Читать книгу Nephilynn - Vanessa Olschansky - Страница 11
KAPITEL 3
Оглавление»Emily, Liebes, ist alles in Ordnung?« Ich war auf meinem Bett zusammengesackt, lag mit schmerzverzerrtem Gesicht dort und versuchte keinen Ton von mir zu geben, der verriet wie schlecht es mir ging, und atmete tief durch.
»Es geht mir gut.«, log ich durch die verschlossene Tür. Sie schien mir nicht zu glauben.
»Ich weiß, dass er hier war und er ist sehr wütend gewesen«, fügte sie hinzu und bat mich, die Tür zu öffnen. Ich seufzte und zögerte einen Moment, ehe ich beschloss aufzustehen und sie herein zu lassen. Als ich aufstand, spürte ich einen stechenden Schmerz, der mir durch Mark und Bein ging. Ein dumpfer Schrei drang ungewollt aus meinem Mund und ich öffnete die Tür, wobei ich natürlich versuchte, so lässig wie möglich auszusehen. Anhand ihres Blickes wusste ich aber, dass mir das absolut nicht gelungen war. Sie schob mich ins Zimmer zurück und zwang mich, mich hinzusetzen. Sie setzte sich zu mir auf die Bettkante und ließ ihren Blick durch das Zimmer schweifen. Es ähnelte eher einem Schlachtfeld.
»Es tut mir leid, das Zimmer..., ich wollte nicht…« Sie fiel mir ins Wort.
»Du solltest dich von ihm fernhalten.« Sie inspizierte jede meiner Wunden und Prellungen ganz genau. Sie drückte auf mir herum und duldete mein Ächzen und Jammern, wenn sie besonders demolierte Stellen berührte.
»Um das Zimmer solltest du dir am wenigsten Gedanken machen, eher um deine Gesundheit.« Sie lächelte, aber ich kannte sie gut genug um zu wissen, wie besorgt sie war. Damians plötzliches Verschwinden hatte sicher damit zu tun, dass sie nach Hause gekommen war. Ich wusste, dass das nicht ewig so funktionieren würde, irgendwann wäre es ihm egal, ob sie uns sieht. Ich musste mir etwas einfallen lassen. Monas Gastfreundschaft sollte nicht so schamlos ausgenutzt werden, und ich wollte sie nicht verängstigen. Sie verarztete mich hingebungsvoll und ich entschloss mich, meine Neugierde zu stillen, indem ich sie fragte, was mir auf der Seele brannte:
»Woher weißt du, wer er ist und dass er hier war?«
Sie beendete ihre Arbeit ohne auf meine Fragen einzugehen und setzte sich dann neben mich. Mona nahm meine Hand in ihre und drückte sie.
»Er ist nicht der Richtige, Kindchen. Er treibt ein böses Spiel mit dir.« Dabei sah sie mir in die Augen und ich hatte das Gefühl, dass ihr besorgter Blick nur noch intensiver wurde. »Ich hatte schon mit Dämonen zu tun, bevor du das erste Mal auf mich trafst.« Sie seufzte leise.
»Meine Mutter war eine Seherin, sie hat mir alles beigebracht, was sie wusste bevor...« Ein tiefes Schlucken folgte und ihre Stimme wurde zittrig. Ich wusste, dass sie mir etwas anvertraute, was ihr nicht leichtfiel und über das sie vermutlich mit noch niemandem gesprochen hatte.
»Bevor sie von Dämonen getötet wurde.« Ich nahm meine Hand aus ihrer und umarmte sie. Diese arme Frau hatte so viel Leid ertragen müssen. Dann lächelte sie mit einem Mal und klopfte mir beschwichtigend auf mein Bein. »Komm, ich will dir was zeigen.« Wir standen auf. Ich folgte ihr langsam in einen Raum, den ich selbst noch nicht gesehen hatte und sah mich erstaunt um. Er war voller alter Gegenstände. Ich hatte noch nie so einen Raum gesehen. Auf dem Tisch befanden sich Tarotkarten und eine Glaskugel. Ich sah sie verwundert an, ich hatte viel über Hexen und Seherinnen gehört, war aber nie einer begegnet. Ich hielt sie für einen Mythos, genau wie Meerjungfrauen und Einhörner. Allerdings gab es ja auch Engel, obwohl die Menschen nicht an sie glauben, warum dann nicht auch Hexen und Seherinnen? Mona schien zu merken, was ich denke und fing an zu lachen.
»Oh, keine Sorge, ich bin keine Hexe, nur vorsichtig.« Dann ging sie zur Kommode in der Ecke und holte einen rosafarbenen Edelstein heraus. Ich wusste nicht, was das ist und sah sie fragend an. »Du solltest ihn bei dir tragen, solange du dich mit Dämonen umgibst, er wird dir eines Tages dein Leben retten«, sagte sie zwinkernd und legte ihn mir in die Hand. Ich vertraute nicht auf Hexenkunst oder wie ich das nennen sollte, aber ihr zuliebe steckte ich den Stein in meine Tasche. »Ich trage auch einen, deshalb wusste ich, dass er hier ist, und er weiß, dass ich ihn bemerke.« schlussfolgerte sie, und obwohl ich eine komplett andere Befürchtung hatte, weswegen er verschwunden war, nickte ich.
»Also dient dieser Stein als eine Art Dämonenradar?« Wir beide fingen bei diesem Wort herzhaft an zu lachen.
»In gewisser Weise, ja«, sagte sie und führte mich wieder heraus. »Ich denke, du musst nicht genäht werden, aber wenn du nicht völlig lebensmüde bist, hältst du dich besser von ihm fern.«, riet sie mir.
Ich hatte das Gefühl, angekommen zu sein. Das erste Mal, seit ich gestorben war, hatte ich annähernd eine Ahnung, was es bedeutete, zu Hause zu sein. Natürlich wohnte ich hier nur auf Zeit, aber ich fühlte mich rundum wohl. Meine Angst, Damian könnte zurückkommen, schien unbegründet zu sein. Vielleicht hatte Mona ja Recht und dieser doofe Stein beschützte uns irgendwie. Es vergingen Wochen, ohne dass etwas Außergewöhnliches passierte. Wir wohnten zusammen und jeder ergänzte den anderen. Ich versuchte Mona so gut es ging zu unterstützen und sie lehrte mich das irdische Leben. Wir harmonierten perfekt in unserer kleinen Wohngemeinschaft und an einen Auszug war gar nicht mehr zu denken. Zu sehr erweckte ich den Beschützerinstinkt in ihr und ich muss zugeben, dass sie mir auch sehr ans Herz gewachsen war. Mona und ich hatten sogar ein wöchentliches Ritual: Jeden Donnerstag liehen wir uns einen Film aus und sahen ihn gemeinsam an. Heute war Stadt der Engel mit Nicolas Cage dran. Sie fand es besonders witzig, ausgerechnet diesen Film mit mir anzusehen. Ich hatte mich inzwischen an ihre Scherze gewöhnt. Wir redeten noch eine ganze Weile und Mona öffnete einen Rotwein. Tollpatschig wie ich bin und etwas angetrunken, verschüttete ich den Wein über den Teppich. Ich fühlte mich schrecklich und auch wenn Mona mir versicherte, dass es nicht schlimm sei und sie sich eh einen neuen Teppich besorgen wollte, und ich ihr jetzt nur einen Grund gegeben hätte, es früher zu tun, brachte ich das gute Stück direkt am nächsten Morgen in die Reinigung.
Zufällig fiel mir auf dem Weg dorthin ein Schild im Schaufenster eines Eck-Cafés auf, in dem ich schon mit Mona gesessen hatte. Darauf stand, dass eine Kellnerin gesucht wurde, und da ich das Café bereits kannte, hatte ich keine Scheu nachzufragen, ob die Stelle noch zu besetzen sei. Ich traf auch direkt auf den Besitzer, ein freundlicher alter Herr, Mr. Robinson. Er musste schon gefühlte hundert Jahre alt sein, aber er führte das Café, seit er es vor langer Zeit erworben hatte, selbst. Dennoch war er froh über jede Hilfe, die er kriegen konnte. Seine Enkelin, Rachel, half ihm, wo es nur ging. Ich schätze, sie war ungefähr dreiundzwanzig, also genauso alt wie ich. Ich fühlte mich auf Anhieb wohl und ergatterte auf Rachels gutes Zureden hin den Job. Ich durfte bereits am nächsten Tag anfangen.
Auf dem Heimweg holte ich noch Monas Teppich aus der Reinigung, sie hatten den Fleck tatsächlich rausbekommen und ich konnte es kaum erwarten, Mona von den Neuigkeiten zu erzählen.
Überglücklich kehrte ich nach Hause und bemerkte, dass Mona schon am Kochen war. Ich hatte endlich einen Job und mein menschliches Leben schien nicht so wertlos zu sein, wie ich es anfangs befürchtet hatte. Die Wochen verstrichen und ich war unheimlich froh, endlich etwas zur Haushaltskasse beisteuern zu können. Mona wollte nach wie vor nicht, dass ich auszog, daher half ich bei der Renovierung meines Zimmers, so gut es ging. Wir verkauften sogar ein paar ihrer Bilder und alles in allem konnte ich wirklich behaupten, dass ich endlich wieder glücklich war. Ich freundete mich mit Rachel an und sie wurde, wie Mona, ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Meine Schwester fehlte mir nach wie vor, aber es tat gut hier auf der Erde Menschen um mich zu haben, die mich brauchten und deren Gesellschaft mich erfüllte. Rachel war einer dieser Menschen, die sofort den Raum erhellten, wenn sie ihn betraten. Sie hatte, wie ich, braunes Haar aber zu einem perfekten Bob geschnitten und sie war immer top stylisch gekleidet. Manchmal glaubte ich, sie trug die Trends schon an ihrem Körper, bevor sie überhaupt Mode wurden. Ich liebte ihre Art mit Menschen umzugehen und wenn sie lachte, musste man automatisch mit einstimmen. Sonntags kochten wir alle zusammen bei ihr und ihrem Großvater, ein bisschen Gesellschaft schadete dem lebensfrohen Mr. Robinson nicht. Wir nannten ihn alle nur Opa, obwohl sein Name Jerry war. Rachel und ich verbrachten nahezu jede freie Minute zusammen und sie wurde meine beste Freundin. Sie und Mona waren meine engsten Vertrauten hier geworden. Es verging kein Tag, an dem mich Rachel nicht wegen meinem nicht vorhandenen Kleidungsstil tadelte. Es war ja nicht so, dass ich ungepflegt herumlief oder zerrissene Kleidung trug, aber sie war der Meinung, ich müsste meine Figur und meine Weiblichkeit mehr betonen. Nach einiger Zeit, ließ ich mich tatsächlich von ihr überreden, mit ihr shoppen zu gehen und sämtliche Boutiquen in der Innenstadt abzulaufen. Rachel hielt nichts von Modehäusern und -ketten, sie legte viel Wert auf Individualität und kreierte lieber ihren eigenen Style, indem sie nur ein paar der angesagten Accessoires verwendete, um ihr Outfit aufzupeppen. Sie schleifte mich in ihr Lieblingsgeschäft Monkees. Für mich klang es eher nach einem Club, aber es war ein kleiner, unscheinbarer Eckladen, der unter den riesigen Wolkenkratzern fast unterging und dessen Existenz kaum wahrgenommen wurde, dabei hatte er wirklich schöne Einzelstücke. Innerhalb von Sekunden legte sie mir eine Auswahl verschiedenster Klamotten zurecht, die nicht nur nicht zu meinem gewöhnlichen Stil mausgrau bis schwarz passten, sondern auch noch kurz und sexy waren. Ich starrte sie verwirrt an und weigerte mich - vergebens - diese anzuziehen. Aber Rachel bestand darauf, und es fiel mir immer schwerer ihren Wunsch auszuschlagen, denn es war völlig zwecklos, sie würde gewinnen. Dieses selbstbewusste junge Ding bekam einfach absolut immer ihren Willen, bei was auch immer. Wollte sie eine Telefonnummer von einem heißen Typen, bekam sie sie. Sie wollte ein Date? Zack, sie hatte es in der Tasche. Ich bewunderte sie wirklich für ihre Standhaftigkeit und ihr Durchsetzungsvermögen. Ich verschwand mit dem Stapel bunt zusammengewürfelter Klamotten auf meinem Arm in der Umkleidekabine. Noch während ich missmutig brummend, die Röcke und Blusen, Jeans und Shirts, Kleider und High Heels anprobierte, fragte ich mich, warum ich mich wieder hatte überreden lassen? Schlussendlich landete fast alles in meinen Einkaufstüten, wohlwissend, dass ich keines der Teile je wieder anziehen würde, wenn es sich vermeiden ließe, aber da hatte ich die Rechnung ohne Rachel gemacht. Sie hatte direkt geplant, am Abend feiern zu gehen und ich würde definitiv lernen müssen, mit den hohen Hacken zu laufen. Wir gingen noch einen Kaffee trinken und sie fragte mich über Damian aus, einem Thema, zu dem ich bislang bewusst geschwiegen hatte, denn für mich war dieses Kapitel ein für alle Mal beendet. Ich beschloss, ihr nur das Nötigste zu erzählen und schon gar nicht damit anzufangen, wer er wirklich war, dann wäre sie direkt weg und ich war mir sicher, dass ich sie nie wieder sehen würde, weil sie mich für total irre halten müsste.
Wir bestellten also zwei Latte Macchiato und Rachel begann, mich mit ihren Fragen zu löchern.
»Also Süße, erzähl mir von dem Mistkerl, wie habt ihr euch kennengelernt?« Jetzt musste ich sie anlügen, mir innerhalb von Sekunden eine Geschichte ausdenken, die halbwegs plausibel klang und sie nicht misstrauisch werden ließ.
»Ach, das war total unspektakulär«, tat ich es mit einer lockeren Handbewegung ab und hoffte, dass sie es dabei beließ. Aber dann wäre sie eben nicht Rachel. Sie sah mich neugierig an und forderte mich wortlos auf fortzufahren. »Es war im Park.«, was ja nicht gelogen war. »Ich war Joggen«, erfand ich. »Und er lief mir hinterher.« Dann schmunzelte ich. »Anfangs war mir nicht klar, warum, aber ich hatte mein Portemonnaie verloren und er wollte es mir zurückgeben, also lief er mir wie ein Besessener hinterher und wir kamen ins Gespräch.« Ich beendete die soeben erfundene Geschichte und war schon ein bisschen stolz auf meine Kreativität. Ich trank einen Schluck von meinem Latte Macchiato, stellte aber schnell fest, dass dieser nicht halb so gut schmeckte, wie bei uns im Melissima.
»Bei uns schmeckt er besser«, sagte Rachel, als könnte sie meine Gedanken lesen und tätschelte meine Hand. »Los! Weiter! Ich will alles wissen«, sagte sie ungeduldig.
»Da gibt es aber nichts weiter.« Ich zuckte mit den Schultern. Doch sie ließ nicht locker.
»Wenn es nichts weitergibt, wieso habt ihr euch dann getrennt?« Da ich ihr nicht sagen konnte, wer er wirklich ist, beendete ich diese Unterhaltung bestimmend.
»Schluss jetzt. Er ist nicht gut für mich und kann ein ziemliches Arschloch sein.« Ich glaube, Rachel verstand, was ich sagen wollte und beließ es dann endlich dabei. Vorerst, denn ich kannte sie inzwischen gut genug, um zu wissen, dass sie das Thema in einem günstigen Moment wieder an-sprechen würde. Sie war zu neugierig, um es dabei zu belassen. Wir tranken unsere Kaffeegetränke aus und machten uns allmählich auf den Weg zu Rachel. Sie wohnte mit ihrem Großvater direkt über dem Melissima. Da sie mich überredet hatte, den neuen Club in der Stadt auszuprobieren, zogen wir uns bei ihr um. Sie bestand darauf, dass ich meine neuen Klamotten ausführte. Für mich war es das erste Mal, dass ich überhaupt feiern ging. Ich konnte mir nicht im Geringsten vorstellen, was mich erwarten würde und ließ Rachels Aufhübschungsarbeiten an mir einfach über mich ergehen. Sie lachte.
»Zieh nicht so ein Gesicht. Wie soll dich denn je ein Kerl ansprechen, wenn du guckst, als würdest du ihn auffressen?« Sie drückte mir einen feuchten Kuss auf die Wange und amüsierte sich köstlich über mein angewidertes Gesicht, als ich mir über die Wange wischte. Wir kicherten und sie drehte mir Locken in mein Haar. Nach gefühlten hundert Stunden waren wir bereit und wir beschlossen, uns noch etwas aufzulockern, indem wir ein Glas Sekt tranken. Der Club Echoes wurde erst vor wenigen Wochen eröffnet und war schon in allen Medien und in aller Munde. Rachel musste einfach in diesen Club, und wenn es nur war, damit sie darüber reden konnte.
Endlich angekommen freute sie sich wie ein Kind und wartete nicht eine Sekunde, um die Tanzfläche zu stürmen, die zu früher Stunde noch mit eher sanften R’n‘B-Tönen, später dann mit reinstem Hip Hop und Black Beats belebt wurde. Rachel erhellte den Raum und zog sämtliche Blicke auf sich. Kein Wunder bei dem Outfit. Sie trug ein hautenges schwarzes Kleid mit roten High Heels, einer roten Clutch und passend dazu rot lackierte Nägeln und geschminkten Lippen. Sie war ein Blickfang und so wunderte es mich nicht, dass sie von sämtlichen Kerlen angesprochen wurde. Sie schickte alle weg, nachdem sie diverse Drinks für sich selbst und für mich rausgeschlagen hatte.
Doch dann kam Dean. Er betrat den Club mit seinem Freund John, und das erste Mal seit ich sie kannte, bemerkte ich, dass sie interessiert war. Ich beschloss mich zurückzuziehen, damit sie und Dean ein bisschen Zeit miteinander verbringen konnten, um sich kennenzulernen. John hatte wohl dieselbe Idee und unsere Wege kreuzten sich an der Bar. John war ein hübscher, großer schwarzer Mann, er spielt Basketball und hofft auf ein Stipendium. Er war zwar überhaupt nicht die Art Mann, die ich üblicherweise attraktiv fand, aber er war ganz nett. Anders als Damian war er ein wahrer Gentleman und schon seit Kindertagen mit Dean befreundet. Dean hatte aschblondes Haar und legte, genau wie er, viel Wert auf Sport. Sein Haar umspielte lässig sein Gesicht. Dennoch sah er nicht ungepflegt aus. Gerade dieser zerzauste Look schien Rachel besonders anzusprechen, und ich war mir sicher, dass sie sich direkt unsterblich in ihn verliebt hatte. Wir feierten ausgelassen bis in die Morgenstunden und sie drückte mir ihren Haustürschlüssel in die Hand.
»Warte bitte nicht auf mich.«, lallte sie und ich wusste, dass sie schon Einiges intus hatte. Dean stützte sie und ich grinste breit.
»Geh schon!«, zwinkerte ich und beugte mich vor, um ihr ins Ohr zu flüstern. »Pass aber bitte auf dich auf.« Dann hakte ich mich bei John ein, der versprach, mich nach Hause zu bringen. »Ich ruf dich morgen Mittag an.«, sagte ich zu Rachel und wir verabschiedeten uns. Normalerweise hatte ich kein gutes Gefühl bei so etwas, aber Dean machte einen netten Eindruck und ich hatte beschlossen, mich nicht einzumischen.
Für mich verlief der Abend unspektakulär: John brachte mich zu Fuß nach Hause, denn Rachel wohnte nicht weit vom Echoes entfernt. Ich trug meine High Heels an ihren Riemchen in der Hand und tapste barfuß durch die laue Sommernacht. Wir redeten den ganzen Weg über seine Zukunftspläne und dann verabschiedeten wir uns, sobald ich sicher vor dem Melissima angekommen war. Die Wohnung von ihr und Opa Jerry lag direkt über dem Café. Wir verabschiedeten uns mit Wangenküsschen und tauschten Handynummern aus. Ich war bereit, dem Ganzen eine Chance zu geben und konnte mir schon denken, was Rachel sagen würde:
»Amüsiere dich und schalte den Kopf aus.« Vielleicht hatte sie Recht und es war Zeit, mein Leben zu leben. Ich lag noch eine Weile wach und dachte nach. Darüber wie mein Leben bisher verlaufen war, und wie das mit Damian alles angefangen hatte, und wo es mich hingeführt hatte. Irgendwann war ich wohl eingeschlafen und war mir der Tatsache wohl bewusst, dass Rachel diese Nacht nicht mehr nach Hause kommen würde. Noch bevor ich sie anrufen konnte, am nächsten Tag, stand sie in der Tür und grinste über beide Ohren, wären diese nicht da, würde sie wohl um ihren ganzen Kopf herum grinsen. Den restlichen Tag verbrachte ich damit, ihrem Monolog darüber, wie toll Dean war zuzuhören. Wüsste ich es nicht besser, hätte ich behauptet, sie wäre bis über beide Ohren verliebt.
Wir erledigten unsere Arbeit im Melissima und sie hatte nur noch ihn im Kopf und so wie es schien, war er auch völlig besessen von meiner Freundin, denn in den nächsten Tagen tauchte er immer häufiger bei uns auf. Die beiden waren so süß zusammen und ich begriff, dass das, was die Zwei hatten, so viel mehr war als alles, was ich je mit Damian hatte und je haben würde.
Ich liebte es Rachel und Dean zuzusehen, wie sie sich stundenlang anstarrten und sich Liebesschwüre in die Ohren säuselten.
Es fühlte sich allmählich gut an, ein Mensch zu sein. Ich hatte liebenswerte Freunde um mich, die inzwischen wie eine Familie für mich waren. Ich hatte Mona, die mich versorgte als sei ich ihre Tochter und Mr. Robinson, der mich liebte wie sein zweites Enkelkind. Und natürlich Rachel, meine beste Freundin. Endlich war ich angekommen in meinem neuen Leben, von dem ich überzeugt war, dass es ewig so bleiben würde, wenn ich nur weiter hart daran arbeitete. Ich hatte meinen Platz und meine Bestimmung gefunden, ich wurde geliebt und ich hatte gelernt Liebe zurück zu geben zu den Menschen, die mir etwas bedeuteten. Ich wusste, dass dies eine Lektion gewesen war, die ich hier erlernen sollte. Alles hier war meine Prüfung, denn ich hegte nach wie vor den Wunsch, meine Schwester wieder zu sehen. Nichts wünschte ich mir mehr und ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Genauso war es perfekt.
Aber es wäre nicht mein Leben, wenn nicht wieder irgendetwas schief gehen würde. Diesen Tag, an dem sich erneut mein ganzes Leben veränderte, werde ich niemals vergessen. Es regnete unaufhörlich und obwohl wir bereits Mittag hatten, wurde es einfach nicht hell. Der Himmel war so dunkel, dass man dachte, es wäre mitten in der Nacht. Und wie an jenem Tag, an dem ich zum Nephilim wurde hielt es die Menschen von den Straßen fern.
Ich ahnte bereits, dass irgendetwas nicht stimmte, als ich morgens um sechs Uhr dreißig den Laden öffnete. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken herab, als ich den Schlüssel in das Schloss steckte, und ich spürte einen Windstoß durch meine Haare fegen. Eine mir allzu bekannte Stimme flüsterte in mein Ohr:
»Hallo Emily.« Diese raue und unverkennbare Stimme würde ich immer wieder erkennen. Ich wusste, dass es nur Damian sein konnte und fuhr herum, doch niemand war zu sehen. Konnte es sein, dass meine Angst mir so nahe ging, dass meine Wahrnehmung gestört wurde? Oder sollte sich alles bewahrheiten und mein schlimmster Albtraum zur Realität werden?
Ich schüttelte verwundert meinen Kopf und redete mir selbst gut zu. Den restlichen Vormittag war es ruhig, niemand betrat das Café. Mona hatte heute ihren freien Tag und war mit Jerry in die Stadt gefahren, um die fehlenden Einkäufe zu besorgen. Rachel hatte die Nacht bei Dean verbracht und würde nicht vor heute Abend zurück sein.