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Die Reise beginnt

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Hitze und Kälte fluteten durch ihren Körper. Und jetzt? „Hol sie zurück! Borke, hol sie zurück!“, schrie sie und setzte sich verzweifelt auf den kühlen Boden. Noch immer stand Lil im Zimmer, ohne dass man sie berühren konnte, doch ihre Konturen verschwammen und sie selbst wurde durchscheinend. Mit Tränen in den Augen sah Primel zu, wie Lil immer mehr verschwand. Dann war sie weg. Keine Spur von ihr war zu sehen.

„Um in den Wald der Fantasien zu gelangen, muss man ihn sich vorzustellen. Und man muss von der Existenz magischer Wesen wissen. Je jünger das Kind, desto schneller geht es und desto weniger Angaben braucht man. Aber dass es bei Lil so schnell ging, hätte ich nicht gedacht“, murmelte Borke vor sich hin. „Sie muss ein besonderes Gefühl für Magie haben.“

„Wir müssen ihr helfen! Was, wenn gerade jetzt eine böse Pflanze nach ihr schnappt!“, rief Primel panisch aus. „Und was, wenn Schlingpflanzen sie gefangen halten, oder sonst irgendwelche Wesen ihr etwas …!“

„Primel, beruhige dich!“, unterbrach sie Borke. „Wir werden ihr helfen. Und der Wald der Fantasien ist vor allem schön. Er ist nicht wie das Feuerland. Es gibt Gefahren, aber nicht an jeder Ecke.“

„Wie komme ich in diesen Wald?!”

Sie würde ihre Schwester zurückholen. Sie hatte ihrer Mutter versprochen, auf Lil aufzupassen!

Auch Roxane schwebte näher heran. „Genau, wie kommt man jetzt hinein?“, wollte auch sie wissen.

„Dir geht’s doch gar nicht um Lil oder das Knolljunge!“, schrie Primel die Fee noch einmal an, „Du willst doch nur dein blödes Abenteuer erleben!“

„Und wenn schon!“, entgegnete Roxane.

„Die Sache ist die“, meinte Borke zögerlich und hatte sofort wieder die volle Aufmerksamkeit. „Ich weiß nicht, wie man wieder herauskommt.“

„Was?“, entfuhr es Primel entgeistert. „Das heißt, meine Schwester ist was weiß ich wo und keiner weiß, wie wir sie zurückholen können?“

Der Mäusefleder nickte ernst. Primel kniff die Augen zusammen. Sie versuchte verzweifelt, sich eine fleischfressende Pflanze vorzustellen. Borke meinte, man gelange durch Vorstellungskraft in den Wald der Fantasien. Aber die Panik flutete ihre Gedanken und machte es ihr unmöglich, sich auf die Pflanzen zu konzentrieren. Außerdem musste sie immer an eines dieser dünnen Gewächse denken, die sich die Fliegen in der Küche schnappten. Das konnte unmöglich dem Wald der Fantasien ähneln.

„Hilf mir, beschreib mir genauer, wie es dort aussieht“, befahl Primel hektisch und Roxane kam noch ein Stückchen näher.

„Ich war selbst noch nie dort“, verteidigte sich Borke und wich zurück. „Nur Kinder können den Wald betreten. Sobald sie aus dem Kindesalter heraus sind, reicht die Vorstellungskraft nicht mehr. Und Schattenwesen. Sie können die Grenzen mühelos überqueren.“

Roxane lächelte überlegen: „Ich bin noch genau bis morgen ein Feenkind. Also los!“

Primel wurde schlecht. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht in Panik zu verfallen. Sie sah aus dem Augenwinkel, wie Roxane durchscheinend wurde. Sie hatte die Augen geschlossen und konzentrierte sich auf irgendetwas. Dann war sie fast vollständig durchsichtig. Primel erkannte die Hängematte durch sie hindurch. Und plötzlich war Roxane verschwunden. Lil war in einem gefährlichen Wald mit einer egoistischen Fee und fleischfressenden Pflanzen. Na super. Warum konnte sie nicht auch dorthin? Warum konnte sie es sich nicht vorstellen?

Borke saß verzweifelt und zusammengekauert vor ihr auf dem Boden. Primel schluckte ihre Wut hinunter und schloss erneut die Augen. In ihrem Geiste wuchs eine riesige Pflanze empor. Sie hatte Zähne und spitze Krallen, aber wunderschöne, duftende, knallrote Blätter. Daneben rankten sich Schlingpflanzen um einen Baum. Alles war grün und es roch gut nach den Blättern.

„Primel!“, drang von irgendwoher eine Stimme zu ihr durch. „Primel! Geh du nicht auch noch. Was soll ich eurer Mutter bloß erzählen?“, flehte der Mäusefleder.

Kurz verschwand der Duft und Primel spürte, wie die Vorstellung ihr entglitt, doch sie klammerte sich mit aller Kraft an die Schmetterlinge, die gerade vor ihrem inneren Auge aufgetaucht waren. Sie musste Lil retten. Sie musste einfach Lil retten.

Ganz fest kniff sie die Augen zusammen und ignorierte Borkes Flehen, das sich immer weiter von ihr entfernte, bis sie nichts mehr hörte. Sie versank im Grün ihrer Vorstellung, ließ sich von bunten Vögeln tragen und wich frechen Lianen aus. Für nichts anderes hatte sie mehr Gedanken übrig.

Primel und die Schattenwesen

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