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Erste öffentliche Aufgaben
ОглавлениеTiberius war sicherlich, was wir heute frühreif nennen würden. Das wurde nicht nur in seiner bevorzugten Beschäftigung, dem Lesen und Studieren von Büchern, offenbar. Es konnte geschehen, dass man sich wunderte, wie geschliffen er sprach. Seine Wortwahl war nie die eines Kindes oder eines Heranwachsenden. Seinen geäußerten Gedanken und Meinungen haftete etwas Altkluges, ja Philosophisches an, fast eine Spur von Weisheit, die weit über die Erfahrungen eines jungen Menschen hinausging. Keiner konnte sich den Jungen als einen der späteren bedeutendsten Feldherren des Imperiums vorstellen.
Anders als sein Bruder Drusus, an dem die Jahre nach der Scheidung der Eltern und die freudlose Zeit im Haus des schwermütigen Vaters bis zu dessen Tod spurlos vorübergegangen waren, sah sich der Ältere ständig heftigen Vorwürfen wegen seines grüblerischen, schwerfälligen Wesens ausgesetzt. Ja, es hieß, er wäre unfreundlich gegenüber jedermann, sodass sich alle von ihm abwandten. Er wiederum zog sich immer stärker in sich selbst zurück, wurde wortkarg, verstummte. Zu seinem Stiefvater, der ihm die Mutter gestohlen und die Familie zerstört hatte, sprach er bald kein Wort mehr. Von Geburt an kurzsichtig, wirkten seine Bewegungen fahrig, ebenso seine Linkshändigkeit, die ihm Vater Tiberius vergeblich mit dem Stock hatte austreiben wollen; all diese Eigenschaften trugen dazu bei, dass er seiner Umgebung noch mehr missfiel. Bis zum Ende seines tragischen Lebens sollte er nie unbeschwert sein. Wie sehr er sich von anderen unterschied, mag er selbst gespürt haben. Es blieb ihm nämlich nicht verborgen, dass bei seinem Eintreten in einen Raum Gespräche verstummten, dass sich Heiterkeit abrupt in Ernsthaftigkeit wandelte, dass, sobald er selbst etwas zur Unterhaltung beitrug, Gesichter erstarrten, ja versteinerten und in ihm jeder schon zu Jünglingszeiten den finsteren alten Mann sah, zu dem er sich lange vor seinem Lebensende tatsächlich entwickeln sollte.
Der politische und gesellschaftliche Aufstieg seines Stiefvaters nahm in den 20er Jahren des letzten vorchristlichen Jahrhunderts kometenhafte Züge an. Schon den aus Ägypten siegreich Heimgekehrten hatte Rom wie keinen zuvor mit frenetischem Beifall gefeiert. Mochte Octavian auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit betonen, er sei nur Princeps Senatus, der Erste unter Gleichen, konnte doch dem aufmerksamen Beobachter nicht entgehen, wie sehr sich die politische Landschaft Roms veränderte. Immer mehr unterwarf man sich der Herrschaft eines Einzigen, und der machte seine Sache nicht einmal schlecht. Das ließ ganz allmählich die Zahl derjenigen schwinden, die sich noch auf die Ideale der res publica beriefen und das große Versprechen, das man sich vor nahezu 500 Jahren nach der Vertreibung des letzten Königs Tarquinius Superbus gegeben hatte, nämlich den Staat nie mehr in die Hände eines Einzelnen zu legen, sondern nur noch der Gemeinschaft der Ersten und Besten anzuvertrauen. Bald sollte es überhaupt keine Kritiker der Alleinherrschaft mehr geben und der Senat immer offensichtlicher zu einem Gremium bequemer Ja-Sager verkommen, die zu Anregungen, Wünschen und Verordnungen des Princeps bereitwillig nickten, ohne jemals selbst noch die Initiative zu ergreifen oder politische Entscheidungen auch nur in Frage zu stellen. Der römische Senat, der sich aus der adeligen Schicht der Hauptstadt des Reiches rekrutierte und in den Provinzstädten reichlich Nachahmer fand, mutierte schließlich zu einem Scheinparlament, für das schon die Vorschläge des Ersten Gesetzeskraft erlangten. Zwar war es unter Augustus’ Herrschaft noch nicht ganz so weit, aber er hatte den Grundstein für die Veränderung des Staatswesens gelegt. So zufrieden war man nur wenige Jahre nach dem alles entscheidenden Sieg vor Aktium, dass man Octavian – nach unserer Zeitrechnung 27 v. Chr. – das imperium proconsulare übertrug, die ständige Befehlsgewalt über die römischen Truppen, und dazu den einmaligen Ehrentitel Augustus, was so viel wie „der Erhabene und der in Ehrfurcht zu Verehrende“ bedeutet. In einem geschickten Schachzug hatte der so Erhöhte zuvor alle Vollmachten, die ihm für den letzten großen Bürgerkrieg und die Jahre danach erteilt worden waren, dem Senat „zurückgegeben“ und ihn wieder in die alten Rechte eingesetzt – in der Gewissheit, dass im Augenblick niemand die Verantwortung für das immer noch wachsende und vielfach bedrohte Reich übernehmen wollte und damit alles so blieb, wie er es sich wünschte.
Erneut stand Krieg an. In der Hispania hatten sich die Cantabrer und die Asturier gegen die römische Herrschaft erhoben, und Augustus sah sich gezwungen, zu den Waffen zu greifen. Ohne Rücksicht auf Tiberius’ schöngeistige Neigungen, seine Liebe zu Dichtkunst, Literatur, Philosophie und Geschichte, hatte ihn der Stiefvater schon in früher Jugend einer außergewöhnlich harten körperlichen Ausbildung unterzogen, die diejenige, die man Alters- und Standesgenossen abverlangte, weit übertraf. Die Mitglieder des ersten Hauses der Stadt sollten Vorbilder sein. Tiberius war klug genug zu erkennen, wofür ihn Augustus, wie er seit dem Jahr 27 v. Chr. überall genannt wurde – ein Ehrenname, den er übrigens besonders schätzte – ausersehen hatte: Er war für die militärische Laufbahn bestimmt, mochten seine Neigungen auch in eine andere Richtung weisen. Und nichts und niemand, nicht einmal seine offensichtliche Ablehnung jeglicher Gewalt, konnten ihn davor bewahren. Als Militärtribun hatte er nun seinen Stiefvater, der übrigens nie selbst in Kämpfe eingriff, sondern immer andere die Kastanien aus dem Feuer holen ließ, nach Spanien zu begleiten. Der Feldzug war Tiberius’ erste Erfahrung auf dem Schlachtfeld. Weitere sollten im Laufe seines von der Natur reichlich bemessenen Lebens folgen.
Die Iberische Halbinsel war eine derjenigen Provinzen, die Rom als erste erobert und romanisiert hatte. Sie war im wahrsten Sinne des Wortes die Schatzkammer für die römische Habgier. Schon Jahrhunderte bevor die Römer kamen, hatte das Seefahrervolk der Phöniker den Mineralreichtum des Landes angezapft, und ihnen waren die Karthager gefolgt. Die Hartnäckigkeit, mit der diese um den Besitz kämpften, öffnete den Römern die Augen für die Möglichkeiten, die Iberien bot. Erbittert hatten sich einheimische Stämme immer wieder, doch zuletzt erfolglos, gegen die unerwünschten Eindringlinge gewehrt und um ihre Freiheit gerungen. Doch als Augustus die Regentschaft übernahm, war Spanien längst romanisiert und den Verhältnissen und Wünschen der Sieger gründlicher angepasst als viele andere Provinzen. Gold, Silber, Kupfer, Eisen und Zinn – es gab dort kaum Metalle, deren Abbau nicht unvorstellbaren Reichtum versprach. Und noch heute erzählen Schächte, die damals von Sklaven im Dienste Roms mühsam in die Erde getrieben worden waren, eine leidvolle Geschichte.
Aufreibend, doch am Ende lohnend war die Arbeit, die Rom in den Provinzen des diesseitigen und jenseitigen Spaniens gleistet hatte, und obschon alles im Sinne der Großmacht befriedet schien, probten doch hie und da Einheimische den Aufstand. Dabei waren die Cantabrer und die Asturier den Römern nahezu unblutig in den Schoß gefallen. Doch jetzt, im Schutz der römischen Bürgerkriege, die die Aufmerksamkeit der Verantwortlichen von den Provinzen ablenkten und an anderer Stelle beanspruchten, wurden sie mutig und bedrängten und unterwarfen einige andere bereits der römischen Zivilisation angepasste Stämme. Im Jahr 26 vor der Zeitenwende sah sich Augustus gezwungen, selbst einzugreifen. Persönlich leitete er einen der Feldzüge, die zur Sicherung Spaniens nötig schienen. So gelangte der jugendliche Tiberius zu seiner ersten Schlacht.
Was er dort sah, kann ihm kaum gefallen und dürfte das ohnehin gespannte Verhältnis zu Augustus noch verschlechtert haben. Das Schanzen und Exerzieren in kampffreien Stunden zur Ertüchtigung der Truppen und zur Vorbeugung von Langeweile mögen noch geboten gewesen sein. Aber waren es auch Ehrenstrafen, die an unzufriedenen Männern vollzogen wurden und oft bis zum Nahrungsentzug reichten? Sie trafen sicherlich Tiberius’ empfindsames Gemüt. War es etwa notwendig, in so vielen Kämpfen erfahrene Männer, die für die Größe Roms ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten, vor aller Augen zu demütigen, um eine fragwürdige Disziplin aufrecht zu erhalten? Ohnmächtig musste Roms künftiger Kaiser ihre Schmach mitansehen, ohne etwas tun zu können.
Noch bevor eine endgültige Entscheidung gefallen war, griffen die Götter Roms in das Geschehen ein, indem sie ein Zeichen ihrer Verärgerung setzten. Während eines Ritts, bei dem sich Tiberius nahe der Sänfte seines Stiefvaters aufhielt, zog ein schweres Gewitter auf. Jedermann in Rom wusste, wie sehr sich der Princeps vor Unwettern fürchtete und dass er zu Hause gewisse Vorkehrungen gegen eventuelle Schäden traf. Da schlug plötzlich in unmittelbarer Nähe des Tragestuhls ein Blitz ein und tötete einen Sklaven. Augenblicklich war Augustus davon überzeugt, dass der Zorn der Götter eigentlich ihm gegolten hatte und er nur eher zufällig nicht getroffen worden war. Oder hatte ihn Jupiter Tonans bewusst verfehlt? Wie auch immer, es war eine offensichtliche Warnung. Wenn er heil nach Rom zurückkäme, versprach er, würde er die Tore des Janus-Tempels schließen und, soweit es an ihm lag, für den Rest seines Lebens nicht mehr öffnen. Militärische Auseinandersetzungen sollten endgültig der Vergangenheit angehören. Nur kurze Zeit später konnte er den Schauplatz der Kämpfe als Sieger verlassen. Doch der Krieg zog sich noch eine Weile hin und wurde erst durch Agrippas beherztes Eingreifen für Rom erfolgreich beendet.
Der Cantabrische Krieg sollte in der Tat der letzte sein, den Augustus persönlich führte. Alle künftigen Feldzüge würde er seinen Untergebenen überlassen, so weitere Kämpfe denn unvermeidbar wären. Allen voran wollte er seinen Freund Marcus Vipsanius Agrippa und Stiefsohn Tiberius als Feldherren auszeichnen. Tiberius mochte ahnen, was auf ihn zukam. Denn dass sich Rom mit den jüngsten Eroberungen zufrieden geben würde, stand nicht zu erwarten. Und selbst wenn: Es würde schwierig genug sein und viel Kraft erfordern, das Bestehende zu sichern. Man konnte sich nicht ruhig zurücklehnen.
In drei Provinzen wurde das unterworfene Spanien nun eingeteilt: Lusitanien im Westen, das auch das heutige Portugal umfasste und bis an den Atlantik reichte. Im Norden Tarraconensis und im Süden die Baetica mit dem freundlichen und sonnenverwöhnten Landstrich, der heute Andalusien heißt.
Ganz Spanien entwickelte sich in den Folgejahren rasch zu einer Provinz par excellence und erlebte eine wirtschaftliche und kulturelle Blüte. Das Land brachte Dichter und Philosophen hervor und sandte Senatoren und schließlich Kaiser nach Rom. Zu den aus Spanien gebürtigen Philosophen gehörte kein Geringerer als der Nero-Erzieher Lucius Annaeus Seneca, unter dem in Rom die Lehre der Stoa zu höchster Vollendung gelangte und auch zur Modephilosophie am Kaiserhof wurde. Kaiser Trajan, der Rom zu seiner größten Ausdehnung verhalf, stammte ebenso aus Spanien wie sein Verwandter Publius Aelius Hadrianus, der ihn auf dem Thron ablöste. Und doch stand dieses Spanien erst am Beginn einer Entwicklung, die noch Jahrhunderte fortdauern sollte. Während des gesamten Mittelalters sollte Spanien das Zentrum europäischer Gelehrsamkeit sein, Cordoba gar zur größten Gelehrtenstadt des Abendlandes aufsteigen. Und wie jetzt die Römer sollten seine Kaiser einst eine Welt beherrschen, in der die Sonne nicht unterging.
Es ist nicht bekannt, welcher Anteil an der Befriedung der Cantabrer und Asturier dem jungen Tiberius zufiel. Er war, wie gesagt, noch sehr jung, als ihn Augustus zwang, ihn auf dem Feldzug zu begleiten. Eigene Erfolge wird er kaum verzeichnet haben. Sicherlich kehrte er aber mit vielen neuen Eindrücken in die Hauptstadt zurück, wo sich ihm manche Überraschung geboten haben dürfte.
In Erwartung eines baldigen Todes hatte Augustus begonnen, seine familiären Angelegenheiten ebenso zu ordnen wie seine Wünsche zur Fortführung seiner Politik deutlich zu machen. Senatoren und Ritter umstanden das Krankenlager und erwarteten die Anordnungen des Princeps. Was die Nachfolge betraf, gab es einen Favoriten, Marcellus, seinen Neffen, den Sohn seiner Schwester Octavia, dem er wie der Mutter besonders zugetan war. Auch Marcellus hatte ihn nach Spanien begleitet. Zu jedermanns Erstaunen ernannte Augustus nun den Jüngling, der nur ein Jahr älter als Tiberius war, zum Aedilen und erteilte ihm die Erlaubnis, sich für das Konsulat zehn Jahre vor dem gesetzlich noch immer festgelegten Mindestalter zu bewerben. Dazu war ihm Marcellus seit zwei Jahren nicht nur als Neffe verbunden, sondern auch als Schwiegersohn. Denn Augustus hatte seine damals 14-jährige Tochter Julia mit ihm vermählt. Eingeweihten Kreisen galt der junge Mann seitdem als aufgehender Stern am römischen Staatshimmel. Und auch der Junge selbst mag sich große Hoffnungen auf weitere Ehren gemacht haben.
Wir wissen nicht, wie der kaum jüngere Tiberius auf die Heiratspolitik seines Stiefvaters reagierte und ob er vielleicht sogar selbst auf eine noch engere Bindung an diesen gehofft hatte. Eine jedenfalls fühlte sich durch die offensichtliche Bevorzugung des Kaiserneffen übergangen und gekränkt: Livia Drusilla, die ehrgeizige Frau an Augustus’ Seite, die, wenn wir antiken Gerüchten glauben dürfen, vor nichts zurückschreckte, um an diesen Verhältnissen etwas zu ändern. Sie ahnte nicht, welcher Anstrengungen es noch bedürfen würde, ihr Ziel, Tiberius auf den Thron zu bringen, zu erreichen.
Nur zwei Jahre nach der spektakulären Hochzeit der Angehörigen des Kaiserhauses befiel den jungen Ehemann ein sich von Tag zu Tag steigerndes Unwohlsein, das ihn schließlich ständig aufs Lager zwang. Heilkundige wurden gerufen. Der kaiserliche Leibarzt Antonius Mursa ordnete kalte Bäder an, eine Art Kneippkur, mit der er einige Zeit später den Princeps dem Tod entreißen sollte. Bei Marcellus bewirkten sie nichts. Im Gegenteil! Immer schwächer wurde der neue Hoffnungsträger Roms, bis er endlich den Kampf gegen den frühen Tod aufgab. Er hatte kaum die Augen geschlossen, als schon die ersten Gerüchte aufkamen: Nicht alles sei bei diesem Todesfall mit rechten Dingen zugegangen, hieß es. Die angeheiratete eifersüchtige Tante habe da ihre Finger im Spiel gehabt, ein Verdacht, der bis heute durch die Geschichtsbücher geistert. Erwiesen ist freilich nichts, wenn auch zumindest eine Mitschuld nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Wer, wenn nicht sie und ihr geliebter Tiberius konnten von diesem Tod, vom Wegfall des Neffen, profitieren? Ihre Trauer war gespielt, anders als die ihrer Schwägerin Octavia.
Aufopfernd hatte diese am Krankenbett ihres Sohnes gesessen und um das junge Leben gekämpft. Als er gestorben war, verteilte sie seine Kleider an die Armen und ließ seine Gemächer zumauern. Sie verbot, in ihrer Gegenwart jemals wieder seinen Namen zu nennen. Bis zu ihrem Tod zwölf Jahre später legte sie die Trauergewänder nicht mehr ab, ein stummer und ständiger Vorwurf für jene, die sie für den schmerzlichsten Verlust, der ihr je im Leben zugefügt worden war, verantwortlich machte? Wir wissen es nicht. Und ebenso wenig ist bekannt, ob Tiberius seine Mutter je verdächtigte. Sollte Livia Drusilla gehofft haben, der Platz an Julias Seite sei nun frei für ihren Erstgeborenen, sah sie sich bald bitter enttäuscht.
In jenen Tagen begann sich das Gesicht der Stadt Rom von Grund auf zu verändern. Unter seinem Freund und Weggefährten Agrippa hatte Augustus ein gewaltiges Bauprogramm angestoßen, dessen erste Projekte schon verwirklicht wurden. Er wollte und sollte sich dereinst in seinem Tatenbericht der Nachwelt gegenüber rühmen, er habe eine Stadt aus Backstein vorgefunden und eine aus Marmor hinterlassen. Ein gnädiges Schicksal ließ ihm zur Verwirklichung seiner Ideen reichlich Zeit.
Als wichtigstes Bauwerk entstand auf dem Marsfeld gerade das Pantheon, der Tempel für die Gesamtheit der Götter, der noch heute Agrippa als Erbauer nennt, in seiner erhaltenen Form jedoch auf Kaiser Hadrian zurückgeht. Daran schloss sich die Basilica Neptuni an, von der nur noch geringe Reste vorhanden sind. Auch die Basilica Iulia auf dem Forum, die bereits von Caesar begonnen worden war, nahm allmählich Gestalt an. Nur wenige Jahre später, 12 v. Chr., brannte sie vollständig ab, wurde wieder aufgebaut und den beiden Enkel- und Adoptivsöhnen des Princeps, Gaius und Lucius Caesar, geweiht. Aber sie behielt ihren ursprünglichen Namen.
Noch vor dem Sieg über die Caesar-Mörder hatte Augustus versprochen, dem rächenden Gott Mars (Mars Ultor) in Rom ein Heiligtum zu errichten. Das alte Forum bot hierfür keinen Platz mehr, und auch Caesars Erweiterung, auf der sich der Tempel der Venus Genetrix, der Stammmutter des julischen Geschlechts, befand, war bereits überbaut. Also ließ Augustus schräg gegenüber – heute über der Via dei Fori Imperiali gelegen – einen weiteren Abschnitt des Forums anlegen, der gegen die Subura hin, den Stadtteil des einfachen Volkes, durch eine hohe Brandmauer geschützt war. Im Jahr 40 v. Chr. in Auftrag gegeben, harrte der Princeps geduldig der Vollendung des prächtigen Bauwerks und wurde nicht müde, über die Langsamkeit der Baumeister, deren Namen nicht bekannt sind, seine Witze zu machen. Erst nach fast 40 Jahren konnte sich Rom der imposanten Anlage erfreuen, die in erster Linie der Verherrlichung des Kaisers dienen sollte.
Noch ein bedeutender Wandel fiel in jene ereignisreiche Zeit. 27 v. Chr. hatte Augustus eine eigene Schutztruppe ins Leben gerufen, die aus neun Cohorten zu je 500 Mann bestand, die Prätorianergarde. Vorbild hierfür war die persönliche Leibwache, die sich römische Feldherren bereits seit dem ausgehenden zweiten vorchristlichen Jahrhundert zugelegt hatten. Bei den Prätorianern handelte es sich um Elitesoldaten, die Augustus zunächst in und um Rom verteilte. Unter Tiberius’ Herrschaft verlegte der Präfekt Seianus, von dem noch ausführlich die Rede sein wird, die kaiserlichen Leibwächter in die castra praetoria auf dem Viminal in Rom. Es waren die einzigen Soldaten, die in Rom Waffen tragen durften. Mit der Zeit spielten sie auch in der Politik eine immer größere Rolle, bis sie schließlich sogar Throninhaber ermordeten und ihnen Genehme in die höchste Stellung erhoben.
Auch auf kulturellem Gebiet vollzog sich ein beeindruckender Wandel. Die Stadt entwickelte sich nun tatsächlich zur Beherrscherin der Welt. Titus Livius arbeitete seit geraumer Zeit an einem großen Geschichtswerk, das den Ruhm Roms in die Jahrhunderte forttragen sollte. Und der Dichter Vergil schrieb mit seiner Aeneis eine Art römischer Heiliger Schrift.
Schließlich wurde der Janustempel geschlossen wie stets, wenn man ein Friedenszeichen setzen wollte. Kriege sollten für alle Zeit der Vergangenheit angehören. Doch man mochte ahnen, dass dies ein frommer Wunsch bleiben würde.
Sechzehn Jahre war Julia, Augustus’ Tochter, alt, als sie zum ersten Mal Witwe wurde. Wie sehr sie ihrem Gatten zugetan gewesen war, ist nicht überliefert. Ehen wurden im Rom jener Tage aus dynastischen oder politischen Gründen geschlossen. Auf die Gefühle der Partner konnte keine Rücksicht genommen werden. Vor allem Frauen waren ihren Männern zu absoluter Treue verpflichtet. Dies ging sogar soweit, dass auf einen von einer Frau begangenen Ehebruch die Todesstrafe stand, die in der Frühzeit Roms sogar der Ehemann als pater familias verhängen und vollstrecken durfte. Später gestand man dem gehörnten Ehemann auch ein Scheidungsrecht zu. Es ist anzunehmen, dass Julia, die ganz in der Tradition der mores maiorum, der alten Vätersitte, erzogen worden war, den ihr verordneten Gatten widerspruchslos hinnahm. Sie kannte es nicht anders. Zudem war ihr Marcellus als Vetter seit frühester Kindheit vertraut, sodass sie gewusst haben muss, worauf sie sich einzulassen hatte.
Wenn sie jedoch gehofft hatte, nach Marcellus’ Tod ihre Jugend ein wenig genießen zu können, wurde sie bald eines Besseren belehrt.
Abgekühlt hatte sich indessen das einst innige freundschaftliche Verhältnis zwischen Agrippa und Octavian. Die offensichtliche Bevorzugung des Kaiserneffen hatte den Freund, dem der Princeps in erster Linie seinen phänomenalen Aufstieg zu verdanken hatte, tief gekränkt. Er hatte sich nach Mytilene auf der Insel Lesbos zurückgezogen, um über die Enttäuschung und sein Verhältnis zu Octavian nachzudenken. Da erreichte ihn die Nachricht von dessen schwerer Erkrankung, und er eilte nach Rom zurück.
Vor dem versammelten Staatsrat, der um das Krankenlager stand, streifte Octavian nun seinen Siegelring vom Finger, das Zeichen seiner fürstlichen Macht, und steckte ihn Agrippa an, dem treuen Freund und fähigsten seiner Anhänger. Jedermann wusste, was das zu bedeuten hatte: Kein anderer als Agrippa sollte sein Nachfolger sein. Doch diese Geste war nicht nur als Versöhnungsakt und Anerkennung von Agrippas Verdiensten gedacht. Der Freund war dem Kaiserhaus auch in familiärer Hinsicht verbunden. Er hatte, nachdem seine erste Ehe mit Laetitia Attica – angeblich wegen eines Treuebruchs der Ehefrau – geschieden worden war, Marcella geheiratet, Octavians Nichte. Doch auch diese Tatsache kann für Augustus’ Entscheidung nicht allein ausschlaggebend gewesen sein.
Der Princeps muss über eine tiefe Menschenkenntnis verfügt haben, die unter vielen Anwärtern den würdigsten und fähigsten herausfand.
Für den Vipsanier mag die Verleihung des offiziellen Ranges die Krönung seiner bisherigen Laufbahn dargestellt haben, nachdem er bislang schon dreimal das Konsulat bekleidet hatte. Nur zwei Jahre später durfte er eine weitere Ehrung erfahren: Er ließ sich von Marcella scheiden (die mit einer anderen guten Partie abgefunden wurde) und heiratete auf Augustus’ Verlangen Julia, womit er endgültig in den engsten Kreis der Kaiserfamilie aufgenommen wurde.
Wieder hatte Augustus vor allem mit der Verheiratung seiner Tochter Stiefsohn Tiberius übergangen, was Livia Drusilla keineswegs gefreut haben kann. Bereits als Kleinkinder waren sich Tiberius und Vipsania, die Tochter des Marcus Vipsanius Agrippa, versprochen worden. Fünf Jahre nach der Hochzeit von Julia und dem Kaiserfreund heiratete der Claudiersohn nun die ihm seit langem bestimmte Braut. Es sollte sich herausstellen, dass sie die Frau war, die er von allen, die in seinem Leben eine Rolle spielten, als einzige geliebt zu haben scheint. Darüber wird an anderer Stelle noch zu berichten sein.
Es war unruhig im Rom des ausgehenden dritten Jahrzehnts der vorchristlichen Zeitrechnung. Die schwere Erkrankung, die Princeps Augustus an den Rand des Todes geführt hatte, hatte zahlreiche Verschwörungen begünstigt. Angehörige der römischen Nobilität vermochten nicht einzusehen, dass sie nicht ebenso vollbringen könnten, was einem Octavian, dessen Vorfahren der schmuddeligen Unterstadt entstammten, so scheinbar mühelos gelang. Andere trauerten um die Republik und gestanden sich nicht ein, dass diese längst verloren war.
Geheimnisumwittert blieben jedoch die Vorgänge, die damals die römische Führungsschicht in Aufregung versetzten, denn man hatte kein Interesse daran, die Zeugnisse der eigenen Schwäche einer breiten Öffentlichkeit zu verraten oder gar einer wissbegierigen Nachwelt zu hinterlassen. Die mageren antiken Berichte lassen einen Hochverratsprozess gegen den Prokonsul von Makedonien erkennen, einen gewissen M. Primus. Man beschuldigte ihn, auf eigene Faust einen Krieg gegen den König von Thrakien geführt zu haben. Er hingegen berief sich auf geheime Anweisungen des Princeps, der solche aber vor Gericht unter Eid bestritt. Das Schicksal des Statthalters war damit besiegelt.
Mit Primus stürzte auch der amtierende Konsul des Jahres 22 v. Chr. ins Verderben, Varro Murena, der sich seiner spitzen Zunge wegen schon früher unbeliebt gemacht hatte. Was hat ihm das Genick gebrochen? Sein beherztes Eintreten für den makedonischen Prokonsul? Oder seine Einstellung, die an die Wiedererrichtung der republikanischen Freiheit glaubte? Wir wissen es nicht. Bekannt ist nur, dass nicht einmal der bei der Staatsführung äußerst angesehene Maecenas den Konsul retten konnte. Murena war sein Schwager, der Bruder seiner Gattin Terentia und schon ihretwegen hatte er sich für ihn eingesetzt.
Auch Cornelius Gallus, der Präfekt von Ägypten, hatte sich mit den neuen Verhältnissen unzufrieden gezeigt und fiel in Ungnade. Er war nicht weniger ehrgeizig als der Princeps, stammte aus hohem Adel und vermochte nicht zu erkennen, weshalb nicht auch er zu dem befähigt sein sollte, was man dem vergleichsweise einfachen Aufsteiger zutraute. Der Osten war verführerisch und Gallus nicht der Erste, der von einem von Rom unabhängigen Ostreich träumte, wie es nur wenige Jahre zuvor schon Marcus Antonius vorgeschwebt haben mochte. Schon ließ sich Gallus, dem die exponierte Stellung den Kopf vernebelt hatte und der offensichtlich den Verlockungen des Orients erlegen war, in Bildsäulen und Inschriften verewigen, ja selbst solche auf den Pyramiden sollten Nachgeborenen von seinen Verdiensten künden. Das aber war mehr, als Octavian zulassen konnte. Der Präfekt wurde angeklagt und in die Verbannung geschickt, eine Strafe, die für manchen Römer schwerer zu ertragen war als die Aussicht auf einen gewaltsamen Tod. Auch Gallus verkraftete die Schande des Exils nicht und setzte seinem Leben selbst ein Ende. Um ihn vollständig zu entehren, war er zudem der damnatio memoriae verfallen, der Tilgung des Andenkens. Seine Standbilder wurden gestürzt. Ihn rühmende Inschriften ausradiert.
Während Augustus im Todesjahr seines Neffen zum Volkstribun auf Lebenszeit ernannt worden war, war auch sein Stiefsohn Tiberius eine wenn auch geringere Ehre zuteil geworden: Ihm war das Amt des Quaestors zugefallen, das unter anderem für die Getreideversorgung der Stadt zuständig war. Die Quästur war die unterste Stufe der Ämterlaufbahn. Mit ihr erlangten die Söhne der Oberschicht Sitz und Stimme im Senat. Die wichtigste Aufgabe freilich war, die Bevölkerung der Stadt vor Hungersnot zu schützen, die jede Staatsführung überaus fürchtete. Nahrungsmangel konnte zu Unzufriedenheit und Aufständen führen und damit für die Staatslenker gefährlich werden. Rom zählte um die Zeitenwende fast eine Million Einwohner. Es kann mit den damaligen logistischen Mitteln nicht ganz einfach gewesen sein, eine derart große Menschenmenge satt zu bekommen, wobei Getreide das Hauptnahrungsmittel nicht nur der städtischen Bevölkerung darstellte. Als wichtigste Lieferländer des römischen Grundnahrungsmittels galten Sizilien und seit einigen Jahren auch Ägypten.
Hat sich unser Protagonist auch für das Geistesleben jener Tage interessiert? Nach allem, was über Tiberius bekannt ist, darf angenommen werden, dass er auch am kulturellen Leben der Stadt regen Anteil nahm. Die augusteische Zeit verzeichnete eine Hochblüte in Literatur und Kunst. Vor allem Vergil zeichnete sich mit seiner Aeneis aus. Der Dichter war zwar noch kein alter Mann, aber er war krank und sah dem Ende seines Lebens entgegen. Das stetige Ringen um sein Werk, das bedeutendste, das ein Künstler Rom und der Nachwelt je geschenkt hat, hatte seine Gesundheit frühzeitig aufgezehrt. Schicksalsschläge während der Bürgerkriege nach Caesars Tod, so die Enteignung seines Landguts und die Vertreibung zu Beginn von Octavians Herrschaft, hatten ihm überaus zugesetzt. Der stille, fast scheue Mann, der Frauenliebe zeitlebens gemieden haben soll, um seine ganze Kraft der Arbeit zu widmen, begab sich im Jahr 20 v. Chr. nach Griechenland, um dort und in Kleinasien die Geschichte der Entstehung Roms in aller Ruhe zu vollenden. Er mochte ahnen, dass seine Tage gezählt waren. Augustus, der ihn in Athen empfing und sich aus der nach Ansicht des Verfassers noch unausgereiften Erzählung der Irrfahrten des Aeneas vorlesen ließ, bewog ihn besorgt, nach Rom zurückzukehren. Doch auf der Heimreise erkrankte der Schöpfer der Hirtengedichte, der Georgica und der Aeneis schwer. Gerade 50 Jahre alt, starb er in Brundisium und wurde bei Neapel beigesetzt.
Nur drei Jahre nach seiner Ernennung zum Quästor eröffnete sich für Tiberius ein neues Betätigungsfeld. Er durfte zum ersten Mal beweisen, was er im Krieg gegen die Cantabrer und Asturier gelernt hatte.