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Roxanes Geschichte

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„Naja“, meinte Roxane und schniefte. Sie machte eine dramatische Pause.

„Ich habe vor genau 8735 Stunden und 53 Minuten Geburtstag gehabt.“

Sie blickte von Primel zu Lil und wieder zurück. Keine reagierte, weil keine das Problem verstand. Roxane runzelte die Stirn. Sie murmelte irgendetwas von dummen Menschen, dann blickte sie auf und fuhr fort: „Ich bin vor genau 8735 Stunden und 53 Minuten 100 Jahre alt geworden.“

Wieder machte sie eine Pause, wieder sah sie Lil und Primel an und noch immer verstanden diese nicht.

„Ähm, Roxane“, begann Primel zaghaft und sehr vorsichtig. „Wir sind Menschen und kennen uns nicht mit Feen aus. Du bist die erste Fee, der wir begegnen.“

Roxane wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Ok, dann erklär ich es euch, aber ich habe nur noch 23 Stunden und 7 Minuten Zeit, nein, jetzt sind es 6 Minuten. Oh je, ich glaube, ich schaff es nicht mehr!“, begann sie und stockte. „8735 Stunden sind 364 Tage. Das heißt, ich habe morgen Geburtstag und wenn ich … wenn ich…“

Sie kauerte sich zusammen, dann raffte sie sich wieder auf und blickte entschlossen und ohne Regung die beiden Mädchen an.

„…wenn ich bis morgen kein Abenteuer erlebt habe, werde ich aus meinem Stamm verstoßen und werde für immer alleine als Einzelgängerin leben müssen“, sie biss die Zähne zusammen und fuhr fort. „Bei uns Lacrime ist es Brauch, dass jedes Feenkind bevor es in den Erwachsenenstand gehoben wird ein Abenteuer erleben muss. Jedes Feenkind, das sein hundertstes Lebensjahr erreicht, hat genau ein Jahr Zeit, um in die Welt zu ziehen und sein eigenes Abenteuer zu erleben. Wenn es bis zum Abend seines einhundertundersten Geburtstages nicht zurück bei seinem Stamm ist und ein Abenteuer erlebt hat, wird es nicht den Erwachsenenstand erreichen. Und wenn ich bis morgen Abend kein Abenteuer erlebt habe, werde ich verstoßen.“

Roxane schwieg und ließ die zarten Flügel hängen. Irgendwie hatte Primel das Bedürfnis, ihr zu helfen.

„Weißt du, ich finde, du bist sehr mutig“, fing sie zögerlich an. Roxane schniefte. Etwas sicherer sprach Primel weiter: „Wie viele Feen aus deinem Stamm sind mutig genug, um Menschen aufzusuchen und ihnen von ihrem Problem zu erzählen? Ich finde, da gehört eine ganze Portion Mut dazu, denn oft ist es nicht leicht, sich sein Problem einzugestehen und andere um Hilfe zu bitten. Stimmt doch, Lil, oder?“

„Ja, stimmt.“ Lil nickte wild mit ihrem Kopf.

Verstohlen wischte Roxane sich eine Träne aus dem Augenwinkel, dann sah sie auf und kurz stockte Primel der Atem von so viel trauriger Schönheit.

„Was nützt mir diese Art von Mut, wenn ich doch kein Abenteuer erlebt habe und ihr mir hier wohl auch keins herbeizaubern könnt?“

Bei dem Wort „zaubern“ zuckte sie zusammen, als hätte sie jetzt erst etwas Grundlegendes erkannt. „Ohne das Abenteuer werde ich nie richtig zaubern können.“ Sie flüsterte fast, doch Primel konnte sie gut verstehen und sie ertappte sich dabei, wie ihre eigenen Augen glasig wurden. Sie überlegte fieberhaft.

Ihr Zuhause war eine Hilfsstation für magische Wesen in Not und Roxane war ein magisches Wesen in Not.

Ihre Mutter hatte es sich zur Aufgabe gemacht, all diesen Hilfe suchenden Geschöpfen mit allen Möglichkeiten zur Seite zu stehen. Aber ihre Mutter war nicht hier.

Also mussten sie selbst und Lil Roxane helfen.

Bevor sie überhaupt nachdachte, was sie sagte, waren die Worte schon ihrem Mund entschlüpft: „Wir werden dir ein Abenteuer besorgen.“

Primel und die Schattenwesen

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