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ОглавлениеToby Däkelts heulte wie ein Schlosshund. Er hatte schon zwei Pakete Papiertaschentücher verbraucht, seit er hier angekommen war.
„Ich wollte das nicht, ehrlich“, winselte er. „Sie hat plötzlich geschrien und um sich geschlagen.“
„Sie haben die junge Frau vergewaltigt, als sie bereits tot war“, bellte der Staatsanwalt, der vor Ferdinand zur Vernehmung angekommen war.
Ella stand an der hinteren Wand und nickte ihrem Kollegen zu. Ferdinand grüßte höflich, erhielt aber keine Antwort. Er setzte sich neben den Staatsanwalt.
„Bitte, Sie müssen mir glauben, ich wollte das nicht!“, schrie Toby jetzt panisch.
Dr. Rosenschuh schlug mit der Faust auf den Tisch. Ferdinand räusperte sich und bat ihn, mit hinauszugehen. Sie standen auf und verließen das Büro. Ella behielt Toby im Auge.
„Er hat gestanden, was wollen Sie denn noch?“
„Herr Dr. Rosenschuh, das ist alles schön und gut, aber wir wissen immer doch gar nicht, wer die Tote ist, wie alt sie ist oder woher sie an diesem Abend kam.“
„Ja, aber …“
„Lassen Sie mich bitte ausreden. Es gibt vielleicht eine Verbindung zu einem Fall von vor zwei Jahren. Da stand ein Mädchen ähnlichen Alters plötzlich mitten in Eltville. Bis heute wissen wir fast nichts. Ich habe die Akte bei Frau Verskoff gelassen und gehe morgen noch einmal hin.“
„Was denn für eine Verbindung?“
„Beide sind blond, haben geflochtene Haare und tragen blaue Samtschleifen.“
Der Staatsanwalt zog die Augenbrauen hoch und grinste.
„Ja, klar. Und schon vermuten die lieben Ermittler einen Serientäter. Frau Verskoff ist sicher zu haben für Ihre Theorie. Viel Spaß. Ich bringe jetzt den Vergewaltiger und Mörder hinter Gitter.“
„Darf ich ihn allein befragen?“
„Bitte, wenn Sie es für richtig halten. Sie haben fünf Minuten. Dann geht er ab in seine Zelle, wo er weiterheulen kann.“
Ferdinand schluckte seinen Ärger hinunter und ging zurück in den Vernehmungsraum. Ella stand immer noch schweigend an der Wand. Sie war seltsam still und schien mit den Gedanken woanders zu sein. Der Kommissar setzte sich.
„Ich bin Kommissar Waldhöft. Herr Däkelts, ich habe noch einige Fragen und möchte Sie bitten, ganz genau nachzudenken. Wo ist Ihnen die junge Frau begegnet? Haben Sie sie von irgendwo kommen sehen?“
Der Angesprochene hörte auf zu weinen, wischte mit dem Ärmel seiner Jacke über sein Gesicht und sah den Kommissar an.
„Also, ich war da auf dieser Party. Dann musste ich pissen und das Klo war zu, also bin ich raus auf den Hof. Und da war sie. Sie stand einfach nur so da und hat gezittert.“
„War irgendjemand in der Nähe zu sehen?“
„Nein, sie war ganz alleine. Ich bin dann zu ihr hin und habe sie angesprochen. Sie hat nicht reagiert. Da habe ich sie gefragt, ob sie mit reinkommen will.“
„Und?“, fragte Ferdinand, als Toby nicht weiterredete.
„Sie war irgendwie merkwürdig, als wäre sie zugedröhnt. Ich dachte, sie hat sich was eingeworfen, um mehr Spaß zu haben. Als ich sie am Arm ein Stück ziehen wollte, hat sie angefangen zu heulen. Ich habe sie dann gefragt, ob sie lieber nach Hause will und sie hat genickt.“
„Hat sie gesagt, wo sie wohnt?“
„Nein, sie hat gar nichts gesagt. Überhaupt kein Wort. Sie ist dann losgelaufen. Irgendwann waren wir in den Weinbergen angekommen und sie ist stehengeblieben.“
„Warum das?“
„Keine Ahnung, es war, als wäre ihr eingefallen, dass sie auf dem falschen Weg war. Ich habe gesagt, dass ich sie hübsch finde. Sie sah aus, als wenn sie gar nicht kapiert, was ich sage. Ich wollte sie küssen und ein bisschen fummeln, aber da ist sie plötzlich wahnsinnig schreiend auf mich losgegangen. Ich wollte das nicht, glauben Sie mir!“
Beim letzten Satz hatte er wieder begonnen zu jammern und zu weinen. Er schlug die Hände vor das Gesicht und Ferdinand ahnte, dass aus ihm nichts mehr herauszubekommen war.
Der Kommissar gab dem Kollegen in Uniform einen Wink und der führte den Täter ab. Ferdinand blieb sitzen und drehte sich zu Ella um.
„Was ist los?“
Ella stieß sich von der Wand ab, setzte sich auf den Stuhl, auf dem eben noch Toby Däkelts gesessen hatte und fuhr sich durch die roten Haare.
„Sie hat Schluss gemacht und geht zurück nach Berlin“, sagte die Kommissarin so sanft wie noch nie.
Ferdinand ahnte, wie düster es jetzt in seiner Kollegin aussah, aber er wusste auch nicht, was er sagen sollte.
Ella sprach weiter, als wäre er nicht anwesend: „Ich bin wegen ihr hergekommen und jetzt sagt sie mir, dass sie es nicht mehr ertragen kann, dass ich so viel Zeit für meinen Beruf aufbringe und es manchmal passieren könne, dass ich nicht mehr heimkomme. Sie hatte schon alles hinter meinem Rücken arrangiert.“
Sie sah Ferdinand jetzt an.
„Und weißt du was? Sie hat verdammt nochmal recht! Ich war so wenig zuhause, dass ich nichts davon mitbekommen habe. Nichts!“
„Das tut mir leid.“
Ella nickte.
„Mir auch. Dieser Scheißjob frisst uns alle auf. Hast du ein Privatleben?“
„Nein“, sagte Ferdinand ernst. „Ich will gar keine Beziehung eingehen, denn ich könnte niemals die Ansprüche an ein richtiges Familienleben erfüllen. Meine Mutter hat immer gedrängt, dass ich mir eine Frau suche, aber wer will denn schon einen Mann, der so viel Zeit für seinen Job aufbringen muss? Wenn wir das nicht täten, könnten wir auch einen Bürojob bei der Versicherung machen.“
„Ich liebe diese Frau, aber vielleicht hast du einfach recht und man ist ohne Liebe glücklicher. Es fühlt sich nur scheiße an. Und um mir zu sagen, dass sie mich verlässt, lädt sie mich auch noch zum Essen ein. Ich hätte am liebsten gekotzt.“
„Glaubst du nicht, du kannst sie überreden zu bleiben?“
„Nein, sie hat hier den Job gekündigt, in Berlin wartet bereits eine neue Stelle und sie hat sogar schon eine Wohnung. Wie nett, dass ich die hier behalten darf.“
Der Staatsanwalt riss die Tür auf und stürmte herein.
„Wir haben einen Mordfall zu klären und Sie halten einen kleinen Plausch? Haben Sie nichts zu tun?“
Ella stand auf und ging wortlos aus dem Raum. Ferdinand bat Dr. Rosenschuh sich zu setzen. Der blieb stehen und stützte sich auf dem Tisch ab.
„Haben Sie etwas herausgefunden und arbeiten jetzt daran oder wollen Sie die liebe Kollegin trösten?“
Ferdinand ging nicht darauf ein und blieb ruhig.
„Sie stand einfach nur da. So wie das Mädchen vor zwei Jahren. Keiner weiß, woher sie kam. Es muss also eine Verbindung geben.“
„Papperlapapp, so ein Quatsch. Haben Sie sich schon bei Frau Verskoff angesteckt mit diesem Wahnsinn? Die hat auch immer und überall irgendwelche Verbindungen gesehen.“
„Sie hatte jedes Mal recht, wenn ich den Kollegen glauben darf.“
„Machen Sie, was Sie wollen. Ich sehe keine Verbindung, der Fall ist damit erledigt, also gehen Sie und trösten Frau Grassoux. Den Bericht können Sie auch morgen noch tippen.“
Ferdinand stand auf und biss sich auf die Unterlippe. Er beschloss zu Bianca ins Archiv zu fahren, aber er hatte nicht die Absicht, den Staatsanwalt darüber zu informieren. An der Tür drehte er sich noch einmal um.
„Ella geht es nicht gut und ich denke, ein wenig Mitgefühl würde Ihnen auch mal ganz gut stehen.“
Dann verließ er das Zimmer und verpasste das wütende Schnaufen des Staatsanwaltes.
„Was bildet der Kerl sich ein?“, murmelte er leise und lief zurück in sein Büro.