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8 Juli

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Va­le­rie wird vom Te­le­fon ge­weckt.

»Was ha­ben Sie sich denn da­bei ge­dacht?« Bru­no legt so­fort los: »Müs­sen Sie denn al­les ins Lä­cher­li­che zie­hen?«

Einen Mo­ment lang herrscht Stil­le im Äther.

»Hö­ren Sie mich, Va­le­rie?«

»Ich höre Sie sehr gut, Bru­no, Sie sind ja laut ge­nug.«

Sie zieht das La­ken vom Kör­per und schwingt die Bei­ne aus dem Bett. Wäh­rend sie auf­steht, stellt sie den Laut­spre­cher an und tapst schlaf­trun­ken ins Bad.

Sie hat nichts an­de­res er­war­tet. Bru­no, der Her­aus­ge­ber der Zeit­schrift Herz und Hirn hat Pro­ble­me mit ih­rem Stil. Zu männ­lich, zu zy­nisch. Und wä­ren sei­ne Mit­a­r­bei­ter nicht so ve­he­ment für al­les, was sie schreibt, hät­te sie kei­ne Chan­ce. Auch die Le­ser­brie­fe, die auf sei­nem Schreib­tisch lan­den, spre­chen da­für, sie wei­ter zu be­schäf­ti­gen. Der Re­dak­teur in ihm muss sie be­schäf­ti­gen, der Pri­vat­mann Bru­no lehnt sie ab. Ein Di­lem­ma. Sie lä­chelt sich im Spie­gel über dem Wasch­be­cken zu.

»Bru­no, wenn Sie den Ar­ti­kel nicht brin­gen wol­len, ich fin­de eine an­de­re Re­dak­ti­on.«

»Sie könn­ten ihn um­schrei­ben. Et­was we­ni­ger Ge­hirn, et­was we­ni­ger Zy­nis­mus, et­was mehr Ge­fühl, Sie sind doch eine Frau.«

Va­le­rie stöhnt. Je­des­mal, also im Drei-Mo­nats-Takt, die­sel­be Dis­kus­si­on.

»Was mei­nen Sie mit: Sie sind doch eine Frau?«

Sie sieht förm­lich, wie er sich die Haa­re rauft.

»Als Frau müss­ten Sie doch, ich mei­ne, also …«

»Sanf­ter sein?«, hilft sie ihm auf die Sprün­ge.

»Ja, ge­nau, Sie schrei­ben wie ein Mann.«

Sie hält kurz die Luft an. Oh nein, nicht die Num­mer.

»Und Sie mei­nen, wenn ich ein Mann wäre, dürf­te ich so schrei­ben, als Frau je­doch nicht?«

Sie hat ihn. Er ist sprach­los.

»Nein«, stot­tert er. »Ich mei­ne ja nur, dass Sie et­was we­ni­ger zy­nisch …, mei­ne Frau …«

Sie kennt Mira, sei­ne Frau. Sie kann sich nicht ge­gen ihn durch­set­zen, scheut Aus­ein­an­der­set­zun­gen, ist aber be­geis­tert, wenn je­mand an­de­res Bru­no Pa­ro­li bie­tet. Bru­no fürch­tet, dass ihre Ar­ti­kel sein schö­nes Welt­bild von zar­ten Frau­en ins Wan­ken bringt. Und er fürch­tet, nicht ganz zu Un­recht, dass Mira von ih­ren An­sich­ten an­ge­tan ist, ja, dass sei­ne ge­hor­sa­me Frau Va­le­ries An­sich­ten in­zwi­schen teilt.

»Was tun Sie da, was ist das für ein Ge­räusch?«

»Ich put­ze mei­ne Zäh­ne.« Va­le­rie spuckt Zahn­pas­ta ins Wasch­be­cken.

»Und jetzt brau­che ich Kaf­fee. Ma­chen Sie mit dem Text, was Sie wol­len, Bru­no, und grü­ßen Sie Mira von mir.« Sie weiß, wie sehr er es ver­ab­scheut, wenn eine Frau zu bur­schi­kos ist. Eine Frau muss Kin­der ge­bä­ren und hat sanft zu sein. Sie hat ihn ein­mal schwa­dro­nie­ren hö­ren: »Eine Frau ist für mich kei­ne Frau, wenn sie kin­der­los ist.«

Da­bei hat er sie an­ge­se­hen. Sei­ne un­g­lü­ck­li­che Frau muss­te Jah­re auf das ers­te Kind war­ten, ein Mäd­chen, und be­kam dann in schnel­ler Fol­ge drei wei­te­re.

Va­le­rie ahnt, wie sehr Mira un­ter ihm lei­det, kör­per­lich wie see­lisch. Aber Mira spricht nicht über ihre Ehe.

Va­le­rie löf­felt Kaf­fee­pul­ver in einen Be­cher und gießt hei­ßes Was­ser und kal­te Milch dazu. Die Kat­ze be­kommt eine Hand­voll Tro­cken­fut­ter und fri­sches Was­ser. Der Bal­kon ist noch feucht vom nächt­li­chen Ge­wit­ter. Sie lehnt sich ans Ge­län­der und saugt den in­ten­si­ven Duft von La­ven­del und Thy­mi­an ein. Der Spiel­platz un­ter den Bäu­men liegt ver­waist. Über ihr, in der drit­ten Eta­ge, to­ben die Zwil­lin­ge, zwei Bu­ben. Sie fragt sich, ob die­se Kin­der je­mals schla­fen. Der Lärm stört sie nicht, aber sie be­nei­det die El­tern nicht um die bei­den.

Aus dem ers­ten Stock dringt noch kein Laut. Das Paar hat sich wohl wie­der ver­söhnt, bis zum nächs­ten Streit.

Ihr Smart­pho­ne stöhnt, ein Ton, den sie ih­rer Mut­ter zu­ge­ord­net hat.

»Da ge­hen wir nicht dran«, sagt sie zur Kat­ze. Gleich dar­auf das Fest­netz.

»Ich weiß, dass du zu Hau­se bist, Va­le­rie. Geh bit­te ans Te­le­fon. Es ist wich­tig.« Es ist im­mer wich­tig, wenn Grace an­ruft.

Statt den An­ruf an­zu­neh­men, öff­net sie ihre Mails. Nur eine scheint in­ter­es­sant zu sein. Eine Ein­la­dung zu ei­nem TV-In­ter­view. Dar­über muss sie nach­den­ken. Vik­tor wäre be­geis­tert, wenn sie an­näh­me. So kurz vor Er­schei­nen ih­res neu­en Bu­ches wäre das die ide­a­le Wer­bung. Vik­tor hat vie­le Kon­tak­te. Hat er die Wer­bung lan­ciert? Egal. Sie macht sich einen zwei­ten Be­cher Kaf­fee und setzt sich an ih­ren Schreib­tisch, wie je­den Mor­gen.

Sie starrt auf die lee­re Sei­te. Der Ro­man, den sie be­gon­nen hat, ist an­ders als sei­ne Vor­gän­ger. Das Smart­pho­ne ne­ben ihr stöhnt wie­der. Sie schal­tet es auf stumm. Es fällt ihr schwer, sich zu er­in­nern, in die ei­ge­ne Ver­gan­gen­heit ein­zu­t­au­chen, wenn die Frau, die ihr die­se Ver­gan­gen­heit be­schert hat, im­mer wie­der an­ruft. Wenn ihre Mut­ter nicht …

Va­le­rie merkt, dass sie eine Schul­di­ge sucht. Im­mer wie­der kommt sie an die­sen Punkt, ob­wohl sie weiß, sie wird sich von Grace nicht lö­sen, so­lan­ge sie ihr die Ver­ant­wor­tung für ihr Le­ben in die Schu­he schiebt. Sie hat sich lan­ge ver­bo­ten, be­stimm­te Din­ge zu den­ken. Ver­drän­gen hilft nicht. Viel­leicht kann sie, in­dem sie dar­über schreibt, mit der Ver­gan­gen­heit ab­schlie­ßen? Viel­leicht hö­ren die Alb­träu­me dann end­lich auf, und die Angst­at­ta­cken?

Ein lei­ser Schrei, ein zer­knit­ter­tes Ge­sicht­chen. Jah­re ist das jetzt her. Sie war vier­zehn, als ihre Mut­ter ihr den drit­ten Stief­va­ter be­scher­te. Grace er­war­te­te stets von ihr, dass sie ge­nau­so an­ge­tan von je­dem der Neu­en war und ist wie sie selbst. In­zwi­schen hat Va­le­rie vier Stief­vä­ter und hofft, dass Grace es da­mit ge­nug sein lässt. Die Iro­nie des Schick­sals ist, dass sie aus­ge­rech­net ih­ren bio­lo­gi­schen Va­ter nie ken­nen­ge­lernt hat. Ihre Stief­vä­ter ha­ben die­se Lü­cke mehr als aus­ge­füllt.

Ha­ben sie das wirk­lich, oder re­det sie sich das nur ein? Ich habe ihn nie ver­misst, schreibt sie.

Va­le­rie hebt den Kopf und sieht durch die of­fe­ne Bal­kon­tür die Kat­ze auf dem Git­ter ba­lan­cie­ren. Wür­de eine Kat­ze einen Sturz aus dem zwei­ten Stock über­le­ben? Ein Mensch si­cher nicht.

Das Dis­play ih­res Han­dys öff­net sich. Mira, Bru­nos Frau, lä­chelt ihr ent­ge­gen. Va­le­rie nimmt den An­ruf an. Sie darf sich eine Pau­se er­lau­ben. Tau­send Wör­ter pro Tag hat sie sich ver­ord­net. Ihr heu­ti­ges Pen­sum hat sie al­ler­dings noch nicht ge­schafft. Sie si­chert ih­ren Text und klappt den Lap­top zu.

»Mira, du ret­test mich.«

Mi­ras hel­les La­chen. »Wo­vor?«

»Vor mei­nen Er­in­ne­run­gen.«

»So schlimm?«

»Schlim­mer.« Va­le­rie lacht. »Nein, nicht wirk­lich. Ich den­ke an die vier Stief­vä­ter, die Grace mir in­ner­halb der letz­ten drei­ßig Jah­re prä­sen­tiert hat.«

»Die wa­ren doch ganz nett?«

»Je­den­falls war kei­ner je­mals so takt­los wie mei­ne Mut­ter.«

»Möch­test du …«

»Nein, Mira, ich habe schon bei Ruth Dampf ab­ge­las­sen. Sag mir lie­ber, war­um du an­rufst.«

Mira seufzt. »Kön­nen wir uns zum Lunch tref­fen?«

Im Hin­ter­grund hört Va­le­rie Kin­der­stim­men.

»Na­tür­lich.« Va­le­rie schiebt ih­ren Stuhl zu­rück und nimmt ih­ren lee­ren Be­cher mit zum Kü­chen­tre­sen. »Wo?«

»Im elv? Wenn es dir recht ist. Bei dem Wet­ter kön­nen wir drau­ßen sit­zen und eine Klei­nig­keit es­sen.«

Zwei Stun­den spä­ter sitzt Va­le­rie mit ih­rer Freun­din auf der Ter­ras­se des Re­stau­rants an der Elb­chaus­see. Das Was­ser der Elbe plät­schert ge­müt­lich ge­gen die Stei­ne des Ufers. Va­le­rie isst ka­na­di­schen Räu­cher­lachs in Ho­nig-Dill-Sau­ce mit Kar­tof­fel­rös­ti. Mira sto­chert in ei­nem ge­misch­ten Sa­lat mit ge­grill­ter Hähn­chen­brust. Sie macht tap­fer die tau­sends­te Diät, denkt Va­le­rie. Für Bru­no muss sie nicht nur Kin­der ge­bä­ren, son­dern auch noch schlank sein. Ihr Blick wan­dert über den fast schmerz­haft silb­ri­gen Strom zum an­de­ren Ufer. Sie wühlt in ih­rer Ta­sche, bis sie die Son­nen­bril­le fin­det.

»Also, sprich mit mir«, for­dert sie ihre Freun­din auf. »Was ist los?«

Mira legt die Ga­bel auf ih­ren Tel­ler. »Er will noch ein Kind.«

Va­le­rie hört auf zu kau­en. »Bit­te?«

»Du hast ganz rich­tig ge­hört. Vier sind drei zu viel. Und dann noch eins, das ist eine Zu­mu­tung.« Mira seufzt.

»Er kann dich kaum zwin­gen, Mira. Wach auf! Das ist doch auch dei­ne Ent­schei­dung.«

»Ja, aber …«

»Nix aber, ich wür­de ihn in sei­ne Blü­ten­blät­ter tre­ten.«

Mira reißt die Au­gen auf und bricht in schal­len­des Ge­läch­ter aus.

»Bru­no soll­te mal eine Wo­che mit dir ver­hei­ra­tet sein.«

Va­le­rie macht eine ab­weh­ren­de Ges­te. »Lie­ber nicht. Wir hat­ten heu­te schon das Ver­gnü­gen. Eine hef­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zung we­gen mei­nes neu­en Tex­tes für die nächs­te Aus­ga­be von Herz und Hirn

Mira be­stellt Cham­pa­gner, ihr Lieb­lings­ge­tränk, dem Va­le­rie nicht so viel ab­ge­win­nen kann. Sie trinkt ihn Mira zu­lie­be.

»Ich könn­te heim­lich die Pil­le neh­men und be­haup­ten, un­frucht­bar zu sein.«

Va­le­rie schüt­telt den Kopf. »War­um sagst du nicht ein­fach die Wahr­heit? Wenn es denn die Wahr­heit ist.«

»Was meinst du da­mit?«

»Viel­leicht willst du doch noch ein­mal schwan­ger wer­den?«

»Nein«, sagt sie, »das will ich wirk­lich nicht.«

Mira winkt dem Kell­ner. Sie zahlt und er­hebt sich nach ei­nem Blick auf ihre Arm­band­uhr.

»Soll ich dich nach Hau­se fah­ren?«

In­zwi­schen ist die Son­ne ge­sun­ken und ver­wan­delt das Sil­ber des Was­sers in Gold.

»Ich bin mit dem Fahr­rad hier. Das soll­test du auch mal pro­bie­ren, dann dürf­test du auch Kar­tof­fel­rös­ti es­sen.«

Mira stöhnt. »Der Spruch hat mit noch ge­fehlt.«

Sie um­armt Va­le­rie und steigt in ih­ren SUV. Bei vier Kin­dern, viel­leicht bald fünf, braucht sie den auch.

Va­le­rie fragt sich, wäh­rend sie zum Je­nisch­park hoch­stram­pelt, wie Mira sich ent­schei­den wird. Ob sie sich of­fen weh­ren wird oder heim­lich die Pil­le wei­ter­nimmt? Sie er­reicht Hoch­rad und biegt kur­ze Zeit spä­ter in die Max-Brau­er-Al­lee ein. Als sie am Paul­sen­platz an­kommt, steht die Son­ne schon tief. Va­le­rie stellt ihr Fahr­rad un­ter dem Schild ab, das ver­bie­tet Fahr­rä­der, Kin­der­wa­gen, Kin­der­spiel­zeug und Rol­ler hier ab­zu­stel­len. Kei­ner der Haus­be­woh­ner hält sich dar­an oder regt sich dar­über auf, au­ßer dem al­ten Zau­sel un­ter dem Dach, der we­der das eine noch das an­de­re be­sitzt.

Sie steigt hin­auf in ihre Eta­ge. Mira, denkt Va­le­rie auf dem Weg nach oben, ist har­mo­nie­süch­tig. Sie wird sich nicht mit Bru­no aus­ein­an­der­set­zen.

Die Kat­ze maunzt schon hin­ter der Tür.

»Hast du mich ver­misst?«

Ihr ers­ter Weg führt sie in die Kü­che. Sie öff­net eine Dose Kat­zen­fut­ter, kippt den In­halt in einen Blech­napf und stellt ihn auf den Fuß­bo­den. Im Schlaf­zim­mer ent­le­digt sie sich ih­rer Schu­he und geht mit blo­ßen Fü­ßen auf den Bal­kon. Die Pflan­zen brau­chen drin­gend Was­ser. Vom Spiel­platz drin­gen Kin­der­stim­men und Hun­de­ge­bell zu ihr em­por. Sie sieht auf die Uhr. Zeit für ein Glas Wein. Sie packt ein paar Krä­cker, ein Stück Zie­gen­gou­da und grü­ne Oli­ven auf einen Tel­ler. Da­mit lässt sie sich auf dem Bal­kon nie­der und sieht zu, wie der Him­mel sich rosa ver­färbt. Kein gu­tes Wet­ter mor­gen.

Die Füchsin

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