Читать книгу Vom letzten Tag ein Stück - Ute Bales - Страница 15

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11.

Früher hatten Bertrams Eltern einen Hund. Er war zottelig und schwarz und lag, so oft ich kam, vor dem Ofen in der Küche. Er war irgendwann an einer bösen Krankheit verendet. Wie gut wäre es gewesen, wenn Bertram sich wieder einen Hund zugelegt hätte. So ein Hund hätte ihn sicher aufgestöbert.

Aber er wollte keine Tiere. Auch keine Katze. Wenn schon ein Tier, dann eines, das nicht angefasst und gestreichelt werden wolle. Zum Beispiel ein Käfer. Oder ein Wurm. Solche Tiere mochte er, weil sie in ihrem eigenen Kosmos lebten. »So einem Wurm«, meinte Bertram, »sind wir doch vollkommen egal. Der sieht uns doch gar nicht, sondern hat seine eigene Welt, seine eigene Wahrnehmung. Anders als ein Hund.« Er mochte keine Tiere, die sich von Menschen beherrschen ließen. »Stell dir mal so ein Käferhirn vor. Sieht anders, hört anders, verarbeitet anders … Oder ein Bienenhirn. Wir sehen sie nach Honig suchen, stundenlang, oft weit weg von ihren Stöcken. Wer sagt denen, wohin sie fliegen sollen und wo es Nahrung gibt? Und wie kommen sie zurück zu ihren Waben? Überhaupt, versuch mal, Pollen aus einer Blüte zu saugen oder ein Spinnennetz zu stricken. Kannst du Seide spinnen? Nein, da werden wir uns nie hineindenken können. Dabei ist doch so ein Spinnennetz etwas so Feines, Kunstvolles … Und mindestens genauso viel wert, wie wenn wir ein Haus bauen!«

Manches, was er sagte, fand ich klug, und über vieles musste ich nachdenken. Er hätte gerne mehr gewusst über die Zusammenhänge der Dinge, fragte sich, weshalb es Bäume gibt und Vögel und was ein Bach den ganzen Tag so macht und wem er nützt. Er erkannte, dass sein Wissen begrenzt war, ebenso seine Sinne. Über seine anderthalb Sprachen spottete er. Es machte ihm zu schaffen, dass er nie alles würde erfassen können. Deshalb hielt er auch Gott für möglich. Religion lehnte er ab. Hier hielt er es mit Marx und sprach von Volkes Opium.

Schon vor dem Tod der Eltern ging er nicht mehr in die Kirche, was dem Vater egal war, die Mutter allerdings unheimlich aufregte. Er warf ihr an den Kopf, dass die Pastöre die Leute bevormundeten und maßregelten, dass sie Menschen in Not immer nur aufforderten, geduldig zu sein, anstatt ihnen zu helfen. Auch, dass die Kirche sich über alles stellte, dass sie die Frauen missachtete und den Leuten einredete, dass es Gerechtigkeit erst nach dem Tod gäbe. Was ihn auf die Palme brachte, war, dass gesagt wurde, Christen müssten treue Untertanen sein und Revolution sei Rebellion gegen Gott. Die Mutter hatte keine Argumente, um Bertram zurückzuholen.

Was der Mensch selbstständig denkt und vor allem, was er über sich selbst denkt, ist entscheidend für sein Leben. Davon war Bertram überzeugt. Für sich selbst entschied er, bewusst zu leben und sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren zu wollen. Seine Zeit wollte er nutzen und eine Spur hinterlassen. Als ich ihn fragte, ob auch ich zu seinen wesentlichen Dingen gehöre, nickte er und machte dabei ein sehr ernstes und angestrengtes Gesicht.

Vom letzten Tag ein Stück

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