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Stimmen aus dem Dunkel
ОглавлениеV. A. Swamp
Sonnig
mit heiteren Abschnitten
Roman
Für Mona, von der ich nicht lassen kann ...
Wenn es mir gut geht, dann schlafe ich wie ein Baby. Anscheinend geht es mir nicht gut. Ich bin wach, obwohl ich hundemüde bin. Ist mit mir alles in Ordnung? Ich mache Inventur: zwei Arme, zwei Beine, ein Kopf, ein Schwanz und irgendwas dazwischen, was das Ganze zusammenhält. Ich bin müde, aber ich spüre eine gewisse Leichtigkeit. Vermutlich könnte ich heute auf dem Golfplatz 18 Löcher schaffen, ohne mich allzu sehr zu verausgaben. Besser nicht. Meine Ergebnisse sind in der letzten Zeit gruselig. Wie ein lausiger Anfänger schlage ich die Bälle. Selbst Monas Score ist besser, und sie hat wirklich wenig Ahnung vom Golfspielen!
Sie sagen einem, man soll nur dann auf den Golfplatz gehen, wenn der Kopf frei ist. Wenn ich irgendetwas nicht brauche, dann sind es solche klugen Ratschläge, solange mir niemand sagen kann, wie ich Mona aus meinem Kopf kriege. Ein Schalter wäre hilfreich. Du legst ihn um, er macht ein kleines knackendes Geräusch und dann ist Ruhe. Sie ist weg oder zumindest in Quarantäne. Ich könnte mich all den anderen schönen Dingen widmen. Ich denke einen Moment darüber nach, was für schöne Dinge das sein könnten. Mir fällt nichts ein. Vielleicht sollte ich verreisen. Aber wohin? Ich habe bereits sehr viel von der Welt gesehen. Auf den Rest kann ich verzichten, oder? Lange Flüge sind mir ohnehin ein Graus. Zwölf Stunden in der Holzstuhlklasse? Habe ich früher auf einer Arschbacke abgesessen. Wann war früher? Ich kann mich nicht richtig konzentrieren. Für die Businessklasse bin ich zu geizig, sagt Mona. Sie nennt mich einen senilen Geizhals. Gottseidank hat sie nicht „impotenter Geizhals“ gesagt, das hätte mich verletzt. Senil ist mir egal, Geizhals auch. Mona weiß, dass beides nicht stimmt, glaube ich zumindest. Was ich jetzt vor allem brauche, ist Ruhe. Und Abstand zu Mona …
Warum nur diese Müdigkeit. Wie lange habe ich jetzt geschlafen? Welche Zeit ist jetzt? Es gibt zwei unterschiedliche Zeiten. Die Glückliche und die Beschissene. Glückliche Zeiten rauschen vorbei wie ein Blatt im Sturm. Eigentlich fühle ich mich nicht unglücklich, aber irgendwie beschissen. Ich denke an Mona. Sie ist omnipräsent, ohne tatsächlich da zu sein. Sie beobachtet mich, wenn ich aufwache, und auch wenn ich versuche, einzuschlafen. Ständig kommt sie mir dazwischen. Ich höre Stimmen. Was sind das für Stimmen? Ich bin so müde. Ich muss schlafen. Diese Stimmen, seltsam diese Stimmen …
Das „Albert-Schweitzer-Krankenhaus“ gehört zu den renommiertesten Kliniken der Stadt. Erst vor Kurzem wurden die Bereiche für die Intensivmedizin modernisiert und auf den neuesten technischen Standard gebracht. Damit im Internetauftritt des Krankenhauses die Neuerungen gebührend gewürdigt werden, führt der medizinische Leiter der Abteilung, Herr Professor Dr. Dr. Volker Isenbrink, die Verantwortliche für den Webauftritt der Klinik, Frau von Hummelsburg, in das Zimmer 112a.
Ich zeige Ihnen hier unseren modernsten Behandlungsraum für Patienten im sogenannten „künstlichen Koma“. Dieser Patient wurde mit einem Schlaganfall ausgelöst von einer schweren Gehirnblutung eingeliefert. Wir mussten ihn nach der Operation in ein künstliches Koma versetzen.”
Frau von Hummelsburg schaut sich interessiert um.
Für die Überwachung benötigen Sie all diese Geräte?
Nicht nur für die Intensivüberwachung, sondern auch für die Therapierung. Durch diese Technik sind wir in der Lage, schwere Störungen eines oder mehrerer Organsysteme wie beispielsweise der Atmung oder des Herzens frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.
Professor Isenbrink zeigt auf den Monitor.
Mit dem Monitor überwachen wir zum Beispiel den Blutdruck, die Herzfrequenz und die Körpertemperatur des Patienten sowie den Sauerstoffanteil im Blut. Mit diesem Gerät dort drüben beatmen wir den Patienten. Durch das künstliche Koma erreichen wir, dass der Patient nicht gestresst wird und auch den Beatmungsschlauch toleriert.
Frau von Hummelsburg deutet auf die Infusomaten und Injektomaten.
Die Geräte kenne ich, die hingen auch an meinem Krankenbett.
Sicher, wir nutzen sie hier , um den Patienten über die Vene mit Medikamenten, Schmerzmitteln, Flüssigkeit und gelösten Nährstoffen zu versorgen. Die Ernährungspumpe da vorne dient dazu, den Patienten über eine Magensonde zu ernähren. Mit dem Absaugschlauch saugen wir den Schleim des Patienten ab.
Frau von Hummelsburg ist sichtlich beeindruckt.
Sollten wir das Ganze fotografieren und ins Netz stellen?
Professor Isenbrink legt seine Stirn in Falten.
Besser nicht. Dieser apparative Aufwand würde potenzielle Patienten nur verwirren. Es genügt, wenn Sie den hohen Stand unserer Intensivtechnik auf unseren Internetseiten verdeutlichen.
Frau von Hummelsburg schaut sich den Patienten an. Seine Atmung ist ruhig und regelmäßig. Der Monitor zeigt keine Auffälligkeiten.
Bekommt der Patient etwas mit? Ich meine, kann der zum Beispiel hören, dass wir uns hier unterhalten?
Professor Isenbrink überrascht diese Frage.
Das ist schwer zu beantworten. Komapatienten, die ich zurückgeholt habe, haben jedenfalls davon nichts berichtet. Aber in der Medizin weiß man schließlich nie, wie der einzelne Patient reagiert. Ich denke, wir gönnen ihm jetzt seine Ruhe.
Wie lange habe ich geschlafen? Ich hatte doch immer diese Uhr mit den Leuchtzahlen am Bett. Ich kann sie nicht sehen. Wahrscheinlich hat Mona sie wieder weggedreht. Das tut sie immer, wenn sie Staub wischt. Ich habe ihr schon oft gesagt, sie möge auf die richtige Position der Uhr achten. Damit ich nachts die Uhrzeit ablesen kann. Mona interessiert das nicht. Mona interessiert sowieso wenig, was mich betrifft. Aber Mona kann es gar nicht gewesen sein, das mit der Uhr. Mona ist ja nicht da. Ich habe sie vor Monaten in Spanien zurückgelassen. Ich hatte einfach genug von ihrer Illoyalität und von ihren Launen. Ich bin jetzt fest entschlossen, Mona zu verlassen. Nach über vierzig Ehejahren Ehe ich einen Schlussstrich ziehen. Ich weiß, das habe ich schon oft gesagt, aber diesmal ist es mir ernst. Sie ist doch in Spanien, oder? Ich fühle, wie meine Glieder schwer werden wie Blei …
Die Stimmen sind weg. Gottseidank, ich habe wieder meine Ruhe. Ist es problematisch, wenn man anfängt, Stimmen zu hören von Personen, die gar nicht da sind? Geht es jetzt los mit der Demenz? Blödsinn. Ich denke, solche Sorgen sind unangebracht. Außerdem sind die Stimmen ja weg und Mona auch. Falls sie jetzt neben mir liegen würde, könnte ich mich zu ihr rüber drehen und sie sanft wecken. Ich liege immer links neben ihr. Das findet sie praktisch, weil sie dann zum Einschlafen meinen rechten Arm bekommt. Ich könnte mit meiner linken Hand ihre Pyjamajacke hochschieben und nach ihren Brüsten tasten. Mona hat kleine Brüste, aber wohlgeformt. Sehen trotz ihres Alters noch toll aus. Ich würde einen ihrer Nippel vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger nehmen und schauen, ob ich das Ding auf diese Weise hart kriege. Ich könnte zärtlich über ihre Brüste streichen, dann ihren Bauchnabel sanft berühren, danach die Zone darunter mit kreisenden Bewegungen erkunden, bis ich zwischen ihren Beinen angekommen wäre. Ich fühle die Erregung, die allein das Streicheln ihres Körpers bei mir verursacht. Dann würde ich meinen Zeigefinger, nein besser meinen Mittelfinger, vorsichtig in ihre Pussy schieben und testen, wie feucht sie ist. Wenn sie mich lassen würde.
Oft bekomme ich keine Chance. Mona steigt wortlos aus dem Bett, ohne dass ich ihre Pussy streicheln konnte. Ich liebe Mona und ich liebe ihre Pussy. Das weiß sie genau. Ihre Pussy ist ihre wirksamste Waffe. Wenn ich Glück habe, lässt sie mich gewähren und mein Finger sucht ihren Kitzler. Aber meistens bin ich ein böser Junge, der nicht auf sein Mädchen hört. Dann umzieht Mona ihre Pussy mit Stacheldraht und legt zur Sicherheit auch noch ein paar Landminen. Ich habe neulich gelesen, dass Landminen in 156 Ländern geächtet sind, aber Mona interessiert so was nicht.
Ich könnte mir auch einen blasen lassen. Aber Mona ist nicht da und ich bin daran schuld. Ich bin ein böser Junge, ein böser alter Junge. Ich habe ihr versprochen, den Winter mit ihr in Spanien zu verbringen. Ich habe dieses Versprechen bereits nach drei Wochen gebrochen und bin nach Berlin zurückgekehrt. Ich weiß nicht einmal so genau warum. Wahrscheinlich, weil Mona aus dem Schlafzimmer ins Gästezimmer gezogen ist? Haben wir uns gestritten? Mir fällt der Grund nicht ein. Wahrscheinlich gab es keinen. Mona braucht nie einen Grund, um irgendetwas Bestimmtes zu tun oder zu unterlassen. Sie macht es einfach. Basta.
Warum denke ich ständig an Mona? Es darf nicht so weiter gehen, wie bisher. Irgendwie blockiert meine Antriebswelle, ich komme einfach nicht weiter. Es gibt nichts, was mich voranbringt. Ich habe keine Ziele mehr. Das ist nicht gut. Früher hatte ich immer Ziele. Ich habe immer nach vorne geschaut, gestern war mir egal. Am Gestern kann man ohnehin nichts mehr ändern. Heute und morgen, da liegen die Chancen. Welche Chancen? Was will ich noch erreichen? Was könnte ich überhaupt noch erreichen? Lohnende Ziele sind mir irgendwie abhandengekommen. Abhandengekommen oder habe ich sie mir immer nur vorgemacht? Das Lohnende, das Wichtige, das Notwendige, das Erfüllende? Ich bin so verdammt müde. Immerhin sind die Stimmen weg. Ich habe schon befürchtet, mit mir stimmt etwas nicht …
Wo bin ich? Ich habe keine Ahnung. Es fühlt sich an wie ein dunkles Loch. Immerhin kann ich weit oben noch einen Lichtschein ausmachen. Hier unten bin ich. Hört mich denn keiner? Irgendwann bemerkt mich hoffentlich jemand und wirft mir ein Seil runter. Besser wäre eine Strickleiter, an einem Seil hochklettern, das wäre in meinem Alter wahrscheinlich zu beschwerlich. Ich bin sehr müde. Ich muss schlafen, tief und lange schlafen …
Die Stimmen sind wieder da. Ob ich mit denen reden kann? Ich muss mit irgendjemandem über meine Probleme reden. Aber mit wem? Mit Mona kann ich darüber nicht reden, sie ist ja schließlich mein Problem. Mein bester Freund ist bereits vor ein paar Jahren gestorben. Andere beste Freunde habe ich nicht. Ich meine, richtige Freunde, nicht diese Bekannten, die einem sowieso nie zuhören. Gibt es professionelle Zuhörer? Ich meine solche, die man fürs Zuhören bezahlt und die einem eventuell auch helfen können? Ob ein Psychiater hilfreich wäre? Ich hab damit keine Erfahrung, Gottseidank! Außerdem kenne ich keinen Psychiater, ich meine, nicht persönlich. Ich werde jetzt in Ruhe darüber nachdenken …
Komisch, an was man sich so alles erinnert, wenn man Ruhe zum Nachdenken hat. Ruhe habe ich mir früher nie gegönnt. Ich war mir immer sicher, dass Ruhe nur was für Schlaffis ist. Wahrscheinlich bin ich jetzt einer. Aber schlecht ist Ruhe nicht. Also, mir ist jetzt etwas eingefallen. Ein Stockwerk unter meinem Zahnarzt gibt es einen Psychiater. Ich erinnere mich jetzt ganz genau, weil der so einen komischen Namen hat: „Hannibal Strawinsky“. Hannibal, was haben sich seine Eltern nur dabei gedacht? Wollten sie aus ihm einen Kämpfer machen, einen machtgeilen Kämpfer? Das hat wohl nicht geklappt. Ich denke, bei einem Psychiater sind andere Eigenschaften als Machtstreben und Kampfeslust gefragt, oder? Brauche ich überhaupt einen Psychiater? Ich bin noch nie bei einem gewesen. Ich bin stark, ich bin nicht krank und schon gar nicht verrückt. Na ja, ein kleines bisschen vielleicht schon, aber Mona ist sicherlich verrückter als ich. Ich schaue mir diesen Strawinsky einfach mal an …
Ein Mädchen öffnet mir die Tür. Sie fragt mich, ob ich einen Termin habe. Ich habe nicht den Eindruck, dass ich hier besonders willkommen bin. Der Eingangsbereich ist wenig einladend. An den Wänden hängen gerahmte Kinderzeichnungen, alle in Schwarz. Oder ist das dunkelbraun? Vielleicht ist das aber auch naive Malerei? Ich kann das Zeug nicht deuten. Das Mädchen mustert mich. Sie macht mich nervös. Sie sieht verflucht gut aus. Ich sehe schlanke Beine, die kaum von ihrem Minirock bedeckt werden. Sie trägt schwarze blickdichte Strumpfhosen. Na ja, es ist Winter. Im Sommer kann man sicher mehr von ihrer Haut sehen. Ihre langen, vermutlich gefärbten, blonden Haare passen gut zu ihrem ebenmäßigen Gesicht. Ihre Augenfarbe ist schwer zu definieren, irgendetwas zwischen Grau und Blau. Ihre Lippen sind ein wenig schmal, aber das geht schon in Ordnung, solange sie keinen Lippenstift benutzt. Lippenstift ist etwas für alte Amerikanerinnen, aber nicht für dieses Mädchen. Auch nicht für Mona. Gottseidank hat sich Mona wenigstens das abgewöhnt, ich meine das mit dem Lippenstift. Dann fällt mein Blick auf die Hände des Mädchens. Neben den Beinen sind es die Hände, die mich bei Mädchen am meisten faszinieren. Diese hier sind eine Sensation und ich beschließe, dem Mädchen ab sofort den Titel SCHÖNSTE HÄNDE zu verleihen. Ihre Hände sind sehr lang, sehr schmal und die gepflegten Fingernägel sind, ich kann das nicht genau erkennen, unlackiert oder mit feinem Perlmuttglanz überzogen. Das ist Bestnote 1 oder AA-Plus oder so etwas. SCHÖNSTE HÄNDE hat ein paar kleine Brüste, die sicher fest in der Hand liegen. Ob SCHÖNSTE HÄNDE zur Therapie gehört? Sie trägt die Lieblingsschuhe von Mona: Ballerinas. Verflucht, selbst bei SCHÖNSTE HÄNDE muss ich an Mona denken. SCHÖNSTE HÄNDE fragt mich, ob ich einen Termin will. Ich bin mir nicht sicher, aber ich sage Ja. Dann fühle ich, wie eine bleierne Müdigkeit in meinen Körper Einzug hält. Schlafen, wenn ich Strawinsky treffe, muss ich ausgeruht sein …