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1.4 Wo kommen wir her, wo gehen wir hin?
ОглавлениеDie Bundesregierung setzt auf die Genderforschung und unterstützt und fördert sie mit einer Reihe von Projekten. Einmal pro Legislaturperiode wird ein Gleichstellungsbericht auf der Grundlage genderorientierter Forschung erarbeitet, der zeigt, in welchen Bereichen gesellschaftspolitische Fortschritte essenziell sind, damit die Forderung nach Chancengleichheit verwirklicht werden kann. Diese Projekte sind darauf angelegt, strukturelle Veränderungen herbeizuführen, eine innovative Kultur zu ermöglichen und den Weg für Frauen in Führungspositionen, vor allem in (Natur-)Wissenschaft und Wirtschaft, aber auch in »bislang vernachlässigten Bereichen«,29 zu ebnen. Dabei orientieren sich die Projekte an drei Themenschwerpunkten:
1 »Berufsorientierung«,
2 »Organisationsstrukturen und Karriereverläufe in Wissenschaft und Wirtschaft«,
3 »Geschlechtsspezifische Fragestellungen in aktuellen Forschungsfeldern«.
»Berufsorientierung« ist dazu da, Erkenntnisse über Studien- und Berufswahlprozesse zu verbreiten. Das wiederum soll neue Wege in die Berufsfindung eröffnen und Entscheidungen bezüglich der Ausbildung in zukunftsträchtigen Bereichen unterstützen. »Organisationsstrukturen und Karriereverläufe in Wissenschaft und Wirtschaft« beschäftigt sich mit der Analyse von Bedingungen von Karriereverläufen in unterschiedlichen Bereichen sowie von unterschiedlichen Phasen der Berufslaufbahn, Berufungsverfahren und Rekrutierungsstrategien an Hochschulen. Außerdem wird auch die Vereinbarkeit von Wissenschaft (Beruf) und Elternschaft analysiert. »Geschlechtsspezifische Fragestellungen in aktuellen Forschungsfeldern« sorgt für die Integration von Genderaspekten, die die Innovationskraft der Forschung stärken und die »bedarfsgerechte Umsetzung von Forschungsergebnissen«30 ermöglichen – dass also das, was erforscht wird, auch praktisch in der Gesellschaft angewandt werden kann. Die Bundesregierung fördert außerdem den Transfer und die Vernetzung mit anderen Nationen über Strategien, die die Durchsetzung von Chancengerechtigkeit für Frauen gewährleisten sollen und baut so innovative Forschungskooperationen auf bzw. weiter aus.
Das Innovationspotenzial der Genderforschung, so das Bundesministerium für Bildung und Forschung, ist deshalb so wichtig, weil es für gesellschaftliche Veränderung genutzt werden und Chancengleichheit verwirklicht werden kann.31 Das große Interesse der Bundesregierung an Genderforschung wird damit begründet, dass Forschungsfragen unbedingt systematisch geschlechterdifferenziert betrachtet werden müssen und uns grundlegende Erkenntnisse über sogenannte Verzerrungseffekte liefern können, die abhängig sind von »den Wahrnehmungen und Erwartungen der beteiligten Personen«.32 Die Erkenntnisse sollen zum Vorschein bringen, wie solche Effekte erkannt und vermieden werden können. Darauf aufbauend, können politische Maßnahmen geschlechtersensibel gestaltet werden.33 Und die Förderung zeigt Wirkung. In der Medizin werden sowohl Männer als auch Frauen (aber auch Kinder, Senioren und junge Erwachsene) bei der Erforschung von Krankheiten, ihren unterschiedlichen Symptomen und Therapien berücksichtig. In einem Bericht des BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) wird deutlich gemacht, dass auch Männer z. B. an Brustkrebs erkranken können.34 Stereotypisch wird dieses Krankheitsbild nur mit Frauen in Verbindung gebracht. Ebenso war es lange Zeit normal bei der Erforschung von Krankheiten, wie z. B. dem Herzinfarkt, nur am männlichen Körper zu forschen, aber Symptome, der Krankheitsverlauf und auch die Wirkung von Medikamenten können bei Mann und Frau verschieden sein. Eine weitere positive Wirkung der Förderung durch die Bundesregierung ist, dass die Genderforschung inzwischen in der Wissenschaftslandschaft als verankert gilt: Es existieren ca. 200 »Professuren mit einer Voll- oder zumindest einer Teildenomination ›Frauen- und Geschlechterforschung/Gender Studies‹« an deutschsprachigen Hochschulen«35 (Stand Juli 2019). Die Genderforschung hat demnach die gleichen Chancen auf Förderung wie andere Gebiete in der Wissenschaft.
All die Förderung ist aber hauptsächlich theoretischer Natur und konzentriert sich, zumindest lässt sich das den Berichten des BMBF so entnehmen, auf Forschung und Erkenntnisse, die dann zu praktischen Maßnahmen zur Besserung führen sollen. Sie sorgen zwar für das Bewusstsein von Gendersensibilität, sie beschränkt sich aber auf die Welt der Wissenschaften, und die Genderforschung bleibt somit einem Umfeld vorbehalten, in dem jede*r bewusst und bekennend gendergerechte Sprache einsetzt. Außerdem reicht Bewusstsein allein nicht dafür aus, etwas zu verändern. Die Tatsache bleibt, dass, wenn man/frau die oberen Ränge in der Unternehmenshierarchie betrachtet, dort Frauen immer noch deutlich unterrepräsentiert sind. Das lässt sich am Beispiel der Universität veranschaulichen: Über 50 % der Studierenden sind weiblich und schließen in den meisten Fällen ihr Studium mit Bestnoten ab.36 Aber wenn man/frau sich die Professuren und Lehrstühle anschaut, sind dort kaum Frauen vertreten. Geschlechterstereotype und gesellschaftliche Rahmenbedingungen führen häufig zum Stillstand oder Abbruch der Karriere – so schreibt das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Die Anzahl von Professorinnen in einer Fakultät oder an einem Seminar ist auch vom Fach abhängig, so trifft man/frau z. B. in der Neuphilologie häufig mehr Professorinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen auf den oberen Rängen an als z. B. in den Naturwissenschaften. Und wenn man/frau sich einmal von der »Akademikerbubble« und der Universität und der Hochschule wegbewegt, stößt man/frau auf weitere Bereiche und Alltagssituationen, in welchen Frauen deutlich anders behandelt werden als Männer.