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Der Montag danach

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An unserer Schule fand Sportunterricht strikt nach Geschlechtern getrennt statt. Ich hasste Sport aus diesem und einem weiteren Grund: Unser Lehrer scheuchte uns regelmäßig durch eine Art militärischen Trainingsparcour. Bloß die Gewehre fehlten, und Weltkriegs-Stacheldrahtverhau wurde durch ein komplexes Gebilde aus Bänken, Kästen und Seilen simuliert. Was die Mädchen in der Stunde von halb neun bis 9:15 Uhr durchmachten, wussten wir nur gerüchteweise: Von Ausdruckstanz und Ballet zu Melodien von Richard Clayderman war hinter vorgehaltener Hand die Rede.

Die strikte, an die Grenzeinrichtungen auf dem Bahnhof Berlin Friedrichstraße erinnernde Trennung im großen Schulsportkomplex hatte nur eine durchlässige Stelle: Die fensterlosen Gänge zwischen Umkleidekabinen und Hallen. Gelegentlich sah man in der Ferne mystische Wesen in rosa oder neongelben Leggins vorbeischweben oder es erklang ein hysterisches, hallendes Kichern. In solchen Momenten wurde der Sinn der Geschlechtertrennung deutlich, denn alle Jungs verwandelten sich umgehend in kreischende Affen.

Umso perplexer war ich, als ich beim Umziehen in meinem rechten Turnschuh einen zusammengefalteten Zettel fand:

9:10 Umkleide 4

A.

Es musste ja ziemlich dringend sein, wenn es nicht bis zur großen Pause warten konnte, die nur wenige Minuten später begann.

Den heutigen Militärparcour und die zackig gebrüllten Anweisungen ertrug ich stoisch, während ich alle paar Minuten hoffnungsvoll hinauf zur Hallenuhr sah. Um Punkt 9:09 entschuldigte ich mich beim Lehrer mit den Worten »Durchfall, dringend« und rannte aus der Halle. Auf dem Gang zog ich die Schuhe aus und nahm sie in die Hand, weil lautes Rennen unerwünschte Aufmerksamkeit erregen mochte. Also stürmte ich auf Socken hinunter bis Umkleide Nummer 4, kam rutschend an der richtigen Stelle zum Stehen und drückte mit Herzklopfen möglichst lautlos die Klinke runter.

Der Raum war leer, wenn man von Anna absah, die gerade ihre rosa Leggins hinter einem weißen Handtuch versteckte.

»Geheimnisvolle Zettel finde ich voll cool«, brachte ich keuchend hervor. »Trotzdem hoffe ich, dass uns niemand hier erwischt.«

»Wieso, wir machen doch nichts Schlimmes«, sagte Anna.

»Schade«, rutschte es mir heraus.

»Bitte was?«

»Wie geht's Egon?«, lenkte ich ab.

Anna wischte die Frage mit der Hand zur Seite. »Hast Du schon die Fotomaschine gebaut?«

Ich sah zu Boden, ohne zu antworten.

»Okay«, sagte Anna. »Ich wollte dir nur sagen, dass ich heute nicht kann. Außerdem sind nächste Woche die letzten Klausuren vor den großen Ferien. Und in der ersten Ferienwoche bin ich auf einer Jugendfreizeit.«

»Oh«, machte ich.

»Soweit die schlechten Nachrichten«, sagte Anna und grinste. »Die gute Nachricht ist, dass in der zweiten Woche meine Eltern alleine wegfahren. Das Haus ist leer.«

»Sturmfreie Bude? Klingt … verrucht.«

»In jener Woche werden wir das Spiel fertigmachen.«

Ich glaubte, mich verhört zu haben. »Äh …?«

Anna kam auf mich zu und flüsterte in mein Ohr. »Das wird cool«, sagte sie. Sich hauchte mir etwas in den Nacken, das vage an einen Kuss erinnerte, aber mit Sicherheit keiner war.

»Bestimmt«, keuchte ich.

Dann ließ sie mich einfach in der leeren Mädchen-Umkleide zurück, in der aufzuhalten mindestens die Todesstrafe nach sich zog.

First when there's nothing

But a slow glowing dream ... (ix)

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