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Anfang Juni 1983

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In den Pfingstferien schaute ich in unserer Stadtbücherei vorbei, aber informative Unterlagen zu aktuellen Heimcomputern waren dort Mangelware. Dafür lieh ich mir ein Buch von einem gewissen Erich von Däniken aus, das mich während der Ferien mehrere Tage beschäftigte. Ich zeichnete Skizzen für ein Computerspiel, bei dem es darum ging, auf einem fremden Planeten zu landen und die dortigen Ureinwohner nach allen Regeln der Kunst zu knechten.

Mein aktuelles Lieblingslied war Total Eclipse Of The Heart, weil ich gar nicht anders konnte, als für eine Person wie Anna zu schwärmen. »Das ist dein Untergang«, predigte Tommy in ätzender Regelmäßigkeit. »Und blöderweise damit auch meiner.«

Ich verdonnerte ihn, mit der Modelleisenbahn zu spielen, damit ich in Ruhe nachdenken konnte.

Sollte ich Anna bei nächster Gelegenheit fragen, ob sie sich vorstellen könnte, mit mir nicht nur Computerspiele zu erfinden, sondern auch … na ja, was auch immer Jungs und Mädchen noch Interessantes miteinander tun konnten? Nicht, dass ich irgendeine Ahnung davon gehabt hätte.

Tommy meinte, die meisten Menschen würden es wohl früher oder später irgendwie rausfinden, bloß bei mir hätte er so seine Zweifel.

»Sehr hilfreich, vielen Dank«, brummte ich und drehte die Musik lauter.

Turn around, bright eyes (viii)

Anna hatte wirklich ziemlich helle Augen. Ihre Iris war so hellgrau, dass man zweimal hinschauen musste, um es zu glauben. Im Moment war sie mit ihren Eltern auf Kurzurlaub in Amsterdam. Eine Art Schlaraffenland, wie ich gehört hatte, denn dort durften auch Jugendliche in die Kaschemmen mit den Münzen schluckenden Computerspielen, hierzulande musste man dazu 18 Jahre alt sein. Als wären Spiele was Versautes!

Am Dienstag nach Pfingsten drückte ich mich mittels simulierter Kopfschmerzen vor einem schnarchlangweiligen Verwandtenbesuch und hörte den ganzen Nachmittag Tangerine Dream. Ich blätterte in zwei ausgeliehenen Elektronik-Lehrbüchern und verstand hauptsächlich Bahnhof und Transistor. Sicher war es nicht die schlechteste Idee, sich mit Widerständen, Kondensatoren und Co besser auszukennen. Schließlich kramte ich den Elektronik-Baukasten hervor, den mir meine Eltern im vergangenen Jahr zu Weihnachten geschenkt hatten in der Hoffnung, dass ich damit nicht so eine Sauerei anstellen würde wie mit dem Chemiekasten im Vorjahr.

Ich sortierte die durcheinander geratenen Bauteile. Eines ließ mich inne halten: Ich war offenbar ohne es zu wissen stolzer Besitzer eines lichtempfindlichen Widerstandes. Es handelte sich um eine linsengroße Scheibe mit zwei Anschlussdrähten. Auf der Scheibe konnte ich mit der Lupe winzig kleine Leiterbahnen erkennen.

Ich verkabelte den Widerstand provisorisch mit meinem einfachen Zeiger-Messgerät und hielt ihn zuerst unter die Lampe, dann deckte ich die lichtempfindliche Fläche mit den Fingern ab. Das Messinstrument zeigte tatsächlich verschiedene Widerstandswerte an.

Bestand ein Bild nicht prinzipiell aus einer ziemlich großen Anzahl Bildpunkte unterschiedlicher Helligkeit?

Ich stand auf, schaltete den Fernseher an und wartete ungeduldig, bis sich die Röhre erwärmt hatte. Auf dem dritten Programm lief gerade ein Telekolleg Chemie. Ich schaltete den Ton ab und hielt meinen Lichtmesser in die obere Ecke des Bildschirms. Dort befand sich gerade die schwarze Tafel, auf die der Telekolleg-Lehrer seine Strukturformeln malte, also gab es wenig Licht und der Widerstandswert lag bei etwa 1 Megaohm. Ich verschob den Fotowiderstand ins Gesicht des Sprechers und las 100 Ohm ab. Also deutlich weniger.

»Das könnte funktionieren«, sagte ich zu dem steifen Chemiker auf dem Bildschirm.

»Niemals«, rief Tommy herüber, ohne den Blick von der Dampflok zu wenden, die gerade auf der Anlage ihre Kreise zog.

Wenn ich mich richtig erinnerte, verfügte der Atari über eine ganze Reihe verschiedener Grafikmodi. Der mit der höchsten Auflösung von 320 mal 192 Punkten ermöglichte allerdings nur monochrome Bilder, kannte also nur schwarze und weiße oder dunkelrote und hellrote Pixel ohne Abstufungen. Passender, um Schwarzweiß-Fotos anzuzeigen, erschien ein Modus mit immerhin vier verschiedenen Helligkeitsstufen und 160 mal 192 etwas länglichen Bildpunkten. Ein Teil des Bildschirms würde außerdem für die Anzeige von Spielstand und aktueller Aufgabe draufgehen. Blieben grob geschätzt 160 mal 160, also läppische 25600 Bildpunkte.

Ich musste also lediglich mein Model vor eine Videokamera setzen, ihre verschieden bekleideten Zustände aufnehmen, und dann die Standbilder auf einem 25600 Messpunkte umfassenden Raster mit dem Fotowiderstand abtasten. Jedem Messpunkt konnte man aufgrund des gemessenen Widerstandswertes dann eine von vier Helligkeitsstufen zuordnen. Ich stellte mir ein kleines Programm auf dem Atari vor, das es erlaubte, für jeden Bildpunkt eine der Zifferntasten von 1 bis 4 zu drücken, um so nach und nach das ganze Bild aufzubauen und dann auf Diskette zu speichern. Anna würde mit dem lichtempfindlichen Bauteil zeilenweise über den Fernsehschirm fahren und mir jeweils die richtige Zahl diktieren. Aber bloß keinen Fehler machen!

Ich schmiss meinen Fotowiderstand aufs ungemachte Bettsofa.

Das war ja leicht. 25600 Messwerte pro Bild, und wir brauchten mehrere davon.

»Guck mich nicht so an«, sagte Tommy. »Ich mach da nicht mit. Bin doch nicht bescheuert.«

Ich aß eine halbe Tafel Schokolade und beschloss, mir ein leichteres Projekt zu suchen. Zum Beispiel: Tommy loswerden.

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