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1 Le­sung

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Adam sitzt mit ei­nem schla­fen­den Kind auf dem Schoß in ei­nem wei­ten Raum. Schwa­r­ze Ei­sen­stre­ben über­wöl­ben die hohe De­cke der ehe­ma­li­gen Fa­brik­hal­le. Jetzt, nach der Le­sung, ste­hen die Tore of­fen. Grup­pen von Rau­chern auf dem ge­pflas­ter­ten Vor­platz, Ge­drän­ge an der Bar. Die Ti­sche sind nicht alle be­setzt.

»Ben möch­te Sie ken­nen­ler­nen.«

Die, die er an­spricht ist … so alt wie er? Viel­leicht. At­trak­tiv? Sehr at­trak­tiv. Hat sie zu viel ge­trun­ken? Er ist stock­nüch­tern.

»Ihr Ben schläft gleich ein.« Sie lacht lei­se.

»Das ist ein Täu­schungs­ma­nö­ver. Er tut nur so.«

Er be­trach­tet sie, möch­te sie noch ein­mal zum La­chen brin­gen. Schön ge­schwun­ge­ne Lip­pen. Au­gen, grau oder grün? Das kann er nicht er­ken­nen. Un­ter ge­senk­ten Li­dern blickt sie das Kind an. Nicht ihn. Ihre Fin­ger spie­len mit ei­ner lan­gen, hauch­dün­nen Sil­ber­ket­te über ih­rem De­kol­leté. Ein halb ge­leer­tes Glas in ih­rer Hand. Si­cher nicht das ers­te, denkt er. Sie macht einen Schritt von ihm weg. Eine leich­te Un­si­cher­heit. Ihre Hand greift Halt su­chend eine Stuhl­leh­ne.

»Wie ge­fie­len Ih­nen die Ge­dich­te?«

Sie zö­gert. »Zu viel To­des­sehn­sucht.«

Ja, die Ge­dich­te dreh­ten sich um Tod, Ein­sam­keit und Ver­las­sen­heit. Pas­send zu sei­ner ei­ge­nen See­len­la­ge.

Sie wühlt in ih­rer Um­hän­ge­ta­sche. Eine zer­knit­ter­te Zi­ga­ret­ten­pa­ckung kommt zum Vor­schein. Ihre Hand zit­tert leicht. Das Feu­er­zeug fin­det sie in der Ta­sche ih­res Ja­cketts. Sie at­met den Rauch tief ein und hält ihm nach kur­z­em Zö­gern die Pa­ckung ent­ge­gen.

»Nein, dan­ke. Ich habe auf­ge­hört.«

»Ver­nünf­tig.«

Sie zieht den Stuhl zu sich her­an und setzt sich halb ab­ge­wandt von ihm, so, dass sie in den Raum se­hen kann.

Er be­trach­tet ihre hohe Stirn, die ge­ra­de Nase, das Kinn. »Die Be­schäf­ti­gung mit dem Tod ist le­gi­tim.«

»Si­cher.« Sie dreht den Kopf in sei­ne Rich­tung.

Un­will­kür­lich fragt er sich, wie es wäre, die­se Lip­pen zu küs­sen, die sich ge­ra­de um die Zi­ga­ret­te schlie­ßen. Sie raucht gie­rig.

»Ich bin Adam«, sagt er schnell. Er will nicht, dass sie geht, kann den Blick nicht von ihr wen­den. Üp­pi­ges dun­kel­ro­tes, von ei­nem Band im Nacken zu­sam­men­ge­hal­te­nes Haar. Die Li­der schwer über schma­len Au­gen.

Die Füch­sin, die seit ei­ni­ger Zeit um sein Haus her­um­schleicht, fällt ihm ein. Eine hoch­bei­ni­ge ele­gan­te Fähe, mit un­ge­wöhn­lich dunk­lem ro­tem Fell. Eine Füch­sin, denkt er. Eine Füch­sin mit ei­ner ver­letz­ten Pfo­te. Ihm ist ihr leich­tes Hin­ken auf­ge­fal­len.

Sie ist un­ge­wöhn­lich. Si­cher die auf­fallends­te un­ter all den Frau­en. Sie hat so et­was wie einen Pan­zer um sich, un­sicht­bar, aber ein Pan­zer.

Er blickt sich um. Es gibt nur we­ni­ge Män­ner hier. Wie so oft sind die Frau­en auch bei die­ser Le­sung in der Über­zahl. Er in­ter­es­siert sich für Ge­dich­te, Li­te­ra­tur über­haupt. Und für Kräu­ter und Gift­pflan­zen. Er züch­tet sie, baut sie an und fo­to­gra­fiert sie. Sei­ne Er­kennt­nis­se schreibt er akri­bisch auf.

Als er wie­der in ihre Rich­tung schaut, ist sie nicht mehr da. Auf dem Tisch liegt ihre Zi­ga­ret­ten­pa­ckung, da­ne­ben das Feu­er­zeug. Ohne nach­zu­den­ken, steckt er bei­des ein. Im Aus­gang sieht er kurz ihr Pro­fil. Glanz auf ih­rem Haar. Dann ist sie fort. Ver­dammt! Er hät­te ger­ne mehr von ihr ge­wusst. Sie hat nicht ein­mal ih­ren Na­men ge­nannt. Er er­hebt sich, als das Kind auf sei­nem Schoß sich regt.

»Wir ge­hen heim«, flüs­tert er.

Der klei­ne Jun­ge legt die Arme um Adams Hals und schmiegt sich an ihn. »Dada«, flüs­tert er und schläft wie­der ein.

Der rote Prit­schen­wa­gen ist alt und nicht sehr sau­ber. Ein Auto, dem man den Ge­brauch an­sieht. Ein Nutz­fahr­zeug, kein Sta­tus­sym­bol. Er schnallt das Kind im Kin­der­sitz fest, schiebt die Tür so lei­se wie mög­lich zu und geht um den Wa­gen her­um, um auf der an­de­ren Sei­te ein­zu­stei­gen.

Ben­ja­min, denkt er, müss­te in sei­nem Bett lie­gen, nicht mit mir an nächt­li­chen Ver­an­stal­tun­gen teil­neh­men. Er bleibt eine Wei­le sit­zen, ohne den Wa­gen zu star­ten, und starrt auf den re­gen­feuch­ten As­phalt. Ein kur­z­er war­mer Som­mer­re­gen, der kei­ne Ab­küh­lung bringt. Adam fährt erst los, als der Re­gen nach­lässt. Er hat wie­der nicht an die de­fek­ten Schei­ben­wi­scher ge­dacht. Mor­gen, denkt er.

Die­se Frau geht ihm nicht aus dem Kopf. Er är­gert sich, dass er sie hat ge­hen las­sen. Eine Frau ohne Na­men, ei­gen­tüm­lich ver­traut.

Ben schna­rcht lei­se, sein Köpf­chen ist zur Sei­te ge­fal­len. Mit bei­den Hän­den hält er einen klei­nen Stoff­hund an die Brust ge­drückt. Adam fragt sich nicht zum ers­ten Mal, wie er mit ei­nem knapp Zwei­jäh­ri­gen zu­recht­kom­men soll. Sei­ne Ge­dan­ken wan­dern zum dun­kels­ten Tag sei­nes Le­bens. Dem Tag, an dem sei­ne Schwes­ter sta­rb und ihm ihr Le­ben hin­ter­ließ. Er hat es an­ge­nom­men.

Jetzt star­tet er sei­nen Wa­gen. Fünf­und­vier­zig Mi­nu­ten spä­ter sieht er die Dä­cher der Ge­wächs­häu­ser, glän­zend nass vom Re­gen. Da­ne­ben die Scheu­ne und das gro­ße alte Stein­haus. Vor­sich­tig biegt er in den Hof ein und parkt di­rekt vor der Haus­tür. Die Füch­sin sitzt reg­los zwi­schen den Ge­wächs­häu­sern. Er hebt Ben aus sei­nem Sitz und bringt ihn, ohne ihn zu we­cken, ins Bett.

Die Füchsin

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