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Оглавление„Dieser Gernot hätte ein Motiv“, erklärte Benedikt. „Er ist der einzige Erbe. Also warum nehmen wir ihn nicht fest? Dann ist der Fall gelöst.“
„Ich denke nicht, dass er es war. Ich bin am Telefonieren, denn er sagte, dass er in der Unibücherei war und ein bestelltes Buch abgeholt hat.“
„Die haben in der ersten Woche erst um zehn geöffnet, das stand im Internet.“
„Gut, dann gehe ich erstmal zu Bianca hoch und versuche es später nochmal.“
„Ich würde am liebsten eine Runde schlafen, aber ich schaue nochmal bei der Pflegerin vorbei und nerve sie mit Fragen.“
„Vielleicht kannst du bei ihr eine Weile schlafen“, sagte Michael lachend. „Waren wohl zwei wilde Tage?“
„Heiße Tage. Und am Neujahrsmorgen habe ich auch noch meinen neuen Nachbarn kennengelernt. Der ist durch die Stadt gelaufen und hat eine Wohnung gesucht, weil er sein Leben ändern will.“
„Das ist mal ein guter Vorsatz. Bis nachher.“
Michael verließ das Büro, eilte die Treppe hinauf und klopfte bei Bianca.
„Herein!“, rief es von drinnen.
Er trat ein und sah Biancas umwerfendes Lächeln. Er verschloss die Tür mit dem Schlüssel, der im Schloss steckte, ging um den Schreibtisch herum, zog Bianca vom Sessel hoch und küsste sie leidenschaftlich.
„He, mein lieber Verlobter, ich bin im Dienst.“
Sie schlang die Arme um Michaels Hals und genoss seine Lippen und Hände. Bei ihm fühlte sie sich sicher und geborgen. Er hatte ihr an Silvester einen Heiratsantrag gemacht, nachdem Benedikt zum Feiern gegangen war. Die beiden Männer hatten sich angezwinkert und Bianca hatte von einem zum anderen geschaut. Als Michael seinen Kollegen zur Tür gebracht hatte, kam er mit einer roten Rose wieder ins Wohnzimmer, wo Bianca es sich auf der Couch bequem gemacht hatte.
Sie richtete sich auf und ahnte, was nun kommen würde, als Michael vor ihr niederkniete.
„Süße, du bist der Sinn meines Lebens, ich kann mir nicht vorstellen, je wieder eine Sekunde ohne dich zu sein. Darum möchte ich dich etwas Wichtiges fragen.“
Bianca war zu ihm auf den Boden geglitten und Tränen der Rührung liefen über ihre erröteten Wangen.
„Willst du, Bianca Bonnét, meine Frau werden und den Rest des Lebens mit mir teilen?“
Bianca nahm seine Hand und hauchte: „Ja, ja, ich will. Oh, du machst mich absolut glücklich. Verzeih mir, dass ich so blind war.“
„Alles ist gut, mein Engel, wir gehören zusammen.“
Aus seiner Hosentasche holte Michael jetzt ein kleines rotes Samtkästchen hervor, in dem auf einem ebenso roten Kissen aus Seide ein Ring lag. Er nahm ihn heraus und streifte ihn über Biancas linken Ringfinger. Dann küsste er sie zärtlich.
Bianca betrachtete im Schein der kleinen Lampe neben der Couch den schmalen goldenen Ring mit dem kleinen Stein, der unwiderstehlich funkelte.
„Der ist wunderschön, ich danke dir. Den ziehe ich nie wieder aus.“
Als Michael sie ins Bett zog und sie liebte, während draußen die Raketen in den Nachthimmel stiegen, trug sie wirklich nur diesen Ring.
Und jetzt war Michael zu ihr ins Büro gekommen, um sie zu küssen und den Fall mit ihr zu besprechen. Bianca seufzte. Sie hatte Benedikt den Ring gezeigt, er hatte gratuliert und sie auf die Wange geküsst.
„Kommst du noch einmal mit zu Gernot?“, fragte Michael nun.
„Ja, ich komme mit. Lass uns noch ein bisschen bohren. Als Alleinerbe hätte er ja schon ein prima Motiv, den alten Mann um die Ecke zu bringen.“
Michael hielt ihr die Jacke hin und schloss danach die Tür wieder auf. Keine Sekunde zu spät, denn Dr. Rosenschuh war eben im Begriff, die Türklinke herunterzudrücken und einfach ins Büro zu treten. Er erschrak, als der Kommissar plötzlich vor ihm stand.
„Wollten Sie gerade klopfen oder ist mir das entgangen?“
„Entschuldigung, ich hätte schon noch geklopft. Ich habe gehört, wir haben einen ungeklärten Todesfall? Wer ist der Täter?“
„Wenn ich das wüsste, wäre ich schon bei Ihnen gewesen“, sagte Michael und riss sich zusammen, um den Staatsanwalt nicht zu schütteln.
Nun war Bianca an der Tür angekommen und lächelte den Stress einfach weg.
„Herr Dr. Rosenschuh, wir fahren jetzt zu einem Verdächtigen, fühlen ihm auf den Zahn und wenn wir Glück haben, bringen wir ihn gleich mit zum Verhör. Wenn Sie uns jetzt bitte entschuldigen würden? Ach ja, ich wünschen Ihnen ein gesundes Neues Jahr.“
Sie schob den Staatsanwalt sanft von der Tür weg und schloss ab. Dr. Hans-Martin Rosenschuh nahm seine Brille ab, rieb die Gläser mit einem Stofftaschentuch sauber und setzte sie wieder auf. Eben wollte er noch einmal deutlich zeigen, wer hier der Chef war, aber diese Frau verunsicherte ihn immer wieder aufs Neue. Er zuckte mit den Schultern und verschwand in die andere Richtung.
Michael lachte schallend, als sie zum Auto gingen und legte einen Arm um Bianca. Es war faszinierend, welche Wirkung seine Verlobte auf den stets gestressten Staatsanwalt hatte. Sie stiegen ein und weil es nun zehn Uhr war, rief Michael erneut in der Unibibliothek an. Eine raue Frauenstimme meldete sich und hustete, bevor sie sprach.
„Ich bin Kommissar Verskoff von der Polizei Eltville und möchte Sie um eine Auskunft bitten.“
„Wir geben prinzipiell keine Auskünfte am Telefon“, knarrte die Stimme am anderen Ende unfreundlich. „Sie müssen schon herkommen.“
Michael holte tief Luft und erwiderte: „Wenn ich wegen einer Frage, die uns helfen könnte einen Mord aufzuklären, extra kommen muss, werde ich direkt zu Ihrem Vorgesetzten gehen und ich versichere Ihnen, dass Sie dann den Job los sind. Also, beantworten Sie jetzt meine Frage?“
Bianca hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht loszulachen. Am anderen Ende des Telefons wurde gesprochen und dann bestätigte die Frau dem Kommissar, dass Gernot Drekelt tatsächlich ganz früh am Morgen in Mainz gewesen war, um ein wichtiges Buch abzuholen. Er hatte vorher angerufen und zwanzig Euro bezahlt, damit die Aushilfe ihm das Buch vor der Öffnungszeit um acht Uhr herausgab. Das Hin und Her hätte er unmöglich schaffen können. Der Todeszeitpunkt war auf einen Zeitraum zwischen fünf und sieben Uhr eingegrenzt worden.
„Mist, eigentlich kann ich mir dann auch gleich sparen, mit dem Kerl zu reden“, sagte Michael enttäuscht.
„Egal, uns fällt sicher etwas ein, was wir ihn fragen können. Wenn er nicht der Täter ist, wer dann? Die Pflegerin?“
„Keine Ahnung, sie hatte nur den einen Job und er war gut. Jetzt hat sie gar keinen mehr. Also warum sollte sie ihre Einnahmequelle töten?“
„Da hast du auch wieder recht. Aber wen kannte Fred Drekelt noch?“
Michael gab Gas und als sie kurze Zeit später vor dem Haus hielten, in dem Gernot wohnte, hatten sie sich einige Fragen überlegt. Der junge Mann öffnete und ließ die Kommissare eintreten.
„Es tut mir leid, wenn es hier so unordentlich ist, aber ich schreibe gerade eine wichtige Hausarbeit und habe keine Zeit zum Aufräumen.“
„Keine Sorge“, sagte Bianca lachend, „wir sind nicht hier, um die Wohnung zu beurteilen. Wir suchen einen Mörder.“
„Da muss ich Sie enttäuschen, ich bin kein Mörder. Ich habe meinen Onkel sehr gerne gehabt, er war das einzige Familienmitglied, das mir noch geblieben ist. Fast alle anderen sind vor ihm an Krebs gestorben. Ich bin nur froh, dass ich gesund bin.“
Bianca spürte, dass er die Wahrheit sagte, also fragte sie freundlich: „Ich glaube Ihnen sogar, aber wir müssen trotzdem denjenigen finden, der Ihren Onkel getötet hat: Wie sehen Sie denn die Rolle von Jutta Kücklitz? Hätte sie ein Motiv?“
„Nein“, begann Gernot kopfschüttelnd, „Jutta hat meinen Onkel betreut und gepflegt und war sowas wie eine Freundin geworden. Als der Knochenkrebs in seiner Wirbelsäule entdeckt wurde, war es schon zu spät, denn der Scheißkrebs hatte überall Metastasen gestreut. Und da wollte er auch nicht mehr im Krankenhaus sein. Er hat sich Jutta ins Haus geholt und sie fürstlich bezahlt. Sie ist für diesen Job geboren.“
Bianca seufzte. Sie sah Michael an und der übernahm jetzt das Gespräch.
„Wen kannte denn Ihr Onkel noch? Sind Sie mal einem Fremden begegnet?“
Gernot schüttelte den Kopf.
„Hatte er denn keine Freunde?“
„Nein, die einzigen Menschen, mit denen er geredet hat, waren Jutta und ich. Nur damals im Krankenhaus hatte er noch Kontakte nach außen, da saß er oft im Park oder in der Cafeteria und hat mit den Leuten gesprochen.“
„Denken Sie, dass er jemanden dafür bezahlt haben könnte, ihm beim Sterben zu helfen?“
„Niemals! Er wollte nicht sterben.“
„Wenn es einen Abschiedsbrief geben würde …“, flüsterte Bianca, die aus dem Fenster schaute.
Die Männer sahen erstaunt zu ihr. Ein Abschiedsbrief war nirgends aufgetaucht, aber er könnte die These der Sterbehilfe bestätigen. Sie drehte sich um und zuckte mit den Schultern.
„Es war nur ein Gedanke. Gibt es ein Testament?“
„Ja, wir waren sogar gemeinsam beim Notar, darum weiß ich, dass ich alles erbe. Jutta kriegt eine großzügige Spende und das war es dann.“
„Haben Sie einen Einblick in die Konten? Falls er jemanden bezahlt hat …“
„Glauben Sie mir, Herr Kommissar, mein Onkel wollte nicht sterben und somit hat er auch niemanden bezahlt. Es muss jemand eingedrungen sein.“
„Herr Drekelt, das ist dann aber noch viel unlogischer, weil nichts gestohlen wurde. Ich glaube, wir kommen hier nicht weiter. Bitte melden Sie sich, wenn Ihnen noch etwas einfällt.“
Gernot lächelte, brachte die beiden an die Tür und verschwand wieder in der Wohnung. Sicher saß er direkt wieder an seiner Hausarbeit. Wichtige Hausarbeit, dachte Bianca, da bringst du dich doch nicht mit einem Mord aus dem Konzept.
„Er war es definitiv nicht.“
Michael nickte nur, denn es sprach nichts, aber auch gar nichts für Gernot als Täter, auch nicht das Erbe, das er in wenigen Wochen vielleicht sowieso angetreten hätte.
„Lass uns mal ins Krankenhaus fahren“, schlug Micheal vor, „vielleicht erinnert sich jemand an den alten Kauz und seine Gesprächspartner.“
Sie machten sich auf den Weg nach Wiesbaden.