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Kapitel 5 Unerschütterliche Hoffnung
ОглавлениеDer Krebs hatte sich inzwischen in Gertis Körper weit ausgebreitet. Vom Knie waren die Krebszellen zur Lunge gewandert und von hier aus in den Rücken. Die Schulmedizin hatte sie bereits aufgegeben. Die Ärzte waren mit ihren Methoden am Ende.
Aber wir wollten nicht einfach die Segel streichen. Ich suchte im Internet nach einer Alternative zur Schulmedizin und stieß dabei auf eine Klinik in Bad Aibling, die mit einer Wärmetherapie den Krebs behandelte. Es klang sehr einleuchtend: Der Tumor sollte erhitzt werden und da Krebszellen die einmal aufgenommene Wärme nicht wieder ableiten können, wie normale Zellen, sollten sie an Überhitzung zugrunde gehen.
Ich erzählte Gerti davon. Sofort schöpfte sie neue Hoffnung. Also rief ich in der Klinik an und regelte alles mit der Krankenkasse, die bereit war, einen Teil der Kosten zu übernehmen. Es dauerte nicht lange und wir konnte die Reise nach Süddeutschland antreten.
Dieses Krankenhaus, in das Gerti aufgenommen wurde, war wie ein stilvolles, mit wertvollen alten Möbeln eingerichtetes Privathaus. Wenn wir diese Krankheit nicht im Gepäck gehabt hätten, dann hätte man meinen können, der Aufenthalt dort wäre ein Urlaub. Ein herrlicher Garten umgab die Klinik, an den sich ein weitläufiger Kurpark anschloss, den man durch ein kleines Türchen betrat. Das Problem war nur, dass Gerti nicht mehr weit laufen konnte, weil der Tumor in der Lunge nicht nur die Atmung behinderte, sondern auch aufs Herz drückte.
Die Ärzte und Krankenschwestern waren sehr freundlich und zuvorkommend. Sie stellten einen Behandlungsplan zusammen, der eine Mischung aus Sauerstoff-, Fieber- und Wärmetherapie war. Jeden Tag musste Gerti an einem Gerät Sauerstoff einatmen, was ihr sehr gut tat. Aber dann kam die erste Fiebertherapie. Der kranke Körper wurde in einen Fieberzustand versetzt, damit sich die Tumorzellen erhitzen und anschließend absterben sollten. Vielen Patienten hatte die Therapie schon geholfen, aber in Gertis Fall war diese Behandlung nur schrecklich. Sie bekam von dem Fieber starke Herzrhythmusstörungen, die lebensbedrohlich waren. Diese Therapie musste also ganz schnell wieder abgesetzt werden.
Das bedeutete, dass die Ärzte den Tumor, der die Lunge durchzog, aufs Herz drückte und durch den Rücken gewachsen war, nicht mit ihrer Therapie erreichen konnten.
Da blieb nur noch der Mutter-Tumor im Knie, den sie mit der Wärmetherapie zu behandeln versuchten. Gerti ging tapfer zu den Terminen, um ihr Knie verschmoren zu lassen. Andere Patienten haben diese Tortur abgebrochen, weil sie ihnen zu schmerzhaft war. Gerti hat nicht aufgegeben und alle Schmerzen dieser Behandlung auf sich genommen. Das Schlimmste für sie war der Geruch des abgestorbenen Gewebes. Sie hat sich geschämt, dass ihr Knie so schrecklich stank. Wenn wir den Verband wechselten, fragte sie mich danach, aber ich habe das seltsamerweise fast gar nicht gerochen. Manchmal hat so ein lästiger Heuschnupfen auch etwas Gutes. Wir haben gehofft, dass der Krebs sich nicht weiter ausbreiten kann, wenn der Muttertumor im Knie, von dem aus diese schreckliche Krankheit ihren Siegeszug über den Körper angetreten hatte, beseitigt würde.
Unter den Patienten in der Klinik erzählte man viele Geschichten von Menschen, die den Krebs besiegt hatten. Wir nahmen sie begierig auf, egal wie seltsam sie klangen. Eine Patientin erzählte von einem Mann aus ihrem Dorf, dem die Ärzte nicht mehr helfen konnten, weil sein ganzer Körper voller Krebs war. Er hätte dann einfach nur Petroleum getrunken und wäre in kurzer Zeit angeblich geheilt worden. Andere erzählten von Körner-Diäten, die den Krebs im Körper ausgetrocknet und zur Heilung geführt hätten.
Es gab in der Klinik auch so genannte Wunderheilungen nach der Wärmetherapie. Ich erinnere mich an eine nette junge Frau, die wie das blühende Leben aussah und auf allen Veranstaltungen als Vorzeigepatientin vorgeführt wurde, weil die Wärmetherapie sie angeblich vom Brustkrebs geheilt hatte. Wir haben noch erlebt, wie sie einen Rückfall bekam und dann in kurzer Zeit verstarb. Trotzdem hielten wir uns auch an jedem Strohhalm fest, der uns gereicht wurde. Eine Frau erzählte von einem Heilpraktiker in Bochum, der ein Heilmittel gegen Krebs vom Himalaya beschaffte, dem große Heilkraft nachgesagt wurde. Wir fuhren natürlich sofort zu ihm, auch wenn es für Gerti eine große Anstrengung bedeutete. Sie war schon sehr geschwächt, denn seit einiger Zeit konnte sie nicht mehr gut essen.
Wir haben uns eine Menge von diesem sehr teuren Wundermittel mitgenommen. Das Medikament sah aus wie Petroleum oder wie Wagenschmiere, war dickflüssig, sah also nicht gerade appetitanregend aus. Das war Gerti egal, sie wollte das Medikament nehmen und hat einfach Weißbrotscheiben in kleine Würfel geschnitten, sie mit der Schmiere beträufelt und die Häppchen gegessen.
Und das Wunder geschah! Vor der Einnahme dieses Medikamentes konnten wir den Kurpark nur noch gerade erreichen und mussten dann umkehren, weil Gerti nicht mehr weiter gehen konnte. Nach der Einnahme dieses Medikaments war sie wieder voller Kraft und Unternehmungslust. Wir liefen stundenlang durch den Park, erfreuten uns an den Tieren, die dort herumliefen und genossen die Sonne. Gertis ältester Sohn kam mit seinem Hund zu Besuch und wir gingen mit ihm an einem großen Teich entlang, an dem sein Hund die Enten ins Wasser jagte.
Wir schöpften neue Hoffnung, denn Gerti konnte wieder essen und schlucken. Alles schien gut zu werden. Das ging mehrere Wochen so. Wir waren fast euphorisch, aber dann kam der Tag, an dem Gerti, als ich sie – wie jedes Wochenende – besuchte, mir mitteilte, dass sie das Medikament nicht mehr schlucken könnte. Fast hat sie sich dafür entschuldigt, dabei konnte sie doch nichts dafür. Ich wusste, dass sie alles getan hätte um zu überleben, wenn es ihr irgendwie möglich gewesen wäre.
Aber nun hatte sie wieder diese quälenden Schluckbeschwerden, die sie vor der Einnahme des Medikaments vom Himalaya auch schon fast zur Verzweiflung gebracht hatten.
Allein ihr Frühstück zog sich über zwei Stunden hin. Sie ging als eine der ersten in den Frühstücksraum und saß immer noch dort, wenn schon alle gegangen waren. Nur eine sehr liebevolle Patientin der Klinik blieb Morgen für Morgen bei ihr sitzen und hat sich mit ihr unterhalten, bis Gerti endlich fertig war.
Es war für mich eine große Beruhigung, dass die freundliche Patientin ihr jeden Morgen Gesellschaft leistete, denn ich konnte ja nur am Wochenende bei ihr sein.
Wir haben aber jeden Tag miteinander telefoniert, denn ich wollte immer wissen, wie es ihr ging. An einem Morgen hatte ich schon angerufen, bevor ich in die Schule zur Arbeit fuhr. An diesem Tag ging es ihr sehr schlecht, weil die Ärzte in der Klinik sämtliche Schmerzmittel abgesetzt hatten, um die Therapie auf alternative Präparate umzustellen. So verzweifelt hatte ich sie noch nie erlebt. Am Telefon konnte sie vor Schmerzen kaum sprechen.
Während ich die Schülerinnen und Schüler unterrichtete, konnte ich an nichts anderes denken als an Gertis vom Schmerz gedämpfte Stimme. Ich hatte Angst, dass sie sterben könnte, ohne dass ich bei ihr wäre. Als endlich die sechste Schulstunde vorbei war, fuhr ich nicht nach Hause, sondern sofort auf die Autobahn. In ungefähr sechs Stunden war ich in der Klinik und stand an ihrem Bett.
Sie hat sich so gefreut, als ich ganz unerwartet vor ihr stand. Es ging ihr zum Glück schon wieder etwas besser und wir haben ein paar schöne Stunden miteinander verlebt. Ich war beruhigt, dass es ihr nicht so schlecht ging, wie ich befürchtet hatte und fuhr gegen Abend nach Hause zurück.
Auf dem Heimweg habe ich dann das erste Mal in meinem Leben Bekanntschaft mit dem Phänomen Sekundenschlaf gemacht. Zum Glück fuhr ich auf gerader Strecke, sodass nichts passiert ist, aber ich war doch geschockt, als ich in gefährlicher Nähe zur Leitplanke aufwachte. An der nächsten Raststätte hielt ich an, schlief ein paar Minuten auf dem Rücksitz und fuhr dann mit lauter Musik im Radio weiter.
Das habe ich Gerti natürlich nicht erzählt, weil es sie nur beunruhigt hätte. Sie meinte ohnehin öfter, dass es für mich zu anstrengend sei, sie jedes Wochenende zu besuchen. Das war es aber für mich überhaupt nicht, sondern es wäre vielmehr eine Qual für mich gewesen, nicht wenigstens einmal in der Woche bei ihr zu sein und zu sehen wie es ihr ging und ihr beizustehen.
Wenn sie mich erblickte, strahlte sie immer. Falls es ihr Gesundheitszustand zuließ, unternahmen wir kleine Ausflüge mit dem Auto in die Umgebung.
Zum Glück hatte ich dann während ihres Aufenthalts in Bad Aibling Schulferien, brauchte also nicht zu arbeiten und konnte längere Zeit bei Gerti in der Klinik sein. Eine Mitpatientin von ihr hatte uns einen Tipp für eine günstige Unterkunft gegeben, sodass ich bei einer sehr netten Familie in Köckbrunn günstig und gut auf deren Bauernhof wohnen konnte. Die Menschen dort waren so empathisch, dass ich in dieser Umgebung gut auftanken konnte, um jeden Tag wieder gestärkt in die Klinik gehen zu können.
So oft es nach den Therapien möglich war, leistete ich Gerti Gesellschaft. Wir haben jede Minute, die wir noch etwas miteinander unternehmen konnten, ausgenutzt: Wir sind in die umliegenden Berge gefahren, haben die Natur genossen, sind in ein Restaurant eingekehrt und wieder in die Klinik zurückgefahren.
Jeder Moment war wertvoll und wir kosteten alle aus, weil wir wussten, dass Gertis Zustand sich schnell ändern konnte. Das Leben bekam eine unglaubliche Tiefe, denn jeder Moment war unendlich wertvoll. Wie unwiederbringlich jede Minute des Zusammenseins mit einem geliebten Menschen ist, wird einem in Zeiten unbeschwerter Gesundheit nur selten bewusst.
Bei einem Gespräch mit einigen Mitpatienten von Gerti erzählte eine Frau, dass ganz in der Nähe, in Hall, ein Wunderheiler leben würde, der schon Menschen vom Krebs geheilt hätte. Unter Tränen meinte die Frau, dass sie diesen Arzt und Heiler so gerne aufsuchen würde, aber weil sie kein Auto hätte, könnte sie das nicht. Hilfsbereit, wie Gerti nun mal war, bot sie der Frau an, dass wir sie da hinfahren könnten.
Ich war erst ein bisschen skeptisch, aber dann kam mir der Gedanke, dass wir ja zu dritt fahren und für Gerti auch einen Termin machen könnten. Also rief ich in Hall bei dem besagten Dr. Hochenegg an, der Heiler und Schulmediziner war. Am Telefon erfuhr ich, dass man den Termin erst bekäme, wenn man dort wäre und dass man lange Wartezeiten in Kauf nehmen müsste. Das stimmte mich etwas bedenklich, denn Gertis gesundheitlicher Zustand war nicht der Beste. Aber sie wollte gerne dorthin und darum haben wir diese Reise dann auch unternommen.
Die Praxis des Arztes lag in einem alten Gemäuer, das wie eine Burg wirkte. Wir mussten uns eine Nummer ziehen wie beim Einwohnermeldeamt und konnten wieder gehen. Eine Arzthelferin sagte uns, wir könnten uns den Ort in Ruhe ansehen und dann irgendwann wieder vorbei kommen. Der Ortskern war sehr hübsch, die Sonne schien, eine Trachtengruppe gab auf einem Platz ihr Können in Form von traditionellen Tänzen zum Besten. Stündlich haben wir nachgesehen, ob wir beim Arzt an der Reihe waren, aber das war erst nach acht Stunden der Fall.
Das schien Gerti alles nichts auszumachen, auch nicht die vielen schwerkranken Menschen, die das Haus des Heilers umlagerten.
Sie machte noch einen erstaunlich frischen, hoffnungsvollen Eindruck, als wir die einfachen Praxisräume des Doktors betraten. Wir wurden gebeten, uns auf zwei Hocker zu setzen und nach einer Weile kam der Arzt und Heiler in den Raum, ein bescheidener Mann.
Er fragte Gerti, weshalb sie zu ihm gekommen sei und sie hat ihm erklärt, dass sie im Knie und in der Lunge Krebs hätte. Der Arzt legte ihr die Hände auf den Kopf und augenblicklich durchfuhr mich, die ich im Abstand von einem halben Meter neben Gerti saß, eine angenehme Wärme, obwohl er mich gar nicht berührt hatte. Dann sagte er zu Gerti, er könne ihr helfen, aber dafür müsste sie für einige Wochen zu ihm in eins seiner Behandlungshäuser kommen.
Er machte einen Schritt zur Seite, stand nun vor mir und fragte, was er für mich tun könne. Ich sagte ihm, ich würde nur unter Heuschnupfen leiden. Darauf antwortete er lächelnd: „Das ist doch eine unserer leichtesten Übungen!“ Und als er seine Hand auf meine Stirn legte, öffnete sich sofort meine bis dahin verstopfte Nase und ich hatte das Gefühl nicht mehr nur durch meine Nase, sondern auch noch oben durch meinen Kopf Luft zu atmen. Meine anfängliche Skepsis gegenüber dem Heiler war mit einem Schlag wie weggeblasen. Wir nahmen noch jeder einen Tee mit, der unser Immunsystem stärken sollte. Dann machten wir uns auf den Weg zurück in die Klinik.
Wir waren beide euphorisch und überlegten schon im Auto, wann Gerti wohl am besten ein paar Wochen in Hall bei dem Heiler in einem seiner Häuser wohnen könnte, um behandelt zu werden. Endlich hatten wir wieder Hoffnung, dass doch alles gut werden würde, zumal wir eine Frau dort kennengelernt hatten, die vor einigen Jahren Gehirntumore hatte und von den Ärzten aufgegeben worden war. Ihr Mann erzählte, dass er sich nicht geschlagen geben wollte, als die Ärzte ihm sagten, seine Frau habe nur noch drei Wochen zu leben. Er hatte von Dr. Hochenegg gehört und seine Frau zu ihm gebracht.
Sie war nun seit zehn Jahren geheilt und die Schulmediziner konnten sich das nicht erklären. Auf den Röntgenaufnahmen, die von ihrem Gehirn gemacht wurden, waren statt der Tumore nur noch kleine Narben zu sehen. Der Mann fuhr seitdem jedes Jahr zu dem Heiler, um sich und seiner Frau die Hände auflegen zu lassen.
Solche Erzählungen gaben uns neuen Auftrieb, aber Gertis körperlicher Zustand hatte sich in den letzten Wochen sehr verschlechtert. Sie konnte kaum schlucken und die Schmerzen wurden immer heftiger. Das Schmerzmittel, auf das man sie umgestellt hatte, zeigte bald keine Wirkung mehr und die Ärzte in der Klinik waren ratlos. Sie lag viel im Bett und ich saß hilflos auf ihrer Bettkante.
Eine Zimmernachbarin von Gerti wurde entlassen, weil man ihr hier auch nicht mehr helfen konnte. Sie hatte Darmkrebs und ihre größte Sorge bei der Entlassung war, dass sie zuhause die vielen Treppen zu ihrer Dachwohnung nicht mehr alleine hochkommen könnte. Sie sagte zu Gerti: „Ich würde mein ganzes Vermögen dafür geben, wenn ich so einen Menschen an meiner Seite hätte, wie Sie.“
Inzwischen hatte ich herausgefunden, dass es in Bonn eine Schmerzklinik gab und machte den Ärzten in Bad Aibling den Vorschlag, dass ich Gerti dort hinbringen könnte, damit sie endlich nicht mehr so schreckliche Schmerzen hätte. Die Ärzte haben dem Vorschlag zugestimmt, weil sie mit ihren Mitteln auch nicht mehr helfen konnten. Sie meinten aber, Gerti sollte in einem Krankenwagen transportiert werden, weil sie sonst die lange Fahrt nicht überstehen würde. Das war auch gut so, denn ich kam mit meinem Auto in einen endlosen Stau, während man Gerti im Krankenwagen mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn an dem langen Stau vorbeifuhr.