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Das Parthische Reich – eine erste Annäherung
ОглавлениеUwe Ellerbrock
Das Parthische Reich bestand fast 500 Jahre (ca. 247 v. Chr.–224 n. Chr.) und erstreckte sich zu Zeiten seiner größten Ausdehnung vom heutigen Syrien bis nach Indien und vom Kaspischen Meer bis zum Golf von Persien. Doch während das Römische Reich im heutigen geschichtlichen Bewusstsein stets präsent ist, ist dem europäischen Leser über das Großreich der Parther kaum etwas bekannt. Dabei waren die Parther die großen Gegner der Römer im Osten, die der Vormachtstellung des Römischen Reiches Einhalt geboten. Unter dem parthischen König der Könige Orodes II. wurden die Römer in der berühmten Schlacht bei Carrhae (53 v. Chr.) vernichtend geschlagen. 20.000 Römer fielen, 10.000 wurden gefangen genommen, und nur ein kleiner Teil der römischen Armee kehrte nach Rom zurück. Parthien konnte trotz zahlreicher Grenzkriege nie von Rom erobert werden. Warum, so muss man sich fragen, ist dieses große Reich so weitgehend in Vergessenheit geraten und erst in den letzten Jahrzehnten vermehrt ins Rampenlicht gerückt?
A. Invernizzi, ein bedeutender Erforscher des Partherreiches, betont in seinen Schriften, dass es sich bei dem Weltreich der Parther, das sich vor 2000 Jahren zwischen Europa und Asien ausbreitete, nicht nur um eine der wichtigsten Perioden der iranischen Geschichte handele, sondern auch um einen der bedeutendsten Abschnitte der antiken Geschichte überhaupt.1 So florierte bereits zu Zeiten des Großkönigs Mithradates II. (ca. 123–88 v. Chr.) der Handel auf der Seidenstraße2 von Palmyra (im heutigen Syrien gelegen) über Ekbatana in Parthien und weiter über Nisa im heutigen Turkmenistan bis nach China. Parthien war einer der Dreh- und Angelpunkte einer – nach heutigem Sprachgebrauch – „Globalisierung“ in der damaligen Welt, ein unabdingbarer Mittler zwischen Rom und China. Durch den ausgedehnten Handel und andauernde Kriege erfolgte auch ein intensiver kultureller Austausch in den Grenzgebieten des Ostens und des Westens.3 „Parthisch“ wurde in Mesopotamien plötzlich Mode, Frauen und Männer trugen parthische Kleidung, Frisuren und Waffen.
Was also sind die Gründe, warum diese Weltmacht so wenig präsent in der Erinnerung geblieben ist? Zu den wichtigsten archäologischen Gründen zählte lange der Mangel an Grabungs- und Schriftfunden, die zudem sehr ungleichmäßig verteilt waren. Die meisten bis vor wenigen Jahren bekannten Belege stammten aus den Randbereichen des Partherreiches, während das iranische Kernland selbst wenig erforscht war. Von der von den Römern völlig zerstörten Hauptstadt Ktesiphon in Mesopotamien ist nichts erhalten geblieben. Die umfangreichen Hinterlassenschaften der Parther im Kernland des Iran und in Mittelasien kamen, mit Ausnahme der alten Hauptstadt Nisa, erst in den letzten Jahren ans Licht und sind noch nicht ausgewertet. Im Iran4 selbst sind seit dem Sturz des Schahs nur wenige gezielte Ausgrabungen zu den Parthern durchgeführt worden, und erst in den letzten Jahren wurde eine Vielzahl von neuen Fundorten der Partherzeit bekannt. In Mesopotamien ist auf Grund der derzeitigen politischen Situation keine neue Arbeit möglich. Zum anderen konzentrierte man sich in der Anfangszeit der Ausgrabungen im Iran mehr auf die Suche nach Zeugnissen der Achämeniden und der iranischen Frühgeschichte und in Mesopotamien vor allem auf die frühen Hochkulturen der Sumerer, Akkader, Babylonier und Assyrer. Man vernachlässigte dabei die Fundschichten aus parthischer Zeit, die meist nicht so spektakulär schienen und oft nur Kleinfunde im hellenistischen Stil zu Tage förderten, deren Bedeutung für die parthische Kunst erst viel später erfasst wurde.
Abb. 1: Grabstein mit Darstellung eines Totenmahls. Kalkstein, Fundort: Palmyra, Syrien, 2–3. Jh. n. Chr.; New York, Metropolitan Museum of Art, Inv. Nr. 02.29.1.
Viele der Stadtanlagen, die die Parther errichteten oder von den Vorgängern übernahmen, liegen zudem heute in großer Tiefe und sind mit modernen Stadtanlagen überbaut, wie dies beispielsweise bei Rhagae (heutiger Bereich Ray, 15 km von Teheran entfernt) der Fall ist. In solchen Städten sind Grabungen daher kaum möglich und zum Teil auch nicht erwünscht. Darüber hinaus hinterließen die Parther, anders, als es von anderen Hochkulturen bekannt ist, vermutlich aufgrund ihres Glaubens kaum Gräber mit aussagekräftigen Beigaben.
Schließlich sorgten die Sasaniden gezielt dafür, dass die Erinnerung an die Parther aus der Geschichtsschreibung getilgt wurde. Als lokale iranische Dynastie betrachteten sie sich als Nachfolger der achämenidischen Perser und wollten sich deutlich von den aus der Steppe eingewanderten Parthern und deren kulturellem Hintergrund abheben.
Eine bedeutsame Quelle für die Erforschung der Geschichte der Parther sind die Münzen der Könige, da sie als einzige Kunstgattung für die gesamte Zeitperiode des Parthischen Reiches nachzuweisen sind. Schriftliche Überlieferungen sind sehr selten und oft nur bruchstückhaft. Parthische Bauzeugnisse, Reliefs, Plastiken oder andere primäre Quellen sind in ihrer Zahl ebenfalls sehr beschränkt. Zudem besteht bei diesen Funden das Problem, dass sie zeitlich nicht immer präzise zu datieren sind oder aus einem begrenzten geographischen Raum stammen. Diese Faktoren führten dazu, dass das Wissen über das Parthische Reich mangelhaft war und auch geblieben ist und dieses Reich somit aus dem Fokus des geschichtlichen Allgemeinwissens verschwand.
Die Genealogie der parthischen Könige beruht bis heute weitgehend auf der Analyse von Münzen. Da bisher keine methodisch saubere Grundlage existiert, die eine genaue Zuordnung insbesondere der frühen Münzen der Parther sicher ermöglichen würde, und die frühen Münzen meist keine Namen oder Jahreszahlen aufweisen, steht die ermittelte Reihenfolge der Könige auf unsicherem Boden. Wie schwierig die Datenlage ist, zeigen noch heute bestehende unterschiedliche Auffassungen über die Reihenfolge einiger Könige. Auch ist in mehreren Fällen nicht klar, ob einzelne Könige aufeinander folgten oder ob sie miteinander rivalisierende Herrscher waren.
Erst ab 140 v. Chr., als die parthischen Könige in Seleukia am Tigris Tetradrachmen prägten, die z.T. die Namen der Könige und auch Jahreszahlen enthielten, wird die Zuordnung leichter. Die derzeit am weitesten anerkannte Reihenfolge der parthischen Könige wurde von Sellwood 1971 erarbeitet und 1980 in einer Neuauflage gering modifiziert.5
Da die Münzen eine der wichtigsten Primärquellen für die Erforschung des Parthischen Reiches sind, wird in diesem Buch der Ikonographie der Münzen eine besondere Bedeutung beigemessen. Aus den Bildinhalten lassen sich zudem viele zusätzliche Hinweise auf Kleidung, Waffen und auch religiöse Bezüge ableiten, und sie liefern mit den übrigen Quellen ausreichendes Material, um ein vielgestaltiges Bild des Partherreiches und seiner Kultur, Politik und Religion zu entwerfen.
Die historische Bedeutung Parthiens wurde erst Ende des 19. Jhs. im wissenschaftlichen Bereich herausgestellt. Bahnbrechend war das große Werk von George Rawlinson „The Sixth Great Oriental Monarchy, or the Geography, History and Antiquities of Parthia“, das 1872 veröffentlicht wurde. 1939 erschien dann von N. C. Debevoise das Werk „A Political History of Parthia“. Auf die kulturelle Bedeutung der Parther wies zuerst der russische Archäologe und Historiker Michail Rostovtzeff hin, der bereits erste Charakteristika einer eigenständigen und global wirkenden Kunst der Parther formulierte.6 Roman Girshman machte mit seinem 1962 herausgegebenen großen Werk „Iran, Parther und Sasaniden“ den Aspekt einer eigenständigen parthischen Kultur einem breiteren Publikum zugänglich.
Durch die in den letzten Jahrzehnten erfolgte Bearbeitung von Teilaspekten parthischer Kultur, die Hinwendung der Forschung zu Fragen kultureller Transferprozesse und die neuen Ausgrabungen in Mittelasien rückte das Parthische Reich zunehmend in den Blickpunkt der Forschung. Das im Jahr 2010 von Ursula Hackl, Bruno Jacobs und Dieter Weber (Hg.) in drei Bänden veröffentlichte Werk „Quellen zur Geschichte des Partherreiches“ ist das bisher umfangreichste neueste wissenschaftliche Werk, auf das zurückgegriffen werden kann.
Die größte länderübergreifende wissenschaftliche Bearbeitung der arsakidischen Münzen, die auf der Katalogisierung von Sellwood aufbaut, geschieht derzeit in der Erstellung der „Sylloge Nummorum Parthicorum“ (SNP) unter Leitung von Michael Alram (Österreichische Akademie der Wissenschaft, Numismatische Kommission) und Vesta Sarkhosh Curtis (The British Museum, Department of Coins and Medals), die in 9 Bänden veröffentlicht werden soll. Der erste fertiggestellte Band, Band VII, dessen Forschungsergebnisse hier berücksichtigt wurden, wurde von Fabrizio Sinisi erarbeitet und erschien 2012.
In der Gesamtbetrachtung muss hervorgehoben werden, dass das Partherreich politisch, ökonomisch und militärisch ein Großreich war, das in seiner Bedeutung dem Römischen Reich nicht nur gleichrangig war, sondern auch kulturell ebenso global wirkte, dies jedoch anders verwirklichte als die Römer. Die Parther, die aus propagandistischen Gründen in den westlichen Quellen von ihren Gegnern, den Römern, als Barbaren hingestellt wurden, schufen in ihrem Imperium mit einer Vielzahl eroberter Reiche und den damit verbundenen unterschiedlichsten Kulturen einen übergeordneten politischen Zusammenhalt bei gleichzeitig großer kultureller Toleranz. Dies ermöglichte es, dass das Partherreich fast fünf Jahrhunderte hindurch Bestand hatte und damit länger überlebte als manch anderes große Reich.
Will man die Kultur der Parther erfassen, muss ein besonderes Augenmerk auf die in den Randzonen parthischen Einflusses gelegenen Vasallenstaaten oder Städte gelegt werden. Es sind dies die im Westen zwischen den beiden großen Reichen – Rom und Parthien – gelegenen Pufferstaaten, wie die Kommagene, Osrhoene, Adiabene, Städte wie Hatra oder Dura Europos oder die im Osten gelegenen Reiche, zu denen das Graeko-Baktrische Reich, das Kuschanreich, das Indo-Skythische und das Indo-Parthische Reich gehören. Diesen Reichen wird ebenfalls jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet.
Diese Randzonen des Parthischen Reiches sind von besonderer Bedeutung, da hier die meisten kulturellen Zeugnisse parthischen Einflusses zu finden sind, während im eigentlichen Zentralbereich des parthischen Herrschaftsgebietes die Fundlage zur Zeit noch spärlich ist. Gerade die Grenzlage dieser Vasallenstaaten, in denen die Gemengelage kultureller Einflüsse aus Ost oder West besonders auffällig ist und in denen wir z.B. vielfältige synkretistische Götterbilder finden, macht es dabei so schwierig, sich der Frage zu nähern, was parthisch ist.
Alexander der Große hat mit seinen über das Perserreich hinaus nach Osten gehenden, auch bis nach Baktrien und Indien hineinreichenden Feldzügen wohl wie kein anderer Herrscher in so kurzer Zeit die Welt in der Mitte Asiens verändert. Diese Veränderungen bewirkten in politischer und kultureller Hinsicht eine ungeheure Umgestaltung der gesamten damals bekannten Welt. Aus allen neueren Befunden wird klar, dass die Bereiche Mittelasiens und später insbesondere das Parthische Reich eine überaus wichtige Rolle sowohl in der Rezeption als auch in der Weitergabe von kulturellen Errungenschaften, Glaubensinhalten und künstlerischen Einflüssen von China bis nach Indien und ins Mittelmeergebiet und in umgekehrter Richtung gespielt haben und die Seidenstraße das Transportnetz darstellte, das diesen Transfer ermöglichte.
Versucht man also, sich bei oft mangelnder Datenlage diesem Reich der Parther in allen Facetten zu nähern, so muss man sich darüber im Klaren sein, dass man sich im Einzelnen in einem Bereich zwischen einem vermeintlich sicheren Wissen und weitgehender Spekulation befinden wird. Auch die bereits erwähnte Tatsache, dass wir es mit einem Kulturzeitraum von fast 500 Jahren zu tun haben, macht den Versuch, sich dem Partherreich zu nähern, nicht leichter.
Aber gerade aus diesem Mangel ergibt sich der Reiz, aus den bruchstückhaften Erkenntnissen ein Gesamtbild eines Reiches zu entwerfen, das zur Weltmacht aufstieg und im Zentrum einer „Globalisierung“ zwischen Ost und West stand, die bereits vor 2000 Jahren in Europa und Asien stattgefunden hat.