Читать книгу Vom letzten Tag ein Stück - Ute Bales - Страница 9
Оглавление5.
Die Ratschläge, mit denen wir ins Leben geschickt wurden, hallen noch nach: Passt auf! Geht gerade! Sitzt gerade! Seid pünktlich! Strengt euch an!
Wir hatten freundlich zu sein und alle zu grüßen, die durchs Dorf gingen.
Wir lernten: Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen.
Wir verstanden, dass, wer hoch hinaus will, tief fallen kann.
Wir hörten, dass wir nichts geschenkt bekämen.
Dass nur der frühe Vogel den Wurm fange.
Dass man den Tag nicht vor dem Abend loben soll.
Dass Ordnung das halbe Leben ist.
Dass es ohne Fleiß keinen Preis gibt.
Vor allem sollten wir aus einer Mücke keinen Elefanten machen und nicht aus der Reihe tanzen, was allerdings schnell passieren konnte. Wir sollten den Stier bei den Hörnern packen, aber nicht mit dem Kopf gegen die Wand rennen und die Kirche im Dorf lassen.
Vieles, was wir taten, taten wir aufgrund von Bräuchen und Sitten und weil wir es einfach immer so gemacht hatten. Taufen wurden zügig erledigt, weil Heidenkinder sonst keine Chance auf das Paradies hatten. Hochzeitspaaren wurde geschliffen1, was teuer werden konnte. Starb jemand, so läutete Toni die Glocken. An drei Abenden hintereinander beteten wir in der Kirche den Rosenkranz. Und das ewige Licht leuchte ihnen. Zur Beerdigung gingen alle den Sarg segnen. Die Frauen aus der Nachbarschaft durften danach mit zum Kaffee.
An Fastnacht zogen wir in einem Pulk von Cowboys und Indianern von Tür zu Tür und sammelten Bonbons, Eier, manchmal ein paar Groschen. Wir wussten, bei wem was zu holen war. Sogar Bertram machte mit, wenn er sich auch nicht verkleidete. »Ich bin ein armer König, gib mir nicht zu wenig, lass mich nicht zu lange stehn, denn ich muss bald weitergehn …« Am Aschermittwoch holten wir uns das Aschenkreuz ab. Uns war klar, dass wir irgendwann wieder zu Staub werden würden, denn dort waren wir hergekommen.
Wenn am Gründonnerstag die Glocken nach Rom flogen, kamen die Jungs mit ihren Holzklappern, den Rätschen und Raspeln. Morgens, mittags und abends. »Et löckt Bätklock!« Dann scharfe, schneidende und knallende Geräusche. Für Mädchen verboten, sagten sie, wenn wir mitmachen wollten. Auch Bertram war damals wenig tolerant.
Am Ostermorgen war unsere Kirche voller Gesang, der sicher in den Mauern geblieben ist.
»Halleluja, Jesus lebt, Jesus lebt, Jesus lebt, hallelu-u-ja–a Jesus lebt!« Draußen auf dem Parkplatz vor der Kirche dann Nummernschilder aus Düsseldorf, Köln, Trier. Nachmittags Türme von Cremekuchen. Auf der Wiese warfen wir hartgekochte Eier in die Luft.
An Pfingsten, wenn die Gegend gelb war vom Ginster, baute der Schützenverein auf dem Platz vor der Schule ein Zelt auf. Flatterfähnchen in grün-weiß, vor dem Zelt eine Schiffschaukel und ein billiger Jakob mit allerhand Tinnef. Drinnen eine Drei-Mann-Band und Onkel Nikla, der sein Glas gegen die Musikanten erhob und schrie: »Frau Wirtin, eine Lage für die Mussik!« Sie spielten Kasatschok für uns Kinder und Foxtrott für die Erwachsenen, die schunkelten und lachten und grölten und später, am Stand der Bitburger Brauerei, schwankend von Bier und Schnapsseligkeit, versuchten, uns Kinder nach Hause zu schicken.
Immer wenn die Schützen ihre grünen Anzüge mit Orden und Ehrenabzeichen anzogen, die Hüte mit den Schützenfedern aufsetzten und Fahnen und Gewehre schulterten, schien die Sonne. Für Glaube, Sitte und Heimat.
An St. Martin verbrannten wir nach dem Fackelumzug unterhalb des Berges, an einer Fichtenschonung, alte Reifen und Holz. Das Feuer war weithin zu sehen, erhellte unsere Gesichter und strahlte bis hinauf in den Himmel.
Zu Weihnachten baute Berni, unser Küster, zu Füßen der Madonna eine Krippenlandschaft auf mit einem Ziehbrunnen, Palmen und Schafen und einem Mohr, der den Kopf nickend bewegte, wenn man ihm Geld in den Schlitz vor seinen Knien einwarf.
Schön war das und vieles andere auch, was mir jetzt nicht mehr einfällt, aber auch zu uns gehört hat.
Aber nein, in einer Idylle lebte niemand.