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Im Haus von Mutter und Stiefvater

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Es ist nicht bekannt, ob sich Livia Drusilla freute, ihre beiden Söhne nun bei sich zu haben. Der Versuch, mit ihrem zweiten Gatten ein Kind zu zeugen, war bislang fehlgeschlagen, obwohl sich Livia in ihrer ersten Ehe doch als so fruchtbar erwiesen hatte und sich auch Octavian einer gesunden Tochter aus der Verbindung mit Scribonia erfreute. Zum Leidwesen beider Ehepartner wollte sich trotz verzweifelter Bemühungen nur eine einzige Schwangerschaft einstellen. Der Knabe, den Livia gebar, überlebte aber die Geburt nur kurze Zeit. Es hatte fast den Anschein, als beabsichtigten die gekränkten Götter, das Paar für seinen voreiligen Schritt und den rücksichtslosen Egoismus, der sie zu ihrer Verbindung getrieben hatte, zu bestrafen.

Da war freilich die kleine Julia, die, wie es üblich war, nach der Trennung der Eltern im Haus des Vaters aufwuchs. Aber selbst so kurz vor der Zeitenwende, als Rom bereits begann, eine behäbige alte Dame zu werden, zählten Mädchen nicht viel. Zwar hatten die Frauen, was ihre Gleichstellung mit Männern betraf, inzwischen mächtig aufgeholt, und in zahlreichen Familien war ihr Einfluss längst dem der Männer gleich, ja oft überlegen, was sich im Übrigen auch auf das öffentliche Leben auswirkte. Aber nach dem römischen Recht galten Frauen noch immer als Menschen zweiter Klasse, die sich zu fügen und ihren Partnern unterzuordnen hatten. Und es war undenkbar, dass je eine Frau dem Gemeinwesen vorstehen könnte.

Nach den geltenden Gesetzen stand es einem Kindsvater noch immer frei, mehr oder weniger unerwünschten Nachwuchs zu töten oder auszusetzen – wilden Tieren zum Fraß oder gierigen Sklavenjägern oder Bordellbetreibern als billige Beute vorzuwerfen. Besonders Mädchen waren vor diesem Schicksal nicht gefeit, da man in ihnen oft nur unnötige Kostgänger sah, die zudem das Vermögen der Familie beträchtlich schmälern konnten. Je nach Stand war es nämlich Brauch, der heiratsfähigen Tochter eine entsprechende Aussteuer mitzugeben. Octavian mag enttäuscht gewesen sein, als Scribonia nur von einer Tochter entbunden wurde. Aber er zögerte nicht, sie als sein Kind anzuerkennen. Es sollten Zeiten kommen, in denen er bedauerte, Julias Vater zu sein.

Sicherlich spielte Octavian schon zu Beginn der Herrschaft des Dreimännerbundes mit dem Gedanken, eine eigene Dynastie zu gründen und in nicht allzu ferner Zukunft seine beiden Konkurrenten auszuschalten. In Lepidus sah er dabei keine große Gefahr. Denn dieser Mann war schwach, und bald war von ihm, der, wie gesagt, widerspruchslos mit der fernen Provinz Africa abgespeist worden war, keine Rede mehr. Ein großes Problem bahnte sich allerdings in Marcus Antonius an, der, soviel stand fest, die Bühne des Weltgeschehens nicht kampflos räumen würde. Es darf als gesichert angenommen werden, dass Octavian in den hochtrabenden Plänen, in und über Rom die Alleinherrschaft zu erringen, von seiner machtbesessenen Ehefrau nach Kräften unterstützt wurde. Doch wie sollte ein neues Geschlecht in die Annalen eingehen, wenn es keinen männlichen Nachkommen gab, der den Stamm der Julier – und nur um diesen ging es Octavian – fortführte? Julia taugte dafür nicht, und die beiden Stiefsöhne Tiberius und Drusus gehörten der Gens der Claudier an. Sie waren es aber, die ihm Tag für Tag sein Versagen vor Augen führten. Es hatte fast den Anschein, als treibe der verblichene Vater dieser beiden Knaben mit ihm vom Totenreich aus noch seinen Spott. Octavian wird über den Familienzuwachs also nicht nur erfreut gewesen sein.

Tiberius und Drusus wuchsen heran. Doch unterschiedlicher hätte sich ihre Entwicklung kaum vollziehen können. Der Jüngere bezauberte mit seinem strahlenden Lächeln und dem freundlichen Wesen Gott und die Welt. Selbst Octavian kann sich der Ausstrahlung dieses Kindes kaum entzogen haben. Niemand vermochte in dem fröhlichen Jungen auch nur eine Spur jenes düsteren Claudiers zu entdecken, der zuletzt ein Opfer völligen Lebensüberdrusses geworden war. War Drusus vielleicht doch das Produkt eines Ehebruchs seiner Mutter, wie der Mob schon zur Zeit seiner Geburt vermutet hatte? Die Spekulationen darüber rissen nicht ab.

Umso stärker verkörperte Tiberius, der ältere Bruder, die väterlichen Eigenschaften. Er war ein schweigsames, in sich gekehrtes Kind, dem kaum jemand ein gewinnendes Lächeln zu entlocken vermochte. Menschenscheu, misstrauisch, trotzig und finster – so sollten ihn später auch seine Biografen beschreiben, und es war nicht zu erwarten, dass sich der Charakter des Jungen noch wesentlich ändern würde. Bei aller Zurückgezogenheit war er aber ein aufmerksamer Beobachter. Er erkannte bald, dass seine Mutter in ihrer neuen Ehe keineswegs glücklich war, die ständigen Kränkungen ihres Gatten jedoch mit stoischer Gelassenheit ertrug. Diese Erkenntnis brachte ihm den Stiefvater keineswegs näher. In einer Art Hassliebe waren Octavian und Livia miteinander verbunden, ja einander verfallen, sodass sie nicht miteinander, aber auch nicht ohne den jeweils anderen leben konnten. Selten hatte die römische Gesellschaft ein derart tragisches Paar hervorgebracht. Rücksichtslos verfolgte jeder seine eigenen hochgesteckten Ziele. Und dennoch gelang ihnen das schwierige Kunststück, innerhalb des Hauses die heftigsten Kämpfe auszutragen, nach außen hin aber den Anschein einer mustergültigen Verbindung zu vermitteln. Dabei stellte Tiberius mit einer gewissen Genugtuung fest, dass in dem neu erbauten Anwesen auf dem Palatin, in das die Familie gezogen war, Livia das Sagen hatte, dass sie es war, der sich alle, auch und allen voran der schwächliche Ehemann, unterordnen mussten. Seine Unterwürfigkeit ging sogar soweit, dass er alles, was es mit der willensstarken Gemahlin zu besprechen gab, zuvor schriftlich festlegte. So groß war seine Angst, etwas Unbedachtes oder gar Falsches zu sagen. Als Livia nach dem Tod ihres Mannes Jahrzehnte später von einem Fremden nach dem Geheimnis ihrer perfekt erscheinenden Ehe gefragt wurde, meinte sie, sie habe über alles, was sie durch das Verhalten ihres Gemahls hätte treffen können, großzügig hinweggesehen und sich bemüht, selbst in Zucht und Ehren zu leben. Sie mochte von Anfang an geahnt haben, dass der Tag kommen würde, an dem sie sich für alle ihr bewusst oder unbewusst zugefügten Kränkungen rächen könnte.

In solch gespannter heimischer Atmosphäre kann ein Kind kaum glücklich gedeihen. Auch Tiberius konnte es nicht. Als wollte er sich gegen sein Schicksal auflehnen, überzogen sich sein Gesicht und sein Körper mit eitrigen Pusteln und Schwären, die ihn nur in den seltenen Augenblicken des Glücks wieder verließen. Das machte ihn seiner Umgebung nicht sympathischer. Seine Haut wurde zum Spiegelbild seiner gequälten Seele.

Suetonius hinterließ uns keine zuverlässigen Nachrichten darüber, wie sich die Erziehung und Ausbildung der Stiefsöhne des Princeps, des Ersten unter Gleichen, wie sich Octavian neuerdings beharrlich nannte, entwickelten. Nur von strengen Pädagogen ist bei ihm die Rede. Wir können daher nur von der allgemeinen Praxis auf den besonderen Fall schließen.

Die körperliche und geistige Erziehung des Kindes lag zunächst vor allem bei der Mutter, die in Roms Oberschicht die dafür ausgebildeten Sklaven streng überwachte. In den mutterlosen Haushalten – Vater Claudius hatte sich nach unserer Kenntnis nicht wieder verheiratet, nachdem er Livia auf solch schmähliche Weise verloren hatte – wird sich eine Amme der kindlichen Bedürfnisse angenommen und auch der Vater einen Teil der Rolle der Mutter übernommen haben. Die römischen Kinder beschäftigten sich hauptsächlich mit Ball- und Würfelspielen, sie besaßen Figürchen, die aus Tierknochen oder Elfenbein gefertigt waren.

War das Kind sechs oder sieben Jahre alt, unternahm es wie in heutigen westlichen Gesellschaften die ersten Schreib-, Lese- und Rechenversuche. Es wurde der Aufsicht des grammaticus unterstellt. Schon damals gab es in Rom öffentliche Schulen, die auch für Mädchen zugänglich waren. Man unterrichtete in kleinen Räumen, bei günstiger Witterung oft sogar im Freien. Ludi, Spiele, wurden diese Einrichtungen genannt, die der heutigen Elementarschule vergleichbar waren. Die Angehörigen der Oberschicht verpflichteten für ihre Sprösslinge allerdings Privatlehrer, meist gebildete Sklaven, die, wenn möglich, aus dem griechischen Kulturkreis stammen oder doch in der Weltanschauung der Griechen bewandert sein sollten. Denn Rom betrachtete diese als die Schatzkiste aller menschlichen Erfahrungen. Es gab für den Römer nichts auf dieser Welt, das nicht in Griechenland vorgedacht oder sogar vorgelebt worden war. Deshalb hatte die siegreiche Weltmacht Griechenland nicht zerstört, sondern in beschaulicher Andacht gehegt und als heiliges Erbe fortgetragen in die Jahrhunderte.

Die Römer empfanden die lateinische Sprache als schwer. Besonderer Wert wurde auf die Grammatik gelegt. Auch die richtige Aussprache wurde geübt.

Das Schreiben lernten die Kinder auf kleinen Holztäfelchen, die mit Wachs überzogen waren. In dieses wurden mit spitzem Griffel Buchstaben und Wörter geritzt. Mit dem spachtelförmigen Ende des Schreibgeräts konnte alles wieder geglättet werden.

Ein fundiertes Wissen um das Griechentum galt zumindest allen römischen Patriziern als Bildungspflicht. Nachdem der grammaticus seine Aufgabe beendet hatte, begannen die Schüler mit dem Griechischunterricht. Dieser vermittelte zunächst die griechische Sprache, anfangs anhand lateinischer Übersetzungen, später an Originaltexten. Homers Odyssee galt dabei als bevorzugtes Lehr- und Lernmittel. Die Kenntnis der Sprache war die erste Voraussetzung für die Beschäftigung mit Philosophie und Literatur, und sie war notwendig für einen Aufenthalt in Griechenland selbst. Dorthin zu Studienzwecken zu reisen, war das Ziel jeden Römers, der Anspruch auf Bildung erhob. Stiefvater Octavian wird darauf geachtet haben, seinen „Söhnen“ eine entsprechende Ausbildung zukommen zu lassen. Vor allem von Tiberius ist bekannt, dass auch er ein großer Bewunderer des Griechentums war.

Das höchste römische Bildungsideal war aber die virtus, jene unvergleichliche Mischung aus Maß, Gerechtigkeit, Mut und Tapferkeit, für die keine Sprache der Welt auch nur eine annähernd gerechte Übersetzung kennt. Sie war indes nur für den zu erlangen, der sich auch der körperlichen Ertüchtigung unterzog. Gleichberechtigt stand diese Erziehung neben der geistigen. Der Gedanke der mens sana in copore sano galt seit jeher in Rom, wenn auch Juvenal diese Forderung erst Jahrzehnte nach Augustus’ Tod in Worte fasste. Es war in der Regel der Vater, der seine Söhne im Diskuswerfen, Laufen und Springen und vor allem im Reiten unterwies. In Rom stand für diese Übungen das Marsfeld zur Verfügung. Aber selbst die kleinsten Provinzstädte verfügten über entsprechende Sportanlagen.

Auch bei den beiden Claudiersöhnen dürfte die körperliche Ertüchtigung nicht zu kurz gekommen sein. Der erwachsene Tiberius ist wie sein Bruder als ausgezeichneter Reiter und ausdauernder Läufer bekannt. Davon wird an anderer Stelle noch zu berichten sein. Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass Octavian seine Stiefsöhne selbst in den Disziplinen, die auf eine vollendete Körperbeherrschung zielten, unterwies. Zeit seines von der Natur reichlich bemessenen Lebens war der spätere Augustus krank und scheint sich nur in Ausnahmefällen anstrengenden körperlichen Aktivitäten unterzogen zu haben. Auch diese Ausbildung wird vermutlich einem kompetenten Lehrer anvertraut worden sein.

Umfassend war also sicherlich Tiberius’ Bildung. Denn schon in Jugendjahren beschäftigte er sich vielseitig. Besonders die Literatur hat es ihm angetan. Er schrieb Gedichte und beschäftigte sich, ganz im Einklang mit den Gepflogenheiten der Zeit, intensiv mit Astrologie. Und er war, als er noch Augustus diente, einer der besten Heerführer, den das Römerreich je hatte: seinen Männern ein Vorbild, zuverlässig, ausdauernd und loyal, mochte das Verhältnis zu seinem Stiefvater auch noch so gespannt sein.

Es war für den heranwachsenden Jungen gewiss nicht leicht, zusehen zu müssen, wie dem jüngeren Bruder mit seinem strahlenden Wesen die Herzen aller zuflogen, während man ihm selbst doch mit einer gewissen Zurückhaltung begegnete. Dennoch scheint er Drusus innig geliebt zu haben. Von Eifersüchteleien wissen die alten Biografen jedenfalls nichts. Eher nahm Tiberius für seinen jüngeren Bruder eine Beschützerrolle ein. Wie es scheint, war nur Livias Zuneigung zu ihrem älteren Sohn besonders tief. Wenn diese überhaupt erwidert wurde, so kann dies allenfalls in Tiberius’ Kinder- und Jugendjahren geschehen sein. Denn mit zunehmendem Alter entfernte er sich der überstarken Mutter, die ihrerseits immer mehr versuchte, sich in sein Leben zu drängen und nach dem Tod ihres Gatten sogar mit ihm gemeinsam zu herrschen.

Die Geschichte Roms schritt indessen unaufhaltsam voran. Marcus Antonius hatte sich von Octavians Schwester Octavia nur zwei Jahre nach der spektakulären Hochzeit getrennt und war reumütig zu Kleopatra zurückgekehrt. Er sollte ihr für den Rest seines Lebens nicht mehr von der Seite weichen. Die Ägypterin hatte ihm bereits zwei Kinder geboren, die Zwillinge Alexander Helios und Kleopatra Selene. Jetzt wurde sie durch Heirat nach ägyptischem Recht seine Ehefrau. Der Römerin schickte er den Scheidebrief und wies sie darüber aus seinem Haus, in dem sie nicht nur die beiden von ihm gezeugten Töchter aufzog, sondern auch die Kinder aus ihrer ersten Ehe mit dem Senator Marcellus. Sogar Marcus Antonius’ Kinder, deren Mutter die verstorbene Fulvia gewesen war, nahm sie liebevoll auf. Ganz Rom bewunderte den Großmut dieser Frau und verabscheute, angestachelt von einer überzogenen staatlichen Propaganda, mehr und mehr den treulosen Römer, der sich in den Netzen einer exotischen Circe verfangen hatte.

Ein letztes Kind krönte Marcus Antonius’ Verhältnis mit der den Römern verhassten Ägypterin: Ptolemaios Philadelphos, der das Licht der Welt erblickte, als der Stern seiner Eltern längst im Sinken war.

Tiberius hatte die Männertoga noch nicht empfangen, als sich das Ende von Antonius und Kleopatra abzeichnete. In der Seeschlacht, die 31 v. Chr. in der Bucht des griechischen Actium geschlagen wurde, hatte Octavian einen alles entscheidenden Sieg errungen. Die Verfolgung des Rivalen und seiner Lebensgefährtin bis an den Nil war nur eine Frage der Zeit. Ein knappes Jahr nachdem Octavian mithilfe seines Freundes Agrippa, des überragenden Feldherrn seiner Zeit, über die vereinten Flotten von Antonius und Kleopatra gesiegt hatte, begingen die Besiegten in aussichtsloser Lage Selbstmord. Caesarion, Caesars Sohn, den die ägyptische Königin dem Diktator geboren hatte, wurde ebenfalls ein Opfer der Sieger wie auch Antyllos, Marcus Antonius’ Ältester, der als Sohn eines Triumvirn einen genuinen Anspruch auf eine Führungsrolle im römischen Staat gehabt hätte, was ihn für den sohnlosen Sieger so gefährlich machte. Das Tragische an diesen Morden war, dass die beiden Jünglinge fast noch Kinder waren, die gerade erst die toga virilis empfangen hatten.

Im Jahr 29 v. Chr. kehrte Octavian nach Rom zurück, nachdem er die Verhältnisse im Osten in seinem Sinn geregelt und das unterlegene alte Reich am Nil zur kaiserlichen Provinz erklärt hatte.

Auch Tiberius befand sich jetzt im Jünglingsalter. Politische Ereignisse, die sich bald von welthistorischer Bedeutung und schicksalhafter Tragweite erweisen sollten, können auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen sein. Da Octavian über keinen eigenen Sohn verfügte, versuchte er, wenigstens den Stiefsohn in die Tagespolitik einzubinden.

Ein großer Triumph war angesagt. Das bereits übermächtige Rom war einmal mehr als Sieger vom Schlachtfeld gegangen und hatte mit Ägypten einen Gegner in die Schranken gewiesen, der ihm an Macht und Ansehen kaum nachstand. Im Gegenteil. Am Nil hatten Reiche geblüht und waren untergegangen, lange bevor ein einziger Römer seinen Fuß an Latiums Gestade gesetzt hatte. Das Fest, an dem teilzunehmen die ganze Stadt eingeladen war, musste also besonders prächtig ausfallen.

Höhepunkt der Feierlichkeiten war der Triumphzug, durch den der glorreiche Sieger besonders geehrt und den Stadtbewohnern das unterworfene Land und die erbeuteten Schätze vorgeführt wurden. Der große Triumph war an strenge Maßstäbe gebunden. Er durfte nur einem Feldherrn gewährt werden, der mindestens 5.000 auswärtige Feinde getötet hatte. Der Triumphzug stellte sich auf dem Marsfeld auf, zog über das Forum Boarium, den alten Viehmarkt, vorbei am Circus Maximus und umrundete den südlichen Teil des palatinischen Hügels bis zum Osteingang des Forum Romanum, den heute der Titus-Bogen bewacht. Weiter führte der Weg von diesem höchsten Punkt der Heiligen Straße (summa via sacra) Richtung Capitol. „Den Zug eröffneten die Magistrate und Senatoren, dann folgte ein Musikchor der Spielleute des Heeres, die weißen Opferstiere, Beute, Abbildungen der eroberten Städte, die vornehmsten Gefangenen, des Feldherrn Liktoren in purpurner Tunica mit lorbeerumwundenen Fascen, daran schloss sich die lorbeerumkränzte Quadriga des Triumphators, von Schimmeln gezogen. Darauf stand der Sieger mit der tunica palmata und der Purpurtoga, dem Lorbeerkranz, das Gesicht mit Mennige rot gefärbt, ein mit einem Adler gekröntes elfenbeinernes Zepter in der Linken und einen Lorbeerzweig in der Rechten haltend, in allem ein getreues Abbild des höchsten Gottes. Ein Staatssklave hinter ihm hielt die goldene Krone Jupiters über dem Haupt. Dann reihten sich seine Unterbeamten (apparitores) und Kinder an. Den weiteren Zug der Soldaten eröffneten Reiterschwadronen, zuletzt kam der Triumphgesang (io triumphe), die siegreiche Armee, mit Lorbeer geschmückt, umbraust vom Jubel der die Straßenränder säumenden Menge …“3 Suetonius vermerkt ausdrücklich, dass Tiberius, noch ehe er in den Kreis der mündigen und kriegsfähigen Männer aufgenommen worden war, den Triumphzug seines Stiefvaters begleitete. Er ritt das Pferd, das links vom Wagen des Triumphators lief. Der Platz auf der rechten Seite gehörte dem ein Jahr älteren Marcellus, Augustus’ Neffen, dem Sohn seiner Schwester Octavia, der in wenigen Jahren seine Cousine Julia heiraten, sein Leben aber nach kurzer Ehe auf mysteriöse und bis heute ungeklärte Weise verlieren sollte. Doch davon ahnte man an diesem Glückstag noch nichts. Fest stand nur, dass dieser Marcellus in der Gunst des Princeps ganz oben stand.

In Ermangelung eines eigenen Sohnes übertrug Augustus dem Stiefsohn wichtige Aufgaben, um die sich sicherlich Livia Drusilla, die zumindest in späteren Jahren in ihren älteren Sohn vernarrt war, bemüht hatte. Der Jugendliche erhielt den Vorsitz über die städtischen Spiele, auch und vor allem über das Trojaspiel, das im Circus stattfand. Hierbei führten Reitergruppen von heranwachsenden Knaben, in zwei Schwadronen eingeteilt, ihre Reitkünste vor. Es handelte sich dabei um eine Veranstaltung ungewisser archaischer Herkunft, die zur Zeit Sullas wenige Jahrzehnte zuvor in Rom eingeführt worden war. Caesar hatte ein Trojaspiel am Tag seines Triumphes über Gallien (46 v. Chr.) gegeben. Auch Augustus befand, dass dieser Zeitvertreib ein schöner Brauch war, gab er doch der adeligen Jugend Gelegenheit, sich vor der Öffentlichkeit zu beweisen. Während einer solchen Veranstaltung stürzte ein Jüngling namens Nonius Aprenas, der sich dabei schwer verletzte. Als Trost schenkte ihm der Kaiser einen goldenen Halsreifen und gestattete ihm und seinen Nachfahren, das Cognomen „Torquatus“ zu führen.

Das Trojaspiel scheint in der Tat nicht ungefährlich gewesen zu sein. Unfälle gab es häufig, und als sich der Enkel des bekannten Redners Asinius Pollio beim Sturz ein Bein brach, und sich der Großvater im Senat über die Gefahr, der man die Jugend damit aussetzte, beklagte, stellte Augustus das Spiel ein.

Auf den Stiefsohn des Princeps warteten indes anderen Aufgaben. Zunächst legte er aber im Alter von 17 Jahren die Männertoga an und wurde in die Liste der erwachsenen und kriegsfähigen Männer eingetragen.

Am Fest der Liberalia, wenn in Rom der Frühling erwachte, wurde zu Ehren des Gottes des Weines und der Fruchtbarkeit gefeiert. Es war eine der wichtigsten Veranstaltungen im römischen Festkalender, denn an diesem Tag erfolgte die Mündigerklärung der Knaben, die gerade das 17. Lebensjahr vollendet hatten. Es war ein zugleich fröhlicher und besinnlicher Tag, vergleichbar etwa mit der Konfirmation oder Erstkommunion im christlichen Brauchtum. Seit Kindertagen trug der Junge die bulla um den Hals, eine goldene Amulettkapsel, die ihn vor dem bösen Blick schützen sollte. Zusammen mit der wollenen purpurgesäumten toga praetexta brachte er sie den Laren, den Hausgöttern, die Heim und Herd bewachten, als Opfer dar. Daraufhin wurde er mit der toga virilis bekleidet, der römischen Bürgertracht, die ebenfalls aus weißer Wolle gefertigt war, jedoch keinen Purpurbesatz besaß. Es ist anzunehmen, dass Mutter Livia das Gewand ihres Sohnes selbst gefertigt hatte. Denn ihr Gatte legte großen Wert auf die Tugenden, die nach allgemeiner Meinung eine römische Matrone auszeichneten: das Spinnen und das Weben. Es ist überliefert, dass er nur Kleidungsstücke trug, die von seiner Frau oder unter ihrer Aufsicht im eigenen Haus gefertigt worden waren. Nach dem Opfer ging der neue iuvenis, vom Vater oder Vormund geführt und von Verwandten und Freunden begleitet, auf das Forum, um sich stolz der Öffentlichkeit zu zeigen und sich in die Liste der kriegsfähigen Bürger eintragen zu lassen. Erst vom Tage der Mündigerklärung an durfte der junge Mann drei Namen führen: den Vornamen (praenomen), in unserem Fall Tiberius, das nomen gentile (Familiennamen) Claudius und als dritten das cognomen Nero, den Beinamen, der besondere Merkmale, Eigenschaften oder Verdienste eines Mannes oder eines seiner Vorfahren bezeichnete.

Anders als die Söhne führten die Töchter einer Familie nur das nomen gentile, wobei sich mehrere Mädchen dieses nach der Reihenfolge ihrer Geburt noch teilen mussten: maior, minor, tertia, quarta …

Augustus’ Tochter, die gemeinsam mit dessen Stiefsöhnen im väterlichen Haushalt lebte, hieß Iulia nach dem Geschlecht, in das sie hineingeboren worden war. Sie war mit Tiberius und Drusus nicht verwandt, dürfte aber beide als Brüder angesehen haben. Es ist überliefert, dass sie bereits als sehr junges Mädchen Tiberius für sich zu gewinnen versuchte. Ob es sich dabei um eine böswillige Unterstellung der antiken Biografen handelte oder Julia tatsächlich ein Auge auf ihren „Stiefbruder“ geworden hatte, wird nicht mehr zu klären sein. Tatsache ist, dass er mit Agrippina, einer Tochter des Augustus-Freundes Marcus Vipsanius Agrippa, glücklich verheiratet war, aber von seinem Stiefvater aus Gründen der Staatsräson gezwungen wurde, sich von der geliebten Frau, die ihm einen Sohn geschenkt hatte, zu trennen, die lebensfrohe Julia zu heiraten und damit eine Verbindung einzugehen, die in einer vorhersehbaren Katastrophe enden musste. Doch darüber wird an anderer Stelle noch ausführlich zu berichten sein.

Tiberius Claudius Nero stand, zumindest seitdem er in das Haus des Stiefvaters eingezogen war, wie alle Mitglieder der Familie im Focus allgemeiner Aufmerksamkeit. Seiner Stellung schuldete der junge Mann anlässlich der Mündigkeitserklärung Gladiatorenspiele, die er zu Ehren seines Großvaters Livius Drusus Claudianus gab. Den Beinamen Drusus hatte, wie bereits ausgeführt, einer von Tiberius’ Vorfahren erhalten, nachdem er einen Barbaren namens Drausus im Zweikampf getötet hatte. Es mag für Tiberius kein erbauliches Schauspiel gewesen sein. Noch als Kaiser verabscheute er die Spiele – eine Einstellung, die die Römer nicht schätzten und die das Verhältnis zu seinen Untertanen zusätzlich belastete.

3 Nack; Wägner. Das römische Weltreich. Wien. o.J., S. 192.

Tiberius. Grausamer Kaiser - tragischer Mensch

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