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KAPITEL 5

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Der Weg zum Höllenschlund war geprägt von Leid und Kummer. Gepflastert mit gescheiterten Seelen und jenen, die nie wieder von hier wegkamen, denen aber auch der Weg zurück in die Hölle verbaut war. Sie vegetierten in der Zwischenwelt und fristeten ihr Dasein. Man sagt sich, die Seele zerbricht, wenn man ihnen in die Augen blickt und es führte einen dann selbst hierher.

Wir glitten durch die triste Welt der Untoten und traten auf die Knochen der gebrochenen Seelen. Ich hatte ja keine Ahnung, was mich erwarten würde und am liebsten hätte ich lauthals losgeschrien und wäre abgehauen, aber es war zu spät, ich war mehr oder weniger freiwillig hier und das lebendig. Meine Hoffnung, hier lebend heraus zu kommen schwand mit jedem Schritt, den wir weiter hinabstiegen. Wie eine leere Hülle folgte ich Damian willenlos.

Nach einer halben Ewigkeit hatten wir die Pforte erreicht, deren schwarzer Eingang vor uns lag wie ein endlos tiefes Loch. Im Inneren brodelte es und die gierigen Flammen peitschten in die Luft als wollten sie uns verschlingen. Sobald ich seiner Forderung nachkommen und diese Welt betreten würde, sähe ich meine alte Welt nie wieder. Nur ein einziger Trost war mir geblieben: Meine Freunde würden am Leben bleiben. Wehmütig blickte ich noch einmal zurück.

»Zieh nicht so ein Gesicht, was soll Sarah denn denken, wenn sie dich so sieht?«

Verwundert sah ich zu Damian und verstand nicht, was er mir sagen wollte. Ich dachte, ich hätte mich verhört. »Eigentlich sollte es eine Überraschung sein, aber deine Gedanken lassen mir keine andere Wahl.« Er sah mich streng an und fuhr dann fort. »Sie ist bereits hier und wartet auf dich«, versicherte er mir und war sichtlich amüsiert über die Verblüffung in meinem Gesicht.

Diese Worte brachten mich dazu, mein Schicksal nicht mehr als schlimmstes Unglück zu sehen. Jetzt hatte ich etwas, worauf ich mich freuen konnte und so trat ich mit einem leichten Lächeln vor die untoten Wächter des Höllenschlundes. Wie Marionetten standen sie leblos und ferngesteuert als Wachen vor dem todbringenden Eingang zur Verdammnis. Es waren zwei identische Statuen aus grauem Speckstein mit leuchtend roten Augen, in die Damian blicken musste, um Zutritt zu erlangen. Sobald er erkannt wurde, traten die Figuren zur Seite und lösten ihre Sperre aus gekreuzten Sensen auf. Jeder verbannte und unerwünschte Geselle würde durch die Augen vernichtet, eine Eigenschaft, von der ich neulich in einem von Monas Büchern gelesen hatte. Dort ging es um Atreju, den tapferen Krieger aus dem Roman Die Unendliche Geschichte, dessen Ziel es ist, Phantásien zu retten. Er blickte in die Augen der Statue und wir durften passieren.

Vor meinen Augen erstreckten sich riesige Felswände, an denen die Untoten und neue Seelen gefesselt waren. Sie hingen dort in Massen und ihre Leiber erstreckten sich in unendliche Höhen. Er nahm einen tiefen Atemzug und schloss für einen Moment die Augen, als wir angekommen waren. Mit freudig ausgebreiteten Armen öffnete er sie wieder und sah sich um.

»Schön, wieder zu Hause zu sein.« Ein diabolisches Grinsen zierte sein vernarbtes Gesicht. Sämtliche Dämonen pinnten neue Tote an die Wände und das flehende Geschrei hallte in grausamen Echos wider. Zufrieden blickte er durch die Katakomben und zeigte erneut sein wahres Gesicht. Stolz ließ er seinen Blick über das Werk seiner grausamen Taten schweifen. Während ich diesen Anblick kaum ertragen konnte, ergötzte er sich an dem Leid der Todgeweihten. Ich hatte geahnt, dass es furchtbar werden würde, doch niemals hatte ich hiermit gerechnet. Wie versteinert stand ich dort und es erschütterte mich in vollstem Maße. Das Geschrei und Gejammer waren ohrenbetäubend laut und vermischte sich mit den Peitschenhieben der Dämonen.

»Sieh genau hin!«, befahl er mir schroff und packte mich so, dass ich keine Möglichkeit mehr hatte, wegzusehen. Seine Hand vergrub sich in mein Haar und er zog meinen Kopf in den Nacken. Mein Rücken stand eng gepresst an seiner Brust. Er wollte, dass ich das gesamte Ausmaß dieser Grausamkeit zu sehen bekam.

»Es ist gut, dass du Angst hast, das lehrt dich den nötigen Respekt.« Er ließ von mir ab, indem er meinen Kopf aus seinem Griff befreite und unsanft nach vorne stieß. Meine Abscheu gegen diesen Mistkerl wuchs minütlich. Dann lenkte er seine Aufmerksamkeit zu seinen Dämonen. Allesamt unscheinbar, schmächtig und auf irgendeine Weise furchtbar entstellt.

»Kieran!«, rief er nach einem, der sich zu uns umdrehte und mir vorher nicht weiter aufgefallen war. Anders als die anderen, war er nicht hässlich entstellt, ganz im Gegenteil. Er war groß gebaut, muskulös und hatte ein markant männliches Gesicht. Seine meerblauen Augen waren ein krasser Kontrast zu diesem Umfeld und hypnotisierten mich fast. Ich konnte nirgendwo anders mehr hinschauen als in diese Augen, die mich überraschenderweise auch anstarrten. Es dauerte nur einen kurzen Moment, in dem sich unsere Blicke trafen, bevor er zu Damian schaute, der ihn gerufen hatte. Ich versuchte, ihn nicht anzustarren als er zu uns kam, doch das war unmöglich. Ich bemerkte seine Tattoos, deren Bedeutung ich nicht erkennen konnte. Sein Oberkörper war nackt und glänzte vor Schweiß. Sein braunes Haar fiel ihm lässig ins Gesicht und klebte in feinen Strähnen an seiner Stirn.

Als er vor mir stand, musste ich meinen Kopf komplett in den Nacken legen, um ihn ansehen zu können, so groß war er. Damian wirkte fast zierlich neben ihm.

»Wie viele?«, fragte Damian knapp und sah an ihm vorbei auf die Wand, an der die Untoten angekettet waren.

Kieran blickte zu mir und dann wieder zu seinem Gebieter. »Wie viele?«, fragte er nochmal, diesmal etwas lauter. »Sie soll es hören.« Damian blickte zu mir herab und hielt mich grob an meinem Oberarm fest. Dann blickte er wieder zu Kieran, der jetzt auch seinen Blick abwendete. Er räusperte sich kurz. »Heute waren es hundertacht.« Damian grinste zufrieden.

»Einhundertneun.«, sagte er dann und schubste mich, grob und unerwartet, in Kierans Richtung.

»Aber...«, begann Kieran und verstummte direkt. Es stand ihm nicht zu, Damian zu widersprechen und so packte er mich an meinen Armen. Es war grob, aber nicht so grob wie erwartet. Existenzielle Angst breitete sich in mir aus und Panik drang in meinen Körper, mit aller Gewalt versuchte ich mich zu befreien. Erneut musste ich weinen, es waren Tränen der Verzweiflung und Enttäuschung.

»Du hast gelogen!«, schrie ich und mir gelang es mich loszureißen, ehe mich die großen Pranken Damians ergriffen und an den Haaren zurück zerrten. Ich hatte begriffen, dass Sarah nicht hier auf mich warten würde. Das alles war nur haltloses Gerede, um mich hierher zu bekommen.

»Du dummes Ding! Hast du ernsthaft geglaubt, ich könnte eine niedere Kreatur wie dich lieben? Du bist nicht mehr Wert als ein Stück Dreck und du wirst hier unten verrecken.«

Ich schrie, heulte und schlug um mich, bis er mich mit einer gewaltigen Ohrfeige zum Schweigen brachte. »Nicht mal der Fick hat sich gelohnt«, lachte er mir ins Gesicht und ergötzte sich abermals an meiner Angst. »Du wirst nie wieder das Tageslicht erblicken und Sarah wirst du auch nie wieder sehen, ebenso wie deine nutzlosen Menschenfreunde. Jeder Einzelne von ihnen wird sterben.«

Es bereitete ihm sichtlich Freude, mich so zu sehen und ich konnte spüren, wie lange er sich auf diesen Augenblick gefreut hatte. Er warf mich achtlos vor Kierans Füße.

»Willkommen in meiner Welt!«, grölte er, während Kieran mir auf die Beine half.

»Warum?«, wimmerte ich.

»Du hast etwas, das ich haben will, und ich werde es bekommen.« Er kam näher. Kieran hielt mich am Arm fest und ich bebte vor Angst. Damians Lippen näherten sich meinem Ohr und er flüsterte:

»Das ist der einzige Grund, warum du noch lebst.« Er ging einen Schritt zurück und grinste mich an. »Was aber kein Dauerzustand bleiben wird.«, versicherte er und wendete sich wieder Kieran zu.

»Schaff sie mir aus den Augen und bring ihr Manieren bei.«, befahl er und überließ mich meinem Schicksal.

Ich wagte nicht darüber nachzudenken, weshalb er hier war. Bestimmt war er auch bloß ein Untertan, der sich auf einen Deal mit dem Teufel eingelassen und jetzt seine Schulden begleichen musste. Freiwillig war wohl niemand hier. Abgesehen von Damian.

Kieran gehorchte und zerrte mich hinter sich her, es scherte ihn nicht, dass mir der ganze Körper schmerzte, wenigstens schliff er mich nicht über den Boden. Ich wimmerte und flehte ihn an, mich gehen zu lassen, aber er reagierte nicht auf meine Worte. Er verzog keine Miene und brachte mich durch ein schier endlos erscheinendes Labyrinth aus Tunneln. Überall hallte das Geschrei der gefesselten Seelen wider und ich zitterte ängstlich am ganzen Körper. Immer wieder versuchte ich mich loszureißen und anhand seiner Reaktion auf meine kläglichen Versuche mich zu befreien, merkte ich, dass es auch für ihn neu war. Vermutlich kamen nicht so oft lebendige Wesen hierher und zumindest das schien uns zu verbinden. Menschlichkeit. Je tiefer wir in das Innerste liefen, desto lauter wurden mein Flehen und Schreien.

»Hier hört dich niemand.«, sagte er und ich wusste nicht, ob es mich besänftigen oder noch mehr verängstigen sollte. Seine Stimme klang tief und rau. In einer anderen Situation würde ich sie als sanft und beruhigend bezeichnen, doch ich war geleitet von Angst. Ich sollte meinen Mund halten, das war sicher, aber ich gab nicht auf und schrie so laut ich konnte. Es war mir egal, welche Konsequenzen folgen würden, ich würde hier ohnehin nie wieder herauskommen und ein unendliches Martyrium voller Leid und Schmerz würde nun Inhalt meines weiteren Daseins werden. Ich fragte mich, wie all das passieren konnte? Ich lebte im Paradies, ich war ein Engel, der seine Prinzipien verraten und für den Mann verstoßen wurde, der mir nun eine Zukunft voller unendlicher Qualen bescherte. Kieran übergab mich an einen anderen Dämon, der ihm so gar nicht ähnelte.

»Raziel, du weißt, was zu tun ist.«, sagte er und sein Gegenüber nickte. Anders als Damian und er war Raziel schmächtiger und glich eher einem menschlichen Wesen als die beiden anderen. Es machte den Eindruck, als sei er noch in der Ausbildung. Jeder der Wächter musste verschiedene Stufen durchlaufen bis er groß und furchteinflößend war. Kieran war bereits ein vollwertiger Wächter, während Raziel noch einige Prüfungen zu absolvieren hatte, ich schien eine davon zu sein.

Ich wurde auf den Boden gedrückt und gefesselt. Um meine Schreie zu unterdrücken, knebelten sie mich und entfernten sich dann einige Schritte, damit ich nicht hören konnte, was sie besprachen. Ich hatte Angst. Noch nie zuvor hatte ich diese Panik im Leib, pures Adrenalin schoss mir durch die Venen und mein Herz pochte in meiner Brust, als würde es jeden Moment explodieren. Ich strampelte und versuchte, mit allen Mitteln aus meiner Lage zu entfliehen. Gieriges Röcheln lag in der Luft und meine Angst nährte die verlorenen Seelen der Unterwelt. Ein eisiger Wind durchzog die Katakomben und ließ das Feuer der Fackeln an den Wänden hektisch tanzen. Mein ganzer Körper war erschöpft von den Strapazen und mein Unterleib schmerzte fürchterlich von Damians exzessiven sexuellen Gelüsten, zu denen er mich genötigt hatte. Überall an meinem Körper spürte ich Schürfwunden und Druckstellen, die sich früher oder später in blaue Flecken verwandeln würden.

Inzwischen waren all meine Versuche zu entkommen gescheitert und ich zu erschöpft, um noch weiter zu strampeln. Meine Schreie wurden von dem Knebel unterdrückt und mir gelang es nur noch zu wimmern. Zusammengekauert lag ich in dieser kalten und dunklen Ecke des Untergrundes. Welch Ironie, in der Hölle soll es doch furchtbar heiß sein, doch ich fror. Überall in den Gängen konnte ich Gezische und Geflüster hören, doch wohin ich auch blickte, ich konnte außer Kieran und Raziel niemanden ausmachen.

Die beiden beachteten mich gar nicht, sondern unterhielten sich angestrengt, während ich wie Abschaum in die Ecke geworfen und zurückgelassen wurde. Allmählich zitterte mein Körper vor Kälte und meine Tränen versiegten. Ich hatte nicht einmal mehr die Kraft zu weinen. Kierans Aufmerksamkeit wurde dann doch unverhofft und urplötzlich auf mich gelenkt. Einer dieser widerlichen Kreaturen hatte sich bis zu mir hervorgewagt, angelockt von meiner Angst und meinen flehenden Wimmern und geleitet durch meine Gedanken. Jetzt stand dieses Monster vor mir und starrte mich an, während ich mich vor Ekel von ihm abwendete. Er roch abscheulich verwest und aus seinem weit geöffneten Maul tropfte eine klebrige Masse, von der ich vermutete, dass sie mich komplett verseuchen würde, sobald auch nur ein Tropfen auf meiner gereizten Haut landete.

Es dauerte nur einen Augenblick bis Kieran bei uns war, ein Beil gezückt und diesem Etwas den Kopf abgeschlagen hatte. Schwarze Asche rieselte auf mich nieder und ich krümmte mich zusammen. Mein Herz pochte so schnell, dass ich glaubte, es würde gleich durch meinen Brustkorb schnellen. Ich wusste nicht, was mir lieber gewesen wäre, durch die Klauen dieses verwesenden Abschaums zu sterben oder hier in der Ecke liegend, nichts ahnend was mit mir geschehen würde, Kieran und Raziel ausgeliefert zu sein.

In dem Moment packte mich, sanfter als erwartet, Kieran und zog mich zurück auf die Beine. Er lehnte mich gegen die kalte Specksteinmauer und kam mir mit seinem Gesicht bedrohlich nahe. Ich konnte seinen Atem auf meiner Haut spüren. Mit großen Augen starrte ich ihn an.

»Angst, Kleines,…« Er sah mir tief in die Augen glitt dann mit seinem Blick an die Stelle, an dem der Morlock gelandet war, ehe er sich in Schutt und Asche auflöste und dann wieder zu mir.

»...ist hier unten dein sicherer Tod.«, brummte er und ließ dann von mir ab und vertiefte sich wieder in seine Unterhaltung.

Ich weiß nicht warum, aber seine Worte leuchteten mir ein. Ich begann mich zu beruhigen, auch wenn ich die Gründe nicht begriff, weshalb ich immer noch am Leben war. Langsam dämmerte mir aber, dass Damian andere Pläne mit mir hatte, als meinen Tod, denn sonst hätte mich dieser Morlock getrost umbringen können. Oder wollte er mich erst noch weiter foltern lassen und mich dann langsam umbringen?

Ich lehnte meinen Kopf gegen die Wand und schloss einen Moment die Augen. Ich versuchte, die Geschehnisse zu verdrängen und meinen vor Angst gelähmten, Körper wieder zu beleben, doch im Moment war ich froh, dass ich nicht kraftlos zu Boden ging. Als ich die schweren Schritte der beiden Dämonen hörte, die auf mich zu kamen, öffnete ich meine Augen und hob den Kopf wieder an. Ich wusste, dass sie noch immer meine Angst rochen und die Panik in meinen Blicken sahen, doch dies waren Dinge die ich nicht beeinflussen oder gar abstellen konnte. Ich würde es lernen müssen, denn so schnell kam ich hier sicher nicht wieder raus.

»Komm jetzt!«, drang es aus den Lippen Raziels und mir wurde klar, dass er das erste Mal zu mir sprach. Er klang verunsichert und wirkte, zumindest einen Moment lang, genauso verzweifelt wie ich es war.

Niemand würde Raziel für einen Dämonen halten. Er hatte blondes, strähniges Haar, welches er schulterlang trug, eine kleine Narbe zierte seine Augenbraue und seine blauen Augen leuchteten noch. Im Gegensatz zu denen von Kieran. In ihnen sah ich Härte und Entschlossenheit. Beide waren müde, doch ich schien Bestandteil einer Prüfung für Raziel zu sein, denn Kieran hielt sich im Hintergrund und gab im Stillen Anweisungen. Ich wehrte mich nicht, als er mich mit seinen zierlichen Händen am Unterarm ergriff und mich zum Gehen aufforderte. Ich hatte noch immer meine Hände hinter dem Rücken gefesselt.

»Wenn du ab jetzt still bist, nehme ich dir das Ding aus dem Mund«, versprach er und sah mich eindringlich an.

Nach kurzem Zögern nickte ich und willigte ein. Schreie würden mir hier ohnehin nicht weiterhelfen und so nahm er den Knebel aus meinem Mund und ich hatte das Gefühl, endlich wieder richtig Luft zu bekommen.

Wir gingen los, einen endlos langen Weg durch das Labyrinth der Unterwelt, verfolgt von Schmerzensschreien der verlorenen Seelen, den vernichtenden Blicken anderer Wächter und dem gierigen Sabbern der Höllenhunde, die in ihrer ganzen Grausamkeit vorfreudig bellten, sobald wir an ihren Käfigen vorbeiliefen. Raziel schob mich den schmalen Weg entlang und Kieran folgte uns dicht.

»Wohin gehen wir?«, fragte ich mit heiserer Stimme, doch keiner der beiden antwortete mir.

Ich senkte den Kopf, ich wollte und konnte das Leid nicht sehen und redete mir ein, dass das alles nur ein furchtbarer Albtraum sei, aus dem ich bald wieder aufwachen würde. Ich dachte an Mona und Rachel und konnte nur hoffen, dass Damian sie am Leben gelassen hatte, jetzt wo ich hier war, wie er es wollte. In meinem Kopf ratterte es, ich versuchte meine Gedanken zu unterdrücken, denn ich befürchtete, dass Kieran und Raziel alles genau mitbekamen und Damian Bericht erstatten mussten. Wir liefen an den Klippen des Todes vorbei, peitschende Flammen griffen gierig in die Luft und schrien nach neuen Opfern, die zu ihnen hinuntergestoßen wurden. Ich hörte ein lautes und grollendes Lachen, wie ich es bereits kannte, aber es war so viel mächtiger und mir stockte der Atem. Meine Beine blockierten und ich blieb einfach stehen. Keinen Schritt würden sie mich weiter in diese Richtung bekommen, das war Luzifers Lachen. Das musste es sein. Wenn es jemanden gab, der noch grausamer war als Damian, dann war es sein Vater. Ganz sicher. Und wenn es etwas gab, wovor ich mich mehr fürchtete als vor dem Tod, dann war es Luzifer.

Meine Glieder erstarrten und jedes einzelne Gelenk blockierte, noch nie hatte sich mein Körper so sehr gegen etwas gewehrt wie in diesem Moment. Kieran und Raziel blieben, ebenso wie ich, abrupt stehen. Ich wehrte mich mit all meiner Kraft gegen die aufkommende Angst, doch sie schlich sich durch das Gemäuer und lag wie Schwefel in der Luft. Ich betete und hoffte auf Gnade, doch wie viel Macht hat ein Gebet in der Welt Luzifers? Langsam kam Kieran auf mich zu während Raziel seine Stellung hielt. Kieran beugte sich zu mir runter. Er war so riesig und ich ein Winzling ihm gegenüber. Es wäre ihm ein Leichtes mich zu zerquetschen, doch sein Gesichtsausdruck war nicht wütend oder hasserfüllt wie ich es erwartet hatte. Für einen Dämonen blickte er ziemlich friedlich, ja fast freundlich und er sah mir in die Augen.

»Was hab ich dir gesagt? Sie riechen es!« Er deutete nach oben und ich konnte an den dunklen Decken, des schier endlos scheinenden Geflechts aus Tunneln und Räumen, tiefschwarze Schattenwesen erkennen, deren Augen glühend rot und bedrohlich zu uns herabblickten.

Ich schluckte, denn es waren viele und ich hatte keine Ahnung, was sich hier noch alles herumtrieb. Ich war mir sicher, dass eine Begegnung mit einem dieser Wesen nicht so glimpflich ausgehen würde wie die mit dem Morlock.

Als ich meinen Kopf wieder senkte, trafen sich erneut unsere Blicke und mein Herz begann zu pochen. Ich verstand nicht warum, aber er hatte etwas Beruhigendes und ich hatte in Kierans Gegenwart keine Angst, auch wenn ich wusste, dass er der Feind war. Ich war ihm und Raziel ausgeliefert, ohne auch nur die Chance auf Begnadigung. Nach wie vor begriff ich nicht, warum sie mich hier festhielten und ich noch nicht an der Wand bei all den anderen armen Seelen hing.

»Sie tun dir nichts, Solange du tust, was ich dir sage und du in meiner Nähe bleibst, verstanden?« Außerstande irgendetwas zu sagen, nickte ich.

Es war viel zu viel geschehen, dass ich erst mal verarbeiten musste. Dieses leidende Wimmern und flehende Geschrei, war nichts, woran ich mich gewöhnen konnte. Erneut griff er meinen Unterarm und animierte mich zum Weitergehen.

Ich wusste, dass Kieran in der Lage war, meine Gedanken zu lesen, aber ich gab mir keine Mühe mehr sie zu verbergen, ich kam hier sowieso nicht lebend raus. Niemand, den ich kannte, hatte Luzifer je gesehen, was nur die Schlussfolgerung zuließ, dass jeder, der ihn gesehen hatte, sterben würde. Eine einzelne Träne bahnte sich langsam den Weg über meine Wange und tropfte auf den steinigen Boden. Ein leises Schluchzen entwich meinen Lippen und Kieran hielt knurrend an und wand sich zu mir.

»Dir passiert nichts, ich hab dir mein Wort gegeben.« Ich schüttelte den Kopf.

»Was bedeutet das Wort eines Dämons schon? Die Worte eines Dämons, dem ich vertraut habe, haben mich in diese Lage gebracht.«, antwortete ich enttäuscht. Doch entgegen dem, was ich vermutete, wurde ich nicht bestraft für mein loses Mundwerk.

Stattdessen schmunzelte er und wir setzten unseren Weg fort. Wir stoppten vor einer großen Holztür mit goldenem Knauf, der auf der Höhe meines Kopfes war. Ich konnte nur erahnen, wie groß Luzifer selbst war. Ein uraltes, mächtiges Wesen, das wie ich einst ein Engel gewesen war und verbannt wurde. Zumindest das verband uns. Jedes einzelne meiner Körperteile zitterte, selbst jene, von denen ich nicht mal wusste, dass sie im Stande dazu sind. Raziel öffnete die Tür und sie stießen mich mit einem Ruck ins Innere des Raumes. Sie selbst blieben aber an der Schwelle stehen.

Mit meinen gefesselten Händen fiel es mir schwer, das Gleichgewicht zu halten, doch mir gelang es, auf den Beinen zu bleiben und ich staunte nicht schlecht, denn anders als der Rest der Unterwelt war dieser riesige runde Raum prunkvoll eingerichtet. An den Wänden hingen in Gold gerahmte Bilder von einstigen Helden aus früheren Epochen. Niemals hätte ich die Vermutung gehabt, hier würde Luzifer höchstpersönlich leben. Während ich mir in Gedanken ausmalte, wie er wohl aussah, ob er zwei groteske Hörner hatte und einen Dreizack, umrundete mich ein stürmischer Windstoß, den ich bereits in den Katakomben gespürt hatte. Er ließ die schweren Türen hinter mir ins Schloss fallen und trennte mich von meinen Begleitern.

Jetzt war ich alleine, oder etwa nicht? Vor mir erblickte ich einen Thron, der Windstoß umrundete mich erneut und ließ sich dann als schwarzer Nebel langsam dort nieder. Stück für Stück bildete sich eine Silhouette und ich erkannte die Umrisse desjenigen, dessen Lachen durch Mark und Bein ging. Langsam nahm er Gestalt an und ich erkannte, dass er, wie alle anderen aussah, wie ein gewöhnlicher Mann, viel größer und stärker zwar, aber er hatte weder Hörner noch eine rote Haut oder gar einen Dreizack. Wäre er nicht das personifizierte Böse, könnte man ihn vielleicht weniger abstoßend finden.

Einzig und allein die Narbe quer über seinem leuchtend grünen, linken Auge, welches auf mich herabblickte, war furchteinflößend. Er hatte pechschwarzes Haar. Er atmete durch und musterte mich eine Weile, seine Blicke durchbohrten mich und die Zeit, bis er endlich seine Worte sprach, kamen mir schier unendlich vor.

»Emily«, sagte er mit dunkler und kratzender Stimme und einem sichtlich gekünstelten Lächeln auf seinen Lippen.

»Setz dich doch.« Wie aus dem Nichts kommend stand ein Stuhl hinter mir, doch aus Angst wollte ich mich nicht setzen und schüttelte kaum sichtbar den Kopf. »Setz. Dich. Hin!«, herrschte er mich an und mit einer Handbewegung schob er den Stuhl weiter hinter mich und ließ mich auf ihn fallen. Seine Hände umgriffen die Armlehnen seines Stuhls und es schien mir, als müsste er um Fassung ringen. Vermutlich stieß er nicht oft auf Widerstand.

»Willkommen in meinem Reich«, knurrte er und ließ seinen Zeigefinger durch die Luft kreisen, was dazu führte, dass sich meine Fesseln lösten. Ich rieb mir über meine schmerzenden Handgelenke.

Dann stand er auf und kam mit einer quälenden Gelassenheit auf mich zugeschlendert und umrundete mich. »Du bist genauso schön, wie er dich beschrieben hat,« stellte er zufrieden fest und mein Herzschlag beschleunigte sich unermessliche. Luzifer lachte und griff mit seinen Pranken in mein zerzaustes braunes Haar und wickelte eine meiner Strähnen um seine Finger. Dann ließ er es fallen und es fiel schlaff in mein Gesicht zurück. Er provozierte gerne, so wie es auch sein Sohn tat. Ich erkannte die Ähnlichkeit zwischen ihnen sofort. Sie hatten beide diese ausgeprägten Wangenknochen und eine eckige Kopfform, die das narbenverzierte Gesicht nur noch markanter erscheinen ließen. Und die Zwei verstanden es perfekt, den Raum für sich zu beanspruchen. Selbst, wenn außer uns der restliche Raum voll mit Menschen gewesen wären, die Aufmerksamkeit hätte voll und ganz Luzifer gehört, auch wenn niemand wüsste, wer er eigentlich war.

»Du hast bestimmt viele Fragen.«, sagte er, als er sich von mir abwendete. Ich war mir sicher, er kannte meine Fragen bereits. Er ging zurück zu seinem Thron und ließ sich nieder. Er griff nach seinem Kelch und trank einen großen Schluck, ehe er ihn unachtsam auf den Boden fallen ließ.

»Nun... Emily«, setzte er an, »um deine Frage zu beantworten. Du bist hier, weil wir etwas Großes mit dir vorhaben.«, sagte er und zwinkerte mir zu.

›Sympathiepunkte sammelte er so sicher nicht‹, dachte ich mir.

»Du wirst nicht sterben, das verspreche ich dir, aber du wirst den Rest deines Lebens hier verbringen. Von daher wäre es besser für dich, wenn du kooperierst.«

Er stützte die Ellenbogen auf seinen Armlehnen ab und formte mit seinen Händen ein Dach. Seine Fingerkuppen ließ er in einem langsamen Takt gegeneinander tippen und vor uns tat sich eine durchsichtige Wand auf. Ich konnte Mona sehen, wie sie und Rachel nach mir suchten und bitterlich weinten, Jerry und Dean schmissen derweil das Melissima und ich fühlte mich schrecklich, dass sie meinetwegen so leiden mussten.

Ich wollte gar nicht hinsehen und tiefe Verzweiflung machte sich in mir breit, nährte die Schattenwesen und auch Luzifer ergötzte sich an meinem Leid. Er lachte laut und die nächsten Bilder zeigten eine wunderschöne blonde Frau, die orientierungslos, wie ich es einst war, durch die Straßen irrte und etwas zu suchen schien. Mir war nicht klar, wer sie war, doch obwohl ich ihr Gesicht nicht sah, wirkte sie vertraut auf mich. Ich kannte sie.

»Ja, sie ist es«, knurrte er und bestätigte mir so meine Vermutung, es könnte sich dabei um Sarah handeln. »Es ist deine Entscheidung«, fügte er hinzu. »Tust du nicht, was wir von dir verlangen, wird sie das gleiche Schicksal ereilen wie dich.« Ich schluckte. »Kooperierst du, wird deiner Schwester nichts passieren und sie kann weiter auf ihren Wolken herumspringen.«

Im selben Moment verblasste das Bild, ohne dass ich auch nur den Hauch einer Ahnung hatte, wo sie war. Wütend und zutiefst traurig, dass meine Schwester ohne Halt und Orientierung auf der Erde umherirrte, nicht wusste, wo ich war und mich auch nie wieder finden würde, sprang ich auf und stürzte mich auf dieses Monster, was hatte ich noch zu verlieren? Doch er lachte nur. Je mehr ich auf ihn einschlug, desto lauter wurde es. Dann wischte er mit seiner Hand durch die Luft und ich hob ab. Er stoppte seine Hand und auch ich blieb abrupt in der Luft stehen. Er schwenkte seine Hand und ließ mich so zu Boden fallen. Ich landete unsanft und spürte etwas unter mir. Ich war auf etwas drauf gefallen, doch ich wagte es nicht mich zu bewegen. Zwei Hände ergriffen mich und ich wurde hinausgetragen und verlor dabei das Bewusstsein.

Nephilynn

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