Читать книгу Mit den Normannen nach England - Uwe Westfehling - Страница 13

Was ist „Normannitas“?

Оглавление

Gewiss, es ist ein heikles Unterfangen, wenn man so etwas wie einen Volks- oder Nationalcharakter postulieren will. Allzu viel Wunschdenken, Klischeehaftigkeit und Parteinahme treten bei solchen Versuchen zutage. Dennoch gibt es bisweilen Wesenszüge, die so wesentlich zu sein scheinen, dass sie aufs Ganze gesehen als typisch gelten können. Im Falle der Normannen werden einige solcher Eigenschaften immer wieder genannt und nicht selten sogar für die Grundlage ihrer unbestreitbaren Erfolge gehalten. So kommt der Begriff „Normannitas“ zu Stande, welcher gleichwohl problematisch bleibt und sicher manchen Beobachter zu dem Stoßseufzer veranlasst, das Phänomen sei wohl vorhanden, aber leider schwer zu fassen. Lassen wir einmal ein paar jener Wesenszüge Revue passieren, die in diesem Zusammenhang erwähnt werden: Zielstrebigkeit und Willenskraft gehören dazu. In positiver Auslegung heißt das dann: Energie oder Durchsetzungskraft; negativ ausgedrückt nennt es sich eher: Rücksichtslosigkeit und Gewaltbereitschaft. Was ein Normanne sich in den Kopf gesetzt hat, so empfindet es die Umwelt, das lässt er sich nicht ausreden, und wenn man mit ihm in einen Interessenkonflikt gerät, tut man gut daran, wirksam gerüstet zu sein. Gleich noch ein paar Gemeinplätze? Normannen, so scheint es, lassen sich eher als andere auf gewagte Unternehmungen ein, nicht zuletzt aus großem Selbstvertrauen bzw. wegen der hohen Meinung, die sie von ihrer eigenen Stärke haben. Man kann das Kühnheit nennen oder auch für blinden Wagemut halten. Jedenfalls ist es eine Eigenschaft, die oft zu erstaunlichen Leistungen führt, andererseits aber auch in einer Katastrophe enden kann. Sodann wird diesem Menschenschlag eine gewisse nüchtern abwägende und durchaus pragmatische Unvoreingenommenheit nachgesagt, ein kühl kalkulierender und illusionsloser Verstand; eine solche Haltung macht die Entscheidung für unkonventionelle Lösungen leichter und ermöglicht zielbewusst zupackendes Handeln. Dazu kommt auch die Fähigkeit, günstige Gelegenheiten rasch zu erkennen und abzusehen, welche Möglichkeiten sie bieten, ebenso wie die Geistesgegenwart und Entschlusskraft, eine solche Gelegenheit unverzüglich wahrzunehmen. Das Ergebnis solcher Verhaltensweisen verursacht bei anderen manchmal Staunen oder Verblüffung. In der Terminologie der klassischen Emblematik heißt das: „Fortuna (das Glück) ergreift Occasio (die Gelegenheit)“. Oder als populäre Redensart: „Das Glück hilt dem Tüchtigen“. Keine Frage, dass man sich durch solche Eigenschaften bei Konkurrenten nicht gerade beliebt macht!

Ist all das zusammengenommen „Normannitas“? Vielleicht. Etwas Neid mag bei solcher Einschätzung auch mit im Spiel sein. Und wohl auch ein gewisses Quantum durchaus angebrachter Vorsicht …

Mit den Normannen nach England

Подняться наверх