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ОглавлениеFreundlicher Tod
Ute Dombrowski
1. Auflage 2017
Copyright © 2017 Ute Dombrowski
Umschlag: Ute Dombrowski
Lektorat/Korrektorat Julia Dillenberger-Ochs
Satz: Ute Dombrowski
Verlag: Ute Dombrowski Niedertiefenbach
Druck: epubli
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors und Selbstverlegers unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
„Die Hölle ist leer, sagt er, und alle Teufel sind hier.“
William Shakespeare
Der Sturm, 1. Aufzug, 3. Szene, Ariel zu Prospero
Der Tod ist einzigartig und unbestechlich, er nimmt alles mit, was einen Menschen einmal ausgemacht hat und lässt eine leere Hülle zurück. Wenn er sich auf den Weg macht, muss man ihn erwarten, annehmen und mit ihm gehen. Es ist dann Zeit, in einer anderen Dimension neu zu beginnen. Für Alexander war der Tod immer etwas gewesen, was weit weg war, doch heute hatte er ihn eingeladen.
Sarah lag regungslos in ihrem Bett neben dem Fenster. Alexander hatte ihre Bettdecke neu bezogen und schaute sie liebevoll an. Er hob ihren Oberkörper hoch und schüttelte das Kissen auf. Eine Weile später sank ihr Kopf zurück in die weichen Daunen und es sah aus, als ob sie sich nach einem anstrengenden Tag ausruhte. Er strich ihr zärtlich über das Haar und sah eine halbe Stunde hinaus in den herrlichen Wintermorgen.
Die Mutter war zu ihrer Schwägerin gefahren, um am Wochenende vor Weihnachten neue Kraft zu schöpfen. Die Pflege ihrer im Koma liegenden Tochter raubte ihr oft die gesamte Energie und Alexander hatte ihr die Auszeit von Herzen gegönnt.
Als er jetzt ein zweites, kleineres Kissen nahm und auf Mund und Nase seiner jüngeren Schwester drückte, musste er nur noch warten, bis die junge Frau nicht mehr atmete. Er fühlte ihren Puls und lächelte. Der Tod war gekommen und hatte Sarah mitgenommen. Nun musste sie nicht mehr leiden.
„Wir sehen uns bald wieder, meine Schöne. Ich liebe dich.“
Mit einem entspannten Gesicht verließ Alexander das Zimmer.
Am kommenden Morgen rief er den Arzt und setzte sich weinend an Sarahs Bett. Er hielt ihre Hand, bis Dr. Worges den Totenschein ausgefüllt und ihm sein Beileid ausgesprochen hatte. Der Facharzt, der Sarah seit dem Unfall betreut hatte, war im Urlaub und hatte für dieses Wochenende die Verantwortung an den Hausarzt der Familie übergeben.
Der Unfall vor eineinhalb Jahren hatte die Familie aus der Bahn geworfen. Ein Lkw war von rechts aus einer Seitenstraße gekommen und hatte das kleine Auto des Vaters übersehen. Der Aufprall war unausweichlich gewesen und Sarah, die auf dem Beifahrersitz gesessen und ihrer Prüfung entgegengefiebert hatte, musste später schwer verletzt aus dem Wrack herausgeschnitten werden. Dem Vater war kaum etwas passiert, er hatte sich den Arm gebrochen und die Kniescheibe war herausgerutscht. Sarah aber lag nach einer schweren Schädelverletzung immer noch im Koma.
Dörte Retzanski hatte ihr Kind vor sechs Monaten nach Hause geholt und pflegte es liebevoll. Allerdings stieß sie mehr und mehr an ihre körperlichen Grenzen und nachdem sie im Oktober einmal einfach vor Erschöpfung umgefallen war, gab es regelmäßig freie Wochenenden für sie, an denen sich Alexander um Sarah kümmerte. Bisher war alles gut gegangen, aber der junge Mann war so erschüttert über den Zustand seiner kleinen Schwester, die er über alles liebte, dass er eines Tages beschlossen hatte, sie von ihrem Leiden zu erlösen.
Er kannte sie als ausgelassen und fröhlich, sie war aktiv und hatte sich an dem Tag, als er passiert war, auf dem Weg zur Examenslehrprobe befunden, die letzte große Prüfung, bevor sie Lehrerin sein würde. Sarah mochte Kinder genauso gern wie Alexander.
Am Abend zuvor hatte sie dem Vater erklärt: „Papa, ich bin viel zu aufgeregt, kannst du mich morgen früh zur Schule bringen?“
„Aber natürlich, mein Kind, nicht, dass du noch einen Unfall baust, weil du nur an die Prüfung denkst.“
Klaas Retzanski fühlte sich seitdem schuldig und litt wie ein Hund, wenn er hinter seiner Frau ins Krankenhaus schlich, wo sein kleines Mädchen in den weißen Kissen wie tot aussah. Die Geräte waren da und überwachten alle lebensnotwendigen Funktionen. Klaas schlief wenig, stürzte sich in die Arbeit und machte sich Vorwürfe. Seit dem Tag, an dem seine Frau Sarah nach Hause geholt hatte, verkroch er sich in der Apotheke und kam nur noch selten heim. Er schlief im Hinterzimmer und war bald blass und ausgemergelt.
Dörte aber blühte auf und sprach jeden Tag mit Sarah, denn der Arzt hatte gesagt, dass es möglich war, dass die junge Frau eines Tages wieder aus dem Koma aufwachen würde.
„Wie wird es ihr dann gehen? Wird sie noch die Alte sein?“, hatte sie hoffnungsvoll gefragt.
„Ich kann es nicht sagen, das ist ein Thema, das noch weit weg ist. Frau Retzanski, wir müssen hoffen und ich verspreche Ihnen, dass ich alles dafür tun werde, dass Sarah wieder aufwacht. Das ist wenig, aber sie lebt und dafür müssen wir dankbar sein.“
„Was wird denn, wenn sie nicht mehr klar denken kann? Wenn sie ein Pflegefall bleibt?“
„Das überlegen wir, wenn sie aufgewacht ist, einverstanden?“
Dörte hatte genickt, die Hand ihres Sohnes genommen und ihn angesehen.
„Sie schafft das, sie ist stark.“
„Ja, Mama, Sarah haut so schnell nichts um.“
Alexander wollte seiner Mutter nicht wehtun, aber er hatte die Hoffnung aufgegeben und viel im Internet recherchiert. Es konnte sein, dass Sarah ein sabberndes, grinsendes Mädchen sein würde, die nicht mehr selbständig atmete oder es konnte sein, dass sie jahrelang mit offenen Augen zur Decke starrte. Nein, so wollte er seine Sarah auf keinen Fall zurückhaben.
Später hatte Mama von den schwindenden Muskeln geredet und wie schwer der jungen Frau das Atmen fiel. Mitleid war es, Mitleid mit seiner Mutter, die in ihm den Gedanken an Erlösung weckte. Sarah würde dieses elende Leben friedlich verlassen und alle Last wäre fort. Alexander fühlte sich wichtig und wie der Retter der Welt. Sarah zu verlieren war sicher schwer, aber sie leiden zu sehen, würde viel schwerer sein.