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ОглавлениеElla saß weinend auf dem breiten Fensterbrett und schaute von oben zu, wie ihre verlorene Liebe die letzte Tasche im Kofferraum verstaute. Sie hatte es tatsächlich wahrgemacht und war gleich weg. Sollte sie hinterherlaufen und sie zurückholen?
„Nein, ich habe auch meinen Stolz“, flüsterte Ella tränenerstickt.
Sie riss sich von dem Anblick los, der ihr nur Schmerzen bereitete und ging unter die Dusche. Ihr Blick war auf den kleinen Schlüsselbund gefallen, den die Freundin dorthin gelegt hatte, ehe sie die Tür hinter sich zugezogen hatte. Sie hatte wahrhaftig gelächelt. Es schien ihr wie eine Befreiung zu sein.
Ella ging unter die Dusche, schrubbte ihren Körper, bis er rot war und irgendwie fühlte sie sich, als hätte sie ein wenig von den Verletzungen ihrer Seele mit weggeschrubbt. Sie zeigte sich nach außen immer als harte und durchsetzungsfähige Frau, aber in ihrem Inneren war sie weich und sehnte sich nach Liebe.
Als sie ins Handtuch gewickelt aus dem Bad kam und den Schlüssel erneut ansah, griff sie danach und schleuderte ihn wütend gegen die Tür.
„Dann bleib doch, wo der Pfeffer wächst! Ich komme auch ohne dich klar. Ferdinand hat recht: In unserem Job sind Beziehungen scheiße.“
Sie zog sich an, wuschelte die roten Haare zurecht und setzte sich vor den Fernseher, um kurze Zeit danach wieder aufzuspringen. Sie hatte plötzlich Hunger und machte sich auf den Weg in die nächste Pizzeria. Sie aß die heiße Pizza direkt aus dem Karton, nachdem ihr am Tresen der Duft in die Nase gestiegen war.
„Sie könne auch einen Teller bekommen“, sagte die Bedienung.
„Kein Ding“, erwiderte Ella mit vollem Mund und sah über den Stehtisch hinweg zu dem Pärchen an der Theke.
„Was möchtest du, Schatz?“
Sie himmelte ihn an und sagte: „Es ist mir egal, Hauptsache, du bist bei mir.“
Pah, dachte Ella, noch ist die Liebe frisch, aber wartet mal, wenn euch der Alltag eingeholt hat. Am liebsten wäre sie zu den jungen Leuten hinübergegangen, um sie über das Leben aufzuklären, doch die bezahlten und gingen mit ihren zwei Kartons hinaus.
„Schlechte Laune?“
Ella sah auf und der Bedienung direkt in die blauen Augen. Sie schüttelte den Kopf und schluckte das letzte Stück Pizza hinunter.
„Nein, es geht mir super.“
„Ich bin Romi. Wenn du reden willst …“
„Ich will nicht reden. Und schon gar nicht mit einer Frau.“
Sie ließ den Karton liegen und lief eilig zur Tür. Dort begriff sie, wie blöd sie sich gerade verhalten hatte und kam zurück.
„Sorry, mir geht es mies. Meine langjährige Freundin, wegen der ich von Berlin hergekommen bin, hat mich eben verlassen. Ich wollte nicht so unhöflich sein.“
„Kein Problem. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend.“
Nun machte sich Ella auf den Heimweg, lehnte sich an die geschlossene Wohnungstür und rutschte weinend an ihr herunter.
Am nächsten Morgen fuhr sie sehr früh ins Büro, nachdem sie um fünf Uhr aus einem Alptraum hochgeschreckt war und nicht wieder einschlafen konnte. Sie hatte geträumt, dass man ihr bei der Bewerbung zur Polizistin gesagt hatte, sie solle sich von ihrer Familie verabschieden und sich von ihrer Frau trennen, denn es würde keinen Sinn machen. Dabei standen hundert Frauen mit dem Gesicht ihrer Freundin um sie herum und nickten mitleidig.
Ella schüttelte sich kurz, als sie an ihrem Schreibtisch an den Traum dachte. Sie würde sich nie wieder verlieben. Das hatte sie sich ganz fest vorgenommen. Mit einem bösen Grinsen fuhr sie den Computer hoch.
Sieben E-Mails waren heute Morgen schon angekommen. Eine enthielt mehrere Ergänzungen zum Obduktionsbericht. Dort stand, dass das Opfer in den Weinbergen sich regelmäßig gesund ernährt und ausreichend Wasser getrunken hatte. Ella fragte sich, woher die das wissen konnten.
Außerdem hieß es, dass sie gepflegt war, keinerlei Schäden an den Zähnen und sich niemals etwas gebrochen hatte. Ihr waren vor drei Wochen die Haarspitzen geschnitten worden. Das einzig Auffällige war die blasse Haut.
Hinter ihr ging die Tür auf und Ferdinand betrat das Büro. Er stutzte. Seine Kollegin war sonst nie vor ihm da.
„Nanu?“
Ella winkte ab.
„Ich konnte nicht schlafen, also bin ich aufgestanden und zur Arbeit gegangen.“
„Wie geht es dir?“
„Was denkst du denn? Soll ich jetzt sagen, es geht mir super? Gestern ist meine Freundin endgültig aus meinem Leben verschwunden, aber das macht ja nichts. Ich habe jetzt endlich wieder richtig Zeit zum Arbeiten. Toll, oder?“
Ferdinand ging zu seinem Schreibtisch, setzte sich, stand wieder auf, brachte die Kaffeemaschine in Gang und lehnte sich ans Fensterbrett.
„Ella, es tut mir leid. Ich wollte nur höflich sein. Es ist mir schon klar, dass du traurig bist, aber lass es bitte nicht an mir aus. Wir haben einen Fall, der gelöst werden muss und darauf sollten wir uns konzentrieren. Das lenkt dich vielleicht auch ein bisschen ab.“
Die Kommissarin hätte jetzt einlenken können, aber sie wollte sich nicht entschuldigen. Stattdessen provozierte sie weiter.
„Wir haben keinen Fall, mein Lieber. Er ist abgeschlossen.“
Ferdinand schwieg jetzt, goss sich eine Tasse Kaffee ein und verließ das Büro. Er ging die Treppe hinauf und klopfte bei Falk Pern von der Spurensicherung an.
„Hallo, Kollege“, sagte er entspannt, nachdem Falk ihn hereingebeten hatte.
„Hallo, Ferdinand, wie ich sehe, muss ich dir keinen Kaffee kochen. Na, wie steht es? Was sagst du dazu, dass der Fall abgeschlossen ist? Wo ist Ella?“
„Hör mir mit der auf! Die zickt mich den lieben langen Tag nur an. Es ist nicht auszuhalten, darum bin ich eben auch geflüchtet.“
„Was hat sie denn?“
„Ihre Freundin hat Schluss gemacht und ist zurück nach Berlin. Sie ist traurig und sauer, aber das muss sie doch nicht an mir auslassen. Ich wünschte, ich hätte so eine Kollegin wie Bianca Verskoff.“
Falk blickte auf und sah seinen Kollegen neugierig an.
„Du hast sie getroffen?“
„Ja, ich musste im Archiv etwas klären und sie bearbeitet die uralten Vermisstenfälle. Wir haben in etwa die gleiche Wellenlänge und sie weiß, wie man an so einen Fall herangehen muss. Aber eins ist problematisch: Sie kommt nicht aus dem Keller heraus.“
„Das hätte ich dir gleich sagen können. Ich habe schon oft mit Jürgen über sie gesprochen.“
Die Tür wurde aufgerissen und Tine stürmte ins Zimmer.
„Guten Morgen!“, rief sie mit einem strahlenden Lächeln.
Falk lachte und sagte zu Ferdinand: „Wenn du magst, leihe ich dir mal meine Praktikantin. Sie hat immer gute Laune und bringt Schwung in die Bude.“
Tine blieb stehen, warf ihrem Chef eine Tüte vom Bäcker hin, die er geschickt auffing.
„Und sie geht morgens zum Bäcker. Aber nur, weil sie nebenan wohnt.“
„Und du bezahlst es ja. Sonst würde ich das auch nicht machen. Was machst du hier?“, fragte sie Ferdinand.
„Ich wollte mal mit jemandem reden, der gute Laune hat.“
„Wieso? Hat Ella keine? Sie ist doch sonst so lustig?“
„In der letzten Zeit nicht. Sie ist verlassen worden. Von der Frau, wegen der sie extra hierhergezogen war. Die ist gestern endgültig zurück nach Berlin.“
„Autsch“, sagte Tine, setzte sich und öffnete nun ihrerseits eine Bäcker-Tüte.
Sie bot Ferdinand ein belegtes Brötchen an, aber der lehnte ab.
„Nein, danke. Gut, Falk, jetzt geht es mir besser. Ihr habt meinen Morgen gerettet. Ich werde mich mal in den Computer vertiefen. Wenn der Rosenschuh denkt, ich gebe auf, dann hat er sich geschnitten.“
„Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst. Wo willst du ansetzen?“
„Frau Verskoff und ich …“
„Frau Verskoff? Die Frau Verskoff?“, unterbrach ihn Tine.
„Ja, DIE Frau Verskoff und ich denken, dass es weitere Fälle gibt.“
Falk rief erstaunt: „Wie das? Das ist ja interessant.“
Ferdinand gab wieder, was er von Bianca erfahren hatte und Falk erinnerte sich an den Fall, als das fremde Mädchen mitten in Eltville gestanden hatte.
„Wir haben damals die Kleidung akribisch untersucht, aber es gab nichts Auffälliges. Es war ganz normale Kleidung, nur ein bisschen altmodisch.“
„Wir sind auf blaue Samtschleifen an blonden Zöpfen gestoßen.“
„Ja! Die Tote trug auch eine blaue Schleife im Haar. Oh mein Gott, ihr denkt wirklich, es gibt noch mehr vermisste Mädchen?“
Ferdinand nickte.
„Und darum wollte ich Frau Verskoff aus dem Keller locken. Wir haben ganz zufällig genau das gleiche vermisste Mädchen in den Akten gefunden: Nicola. Sie ist blond, hat blaue Augen und auf einem Foto hat sie blaue Samtschleifen im Haar.“
„Darf ich mit, wenn du das nächste Mal zu ihr fährst?“, fragte Tine plötzlich.
Ferdinand und Falk sahen sie an und grinsten. Dann schüttelte der Kommissar den Kopf.
„Ich bin ja schon froh, dass sie überhaupt mit mir redet. Sei nicht sauer, aber da will ich nicht mit einer Fremden bei ihr auftauchen.“
Nun lachte Tine und winkte ab.
„Es war ja nur eine Frage. Ich gehe jetzt mal und hole die Fotos von dem Tankstellenbesitzer.“
„Ah ja, das ist gut“, sagte Falk und erzählte Ferdinand vom Einbruch letztes Wochenende.
„Und ich gehe mal nachsehen, ob sich Ella wieder abgeregt hat.“