bel sah gleich viel we­ni­ger hübsch aus mit ro­ter Na­se und ge­schwol­le­nen Li­dern.

»Es ist Zeit fürs Bett. Schlaf gut, Ama­lia.«

Sie schloss die Tür hin­ter sich. Ma­da­me lä­chel­te, das Mäd­chen ent­wi­ckel­te sich zu ei­ner raf­fi­nier­ten jun­gen Frau. Und sie wuss­te ge­nau, was sie woll­te.


Ama­lia kroch ins Bett und nahm ein Buch vom Nacht­tisch, aber sie las nicht. Sie dach­te an Kon­stan­tin.

»Hast du mir was mit­ge­bracht?« Ama­lia hat­te auf ihr Ta­blet ge­zeigt.

Kon­stan­tin hat­te ge­lacht. »Nein, dar­an ha­be ich nicht ge­dacht.«

Ihr hüb­scher Mund hat­te sich ver­zo­gen.

»Hast du denn einen Wunsch?«

»Oh, ja.«, schrieb sie. Au­gen­auf­schlag.

»Sag schon, viel­leicht kann ich ihn dir er­fül­len.«

Sie hat­te den Au­gen­auf­schlag vor dem Spie­gel ge­übt und sich das Ge­spräch in al­len Ein­zel­hei­ten vor­ge­stellt. Sie muss­te nur ein paar Mi­nu­ten mit ihm al­lein sein.

Der Mo­ment war ge­kom­men, als er zum Früh­stück er­schien. An­na­bel stand nicht vor Mit­tag auf. Kon­stan­tin war, wie Ama­lia, ein Früh­auf­ste­her.

»Al­so«, er nahm einen Schluck Kaf­fee, »was ist es?«

»Ich wün­sche mir …« schrieb sie.

»Ja?«

»Ich wün­sche mir einen Tag mit dir.«

»Aber ich bin doch hier.« Er sah sie er­staunt und fra­gend an.

Mein klei­ner Mi­lou wird lang­sam er­wach­sen, dach­te er.

Sie war in die Hö­he ge­schos­sen im letz­ten hal­b­en Jahr. Trotz­dem war sie noch so ent­zü­ckend kind­lich, wie er sie in Er­in­ne­rung hat­te.

»Das ist nicht wie frü­her.« Ama­lia schob ihm das Ta­blet hin und sah ihn an. »Du bist nicht al­lei­ne hier, im­mer ist An­na­bel bei dir.«

Er sah sich um. »Und wo ist sie jetzt? Ich kann sie nicht se­hen.«

Sei­ne Cou­si­ne ging nicht auf sei­nen Spott ein. Sie starr­te ihn im­mer noch fra­gend an. Dann schrieb sie: »Schenkst du mir einen Tag?«

Er dach­te nach. »Ich schen­ke dir einen Aus­ritt, nur wir bei­de, ver­spro­chen.«

Ama­lia lä­chel­te und über­leg­te, wie sie den Aus­ritt ver­län­gern könn­te.

Ama­lia und Kon­stan­tin hat­ten den klei­nen Hengst und Lu­na, sei­ne Mut­ter, auf der Wei­de be­sucht und da­nach Nor­ma und Sul­tan ge­sat­telt.

»Nehmt Nor­ma und Sul­tan«, hat­te The­resa ge­be­ten. »Die bei­den ver­wil­dern auf der Wei­de. Es ist gut, wenn sie ge­rit­ten wer­den.«

»Du hast Sul­tan noch nicht ver­kauft?«

»Nein, Kon­stan­tin, der Kun­de ist nicht er­schie­nen, will aber in ein paar Ta­gen kom­men. Bis da­hin muss Sul­tan noch an die Kan­da­re ge­nom­men wer­den.«

Der dun­kel­brau­ne Wal­lach war ein noch jun­ges, sehr tem­pe­ra­ment­vol­les Tier. The­resa hat­te sich vor­ge­nom­men, ihn in den nächs­ten Ta­gen im Stall zu las­sen und ihn je­den Tag zu rei­ten.

Sie sah Ama­lia und Kon­stan­tin da­von­rei­ten. Die Klei­ne hat­te es tat­säch­lich ge­schafft, ihn von An­na­bel los­zu­ei­sen. Sie frag­te sich, wie sie das an­ge­stellt hat­te.

Viel­leicht soll­te ich dich fra­gen, du scheinst ge­schick­ter als ich zu sein, dach­te sie.

Aber dann schalt sie sich. Ihr Sohn war ver­liebt. Er woll­te die­ses Mäd­chen hei­ra­ten. Wenn sie Kon­stan­tin nicht ver­lie­ren woll­te, soll­te sie sich an den Ge­dan­ken ge­wöh­nen und ver­su­chen, An­na­bel bes­ser ken­nen­zu­ler­nen.

Sie stach mit der Mist­ga­bel hef­tig in einen Hau­fen Stroh und ver­teil­te ihn ener­gisch in Sul­tans Box.

Ama­lia durf­te Sul­tan rei­ten. Kon­stan­tin ritt die zier­li­che­re Stu­te. The­resa frag­te sich, ob sie das Rich­ti­ge ge­tan hat­te, als sie es ihr er­laubt hat­te. Aber Ama­lia war ei­ne aus­ge­zeich­ne­te Rei­te­rin, mit ei­nem aus­ge­präg­ten Ge­fühl für Pfer­de. Sie hat­te in den letz­ten Jah­ren prak­tisch je­den Tag auf ei­nem Pferd ge­ses­sen, wäh­rend Kon­stan­tin, seit er stu­dier­te, nur noch in den Fe­ri­en zum Rei­ten kam.

Bald wür­de er mit ei­nem Team von Ärz­ten nach Afri­ka rei­sen, um ei­ne Re­por­ta­ge zu schrei­ben. Was An­na­bel da­von hielt, wuss­te The­resa nicht. Sie konn­te sich die ver­wöhn­te jun­ge Frau nicht in ei­nem Camp vor­stel­len.

Mit All­er­gi­en ge­gen Tier­haa­re und Mi­grä­ne­an­fäl­len, dach­te The­resa, wirst du nicht weit kom­men.

Herr­gott, sie klang schon wie­der bos­haft und ab­leh­nend.

Da Raf­fa­el noch aus­fiel, er hat­te strik­te An­wei­sung, sich zu scho­nen, woll­te sie ih­ren Sohn fra­gen, ob er für einen täg­li­chen Aus­ritt zur Ver­fü­gung stand. Mit dem Un­ter­arm wisch­te sie sich Schweiß und Staub von der Stirn.

Ihr Ge­sicht glüh­te, was nicht nur an der Ar­beit lag. Ih­re Ge­dan­ken wa­ren bei der letz­ten Nacht. Raf­fa­el hat­te sie oh­ne Um­stän­de an sich ge­zo­gen, den Ver­schluss ih­res Klei­des ge­öff­net und sie ge­küsst, als ob er sie ver­schlin­gen woll­te.

Sie träum­te nicht von an­de­ren Län­dern wie ih­re Söh­ne. Ih­re Welt hat­te sich ver­engt auf die­ses ei­ne Zim­mer, die­ses ei­ne Bett, die­sen einen Mann. Die Mat­tig­keit da­nach in sei­ner sanf­ten Um­klam­me­rung.

The­resa stell­te die Mist­ga­bel ge­gen die Wand und rief nach Ber­to.

»Si­gno­ra?«

Sie schick­te ihn auf die Wei­de. »Sieh nach, ob ge­nug Was­ser im Tank ist.«

Zu är­ger­lich, dass die Pum­pe nicht funk­tio­nier­te.

»Bis die Pum­pe re­pa­riert ist, müsst ihr die Trö­ge von Hand fül­len.«

»Na­tür­lich, Si­gno­ra.«

»Und füll den Was­ser­ei­mer für Sul­tan. Ich will ihn, bis der Käu­fer kommt, im Stall ha­ben.«

»Si, Si­gno­ra.«

Sie hör­te ihn nach Lu­ca ru­fen. Die Pfer­de­bur­schen be­wohn­ten die Kam­mern am En­de des lang ge­zo­ge­nen Stal­les. Sie sah auf die Uhr. In ei­ner Stun­de kä­men ih­re Reit­schü­ler. Auf der Reit­bahn vorm Stall war­te­ten drei Pfer­de.

Ihr Han­dy gab einen Ha­r­fen­ton von sich. »Ma­xim?«

»War­tet heu­te nicht auf mich, ich kom­me erst mor­gen Abend zu­rück.«

»Gut.«

»Al­les in Ord­nung bei euch?«

»Ja. Ama­lia und Kon­stan­tin ma­chen einen Aus­ritt, und Fre­de­ri­co nimmt die Ge­le­gen­heit wahr, sei­ne zu­künf­ti­ge Schwä­ge­rin zu be­ein­dru­cken.«

»Hö­re ich da Zy­nis­mus?«

»Aber nein. Bis mor­gen, mein Lie­ber.«

Bei­na­he hät­te sie aus­ge­spro­chen, was sie dach­te. Fre­de­ri­co hat­te viel von sei­nem Va­ter. Er muss­te es bei je­der Frau pro­bie­ren.

The­resa steck­te das Han­dy ein. Sie brauch­te ei­ne Du­sche und woll­te sich noch um­zie­hen, be­vor die Reit­schü­ler auf­tauch­ten.

Himmel über der Maremma

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