Читать книгу Nephilynn - Vanessa Olschansky - Страница 16

KAPITEL 6

Оглавление

Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem Käfig, weit über der Erde. Unter mir nichts als Leere, von Weitem hörte ich die flehenden Hilferufe der verlorenen Seelen. Ich war nicht mehr gefesselt und so beschloss ich, in meinen Taschen nach etwas zu suchen. Ich wusste selbst nicht, nach was, aber vielleicht würde ich etwas finden, was mir hier raushelfen würde. Ich ertastete etwas in meiner Hosentasche und kramte es hervor. Es war der Stein, den Mona mir gegeben hatte. Ich hatte völlig vergessen, dass ich ihn noch bei mir trug und wusste nun auch, worauf ich vorhin gelandet war. Ich blickte verstohlen in alle Richtungen und öffnete dann, als ich mir sicher war, dass niemand zusah, meine Hand. Der Stein hatte die Farbe gewechselt, er erstrahlte in einem grellen Grün und ich erleuchtete den ganzen Raum. Noch während ich mich wunderte und mich selbst fragte, wie das denn möglich sei, veränderte er die Farbe und blinkte in einem alarmierenden Rot. Ich verstand erst, als Damian vor mir in meinem Käfig auftauchte, was dieser Stein tat, er warnte mich. Das meinte Mona damit, dass er mich schützen würde. Ein Wunder, dass Damian ihn nicht bemerkte, denn sobald er vor mir in meinem Käfig stand, war es wieder ein gewöhnlicher Stein, den ich unbemerkt zurück in meine Tasche schob.

»Wie ich sehe, hast du dich bereits eingelebt!«, sagte er mit einem fiesen Grinsen und ignorierte meinen vernichtenden Blick in seine Richtung, was wohl auch besser war, sonst hätte er mich vermutlich direkt wieder bestraft. »Du hast meinen Vater ja bereits kennen gelernt und weißt, dass er es nicht mag, wenn man ihn reizt.« Seine Hand schnellte vor, er packte mich am Hals und hob mich hoch, um die Aggression in seinen Worten noch zu unterstreichen. Meine Füße baumelten in der Luft und ich sah ihn an. »Du hättest es so schön haben können, aber wer nicht hören will, muss eben fühlen«, sprach er und mit einem Mal waren wir nicht mehr in meinem Käfig, wir befanden uns in einer Folterkammer und er lachte. »Es wird mir ein Vergnügen sein, dir Manieren beizubringen, Fotze.« Woraufhin ich ihm ins Gesicht spuckte, was fiel ihm ein, mich so zu nennen? Auch wenn ich Angst hatte und wusste, dass diese Aktion von mir nicht ungestraft bliebe, so hatte ich noch Stolz und Würde, die er nicht brechen konnte. Er schlug mir mit der Faust ins Gesicht und ich hörte ein unangenehmes Knacken.

Er hatte mir die Nase gebrochen und ich fühlte, wie das Blut über meine Lippen floss, der metallische Geschmack benetzte meine Zunge. Es tropfte auf mein Shirt und tränkte es in ein tiefes Rot. Er hielt mir Mund und Nase zu, was gar nicht nötig gewesen wäre, denn zum Atmen konnte ich meine Nase ohnehin nicht mehr benutzen. Panik breitete sich langsam in mir aus. Aus Instinkt fing ich an, um mich zu schlagen.

Es waren unerträgliche Schmerzen und ich konnte das hungrige Röcheln der Schattenwesen schon hören, die über mir ihre Kreise zogen. Dunkle Rauchgestalten mit leuchtend roten Augen blickten auf mich herab, bereit zuzuschlagen, sobald Damian mich frei gab. Doch er dachte nicht daran, viel lieber ergötzte er sich an meinem kläglichen Versuch, mich zu befreien. Er raubte mir jegliche Kraft. Meine Knie sackten zusammen und ich war gelähmt und betäubt von dem Schmerz in meinem Gesicht. Ich hatte aus dem Augenwinkel gesehen, dass wir nicht alleine waren, doch je mehr ich mich zwang bei Bewusstsein zu bleiben, desto schwieriger wurde es.

Als ich zu mir kam, war ich wieder woanders, ich hing, mit dem Gesicht zur Wand, an Füßen und Händen gefesselt, an einer dieser Specksteinwände. Meinen Kopf hatte ich zur Seite gedreht und wurde von zwei Wächtern beobachtet, die ich zuvor noch nicht gesehen hatte. Unbändige Angst überkam mich, es war mir egal, wie nah diese Kreaturen an mich hereinkamen, Luzifer hatte versprochen, dass ich am Leben bleiben würde. Aber wollte ich überhaupt am Leben bleiben, wenn ich meine Familie und Freunde nie wieder sehen konnte? Was nützte es mir, als Sklave weiter zu leben? Ich zitterte am ganzen Körper, meine Kleidung hatten sie mir weggenommen und ich hing, nackt und sichtbar, für jeden, der es wollte, wie eine Trophäe an der Wand.

Mein Gesicht schmerzte nicht mehr und ich vermutete, dass sie es geheilt hatten. Ich war noch immer schwach und mein Lebensmut sank je länger ich hier hing. Meine Gliedmaßen schmerzten von der ungewohnten Haltung. Meine Arme wurden über meinem Kopf mit Eisenscharnieren befestigt und meine Füße wurden starr nebeneinander festgekettet. Es erklang ein Horn und sein dunkler Ton ließ mich ehrfürchtig zusammenzucken. Was es bedeutete, würde ich in wenigen Sekunden am eigenen Leib erfahren. Die Wächter verschwanden und es kamen an ihrer Stelle zwei in schwarzen Masken gekleidete Männer auf mich zu. Einer von ihnen kehrte mir den Rücken zu während der andere eine lange Peitsche ausrollte. Das Geräusch der Peitsche, deren Ende auf dem Boden aufprallte, ließ mein Herz schneller schlagen. Mit dem Bewusstsein, was mir gleich angetan werden würde wuchs das Entsetzen in mir. Meine eigentliche Bestrafung erwartete mich jetzt. Ich kniff die Augen zusammen, denn ich wollte nicht sehen, was auf mich zukam und mir war nun auch klar, warum ich völlig nackt hier hing. Nichts sollte den Aufprall des Peitschenhiebs auf meiner Haut abbremsen. Ich hörte das Schnalzen der Luft als die Peitsche in die Höhe schoss. Eine Sekunde später prallte sie mit aller Wucht auf meinen Körper auf, riss tiefe Wunden in mein Fleisch und ich schrie voller Schmerzen auf.

Ich hatte keine Ahnung, wie oft dieser beißende Schmerz meinen Körper durchzog und wie viele Peitschenhiebe auf meinen Körper aufprallten. Ich versuchte es auszublenden und dachte erneut an meine Familie. Ich stellte mir meine Mutter vor, wie sie uns liebevoll Gute-Nacht-Geschichten vorlas und mit ihrer zarten Stimme Kinderlieder vorsang.

Letzten Endes wusste ich nicht einmal mehr, wo ich war und was mit mir geschehen war, meine Haut schmerzte unerträglich und mir wurde bewusst, dass dies erst der Anfang meines Leidens war. Ich begriff nach wie vor nicht, zu welchem Zweck ich hier war und welches Ziel sie verfolgten.

Einer der Männer befreite mich von meinen Fesseln, warf mich über seine Schulter und marschierte los. Durch seine Maske war es mir nicht möglich Gesichtszüge auszumachen oder mir einzuprägen, wie er aussah. Ich hing kopfüber an seinem Rücken hinunter, meine Beine hatte er an der Vorderseite mit einem Klammergriff fest in seinem Arm. Selbst, wenn ich noch Kraft gehabt hätte, mich mit meinem schmerzenden nackten Körper gegen ihn zu wehren, hätte ich viel zu viel Angst vor den Konsequenzen. Mein Kopf taumelte kraftlos und durch das Tempo des Dämons wurde mir schwindelig. Solange ich nicht wieder bestraft und geschlagen wurde, nahm ich es einfach hin. Ich hörte eine große eiserne Tür, die kraftvoll aufgestoßen wurde. Unsanft schwang er mich zurück über seine Schulter und ließ mich auf dem Boden herab. Er ging zur Tür und schloss sie hinter sich. Der Raum war karg und leer, kein Licht brannte und nirgends war ein Fenster. Ein bisschen Licht durch die Fackeln draußen drang durch den Türspalt am Boden in mein eigenes kleines Gefängnis aus Stahl. Ich schloss die Augen und legte mich vorsichtig bäuchlings auf den kalten Betonboden. Ich versuchte mir, durch die Kälte des Bodens etwas Linderung zu verschaffen. Dicke Tränen liefen meine Wangen herab und ich weinte, wie ich es noch nie getan hatte. Vor der Tür hörte ich es rascheln und schaben, mir war bewusst, dass mein Verhalten diese abartigen Kreaturen anzog und jedes Einzelne von ihnen zu mir wollte.

Weshalb sie nicht einfach durch den Spalt in der Tür kamen, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht klar, aber es kümmerte mich auch nicht. Ich hatte Schmerzen und wollte sterben.

Nie zuvor hatte ich diesen Drang danach, meinem Leben ein Ende zu setzen, ich wusste nicht, wie lange ich solche Folter ertragen konnte. Wie oft sollte ich das durchstehen, bis sie mir verrieten, welches Ziel mein Aufenthalt hier hatte? Was wollte Luzifer nur von mir? Ich war niemand besonderes, ich bin einfach nur ich, Emily.

Plötzlich näherten sich schwere Schritte, die Stahltür öffnete sich schwungvoll und ich hob mein weinerliches Gesicht. Die Tür schloss sich und Kieran stand mitten im Raum, ich hatte ihn nur kurz gesehen, als er die Tür geöffnet hatte und das Licht der Fackeln den Raum erhellt hatten. Doch ich würde überall seine unverwechselbare Figur wieder erkennen. Ich senkte meinen Kopf erneut.

»Lass mich in Ruhe!«, bat ich, aber er kam unbeirrt auf mich zu und hob mich mit seinen starken Armen behutsam hoch. Er legte mich bäuchlings auf ein Bett, das mir in dem lichtleeren Raum vorher nicht aufgefallen war. Ich spürte seinen Atem auf meinem Gesicht. Er flüsterte:

»Du darfst nicht aufgeben, Emily. Sie wollen dich brechen, du musst stark sein.« Ich verstand nicht, wieso er mir diese tröstenden Worte zusprach, sollten sie mir Mut machen oder gehörten sie zur Folter? Er wischte mir die Tränen weg, die langsam versiegten und dann glitt er mit seiner Hand über meinen Rücken, die Wunden verschlossen sich und die Schmerzen verschwanden. Ich hörte ein Rascheln und war überrascht, als ich das grüne Leuchten meines Steins in seiner Hand sah, die er geöffnet vor mich hielt. Ohne Schmerzen und geheilt setzte ich mich aufrecht hin und betrachtete den Stein in seiner Hand.

»Du bist anders als die anderen«, stellte ich nüchtern fest. Ich konnte ihm vertrauen.

Durch das grüne Licht des Steins konnte ich sein zaghaftes Nicken wahrnehmen. Er legte mir den Stein in meine Hand. Ich wunderte mich sehr, wie es möglich war, dass ein Dämon heilen konnte. Trotz meiner tausend Fragen hakte ich nicht weiter nach. Ich lächelte etwas, denn zum ersten Mal seitdem ich hier war hatte ich keine Angst. Er blieb noch einen Moment und wir sahen uns einfach an. Er gab mir für einen kurzen Augenblick, das Gefühl von Sicherheit und ich wünschte, er würde mich hier unten nicht alleine lassen. Er brummte leise und ich wusste, dass es wegen meiner Gedanken war. Dann stand er auf.

»Bitte bleib!«, flehte ich, denn seine Gesellschaft war mir so viel lieber als die Einsamkeit. Alleine war ich der Ungewissheit ausgeliefert, was als nächstes mit mir passieren würde. Sein Mundwinkel zuckte und ich bildete mir ein, ein kleines Lächeln auf seinen Lippen gesehen zu haben. Aber er ging ohne ein weiteres Wort und die schwere Tür fiel hinter ihm, mit einem lauten Knall, zurück ins Schloss. Ich fing erneut an zu schluchzen und betete zu Gott, dass das alles hier ein schnelles Ende finden würde.

Mittlerweile hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren. Ich wusste nicht, welcher Tag es war oder wie viel Uhr, geschweige denn, ob Tag oder Nacht. Ich nahm mir vor, wachsam zu sein, denn ich wollte mitbekommen, wenn sie mich an einen anderen Ort brachten. So entwickelte ich eine Art Selbstdisziplin und dachte über mein Leben nach, an die Dinge, die ich gerne anders gemacht hätte, und wo ich wohl wäre, wenn ich auf die Warnungen gehört und mich nicht auf Damian eingelassen hätte. Aber wie hätte ich ahnen können, dass sie Recht behielten, dass der nette Damian, den ich nur zu sehen bekam, ein Mittel zum Zweck war? Damals wollte ich ihm eine Chance geben und mir mein eigenes Bild machen. Seit kurzem wusste ich, dass al die Warnungen berechtigt waren. Mir war bewusst, dass jeder hier meine Gedanken lesen konnte und ich höllisch aufpassen musste, aber ich hatte ja keine andere Wahl, alles was mir übriggeblieben war, waren meine Gedanken. Sie waren der Schlüssel zu meiner Seele und ermöglichten mir, ich selbst zu bleiben. Jedes Mal, wenn sie mich wieder schlugen und auspeitschten, dachte ich an meine Mutter, an ihr herzerweichendes Lächeln und ihre wunderschöne Stimme, mit der sie es immer wieder schaffte, mich zum Träumen zu bringen. Ich dachte an meinen Vater, der sein letztes Hemd für mich und Sarah gegeben hätte, damit wir glücklich sind und natürlich dachte ich auch an meine Schwester, den gütigsten Menschen, den ich kannte, die so anders war als ich. Sie ist klug und nicht so naiv, niemals hätte sie sich in den Sohn des Teufels verliebt und niemals hätte sie mich alleine gelassen, im Gegensatz zu mir. Ich war egoistisch und dumm gewesen. Vermutlich hasste sie mich und ich konnte es ihr nicht einmal verübeln, sie war alles, was ich noch hatte von meinem Leben als Mensch, bevor wir alle gestorben sind und wir unsere Eltern nie wieder gesehen haben.

Plötzlich wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, ich kannte dieses schabende Geräusch, welches mich zurück in die Realität holte, sie waren unterwegs, um mich zu holen. Mit einem schweren Knarren öffnete sich die schwere Tür und die Morlocks schleiften mich wortlos und monotonen Schrittes aus meiner Zelle. Normalerweise schrie und weinte ich immer bitterlich bei dieser Prozedur, aber ich hatte das Gefühl leer geweint zu sein und fühlte mich kraftlos.

Einmal am Tag bekam ich etwas zu essen, gerade so viel, dass ich am Leben blieb, um die Folter, die sie mir antaten, durchzustehen, aber auch nicht genug, um bei vollen Kräften zu sein. Immer wieder wurde ich ohnmächtig und ich fragte mich, wie lange ich diese Folter noch durchstehen würde. Anders als erwartet, brachten sie mich nicht in einen der vielen verwinkelten kargen Räume, die nur so nach Tod rochen, sie schleiften mich zu Luzifer. Ich war lange nicht bei ihm gewesen und fürchtete seinen Anblick, bisher hatte ich noch keinen Schimmer, was überhaupt der Grund war, weswegen ich hier unten bei ihnen war. Vor der Tür standen Kieran und Raziel, wenigstens zwei bekannte Gesichter, auch wenn es mir dadurch nicht leichter fiel. Ich konnte förmlich spüren, wie sie mich angafften, an mir war kein Gramm Fett mehr, ich bestand nur noch aus Haut und Knochen. Meine Beine waren zu schwach, um mich überhaupt noch zu tragen und meine Hüftknochen ragten so spitz hervor, dass sie schon beinahe jemanden aufspießen konnten. Sie zerrten mich in diesen bekannten prunkvollen Raum, den ich schon kannte und ließen mich achtlos auf dem Boden zusammensacken.

Kieran und Raziel blieben regungslos vor der Türe stehen und ich riskierte einen unauffälligen Blick zu ihnen. Wenn man hier in der Welt der Untoten und der in Ungnade gefallenen Seelen so etwas wie Vertrauen aufbauen konnte, dann galt dies wohl am ehesten Kieran. Ich versuchte, mich aufzuraffen, mein Stolz war zu erhaben, um vor Luzifer wie ein Stück verletztes Vieh auf dem Boden zu liegen. Doch so sehr ich es versuchte, meine knochigen Arme trugen mich nicht und ich brach zusammen. Nicht einmal Verzweiflung machte sich in mir breit, ich war einfach nicht fähig, irgendetwas zu spüren. Die ständig wiederkehrende Folter, die mich das Fürchten gelehrt und meinen Körper geschunden hatte, hatte mich auch stark gegen äußere Einflüsse gemacht.

Mit einem Mal roch es fürchterlich streng nach Schwefel und ich musste würgen, am liebsten hätte ich direkt vor mich auf den Boden gekotzt. Dieser Gestank nach faulen Eiern brachte mich zum Würgen und ich musste mich vollends darauf konzentrieren, nicht zu brechen.

Dann standen sie vor mir, seine Füße, eingepackt in edle Lederschuhe. Mehr konnte ich in meiner gebückten Haltung zunächst nicht von ihm wahrnehmen, aber der Gestank ging eindeutig von ihm aus. Ich konnte mir nicht erklären, wieso ich es jetzt roch und nicht schon beim ersten Mal, als ich ihm genau hier begegnet war. Mühsam hob ich meinen Kopf und folgte seinen in Nadelstreifen gepackten Beinen bis zu seiner Hüfte, dann verließen mich die Kräfte erneut und ich konnte ihm nicht in die Augen sehen, wobei das doch genau mein Ziel gewesen war. Ich wollte verdammt nochmal nicht hier liegen und ihm wehrlos unterlegen sein. Mit einem Mal schwebte ich über dem Boden und wurde in eine aufrechte Stellung gebracht, Luzifer verstand es perfekt seinen Opfern von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu stehen und er grinste.

»So besser?«, hakte er nach und ließ mich mit einem gekonnten Fingerkreisen einmal um die eigene Achse drehen. Es bedurfte keiner Antwort, denn egal was ich nun sagen würde, es wäre reine Provokation und ich war nach wie vor erpicht darauf zu erfahren, was verdammt nochmal ich hier sollte. »Nun Emily...«, sprach er, als ich wieder mit meinem Gesicht in seine Richtung blickte. »Du hast dich verändert«, stellte er fest und wand mir den Rücken zu, um sich auf seinen Platz zu setzen. Plötzlich wurde er wütend, das ruhige Tiefschwarz aus seinen Augen verschwand und wurde feuerrot. Alles um uns herum schien sich zu verwandeln und unter mir brach der Boden auf, brodelnde Lava bildete sich nur wenige Meter unter meinen Füßen.

»ABER NICHT SO, WIE ICH ES WOLLTE!«, schrie er mich an und ließ die Fäuste auf den Tisch knallen. Wie aus dem Nichts tauchte Damian mit einer langen Peitsche in den Händen vor mir auf und drosch mit schnellen Hieben auf mich ein. Es war, als verfiele er in Trance während er meinen knochigen Körper misshandelte. Luzifer lachte und ich schrie auf, jedes Mal wenn er mich traf. Diese Schläge kannte ich zwar bereits, aber nie hatte Damian mich seitdem ich hier war ausgepeitscht. Seine Schläge waren anders, sie waren noch härter und schälten mir die Haut von den Knochen. Ich zählte gar nicht mehr mit, wie oft ich diesen Schmerz ertragen musste, stattdessen ließ ich los.

Ich verschwand in meine eigene Welt, wie ich es immer tat, wenn sie mich holten. Meine Gedanken galten einzig und allein meiner Familie und meinen Freunden. Die Welt um mich herum verschwamm und aus dem Feuer und den lieblosen todbringenden Räumen wurde unser Zuhause.

Der Tag an dem sich unser Leben für immer veränderte, der Tag an dem wir durch meine Schuld alle gestorben waren. Ich erkannte es direkt, denn an diesem Tag hatten wir furchtbaren Streit wegen eines Oberteils. Im Nachhinein hasste ich mich zutiefst dafür, dass ich diesen Streit angefangen hatte, nur weil ich nicht wollte, dass wir das gleiche Shirt trugen. Wie albern es doch war, ich hätte mit ihr im Partnerlook gehen sollen. Die ganze Fahrt über hatten wir uns gestritten, dabei war es so ein schöner Anlass, weswegen die ganze Familie zusammenkommen wollte. Wir waren auf dem Weg zu unserem alljährlichen Familientreffen. Ein riesiges Spektakel, zu dem unsere auf alle Kontinente zerstreute Familie anreiste und auch wir machten uns sehr früh auf den Weg, um Tante Hattie abzuholen. Doch statt uns auf die bevorstehende Reise und den Flug nach England zu freuen, stritten wir die ganze Fahrt über unentwegt. Es ging längst nicht mehr um den Pullover, es war einfach so, dass wir alles aufrollten, was uns über die gesamten Jahre aneinander gestört hatte. Unsere Eltern hatten zwei Stunden lang vergeblich versucht, uns zu beruhigen, schafften es aber nie länger als maximal zehn Minuten, dass unser Geschrei aufhörte. Sie drehten das Radio lauter. Unsere Mutter tauschte mit Sarah den Platz, sodass sie nun mit mir hinten saß, was mir nur noch mehr gegen den Strich ging und ich pöbelte, wieso ich hinten sitzen musste und Sarah nach vorne durfte. Dabei war es mir in Wirklichkeit völlig egal, wo ich saß, ich hatte mich nur so tief in meine falschen Emotionen hineingesteigert, dass ich nach ständig neuen Gründen suchte, um den Streit neu zu entfachen. Ich schnellte nach vorne, um Sarah an den Haaren zu ziehen. Unser Vater ging dazwischen und verlor so die Kontrolle über den Wagen. Wir knallten gegen die Leitplanke, überschlugen uns und krachten den Abhang hinunter.

Für gewöhnlich kann ich mich dann an nichts mehr erinnern. Doch dieses Mal ging es weiter, aber es stimmte etwas nicht. Das waren nicht meine Erinnerungen. Es fühlte sich an, als würde mir irgendjemand einen Virus in den Kopf setzen und beeinflussen, was ich dachte. Meine Erinnerung stoppte in dem Moment, in dem unser Auto den Abhang hinunterfallen sollte.

Ab da passierte alles nur noch in Zeitlupe. Sarah und meine Eltern hatten verzerrte Gesichter, es war, als seien sie gar nicht real, obwohl ich doch genau wusste, wie sie aussahen, verblassten mit einem Mal meine Erinnerungen an sie und sie wurden zu Schattengestalten, ohne Aura. Alle drei standen vor mir und sahen mich an, ihre verzerrten Gesichter schauten missbilligend und wütend zu mir herüber und jeder einzelne von ihnen ließ mich wissen, welch schlechter Mensch ich wäre. Sie sagten mir, dass sie mich hassten und mein Vater betonte, dass er nun nur noch eine Tochter, nämlich Sarah, hätte. Beide umarmten Sarah und dann kehrten sie mir den Rücken zu. Ich schrie und flehte sie an, mich nicht zu verlassen und bat sie um Verzeihung, doch sie entfernten sich von mir. Ich wollte nicht weiter daran denken, aber ich kam aus dieser Trance nicht mehr heraus, mein Körper fühlte sich nicht mehr fremd an, sondern wohlig und mein Innerstes wehrte sich mit aller Kraft dagegen, aus dieser Trance aufzuwachen. Ich wurde genau dort gehalten, wo ich jetzt war, meine Gedanken wurden ferngesteuert.

Dann entließen sie mich aus diesen Gedanken und ich schrie Luzifer an.

»Das ist eine Lüge!« Inzwischen war ich mit gespreizten Armen und Beinen in der Luft gefesselt. Ich hing über dem Abgrund aus heißer Lava und gierigen Flammen, die sich nach meinem ausgehungerten Körper zehrten. Damian und Luzifer lachten amüsiert und nickten sich siegessicher zu. »Du elendiger Bastard!«, schrie ich und meine Tränen, von denen ich dachte, sie würden nicht mehr existieren, glitten über mein Gesicht und nahmen mir die Sicht.

Beide schienen äußerst zufrieden mit meiner Reaktion und ermutigten mich, alles raus zu lassen. Ich tobte und wollte mich befreien, blinder Hass breitete sich in meinem Körper aus und ich entwickelte unbändige Kräfte, von denen ich keine Ahnung hatte, dass sie in mir schlummerten. In mir brodelte es und ich spürte Knochen, die knackten, mein Körper zitterte und meine Wut nährte mich. Meine Arme wurden stärker, meine Beine schienen wieder das Laufen zu erlernen und meine Venen wurden mit purem Adrenalin versorgt. Es fühlte sich großartig an und ich war gierig nach diesem Gefühl. Geblendet von Wut und Hass riss ich an meinen Fesseln bis sie schlussendlich nachgaben. Der Schlund unter mir schloss sich und ich landete grazil auf meinen Beinen. Ich fühlte mich stark und lebendig, nicht halbtot und schwach wie wenige Minuten zuvor.

Nephilynn

Подняться наверх