Читать книгу Limit up - Sieben Jahre schwerelos - Uwe Woitzig - Страница 11

Kapitel 8

Оглавление

Vergiss die ganze Beziehungsgeschichte und lerne, auf eine neue Art in Beziehung zu sein. Sobald du in der festen Beziehung bist, fängst du an, den anderen als selbstverständlich vorauszusetzen. Daran gehen alle Liebesgeschichten kaputt. Die Frau denkt, sie kennt den Mann. Der Mann denkt, er kennt die Frau. Dabei kennt keiner den anderen. Es ist unmöglich, den anderen zu kennen. Der andere bleibt ein Rätsel und ihn für selbstverständlich zu nehmen ist respektlos.

(Osho)

Der Adelige hatte mich angezeigt und verklagt. Aber da ich einen sehr gut durchdachten Vertrag mit ihm geschlossen hatte, kam es nur zu einigen heftigen juristischen Scharmützeln, aus denen ich geldmäßig gerupft, am Ego verletzt, frustriert und gelangweilt von einem Leben nach den Normen der bürgerlichen Gesellschaft hervor ging. Ich beschloss, mich diesmal endgültig aus dem Rattenrennen zurückzuziehen, und löste meine Firmen und meine Geschäftsbeziehungen auf. Und meine Ehe. Ich hatte endlich verstanden, dass ich nur deshalb immer wieder Beziehungen zu Frauen eingegangen war, weil meine eigene weibliche Seite noch nicht entwickelt war und ich meine Lebensgefährtinnen praktisch als Substitut benutzte. Diesmal wollte ich daran arbeiten, diesen so lange unterdrückten Anteil meiner Persönlichkeit sich entfalten zu lassen. Dazu musste ich ohne Frauen leben. Ich erwog ernsthaft, in ein Kloster zu gehen und schaute mir einige an. Aber die Gestalten, die sie bewohnten, erschienen mir im Gegensatz zu den schillernden Persönlichkeiten, die ich im Knast kennengelernt hatte, blutleer und wenig authentisch. Sie alle umgab eine Aura des lauernden Misstrauens. Es mag sein, dass sie ihrer dialektischen Theologie selbst nicht so recht vertrauten. Oder weil sie das Eindringen jedes Fremden in ihre eingeschworene Gemeinschaft als einen feindlichen Akt ansahen.

Wie auch immer. Sie schreckten mich auf jeden Fall ebenso ab wie der minutiös festgelegte Tagesablauf, der kaum Spielraum für eigene Aktivitäten ließ und meine Freiheit dramatisch beschränken würde. Ich verwarf diesen Plan und zog mit meinen beiden Jack-Russell-Terriern Bugsy und Pauline ein gemütliches, 200 qm großen Holzhaus am Schliersee, das mir der Rechtsanwalt eines Knastbruders vermietet hatte. Damit hatte ich ein Refugium, in dem ich mich endlich von den Marktplätzen dieser Welt zurückziehen konnte.

Schon in meinen ersten Schuljahren war mir die Rolle des Gejagten tausendmal lieber gewesen als die des Jägers. In dieser Zeit spielten wir am liebsten „Foxterrier“, ein Spiel, bei dem der schnellste Läufer zum Jäger bestimmt wurde und alle anderen in alle Richtungen abhauten. Jeder, den der Jäger erwischte, musste ihm helfen, die anderen zu fangen. Eine leichte Berührung reichte. Schließlich jagten alle den Letzten, der damit zum Foxterrier wurde. Wegen meiner ausgezeichneten Kenntnisse des Geländes und meiner selbst gebauten, geheimen unterirdischen Höhlen und Baumhäusern gelang es mir immer wieder, unentdeckt zu bleiben und zum Sieger, zum „Foxterrier“ zu werden.

Ich liebte dieses Spiel und hatte es irgendwann eins zu eins auf mein Leben übertragen, weil mir die Menschen immer suspekter wurden, desto mehr ich sie kennenlernte.

Als Erstklässler war ich sicher der naivste und gutgläubigste Schüler meiner Schule gewesen. Ich war isoliert und abseits der Stadt in der heilen Welt meiner intakten Familie aufgewachsen. Von der List und Tücke der Stadtkinder hatte ich keine Ahnung.

Eines Nachmittags hatte ich einige Schulkameraden mit ihren mir nicht bekannten Freunden zu mir eingeladen. Wir spielten Cowboy und Indianer. Ich war der Cowboy, der sich von den Indianern überwältigen und an den Marterpfahl fesseln ließ. Die Indianer umtanzten mich triumphierend, aber dann wurde es ihnen zu langweilig. Einer kam auf die Idee, sich mein Holster mit meinen Spielzeugpistolen umzuschnallen. Ein anderer setzte sich meinen Cowboyhut auf. Ich begriff nicht, was das sollte, wurde aber wegen der dreisten Benutzung meiner Spielzeuge ärgerlich. Plötzlich rannten sie alle davon und ließen mich am Baum gefesselt zurück. Die Wut über diese Heimtücke verlieh mir ungeahnte Kräfte. Ich schaffte es, mich zu befreien, sprang auf mein Fahrrad und fuhr ihnen hinterher.

Doch ihr Vorsprung war zu groß. Außerdem trennten sie sich und verteilten sich über die ganze Stadt. Ich gab die Verfolgung auf und sah meine geliebte Cowboyausrüstung nie wieder. Dieses Ereignis war der Keim eines ständig wachsenden Misstrauens, das mich den Menschen soweit wie möglich aus dem Weg gehen ließ. Ich wurde später vermutlich auch deshalb zu einem passionierten Weltreisenden, weil ich in der Ferne meine Ruhe vor Geschäftspartnern, sogenannten Freunden und meiner angeheirateten Familie hatte. Es war logisch, dass ich eines Tages im Knast landen musste. Damit ich nicht mehr davon laufen konnte und wieder Anteilnahme am Schicksal anderer nehmen musste.

Sicher hatte ich als Kind diese Wahl getroffen, weil ich als noch rudimentär mit spirituellen Erkenntnissen getränktes Wesen wusste, dass ein Fluchttier viel leichter loslassen kann. Es benötigt nur das, was es am Sattel befestigen kann, wie die Indianer sagen. Alleine zieht es durch die Welt, denn jede Bindung an einen anderen Menschen, ein Tier oder eine Sache beeinträchtigt seine Fluchtbereitschaft und gefährdet seine innere Freiheit. Intuitiv hatte ich damit einen buddhistischen Weg eingeschlagen, nämlich den des „Aus- dem-Weg-Gehens“.

Nach einiger Zeit in meinem Haus am Schliersee fing ich allmählich an, das alles zu begreifen. Es gelang mir sogar, mein schlechtes Gewissen wegen meiner Ignoranz und Intoleranz gegenüber Maria zu transzendieren. Bei meinen täglichen Meditationen bemerkte ich, wie sich mit der Zeit mein latentes Schuldgefühl für das Scheitern unserer Ehe auflöste. Ich dachte wieder lächelnd und sogar etwas sehnsüchtig an unsere wunderschönen, romantischen Zeiten zurück, die es speziell während meines offenen Vollzuges in der JVA-Rothenfeld gegeben hatte.

Dennoch war ich fest entschlossen, nie wieder eine feste Beziehung zu einer Frau einzugehen. Ich hatte genug von dem Spannungsbogen von Glück und Schmerz, der mich nicht weiter brachte. Nach dem Ende meiner zweiten Ehe wollte ich aber auch nicht wie eines jener Roboterwesen werden, die amerikanische (wer sonst?) Robotik - Spezialisten geschaffen hatten: Diese Maschinen begehrten sich selbst und pflanzten sich selbst fort. Nein, das war nicht mein Ziel. Ich wollte mich endlich wieder in Ruhe mit meiner Selbstfindung beschäftigen, ohne die Ablenkungen durch die unberechenbaren Launen einer Gefährtin.

Seit einem Vierteljahr hatte ich mir eine perfekte Mischung aus Mönch –, Knast- und Studentenleben zusammengemixt. Jeder Tag verlief in harmonischer Eintönigkeit nach festen, fast klösterlichen Regeln. Nach dem Aufstehen ließ ich als Erstes die Hunde in den Garten. Je nach Wetter ging ich anschließend auf die Terrasse oder in mein Kaminzimmer, um zu meditieren und einige Yoga-Übungen zu absolvieren. Danach trank ich genüsslich meinen Morgenkaffee, sah entspannt meinen tierischen Freunden beim Herumtollen zu und überlegte mir, wohin ich mit ihnen heute einen Ausflug machen könnte.

Ein Führer mit den schönsten Landgasthäusern des Alpenraums war der Kompass zu besonders schön gelegenen und qualitativ sehr guten Restaurants geworden, in denen ich schweigend und meditativ meine Speisen genoss. War ich nicht zu einem dieser erlesenen Plätze bayerischer oder Tiroler Gastronomie unterwegs, legte ich mich den ganzen Tag in meinen Garten. Der direkt an einen Wasserfall grenzte, von dem stets eine wunderbare, mich belebende Energie zu mir herüber strömte. Oder ich unternahm mit meinen Hunden ausgedehnte Bergwanderungen in den Bergen des benachbarten Tegernseer Tales, die mir eine hervorragende Kondition bescherten und mich nachts tief und traumlos schlafen ließen.

Augenscheinlich durchlebte ich nach den Turbulenzen meines bisherigen Lebens eine Phase der Ruhe, die die folgenden Worte Henry Millers perfekt beschreiben: „Überlassen wir uns nicht gern im wachen Zustand, wenn alles in Ordnung ist und Sorgen fehlen, der Intellekt einschläft und wir in eine träumerische Stimmung geraten, dem ewigen Fluss? Schwimmen wir dann nicht ekstatisch auf dem stillen Strom des Lebens? Wohl jeder hat wohl wenigstens einen Augenblick in seinem Leben gehabt, wo er sich so gut, so im Einklang mit allen Dingen fühlte, dass er nahe daran war zu rufen: Jetzt möchte ich sterben!“

In diesem Sinne genoss ich jeden Augenblick. Ich war rundum glücklich und zufrieden. Um diesen idyllischen Zustand nicht zu gefährden, hatte ich meine Geschäftstätigkeit als Unternehmensberater eingestellt und lebte von meinen Reserven. Ich hatte keine Lust, mir die existenziellen Sorgen und Nöte in meinen Augen psychisch kranker Geschäftsleute anzuhören und mich ihrem niederen Schwingungsfeld auszusetzen.

Neben meinen Rasierspiegel hatte ich einen Zettel aufgehängt, auf dem folgender Text stand: „Egal wie schön, intelligent und sexy eine Frau ist. Irgendwo auf der Welt sitzt ein Typ, trinkt ein gutes Glas Rotwein und ist froh, dass er sie los ist.“

Lächelte mich in jenen unbeschwerten Tagen eine Frau in einem Supermarkt oder Restaurant freundlich an, setzte ich sofort eine grimmige Miene auf und sah ostentativ in eine andere Richtung. An meiner Haustür hatte ich einen alten chinesischen Spruch angebracht, der mir unerwünschte Besucher und Besucherinnen vom Hals halten sollte:

„ Ist ein Mann alt geworden und hat seine Mission erfüllt,

dann hat er das Recht, sich in Frieden

mit dem Gedanken an den Tod auseinander zu setzen.

Er braucht keine anderen Menschen mehr.

Er hat genug gekannt und weiß genug von ihnen.

Es schickt sich nicht, einen solchen Mann aufzusuchen,

ihn mit Geschwätz zu plagen und ihn zu zwingen,

Banalitäten über sich ergehen zu lassen.

Man sollte an der Tür seines Hauses vorübergehen,

so als stünde es leer.“ (Ming Tao)

Aber meine Mission war noch längst nicht erfüllt! Ich war gerade erst 45 Jahre alt geworden, somit im allerbesten Mannesalter. Die meisten meiner Altersgenossen hatten beruflich Karriere gemacht. Sie hasteten von Besprechung zu Besprechung, von Event zu Event, von Urlaub zu Urlaub. Ständig angetrieben von Sorgen um den Erhalt ihres Lebensstandards und dem „Morgen“ allgemein. Stress überall in ihren Leben.

Ich hingegen lebte das entschleunigte Dasein eines Privatiers, dem das Sein wichtiger war als das Haben. Völlig antizyklisch zur Masse der Gesellschaft, in der die Arbeitswelt zum Taktgeber für das ganze Leben geworden war. Beschleunigung, Verdichtung, Komplexität und Globalisierung waren die entsetzlichen Schlagworte, mit denen die Perfektion zur Norm erhoben wurde. Was viele bis zur totalen physischen und psychischen Erschöpfung trieb. Nicht wenige aus meinem Bekanntenkreis hatten bereits ihren ersten Herzinfarkt erlebt oder standen kurz davor.

Mit hochgezogenen Augenbrauen hatte ich diese Entwicklungen beobachtet und dabei die Paradoxie der modernen Zeit begriffen: Einerseits wird durch die unglaublich schnell gewordenen Kommunikations- und Reisemöglichkeiten Zeit im Überfluss gewonnen, doch zugleich verrinnt sie immer schneller. Alle beruflich Engagierten haben sich diesem widernatürlichen Rhythmus anzupassen und arbeiten hektisch immer länger. Aber nicht, um vorwärtszukommen, sondern um den Anschluss nicht zu verpassen. Das exponentiell wachsende Wissen der Gesellschaft bedeutet, dass der Einzelne immer weniger weiß und ständig nachsitzen muss. Er ist ständig damit beschäftigt, neues Know-how seiner Firma zu lernen oder die Software seines PC oder seines Handys zu aktualisieren, was er nicht während der regulären Arbeitszeit machen kann. Also macht er permanent Überstunden, in denen er auch noch „online“ und damit erreichbar ist. Arbeitet ein Unternehmen global, nutzen seine virtuelle Präsenz die Angestellten der Firmenniederlassung in Mumbai, um ihn bis spät in die Nacht noch mit Emails zu bombardieren, sodass er locker auf eine tägliche Arbeitszeit von 10-12 Stunden kommt. Es hatte sich bewahrheitet, was schon Tucholsky einst über diese Generation schrieb: „Sie haben ein starkes Gefühl für die Macht des Geldes. Die Welt ist nichts als ein Schaufenster für sie. Das Leben eine Hetzjagd. Man hat keine Zeit. Liebe in Eile, Erholung in Eile, Bildung in Eile. Ständig außer Atem – immer hinterher.“

*

Aus diesem Wahnsinn hatte ich mich ganz bewusst ausgeklinkt. Geld, Ansehen und Ruhm interessierten mich nicht mehr. Ich hatte all das im Übermaß erfahren und die Schattenseiten in allen Variationen erlebt. Meine sozialen Kontakte beschränkten jetzt sich auf belanglose Gespräche mit Verkäuferinnen oder Bedienungen in Gaststätten. Trotzdem fehlte mir nichts von dem täglichen Gewese, das in den Büros der Unternehmen abläuft.

Ich hatte mir die drei Fragen gestellt, die Hans Peter Unger in seinem Ratgeber „Bevor der Job krankmacht“ verfasst hat:

1 Achte ich gerade genug auf mich selbst, meine Rhythmen, Körpersignale und Bedürfnisse?

2 Handle ich im Moment verantwortlich und wertschätzend mir selbst und mir wichtigen anderen Menschen gegenüber?

3 Entspricht meine Arbeit meinen persönlichen Wertvorstellungen und Lebenszielen?

Alle Fragen konnte ich mit einem klaren „Ja“ beantworten. Wobei ich bei Frage 2 nicht „anderen Menschen“, sondern „meinen Hunden gegenüber“ und bei Frage 3 nicht „meine Arbeit“, sondern „mein Leben“ einsetzte. In Wirklichkeit hätte es dieses „Tests“ aber gar nicht gebraucht. Meine erstklassige Gesundheit und mein Gemütszustand, der sich in einer vollkommenen Balance befand, bewiesen mir täglich, dass ich mit meinem Status quo sehr zufrieden sein konnte.


Limit up - Sieben Jahre schwerelos

Подняться наверх