Читать книгу Die Füchsin - Ursula Tintelnot - Страница 8
6 Juli
ОглавлениеValerie bezahlt den Chauffeur und steigt aus dem Taxi. Die Front des Hauses ist erleuchtet. Sie fragt sich, ob das nötig ist und beantwortete sich die Frage gleich selbst mit einem klaren Nein. Es gibt ein Wort dafür: Lichtverschmutzung.
Die Mauern der beiden ersten Etagen sind cremefarben gestrichen und noch ohne Graffiti, die oberen drei leuchten in einem kräftigen Rot, nur unterbrochen von weißen Fensterrahmen. Es ist ein schönes altes Mietshaus. Vier kleine Balkone, schwarz umgittert, hängen an der Vorderseite. Ihr Balkon, sie hat Glück, hängt an der Seite. Von dort hat sie den Blick auf einen begrünten Platz mit hohen Bäumen, einem Kinderspielplatz und den Eingang. Sie bleibt einen Moment auf dem gepflasterten Vorplatz stehen. Nur zwei Wohnungen sind noch beleuchtet. Ihre eigene im zweiten Stock und die darunter, in der das junge, ewig streitende Paar wohnt.
Sie kramt in ihrer Tasche nach dem Haustürschlüssel, schließt auf und tastet nach dem Lichtschalter. Dann hört sie Lärm. Sie bleibt stehen und lauscht. Sekunden später wird über ihr eine Tür aufgerissen. Der junge Mann aus der Wohnung im ersten Stock rennt, ohne sie wahrzunehmen, an ihr vorbei. Langsam steigt Valerie die Stufen hinauf. Wieder bleibt sie stehen. Sie hört die Frau schluchzen. Soll sie fragen, ob sie Hilfe braucht? Valerie seufzt. Sie möchte nichts als einen ruhigen Abend, den sie nutzen will, um ihren Artikel zu schreiben. Ihr Finger legt sich ganz ohne ihren Willen auf die Klingel neben dem Schild, das verkündet, dass hier Klaus Weber und Katja Vogel wohnen. Webervogel, Valerie lächelt. Das Schluchzen im Innern der Wohnung wird leiser und verstummt. Eine belegte Frauenstimme fragt: »Wer ist da?«
»Valerie. Ich wohne im zweiten Stock. Brauchen Sie Hilfe?«
»Nein, gehen Sie!«
»Gute Nacht.« Valerie kommt sich dämlich vor. Aber sie kann verstehen, dass Katja sich in dem Zustand, in dem sie sich zweifellos gerade befindet, nicht zeigen will. Als sie ihre Wohnungstür öffnet, streicht die Katze maunzend um ihre Beine.
»Ich hab dich zu lange alleine gelassen.«
Magnus hat der Katze keinen Namen gegeben. Sie tauft sie auch nicht. Sie denkt an Frühstück bei Tiffany. In dem Film wird der Kater auch nur Kater gerufen.
Valerie öffnete eine Flasche Barolo. Sie gießt sich ein Glas ein und setzt sich an ihren Schreibtisch. Der erste samtige Schluck. Auch der Wein, wie die Katze, Magnus‹ Hinterlassenschaft. Die Katze liegt auf dem Tisch neben dem Laptop und starrt sie aus ihren schönen Augen an. Valerie denkt an den wunderbaren ersten Abend mit Magnus. Er hat sie überrascht, damals. Nicht daran denken, befiehlt sie sich. Mach deinen Artikel fertig. Sie öffnet den Computer, richtet die Seite ein und schreibt.
Wo wir fühlen, was wir fühlen.
Immer mehr Neurowissenschaftler beschäftigen sich inzwischen mit der Frage, wo sich der Sitz der Emotionen befindet, und glauben Sie mir, die Antwort ist nicht das Herz. Herz, Gefühl und Liebe haben nichts miteinander zu tun. Wenn Ihr Herz schneller klopft, wenn Sie den Liebsten sehen, heißt das nicht, dass die Liebe dort ihren Platz hat, Ihr Herz klopft auch schneller, wenn Ihnen die S-Bahn vor der Nase wegfährt oder Sie in Hundescheiße treten. Schuld an Ihren Gefühlen sind bestimmte Hirnregionen, nichts weiter …
Man könnte sogar sagen, dass die Liebe ihren Sitz in der Niere hat …
Als Folge des Verliebtseins treten alle anderen Gefühle in den Hintergrund. Die Stimmung ist gehoben, eine Vielzahl von Botenstoffen verändern ihre Konzentration in Gehirn und Körper. So erhöht das während der Verliebtheit im Nebennierenmark ausgeschüttete Adrenalin direkt den Puls. Herzklopfen …
Hier wandern ihre Gedanken doch wieder zu Magnus:
Wildtaube mit Honig und Pappardelle an weißer Trüffel. Magnus ist überwältigend, wenn er unangemeldet vor der Tür steht. In einer Hand ein Blumenstrauß von der Größe eines Kleinwagens, in der anderen eine Tüte von Le Beau Voisin, einem angesagten Franzosen in Winterhude. Der Wein ist aus Italien. Er bewegt sich in ihrer Küche, als sei es seine eigene.
Sie schließt die Augen. Aber nicht Magnus‹ vertrautes Gesicht erscheint, sonders das Adams, den sie nicht kennt. Wer bist du?
Ihr Puls beschleunigt sich. Sie steht auf, um sich noch ein Glas Wein zu holen. Als sie zurückkommt, liegt die Katze auf ihrer Tastatur und schnurrt mit der defekten Lüftung um die Wette. Valerie hat den Text nicht gesichert. Der Bildschirm ist schwarz, die Katze hat den Text gelöscht.
Auch das, denkt sie, lässt das Herz schneller schlagen.
Sie muss noch einmal von vorne beginnen. Valerie schüttelt die Pumps von den Füßen und setzt sich ein zweites Mal vor den Computer. Die Katze sieht sie vorwurfsvoll an, als Valerie ihr den Platz streitig macht und sie auf den Fußboden setzt.
»Böse Katze. Du kannst froh sein, wenn ich deine Dosen noch öffne.«
Valerie setzt sich ihre riesige Brille auf die Nase und legt die Finger auf die, jetzt katzenfreie, Tastatur. Zwei Stunden später, es ist zwei Uhr in der Nacht, schickt sie den fertigen Text an die Redaktion der Zeitschrift Herz und Hirn.
Sie weiß, dass Bruno ihre Texte zwar schätzt, weil die Leserinnen sie lieben, persönlich aber verabscheut. Sie entspricht nicht dem idealen Frauenbild, das der Redakteur pflegt. Mit ihr kann er nicht umgehen, er hält sie für eine ausgemachte Zynikerin. Valerie lehnt sich zurück und streckt sich, die Brille legt sie neben den Laptop.
Sie tritt hinaus auf den Balkon. Die Nacht ist lau, und die weißen Blüten ihrer Kräuter leuchten in der Dunkelheit. Sie streicht über die raublättrige Minze, prompt erreicht sie ihr unverwechselbarer zarter Duft. Unter ihr rauscht es leise in den Kronen der Bäume, die ein fast undurchdringliches Dach über dem Spielplatz bilden. Sie zögert einen Moment. Dann entschließt sie sich, obwohl der Wind zunimmt, auf dem Balkon zu schlafen. Das tut sie manchmal, wenn das Wetter es zulässt. Ein Vogel piepst im Schlaf. Die Geräusche der Stadt werden leiser, nur noch wenige Autos sind unterwegs. Bis sie einschläft, lauscht sie dem Schnurren der Katze auf ihrem Bauch. Regen, den der Wind unter die Überdachung treibt, weckt sie.
»Verdammt!«
Sie sammelt Kissen und Decke zusammen und flüchtet.