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Der Sonntagmorgen begann mit einer weiteren Leiche. In der Nacht hatte man eine tote Frau am Bahnhof gefunden. Sie war mit zahlreichen Messerstichen hingerichtet worden. Bei Falk, den man aus dem Bett geholt hatte, klingelten alle Alarmglocken. Nach einer nächtlichen Obduktion stand fest: Die Frau war mit demselben Messer getötet worden wie Eick Bern. Um sieben Uhr rief er bei Bianca an, die noch in den Armen von Eric lag und tief und fest schlief. Weil sie nicht dranging, wählte er die Nummer des Staatsanwaltes.

Eric war wach geworden und hatte nach dem Telefon auf dem Nachttisch gegriffen. Dann war er aus dem Schlafzimmer geschlichen.

„Auf Biancas Handy meldet sich niemand, aber ich dachte mir, dass ihr beide zusammen seid.“

„Ja, Bianca hat ihr Handy in den Rhein fallen lassen. Wir haben zwar ein neues gekauft, aber sie muss euch noch die Nummer sagen. Was ist denn passiert?“

„Eine junge Frau wurde gefunden, erstochen. Und weil es so viele Messerstiche waren, die sie getötet haben, musste ich direkt an euch denken. Ich hatte sie heute Nacht auf dem Tisch. Es war dieselbe Waffe wie bei Eick Bern.“

„Mist! Das darf doch nicht wahr sein?“

„Was darf nicht wahr sein?“, hörte Eric jetzt Biancas Stimme hinter sich.

„Wir machen uns auf den Weg, so schnell wir können“, sagte er in den Hörer und legte auf.

Dann drehte er sich zu Bianca um, nahm sie in den Arm und küsste sie.

„Falk hat eine Leiche auf dem Tisch und es scheint, als wenn unser Messerstecher erneut zugeschlagen hat.“

Bianca zog die Luft durch die Zähne und ließ Eric los.

„Das darf wirklich nicht wahr sein. Lass uns frühstücken und in die Gerichtsmedizin fahren. Ich habe zwar heute frei, aber wenn es zu unserem Fall gehört, dann möchte ich das jetzt wissen. Ich gehe ins Bad, du rufst Robin an und wirfst ihn aus dem Bett.“

Rasch war Bianca unter der Dusche verschwunden und Eric kochte Kaffee. Er schob zwei Toastscheiben in den Toaster und wartete, bis sie wieder heraussprangen, um das Ganze zu wiederholen. Die vier Scheiben legte er in den Brotkorb und holte Wurst, Käse und Erdbeermarmelade aus dem Kühlschrank.

Falk war so lange in der Gerichtsmedizin geblieben und saß am Computer. Als Bianca und Eric eintraten, stand er auf und gab ihnen einen Wink, ihm zu folgen. Nebenan lag die Leiche einer jungen Frau auf dem kalten, glatten Edelstahltisch. Ihre blonden langen Haare waren wir ein Kranz um ihren Kopf gelegt. Die Vorderseite des Körpers wies zahlreiche Stichwunden auf, dass Bianca unwillkürlich zu zählen begann.

Falk sah die Bewegungen ihrer Lippen und sagte: „Neunzig.“

„Oh mein Gott.“

„Du sagst es. Vorn sind es zweiundfünfzig. Wie ihr seht, hat der Täter auch wieder auf Arme und Beine eingestochen. Er war entweder rasend vor Wut oder verrückt und voller Mordlust.“

„Was wissen wir über sie?“

Falk holte einen Plastikbeutel vom Regal und gab ihn Bianca. Die hob ihn hoch und sah ein Handy, ein Schlüsselbund und einen Personalausweis. Außerdem befanden sich einige zerknitterte Geldscheine in dem Beutel. Bianca reichte ihn Eric, nachdem sie den Ausweis entnommen hatte.

„Kristin Brutz. Sie ist zweiundzwanzig. Erst müssen wir einer hochschwangeren Frau sagen, dass ihr Mann nicht mehr lebt und nun gehen wir zu einer Mutter und verkünden ihr den Tod ihres Kindes. Es ist grausam. Was macht dich so sicher, dass es derselbe Täter ist?“

„Klinge, Schnittkanal, Breite der Wunden. Ich bin mir sehr sicher, dass hier dasselbe Messer benutzt wurde. Ich habe mal ein Bild ausgedruckt, seht es euch an. So könnte das Ding aussehen.“

Als Falk Eric das Bild gab, fühlte der die Stiche beinahe körperlich.

„Wie verzweifelt muss man sein, um so zu töten?“, hörte er Bianca sagen.

„Wie kommst du darauf?“

„Mein Bauch sagt mir, dass wir auch hier kein Motiv finden werden. Irgendetwas Schwerwiegendes muss den Täter dazu bewegen.“

Eric runzelte die Stirn. Er wollte nie wahrhaben, dass Bianca solch einen sicheren Instinkt hatte, aber die Erfahrung hatte ihn eines Besseren belehrt. Sie hatte immer Recht behalten, auch wenn oft genug alles gegen ihre Theorien sprach.

„Soll ich mitkommen zu den Eltern?“

„Ich rufe Robin an. Er hatte noch nie einen Mordfall und bei Tiana Bern war ja noch Ferdinand mit. Ich will ihn ins kalte Wasser werfen.“

„Ach, der kriegt das schon hin.“

„Robin wird danach zu uns kommen. Ich möchte, dass du ihm deine Wohnung zeigst.“

Eric sah Bianca überrascht an und Falk ließ die Blicke hin und her gehen. Dann begann der Gerichtsmediziner zu lachen.

„Hier ist klar, wer die Hosen anhat.“

„Jaja, Bianca ist da sehr konsequent.“

„Aber hallo!“, rief sie. „Du hängst doch eh nur in meiner Wohnung rum. Dann können wir die andere auch Robin überlassen. Wer weiß, wen man uns sonst ins Haus setzt.“

Eric legte seinen Arm um Bianca und zog sie mit sich. Falk winkte und ging zurück an den Computer.

Draußen wurde Bianca wieder ernst.

„Ob sie einen Freund hatte? Mal sehen, wen wir bei der Adresse antreffen.“

Sie fuhren in die Felsstraße. Diese Adresse hatte im Ausweis gestanden und weckte sowohl bei Bianca als auch bei Eric heftige Erinnerungen. Das verbrannte Haus war abgerissen worden und wurde gerade durch einen Neubau ersetzt. Bianca und Eric sahen sich an, dann nahm er ihre Hand.

„Eine aufregende Zeit, oder?“

Die Kommissarin nickte. Peter Jischeck und seine Tochter waren nach Hattenheim gezogen. Ab und zu begegneten sie sich in Eltville, denn er war der Kirchengemeinde treu geblieben.

Bianca stieg aus und wartete auf Robin, nachdem sie am Telefon das Geschehene zusammengefasst hatte. Eric war losgefahren. An der Klingel des alten, aber gepflegten Hauses standen zwei Namen: Kristin und Monique Brutz.

Mutter? Schwester? Oma? Mit wem mochte Kristin hier gelebt haben? In dem Moment hielt ein Auto neben ihr und Robin sprang heraus.

„Guten Morgen!“

„Gut ist anders. Hast du schon mal eine Todesnachricht überbracht?“

„Nicht direkt, aber es wird schon gehen. Ich war bei Unfällen manchmal mit, aber meistens habe ich im Auto gewartet.“

Bianca klingelte und eine Frau um die vierzig öffnete. Sie lächelte freundlich und sah die beiden Besucher fragend an.

„Frau Monique Brutz?“

„Ja. Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Ich bin Bianca Verskoff und das ist mein Kollege Robin Hinschler von der Polizei. Dürfen wir reinkommen?“

Schlagartig verdüsterte sich der Blick der Frau. Sie trat zur Seite und ließ die beiden eintreten. Als Bianca und Robin wieder auf der Straße standen, war der junge Kollege blass und still. Er setzte sich hinter das Steuer und legte den Kopf aufs Lenkrad, während Bianca sich auf den Beifahrersitz fallen ließ und ihren Kollegen voller Mitgefühl anschaute.

„Geht es?“

Robin hatte feuchte Augen, als er wieder aufsah.

„Mann, Mann, Mann, das ist hart. So habe ich das noch nie erlebt. Wie kannst du da nicht sofort losheulen? Du bist doch ein Mädchen?“

Bianca verkniff sich ein Grinsen über das „Mädchen“ und legte ihrem Kollegen eine Hand auf den Arm.

„Wir sind die, die den Mörder zur Strecke bringen. Wir sind die, die stark sein müssen, damit die Hinterbliebenen die Zuversicht haben, dass der, der einem Familienmitglied etwas angetan hat, bestraft wird. Wir vermitteln ihnen Sicherheit, dass wir das schaffen. Ich fühle immer mit ihnen, aber was in meinem Inneren los ist, hilft ihnen nicht. Du spürst, wenn du jemanden in den Arm nehmen musst oder wenn er ärztliche Hilfe braucht.“

„Mensch, ich hätte beinahe mit ihr geweint.“

„Ich verstehe dich, aber ich hoffe, du musst das hier nicht zu oft tun.“

„Ich auch. So ein junges Mädchen. Es war furchtbar.“

„Sie ist eine harmlose Studentin, die zu einer Party wollte und ich denke mal, dass sie genauso wenig Schlimmes getan hat wie Eick Bern.“

„Und das heißt?“

„Das heißt, dass es womöglich weitergehen wird. Und das heißt, dass wir nicht wissen, wonach wir suchen. Wenn man ein Motiv hat, dann ist es leichter, ein Täterprofil zu erkennen. Aber so müssen wir abwarten. Eric wird uns den Kopf abreißen, wenn noch jemand stirbt.“

„Du und der Staatsanwalt, das ist etwas Festes? Wollt ihr heiraten? Wie habt ihr euch kennengelernt?“

„He, du bist ganz schön neugierig, aber du hast recht, es ist etwas Festes. Wir hatten ein paar Startschwierigkeiten, doch jetzt ist alles gut. Ich habe ihn kennengelernt, als er undercover gearbeitet hat.“

„Das hört sich cool an. Entschuldige, wenn ich neugierig war. Die Frau eben hat mich ganz schön fertig gemacht. Ich wollte an etwas anderes denken.“

„Du darfst gerne traurig sein. Es ist gut, wenn du das alles nicht als eine Art Actionfilm siehst. Bei den ganz jungen Polizisten kommt das schon mal vor. Ich bin froh, dass du ein Herz hast.“

Anhaltender Schmerz

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